Nocte Obducta
Interview mit Marcel zu "Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)"
Interview
NOCTE OBDUCTA greifen wieder an! Nach ihrem „Comeback“-Album „Verderbnis (Der Schnitter kratzt an jeder Tür)“ von 2011 wurde nun das neue Werk „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ veröffentlicht, welches die Band sehr vielschichtig zeigt. Atmosphärisch dicht, melancholisch schön, stilistisch unberechenbar offen, kompromisslos experimentell und doch wunderbar eingängig. Was dahintersteckt klärten wir mit Bandchef Marcel.
Euer neues Album trägt den Titel „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“. Ich gehe davon aus, dass es nach dem Mond von Uranus benannt ist? Was kannst du uns über diesen Himmelskörper berichten?
Ich war noch nicht dort, aber von den diversen Uranus-Monden ist es der mit der dunkelsten Oberfläche, das schien uns als Titel sehr passend.
In welchem Zusammenhang stehen die Texte des Albums zum Titel? Gibt es eine Grundthematik, welche dem Album zugrunde liegt?
Viele der in den Texten verwendeten Symbole sind zwar recht astronomisch, aber natürlich soll das absolut nicht bedeuten, dass dieses Album den sogenannten Weltraum thematisiert. Ebenso wenig habe ich bei den Texten darauf geachtet, möglichst viele und komplexe Symbole und Vergleiche dieses Feldes heranzuziehen, das wäre zu sehr ein Konzeptalbum geworden, und darum ging es uns nicht. Da das Album sich mehr denn je um Leere, Einsamkeit, Enttäuschungen und Schmerzen dreht, ist aber „das Schweigen zischen den Sternen“ eine naheliegende Projektionsfläche.
Und in welchem Zusammenhang steht der Albumtitel zu eurer „zwischenzeitlichen“ Band DINNER AUF URANOS sowie diese wiederum zum Songtitel „Dinner auf Uranos“?
Über ein paar Ecken besteht der Zusammenhang darin, dass das Lied „Dinner auf Uranos“ ein Lied aus der Zeit ist, in der wir DINNER AUF URANOS hießen und Umbriel nun einmal ein Mond eben dieses Planeten ist.
Nimmt der Titel „Gottverreckte Finsternis“ Bezug auf das Album „Lethe (Gottverreckte Finsternis)“?
Nein, es gibt keinen direkten inhaltlichen Bezug. Querverweise haben wir ja schon immer gerne eingebaut, und in diesem Fall passte wirklich einfach nur der Titel zum Text, und das alles im Zusammenspiel mit der Musik zur Grundthematik des Albums.
Was fasziniert dich am Weltraum?
Das, was wohl alle fasziniert: Unser Begriff von Leere und Weite und die Tatsache, dass unsere Begriffe und Vorstellungen wohl nicht ausreichen, um all das in Worte oder nur Gedanken zu fassen.
Von wem stammt das Cover-Artwork? Der Stil ähnelt ein wenig demjenigen von Hansjörg Stock, welcher für die DORNENREICH Cover verantwortlich ist. In welchem Zusammenhang steht es zu den Texten?
Ich kenne das von Dir genannte Artwork nicht. Die verwendeten Zeichnungen stammen aus der Sammlung meines Vaters, der die Bilder irgendwann in den 70ern angefertigt hat. Ich habe mich auf der Suche nach geeigneten Motiven durch einiges an Bildmaterial gearbeitet, und am Ende rund zehn Stücke, die ich für geeignet hielt, der Band vorgelegt. Wir haben uns dann entschieden, drei der Zeichnungen zu verwenden. Eine für das Cover von Booklet und Vinylcover, eine für das Digipack und eine weitere für die Innengestaltung aller drei Versionen
Das „Standartbild“ visualisiert für uns Verzweiflung, Leere und Einsamkeit inmitten einer lauten Welt, kurz gesagt eine beschissene Situation. Das Cover des Digipacks ist noch wesentlich schlichter und weniger negativ in seiner Stimmung. Leere, Weite und Einsamkeit kommen hier ein wenig verträumter rüber.
Wer hat denn eigentlich alles am neuen Album mitgewirkt?
Schwerpunktmäßig haben wir das Album mit der Besetzung von DINNER AUF URANOS aufgenommen, einiges von dem Material stammt auch aus dieser Zeit. Ein guter Teil des Materials war dieser Vierer-Besetzung geläufig, ich habe außerdem sehr viel alleine gemacht. Flange und Torsten sind ja erst Februar bzw. Mai wieder zu den Proben gestoßen, nachdem „Verderbnis“ für ein Großteil der Band ein reines Studio-Projekt gewesen war. Sie haben auf dem Album einen Teil der harschen Vocals übernommen, denn als wir Februar bzw. Mai. wieder mit den regelmäßigen Bandproben in alter Besetzung angefangen haben, war das Album praktisch schon fertig aufgenommen. Am Nachfolgematerial arbeiten wir aber wieder parallel zum Live-Set als komplette Band.
Stilistisch würde ich sagen, „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ knüpft irgendwo an „Stille (das nagende Schweigen)“, „Sequenzen einer Wanderung“ sowie „50 Sommer – 50 Winter“ an. Die Musik wirkt befreit von irgendwelchen Konventionen, gereift, atmosphärisch dicht. Wie beurteilst du selbst euer neues Werk, und wie ordnest du es in eurer eigenen Diskografie ein? Wo siehst du selbst Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?
Gute Frage. Deine Einordnung ist so falsch sicher nicht, auch wenn ich die “Sequenzen” vielleicht nicht so stark gewichten würde. Klar, die Soundspielereien wurden damals weitaus intensiver, aber auch wenn unsere Diskografie keine klare Linie aufweist, so würde ich doch behaupten, dass Soundbasteleien etwas sind, das sich über die Jahre entwickelt hat. Das ist natürlich eine sehr subjektive Sicht der Dinge, und insbesondere der Fan, der sich mit den Hintergründen nicht befasst, wird „Umbriel“ immer am ehesten mit „Sequenzen“ in Verbindung bringen, weil ganz oberflächlich ähnlich viel mit Sounds gespielt wird, und der Charakter eines Soundtracks doch recht ausgeprägt ist.
Der Grundtenor ist für mich aber am ehesten mit „Stille“ zu vergleichen. Und auch wenn die metallischen Momente prozentual weit unter denen von „Stille“ liegen, so sind sie doch auf „Umbriel“ gefühlt wesentlich näher am Black Metal oder weisen leichte Parallelen zu „Nektar“ und „Verderbnis“ auf. Die Betonung liegt auf „leicht“, bevor jetzt hier irgendeine Pappnase ein fehlendes „Und Pan spielt die Flöte“ anmahnt.
Die etwas ruhigeren Momente und ausgedehnten Instrumentalpassagen, die ja letztlich überwiegen, würde ich dann auch eher in der Nähe von „50 Sommer – 50 Winter“ verorten, allerdings ganz eindeutig im Winter-Teil, und nicht im doch etwas gefälligen Sommer. Man sollte „50 Sommer – 50 Winter“ hier aber nicht zu eng mit „Umbriel“ verknüpfen, denn es bieten sich auch im nicht metallischen Bereich band-interne Vergleiche vor allem mit Liedern wie „Töchter des Mondes“, „Tage, die welkten“, „Nektar“ oder “Aschefrühling” an.
Wo ich das Album genau sehe, kann ich nicht sagen, aber würde man die Discografie in drei Blöcke aufteilen, so würde wohl „Umbriel“ den außerdem aus „Sequenzen einer Wanderung“, „50 Sommer – 50 Winter“ und „Verderbnis“ bestehenden Block abschließen und die Aufarbeitung und gleichzeitig das Ende einer sehr langen, sehr unschönen und wirren Zeit markieren. Die Lücke wäre hiermit also geschlossen und wir können auf unsere Art und Weise wieder ungefähr dort einsteigen, wo es uns förmlich zerrissen hat.
Was habt ihr an eurer Herangehensweise beim Songwriting als auch beim Aufnahmeprozess am neuen Album im Vergleich zu „Verderbnis (Der Schnitter kratzt an jeder Tür)“ geändert? Ursprünglich war „Verderbnis“ ja als „Schwarzmetall 2“ geplant, wie kam es zum Wandel?
Als ich die Lieder für „Verderbnis“ aus dem vorhandenen Fundus auswählte, neu komponierte und umschrieb, war die Maßgabe, dass es sich um spontane und recht schnell gefasste Entscheidungen handeln sollte. So gesehen war „Schwarzmetall“ hinsichtlich der Arbeitsweise ein gewisses Vorbild. Es ging nicht darum, so zu spielen oder zu klingen, es ging darum, ähnlich zu arbeiten. Also direkt, schnell und ohne Korrekturen. Größtenteils haben wir das auch wirklich so gemacht, aber als wir uns dann an die Vocals setzten, war das doch sehr, sehr durchdacht, was beim Einsatz von fünf Vokalisten auch ganz vernünftig war. Den Mix haben wir dann wirklich sehr sorgfältig gemacht, und da der Grundsound der Gitarren trotz der rotzigen und trunkenen Spielweise etwas zahmer war als bei „Schwarzmetall“, ist das Endprodukt nach einem wohl durchdachten Mix ein hörbar anderes.
Man muss außerdem bedenken, dass wir 2000 mit dem Mix des Albums quasi fertig waren und dann Theisen in etwa meinte „So, und noch ekliger wird’s, wenn wir folgenden Knopf drücken!“. Dann schaltete er alles auf Mono, so dass einem das Album wirklich press auf der Nase saß und die diversen Stereo-Keys und Effekte völlig müllig klangen, und fertig war die Geschichte.
Im Falle von „Umbriel“ durchliefen zumindest einige der Lieder immer wieder Veränderungen. Die beiden „Kerkerwelten“ zum Beispiel hatte ich im Vorfeld als drei ziemlich unterschiedliche Versionen ausgearbeitet. Die ursprüngliche Version hatte eine ganz enorme Lagerfeuer-Schlagseite mit einer ordentlichen Schippe Psychedelic, während eine Proberaum-Version aus dem Frühling 2008 vielleicht am ehesten mit dem vergleichbar gewesen ist, was man heutzutage Post Rock nennt. Die dritte Version arbeitet nun wesentlich mehr mit Sounds und bezieht auch den Metal wieder mit ein.
Ein anderes Beispiel ist „Dinner auf Uranos“, das insbesondere im Mittelteil vor den Soundscape und den Synthesizern in unglaublich vielen Versionen gespielt wurde.
Der größte Unterschied im Aufnahmeprozess liegt wohl darin, dass wir – nachdem das Album eigentlich schon fertig war – noch einmal Hand an eine Stelle legten, mit der wir einfach sehr unzufrieden waren. Und da wir schon mal dabei waren, haben wir dann auch den Mix noch einmal erneuert.
Euer Comeback „Verderbnis (Der Schnitter kratzt an jeder Tür)“ war für viele so etwas wie eine Zeitreise zurück zur Jahrtausendwende. Beim ersten Anhören kamen mir Erinnerungen an „Taverne“. War die Arbeit und/oder ist das Anhören von „Verderbnis (Der Schnitter kratzt an jeder Tür)“ für euch selbst auch ein nennen wir es „nostalgisches Erlebnis“?
Für mich auf jeden Fall, aber eigentlich eher, weil wir nach Jahren wieder zusammen in einem Raum standen. Wesentlich nostalgischere Anflüge bekommen wir da eigentlich dieser Tage, da wir gerade dabei sind, Material wieder auszugraben, das wir nach den Aufnahmen zu „Nektar“ zu proben begonnen hatten, um es dann in den Wirren dieser Zeit wieder in die Schublade zu verbannen. Es war immer sehr schade um ein Lied wie „Glückliche Kinder“, bei dem auch inhaltliche Bezüge zu den „Nektar“-Alben bestehen. Ein partieller Rückgriff auf diese Zeit, sowie auf die Tage von „Lethe“, „Taverne“ und sogar DESÎHRA sind die derzeitige Marschroute, und das allein bietet viel Raum für Nostalgie und Vorwärtsdrang zugleich – genau das war ja auch das Thema von „Nektar 2“ und der Punkt, an dem wir hatten anknüpfen wollen. Hoffen wir, dass diesmal nicht wieder alles den Bach runter geht.
NOCTE OBDUCTA sind und waren immer eine Band, die stark polarisiert hat, sowohl in musikalischer Hinsicht als auch in Sachen Auftreten, Lyrik, Darstellung. Wie wichtig ist es für dich bzw. euch, „anders“ zu sein als überspitzt formuliert der „Black-Metal-Standard“? Worin siehst du Vorteile, worin Nachteile?
Diese Sache ist ja kein Selbstzweck, wir machen halt, was wir wollen, wir folgen da keinem Dogma der Andersartigkeit. Es ist auf diese Weise nahezu unmöglich, eine konkurrenzfähige Menge an Alben zu verkaufen, und man sieht sich ständig Anfeindungen ausgesetzt. Die sind aber anscheinend nicht immer bloß von der Andersartigkeit motiviert, sondern auch von dem Umstand, dass anscheinend viele Leute davon ausgehen, dass wir gerne auf abgehoben und anders machen oder aber irgendwelche abgefahrenen Ziele und Visionen haben. Das ist aber wie so oft völliger Bullshit.
Es gab ja dadurch auch immer wieder negative Erfahrungen in der Vergangenheit, was auch mit ein Grund für die Auflösung von NOCTE OBDUCTA war. Wie ist die Situation heutzutage? Wie fühlt es sich an, wieder mit NOCTE OBDUCTA aktiv zu sein?
Wirklich aufgelöst hat sich diese Band ja nie. Wie an vielen Stellen ausführlich dargelegt, haben wir damals den Namen geändert, weil wir uns von der „Verpflichtung“, auf absehbare Zeit unsere Alben vor “Sequenzen” live spielen zu müssen, entbinden wollten. Denn das wären wir den Fans in unseren Augen ansonsten schuldig gewesen. Es war nie geplant, das alte Material auf immer zu verbannen, aber nachdem wir wirklich viel Ärger hatten, wollten wir uns einfach ein Stück weit zurückziehen und dennoch aktiv bleiben. Nach einer Weile sind dann erst Torsten und Patrick und etwas später auch Flange ausgestiegen, aber die Band blieb bestehen. Patrick wurde mit Heidig schnell durch einen langjährigen Freund der Band ersetzt, und wir haben bisweilen im Proberaum auch den ein oder anderen “Klassiker” gespielt oder an Material aus der Zeit unmittelbar nach “Nektar” gewerkelt, wenn auch eher selten.
Das Problem war aber, dass wir nicht nur hinsichtlich der Aufnahmen irgendwie stagnierten, wir waren auch nicht ein einziges Mal auf der Bühne, die ganze schlaue Idee war letztlich also hinfällig und gar nicht mehr so schlau.
Wie ist der aktuelle Stand bei deinen anderen Projekten?
Die liegen derzeit leider auf Eis, bzw. Rohaufnahmen und dergleichen in den Schubladen und auf den Festplatten. Es fehlt schlichtweg die Zeit.
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!
Ich bedanke mich recht fein artig für das Interview und behalte weitere Weisheiten vorerst mal für mich.
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Stile | Ambient, Avantgarde, Black Metal, Death Doom Metal, Post-Metal, Post-Rock, Progressive Metal |
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