Nocte Obducta
Interview mit Marcel von NOCTE OBDUCTA zum neuen Album "Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken...)"
Interview
Mit „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ legen NOCTE OBDUCTA das dritte Album nach der Wiedervereinigung vor, das eine Nähe zu den beiden „Nektar“-Teilen aufweist. Wir sprachen mit Bandkopf Marcel über die Hintergründe.
Euer neues Album trägt den Titel „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“, nachdem dieses vorher mit dem Namen „Wiedergänger Blues Teil 1: Die glücklichen Kinder“ und als wie ich meine Zweiteiler angekündigt war. Ich meine, ihr hattet auch mal das Konzeptalbum „Glückliche Kinder / Operation: Traumreise“ geplant. Was hat sich denn genau im Laufe der Zeit am neuen Album verändert und wie kam es zu der Änderung des Namens? Welche Bedeutung steckt dahinter?
Tatsächlich hatte dieses Album in anderer Form Mitte 2004 bis Mitte 2005 die beiden alternativen Arbeitstitel „Glückliche Kinder“ und „Operation: Traumreise“. Wie allgemein bekannt ist, kam dann aber alles anders, und zwar mehr als einmal. Das Album landete aufgrund einer großen Unsicherheit in der Schublade, ebenso wie das alternativ angegangene Album. Die Jahre danach waren dann ja doch recht wirr, ohne dass ich hier eines der in diesem Zeitraum erschienen Alben abwerten will.
Nachdem „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ fertig war und wir nach langer Pause wieder ein paar Gigs gespielt hatten, kehrten wir also gegen Ende 2012 wieder zu dem Punkt zurück, den wir irgendwann Frühling 2005 verlassen hatten. Da wir das Projekt als Zweiteiler umsetzen wollten, kam der erwähnte Titel „Wiedergänger Blues (Teil 1: Die Glücklichen Kinder)“ zustande. Wir merkten dann aber irgendwann, dass wir viel zu langsam arbeiteten und wollten uns daher nicht mehr in das Korsett eines Zweiteilers zwängen. Eine Umsetzung, die sich dann womöglich über Jahre ziehen würde, schien uns einfach nicht sinnvoll. Die Verbindung der beiden Teile wäre ohnehin sehr lose gewesen. Da der „Wiedergänger Blues“ aber ein Lied des zweiten Teiles war, musste ein anderer Titel her, das Lied wird nach derzeitigem Stand dennoch auf dem nächsten Album landen.
Habt ihr Songs ausgelassen, die ihr später nochmals aufgreifen möchtet bzw. wird es einen zweiten Teil geben? Nach welchen Kriterien habt ihr die Stücke für „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ ausgesucht?
Ein zweiter Teil ist nicht geplant, aber ein paar Songs des ursprünglich geplanten zweiten Teils kommen auf die nächste Scheibe. Drei Stücke von 2004 fehlen aber dem ersten Teil: „Das gelobte Land“, das lediglich als grobes Gerüst bestand, geriet vollkommen in Vergessenheit. Auch die beiden Teile von „Operation: Traumreise“ wurden nicht berücksichtigt. Die losen Ideen des ersten Teils gingen in „Wiedergänger Blues“ auf oder wurden vergessen. Der zweite Teil, den wir 2005 sogar auf dem Summer Breeze gespielt haben, hat es schlichtweg konzeptionell nicht mehr geschafft, weil er inhaltlich durch „Desîhra Mogontiacum“ überflüssig wurde und das Album ohnehin schon über eine Stunde Spielzeit hatte. Mal sehen, ob das Lied in anderer Form eines Tages nochmal auftaucht.
Konzeptionell und musikalisch soll „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ an die beiden „Nektar“-Teile anschließen. Kannst du uns das bitte etwas näher erläutern?
Bei ein paar Reaktionen, die ich zu dem Album habe, beschleicht mich das Gefühl, dass viele Leute die Sache mit der musikalischen Verbindung falsch einschätzen, weil sie einen „Nektar“-Sound und ein „Nektar“-Songwriting erwarten. Die ausladendende Psychedelik und die Spielereien passen dann aber ebenso wenig ins Bild wie der deutlich organischere und analogere Sound. Selbstverständlich hätte dieses Album im Jahr 2006 (für damals war es geplant) anders geklungen, vermutlich ein gutes Stück metallischer. Der ausschweifende Klangkosmos war aber von Anfang an geplant, der Opener „Am Ende des Sommers“ wurde sogar noch während der Aufnahmen zu „Nektar“ geschrieben. Und hier liegt die musikalische Verbindung: Es ist in etwa das, was wir nach „Nektar“ vorhatten, und einige der Lieder sind seit damals geplant, ohne dass sie sich groß verändert hätten. Das Album ist also von „Nektar“ aus betrachtet der nächste Schritt und nicht eine Wiederholung.
Musikalisch sehe ich durchaus auch einige Parallelen zum Vorgänger „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“, wobei ihr selbst das neue Album als einen musikalischen Befreiungsschlag bezeichnet habt. Inwiefern ist das ein Befreiungsschlag?
Die Parallelen zu „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ sind natürlich da, aber es sind eben auch die Parallelen zu den alten Scheiben da, und das war ja lange nicht gegeben. „Verderbnis – Der Schnitter kratzt an jeder Tür“ mag für manchen dem alten Stil näher stehen, es ist aber in keinster Weise vertrackt, und das sollte der „Nektar“-Nachfolger eigentlich sein. Auch „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ ist für mich bei weitem nicht das experimentelle psychedelische Abenteuer, sondern bei aller Tiefe doch sehr straight. „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ ist wieder verworrener und unbequemer und auch in seinen sehr vielen ruhigen Momenten deutlich ruppiger. Es ist aber vor allem die heutige Version eines Albums, das wir seit zwölf Jahren machen wollen. Zwölf Jahre, in denen vieles unter finanziellen und organisatorischen Gesichtspunkten entschieden werden musste und man sich oft irgendwie verrannt hat oder selber im Wege stand. Es ist ein klassisches NOCTE OBDUCTA-Album und für uns der Moment, an dem wir sozusagen endlich wieder auf Spur sind, auch wenn diese Spur weiter einem verworrenen Kurs folgen wird.
Für mich persönlich gibt es zwei parallele Nocte-Discographien, wobei die Einteilung der Alben in diese beiden Stränge nichts über ihre Qualität oder Wichtigkeit aussagt, sondern etwas mit der Entstehung zu tun hat. Der Nebenstrang besteht aus „Schwarzmetall – ein primitives Zwischenspiel“, „Stille – das nagende Schweigen“, „Sequenzen einer Wanderung“, dem DINNER AUF URANOS-Album, „Verderbnis – Der Schnitter kratzt an jeder Tür“ und „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“. Der Hauptstrang hingegen führt „Lethe – Gottverreckte Finsternis“, „Taverne – in Schatten schäbiger Spelunken“, „Galgendämmerung – Von Nebel, Blut und Totgerburten“, „Nektar – Teil 1: Zwölf Monde, eine Hand voll Träume“, „Nektar – Teil 2: Seen, Flüsse, Tagebücher“ und „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“.
Der Fokus soll auf „Desîhras Tagebuch“ liegen, was an eine Retrospektive an die Frühzeiten der Band denken lässt?
Das stimmt, auch wenn es nur die halbe Wahrheit bzw. in erster Linie ein Ausgangspunkt ist. „Desîhras Tagebuch“ war ja ein sehr wehmütiger Rückblick auf eine ganz bestimmte Zeit und ihre Ideen, nämlich Dezember 1994 bis Juli 1995. Für die Band und mich persönlich war das damals eine Umbruchphase und gleichzeitig eine kreative Dauereruption, die sich nicht nur auf das Songwriting beschränkte. Mit „Tagebuch“ hatten wir allerdings den Spätsommer/Herbst 1994 ignoriert und außerdem den Rückblick extrem unkritisch gestaltet.
Das Betrauern und Erhöhen von Vergangenem birgt stets die Gefahr völliger Stagnation und sogar Abkehr von der eigentlichen Idee. Eine Zeit, die von großer Dynamik, Aufbruch und positiven Erlebnissen gekennzeichnet ist, wird letztlich verraten, wenn man sie in Ketten legt. Und das tut man, sobald man den krampfhaften Versuch startet, sie zu kopieren oder ungeachtet der persönlichen Entwicklung und der sich ändernden Umstände als Konstrukt des Alltags beizubehalten. Die Dynamik und der Aufbruch werden ad absurdum geführt. Die Thematisierung dieses Problems ist zwar nicht Inhalt aller Lieder, taucht aber immer wieder auf. Die erzählten Geschichten und zum Teil recht irreal wirkenden Szenarien, die als Plattform für diese Thematik dienen, sind stark verschlüsselte Rückblenden auf die damaligen Zeit. Und mit dem letzten Stück „Im Dunst am ewigen Grab der Sonne“ haben wir schließlich ein Lied aus dem Herbst 1994 gewählt. Hier wurde lediglich 1999 der Text übersetzt und das Outro mit der Leadgitarre hinzugefügt, ansonsten ist es ein Relikt aus eben der Zeit, die auf „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ behandelt wird.
Da „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ Bezug nimmt auf die beiden „Nektar“-Alben stellt sich natürlich die Frage nach dem Vergleich. Wie beurteilst du das neue Album verglichen mit den Klassikern? Inwiefern sind NOCTE OBDUCTA noch wie damals und wo sind die Unterschiede, mal abgesehen vom offensichtlichen Älterwerden? Wie hat sich die Arbeit im Studio an den Aufnahmen zu damals verändert?
Man kann die beiden Alben genauso gut oder schlecht vergleichen wie unsere übrigen Alben untereinander. Denn „Nektar“ und „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ sind Alben, die bei allen inhaltlichen Verbindungen dennoch völlig unabhängig voneinander zu betrachten sind. Das liegt ganz einfach an dem enormen Zeitraum, der zwischen den beiden Recordings liegt. Wie gesagt, hätte das Album und die Songauswahl wohl auch deutlich glatter, dafür aber metallischer geklungen, hätten wir es wie geplant 2006 aufgenommen. Eine Beurteilung ist immer so eine Sache, zumal „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ noch nicht allzu weit zurückliegt, für mich nun aber erstmal abgeschlossen und abgehakt ist. Ein vernünftiger Blick braucht seine Zeit. Ich bin auf jeden Fall zufrieden und halte es zumindest im Hinblick auf die Dynamik für das wesentlich stärkere Album.
Die Arbeiten im Studio sind mittlerweile fokussierter und gleichzeitig offener. Ansonsten sind wir eher wieder zum alten Rezept zurückgekehrt, denn nachdem wir „Verderbnis – Der Schnitter kratzt an jeder Tür“ und „Umbriel (Das Schweigen zwischen den Sternen)“ mit Hilfe unseres ehemaligen Bassers komplett selbst produziert hatten, waren wir für „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ wieder in einem professionellen Studio.
Nehmen die beiden Teile von „Lethe, Stein und See“ Bezug auf euer Album „Lethe (Gottverreckte Finsternis)“?
Nur bedingt. Der erste Teil entstand im Vorfeld der beiden instrumentalen Titelstücke auf „Lethe – Gottverreckte Finsternis“, es gibt da also eine Verbindung in der Entstehungsgeschichte. Auf das Titelstück des Debüts zu verweisen ist natürlich eine bewusste Entscheidung gewesen, der Fluss Lethe taucht ja auch in „Löschkommando Walpurgisnacht“ auf.
Was ist denn das „Löschkommando Walpurgisnacht“?
Na wir. Irgendwie. Zumindest in der Hexennacht. Oder auch nicht. Der Titel war auf einmal in meinem Kopf und ging da nicht mehr raus. Die Grundlage für den Text bilden ein paar Erinnerungen an einen vergangenen Frühling und seine Ideen. Ansonsten richtet sich das Lied aber vor allem gegen Personen(gruppen), die nichts Besseres zu tun haben als ihre Energie auf Feindbilder und deren Beschimpfung, Belästigung oder Schlimmeres zu verschwenden. Leider habe ich die Zeile „Scheiterhaufen sind die Flammenfaust der Unzulänglichkeit“ aus Gründen des Arrangements wieder rausgeschmissen, die hätte das noch einmal verdeutlicht.
Was kannst du uns über das Coverartwork erzählen?
Ich hatte eine vage Idee im Kopf, die ich mit meinem Vater besprochen habe. Der hat daraufhin als Grundlage ein surreal anmutendes Bild mit einigen bewusst deplatziert wirkenden Elementen abgeliefert, das anschließend von unserem Drummer Matze mit weißer und schwarzer Tusche weiter bearbeitet und sozusagen konstruktiv verunstaltet wurde. Das Bild sollte weniger einen Inhalt transportieren als vielmehr eine unwirkliche Stimmung schaffen, ein Fenster in eine alternative Welt.
Inwiefern haben sich deine musikalischen Einflüsse in den letzten 10 Jahren verändert?
Da sind die 10 Jahre nun ein recht willkürlicher Zeitraum, denn auch wenn es bei mir immer ein wenig hin und her geht, kann man vielleicht sagen, dass ich 2006 mitten in einer Ende 2000 beginnenden „Großphase“ war, in der die Bedeutung von Metal langsam, aber stetig abnahm, am drastischsten wohl ab dem Frühling 2003. Diese Bewegung kehrte sich irgendwann 2008 oder 2009 wieder um, die letzten sechs Jahre ist zum Beispiel der Konsum von Todesblei der alten Schule ungemein hoch. Was also mein Hörverhalten angeht, hat „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken…)“ einen deutlich metallischeren Hintergrund als „Nektar“, auch wenn wohl ein gegenteiliger Eindruck entstehen dürfte. Und dass unser Musikgeschmack breit gefächert ist, dürfte man mit den Jahren ja bemerkt haben.
Mit welchen Projekten bist du gerade noch beschäftigt?
Wie immer mit vielen, aber mit keinem so richtig. Seit der vorübergehenden Umbenennung bastele ich immer wieder an Liedern und ganzen Konzepten für mein Solo-Projekt CÜÜHN, sammele Ideen für ein sehr sentimentales Black Metal-Projekt mit unserem ehemaligen Keyboarder Alex, das derzeit TOTUNDRA heißt und habe außerdem mit Theisen (ultraton) ein Projekt gestartet, das wohl am ehesten als vornehmlich langsamer Todesblei mit Stoner- und Sludge-Einflüssen beschrieben werden kann. Das zuletzt genannte Projekt ist momentan das aktivste, dafür aber noch ohne Namen.
Was habt ihr mit NOCTE OBDUCTA in nächster Zukunft alles geplant?
Ich habe soeben den Inhalt des nächsten Albums fertig, wir haben diese Woche mit den Proben begonnen. Wenn es nach uns geht, kommt das Ding noch vor dem Sommer 2017. Ich will diese quälend langen Zeitspannen, in denen man total verkopft und mehr plant und verwirft als erschafft, einfach nicht mehr. Das nächste Album wird wesentlich direkter und metallischer, mit „Totholz“ hat es auch schon einen Arbeitstitel.
Davor soll es aber noch die Vinyl-EP „Auf wortlosen Fluren“ mit bislang unveröffentlichtem Material geben, außerdem sitzen wir mal wieder (und diesmal mit mehr Nachdruck) an einem extrem aufwendigen Rerelease von „Nektar“, das auch endlich als LP erscheinen soll.
Jetzt steht aber erst einmal das Summer Breeze an, etwaige weitere Gigs sind noch unklar, das muss gerade auch mit dem geplanten Recording abgestimmt werden. Eine Tour ist für 2017 angedacht, gerne auch mit zeitlicher Nähe zum hoffentlich nicht allzu fernen nächsten Album.
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!
Tja, was soll ich sagen, gebt dem Album die Zeit, die es benötigt und vergleicht den Sound nicht mit dem heute üblichen Todesmastering, das selbst aus einer Triangel eine brutale Wand macht…