Nocte Obducta
Nocte Obducta
Interview
Vor mehr als zwei Jahren verkündeten NOCTE OBDUCTA ihre offizielle Auflösung. Es folgte noch ein letztes Konzert auf dem Metallic Noise Festival sowie die Ankündigung eines letzten Albums namens "Sequenzen einer Wanderung", von welchem bereits die ersten Aufnahmen im Kasten waren. Aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen Label und Produzent wurden dann die Aufnahmen unterbrochen. Man hoffte ständig, dass es noch kommen würde, doch die Zeit verging und verging, ohne dass sich etwas tat. Und irgendwie hing dieses Abschiedsalbum vollkommen in der Luft. Umso erfreulicher dann im Juni die Nachricht, dass die Band am Mix sitzt. Ende August hatte ich dann die Möglichkeit, vorab in die beiden "neuen" Stücke reinzuhören, was die Vorfreude ungemein steigerte. Und nun steht die Veröffentlichung von "Sequenzen einer Wanderung" nun wirklich an. Und um es ganz deutlich zu sagen: Das lange Warten hat sich definitiv gelohnt! NOCTE OBDUCTA zeigen sich noch abwechslungsreicher, noch innovativer, noch unberechenbarer… noch besser. Natürlich nutzte ich die Gelegenheit, mit Bandkopf Marcel ein Interview zu führen, welches wir aufgrund der Länge in zwei Teilen veröffentlichen. Hier nun der erste Teil, der zweite Part folgt in einer Woche.
Marcel, seit der offiziellen Auflösung von NOCTE OBDUCTA sind bisher über zwei Jahre vergangen. Wie hat sich seither dein Leben verändert, was ist jetzt anders?
Eigentlich hat sich nicht allzu viel geändert, was sich nicht auch mit NOCTE OBDUCTA verändert hätte. Tatsächlich habe ich seit dem Studioaufenthalt 2006 wieder viel mehr Spaß an den Proben als die Jahre zuvor, zumindest gilt das für die musikalische Seite. Wenn Proben zu spontanen Trinkgelagen ausarten, dann war das eigentlich immer schon groß, aber das reine Musizieren ist wieder viel befriedigender als es seit nach sagen wir der „Galgendämmerung“ war.
Mit einigem zeitlichen Abstand betrachtet, worin lagen für dich die genauen Gründe, NOCTE OBDUCTA zu Grabe zu tragen, und wie siehst du deine damalige Entscheidung aus heutiger Sicht?
Oha, erstens viele, viele Gründe, zweitens war das nie eine wirkliche Auflösung, sondern eher eine Pause inklusive Umbenennung.
Was die Gründe angeht … wir hatten niemals eine musikalisch geradlinige Entwicklung, Alben wie „Schwarzmetall“ sind dafür der beste Beweis. Dennoch hat sich während der Aufnahmen zu den beiden „Nektar“ Alben etwas getan, das größer und intensiver war als die Schritte vorher, in welche Richtung sie auch immer gegangen sind. Im Endeffekt hat damals mit dem Abschluss der Aufnahmen ein neues Kapitel begonnen, und DINNER AUF URANOS ist das Ergebnis.
Wir haben es aber aus den unterschiedlichsten Gründen nie geschafft, diese Veränderungen auch wirklich zu meiner / unserer Befriedigung umzusetzen.
Wenn ich einmal nur für mich spreche, so kann ich sagen, dass ich den extremen Metal schon seit sehr langer Zeit nicht mehr verfolge. Hätte ich Geld, Zeit und keine Sorgen, würde ich liebend gerne irgendetwas machen, das zwischen der „Galgendämmerung“ und den „Nektar“ Alben liegt, Material hatten wir ja massenweise in der Schublade und auch im Proberaum. Ein Interesse und auch eine Leidenschaft für diese Musik bestehen durchaus noch.
Aber wenn ich Musik höre, dann lege ich mir eigentlich niemals freiwillig eine Metal-Platte der letzten zehn / fünfzehn Jahre ein. Der von vielen Menschen für mich nicht immer nachvollziehbar als Avantgarde bezeichnete Anteil ist immer wichtig gewesen für mich, aber er ist noch viel wichtiger geworden die letzten sagen wir acht Jahre. Wenn ich Black Metal hören will, dann lege ich die guten alten DARKTHRONE ein, oder ich gebe mir die Todesbleispritze mit „Left Hand Path“ und „Clandestine“ (ENTOMBED, Anmerk. d. Verf.).
Es war also klar, dass das Metal-Gewand für NOCTE OBDUCTA nicht mehr lange zu halten war, dafür war einfach zu wenig Spielraum. Klar, könnte ich mir hundert Bands leisten, dann gerne, aber Musik wie die von NOCTE OBDUCTA und DINNER AUF URANOS erfordert viel Zeit. Zeit, die die Musiker auch miteinander verbringen müssen … da war dann klar, dass es eine Wandlung geben musste. Wir hatten ursprünglich die Idee, das Ganze unter altem Namen durchzuziehen, aber irgendwie schien es uns dann nicht richtig, und ich denke, das war die richtige Entscheidung.
Ich würde mal behaupten, das Gesamtwerk von NOCTE OBDUCTA zuzüglich all dem, was mit DINNER AUF URANOS noch kommen wird, stellt eine gewisse Kontinuität dar. Eine Kontinuität, die im August 1993 mit DESÎHRA begann und seitdem niemals entlang einer Linie verlief. Für mich ist die Umbenennung zwar unter anderem auch symbolisch sehr wichtig gewesen, aber letztlich läuft das Ding als eine Wanderung seit 1993 durch… den Übergang DESÎHRA / NOCTE OBDUCTA hat niemand beachtet, da DESÎHRA niemals etwas auf die Beine gestellt haben, aber die Umstände waren auf niedrigerer Ebene sehr ähnlich, und damals wie heute wurde Material, das unter anderem Namen geschrieben wurde, erst unter dem neuen Namen umgesetzt.
Dass die Auflösung dann ausgerechnet Anfang Mai 2006 kam, lag wohl an den äußeren Umständen. Wir waren alle sehr angepisst von der katastrophalen Zusammenarbeit mit diversen Dritten. Das generelle Interesse, klar als Metal zu definierende Musik zu spielen, war außerdem bei Flange, Matze, Stefan und mir recht gering geworden, auch wenn natürlich immer noch genug Passagen vertreten sind, die mancher klar als Metal bezeichnen würde. Des weiteren hatte Torsten sich seit Herbst 2005 immer mehr aus dem aktiven Bandgeschehen zurückgezogen, insbesondere dann ab Anfang 2006, als die Arbeiten an seiner ersten Full Length mit AGRYPNIE intensiver wurden. Zur gleichen Zeit waren auch die Erfahrungen mit dem Publikum immer unangenehmer, wir hatten allesamt keinen Bock mehr, vor pöbelnden Metal-Asis zu spielen, das Ganze ist mit den Jahren immer schlimmer geworden. Ich empfinde diese erzkonservative und engstirnige Horde einfach nur beengend.
Versteh mich nicht falsch, wir haben nichts gegen Fans einer bestimmten Musikrichtung, wir haben natürlich erst recht nichts gegen Nocte-Fans. Aber zumindest das so genannte Laufpublikum etc. hat uns irgendwann echt vor die Frage gestellt, wo wir da eigentlich hineingeraten waren. Ich lege übrigens Wert darauf, dass wir auch allesamt kein Problem mit Metal haben, sonst hätten wir nicht so lange Extrem Metal gespielt. Es gibt auch durchaus weiterhin metallische Ambitionen, aber der Metal als aktiver musikalischer Mittelpunkt ist damals nach dreizehn Jahren einfach zu einer Einschränkung geworden, es ist eben limitierend, wenn man sich als Künstler auf eine Stilistik fixiert, insbesondere eine so konservative und starre.
Was den zweiten Teil der Frage angeht, so sehe ich das Ende der Ära unter dem Namen NOCTE OBDUCTA als richtige Entscheidung. Für mich ist die Sache mittlerweile wieder viel runder, und ich habe sogar das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein. Und da der Name DINNER AUF URANOS hergeleitet ist aus der Zeit von DESÎHRA, der Vorgängerband von NOCTE OBDUCTA, war das Ganze für mich einerseits ein reinigender Einschnitt, andererseits blieb aber die Kontinuität gewahrt, an der mir weiterhin sehr viel liegt.
Was verbindest du denn für dich heute persönlich mit Metal, was bedeutet dir der Metal?
Was mir der Metal bedeutet … er bedeutet mir nichts als Metal, aber viel als Musik. Schließlich höre ich den Kram seit Ende der Achtziger, natürlich gibt es also sehr viele Alben, mit denen ich viel verbinde und die zu meinen Favoriten gehören. Aber genauso gut könntest du fragen, was bedeutet dir der Rock. Mir bedeutet Musik unendlich viel, aber auch wenn ich den Großteil meiner sagen wir „aktiven Laufbahn“ mit dem Metal in Verbindung stand, habe ich mich nie irgendwie Metaller genannt. Ich bin Musiker, nicht Anhänger einer Modeströmung… sofern man mich als Musiker bezeichnen kann, ich verdiene ja nicht mein Geld damit.
Wann kam für dich der Punkt, an welchem du Metal als ein zu enges Korsett für dich bzw. NOCTE OBDUCTA betrachtest hast?
Das ist eine gute Frage, da muss ich jetzt selber überlegen. Frühestens Ende 2000, spätestens Frühling 2004. Ende 2000 habe ich mit Flange und Emanon das Projekt EXEKUTIONSROMANZE gegründet, das ich dann aber bald alleine durchzog. Es begann sehr Elektro-lastig, was sich aber sehr schnell wandelte. Mit mehr Gewicht auf (Dark) Wave, Ambient, (sphärischen) Gitarrenrock und Soundspielereien war das Ganze bald recht nah an NOCTE OBDUCTA, nur eben wesentlich weniger metallisch. Nicht umsonst sind am Ende sogar Songs bei NOCTE OBDUCTA, DINNER AUF URANOS und THÂLSPERRE gelandet. Ich habe das aber alles mehr oder minder im Stillen gemacht, obwohl mir die Umsetzung immer wichtiger wurde.
April 2004 war es dann einfach soweit, dass das Korsett deutlich zu eng wurde. Ich habe schon im Studio nebenher angefangen, alte Ideen zu überarbeiten, um sie für die Zukunft interessanter und vielschichtiger zu gestalten und bei den Proben zeigte sich, dass ich schlichtweg mehr Entfaltungsfreiraum brauchte als den Metal, auch wenn der nach wie vor Stil prägendes Hauptelement war. Das Ganze bekam dann noch mal einen mächtigen Schub im Herbst / Winter, im Herbst bekomme ich oft so einen Drang, einfach drauflos zuschreiben. Diese Entwicklung wurde durch Flanges Einstieg unterstützt, denn seine Arbeitsweise hat hervorragend zu der Wandlung gepasst, auch Stefan hat Anfang 2005 dann noch einmal neuen Wind mitgebracht.
Interessanter Weise ist übrigens „Glückliche Kinder“, eines der wohl wichtigsten Lieder der post-Nektar-Ära, ursprünglich das erste Lied gewesen, das ich für EXEKUTIONSROMANZE geschrieben hatte, damals noch sehr elektronisch. Dann (unter Verwendung neuerer Ideen und einer DESÎHRA-Reminiszenz, denn um den letzte Herbst mit DESÎHRA dreht sich das Lied inhaltlich) bekam es einen metallischeren Anstrich, und seit drei Wochen bearbeiten wir es mit DINNER AUF URANOS … aber da wir dort so viel machen, kann ich nicht sagen, wann wir es letztlich mal aufnehmen werden.
DINNER AUF URANOS ist deine neue Band. Wie würdest du DINNER AUF URANOS stilistisch einordnen, und worin liegen für dich persönlich dabei die Unterschiede, worin die Gemeinsamkeiten zu NOCTE OBDUCTA?
Ich würde es gar nicht einmal so sehr als neue Band bezeichnen. DINNER AUF URANOS ist das, wozu sich NOCTE OBDUCTA entwickelt hat. Anfangs waren wir noch nicht einmal sicher, ob wir wirklich den Namen ändern sollten, zumal die Besetzung anfangs identisch war. Der einzige Unterschied, der wirklich eklatant als Bruch gesehen werden kann, ist der Wegfall von Death Metal / Black Metal-Vox. Dieser Schritt hat bei NOCTE OBDUCTA einfach nie funktioniert, warum auch immer. Die derzeitigen Songs sind ja teilweise sogar ursprünglich noch für NOCTE OBDUCTA geschrieben worden.
Neben diesem einen hörbaren Unterschied sind die anderen Veränderungen sicher nur als Weiterentwicklungen zu betrachten, die sich möglicher Weise schon auf den letzten Alben abgezeichnet haben, insbesondere aber bei Proben und Gigs der letzten vier Jahre. Ein besserer, intensiverer Umgang mit Sounds, wesentlich dynamischeres und organischeres Spiel und Gesamtbild, mehr Instrumentalparts, mehr akustische Drogen. Longtracks und unkonventioneller Aufbau sind ebenso geblieben wie ein paar typische Sounds und Effekte, die wir schon seit Demo „… doch lächeln die blutleeren Lippen / Begräbnisvermählung“ benutzen.
Ich denke, sehr viel Material, das wir zwischen 2004 und 2006 mit NOCTE OBDUCTA begonnen oder sogar komplett im Proberaum umgesetzt hatten, wird nun mit neuem Anstrich weitaus besser und schlüssiger klingen, ich denke da zum Beispiel an die mehrfach live aufgeführten Songs „Glückliche Kinder“ und „Operation: Traumreise“ vom nie aufgenommenen Konzeptalbum. Von dem stammt auch ein Teil der Musik unseres über zwanzig Minuten langen Liedes „Töte das Jahr für mich“, das wir mit DINNER AUF URANOS wohl bald veröffentlichen werden.
Einordnen … es ist wohl in erster Linie Rock, vor ein paar Jahren hätte man es vielleicht auch noch Postrock genannt, aber mittlerweile ist dieser Begriff ja sehr eingeengt worden auf vornehmlich Instrumental-Acts mit hypnotischen Steigerungen. Diese Soundgewitter und Gitarrenwände sind bei uns aber auch fester Bestandteil der Musik, ebenso wie das, was man wohl Psychedelic nennen würde. Wir haben es anfangs mal „Christraping Popmusic ohne Mercy of Todes“ genannt, aber das verrät wohl über die Musik eher wenig. Das Gegenüber von harten und sanften Passagen, das man schon von NOCTE OBDUCTA gewöhnt ist, ist ebenfalls Markenzeichen wie ein bisweilen opulentes Arrangement und der Hang zu Longtracks. Womit wir ja auch schon bei den Gemeinsamkeiten sind. Ich will mal sagen, man hört einfach, dass hier die gleichen Leute am Werk sind.
Der Fundus, aus dem wir schöpfen, ist ja teilweise auch derselbe, wir haben wie erwähnt ja auch klassische Sounds beibehalten oder wieder ausgekramt. Natürlich entstehen auch massig neue Songs, aber es liegen noch einige Dinge in der Schatzkammer, die wir dort nicht vergammeln lassen wollen. Und wir haben sogar einen dritten Teil zu „Gemälde derer, die schieden“ gemacht. Klingt jetzt wie MOGWAI OBDUCTA. Die Unterschiede liegen vor allem in den Vox. Die Screams mögen vielleicht hier und da noch einmal auftauchen, sind aber eigentlich vollends vom Tisch. Doublebass wird man wohl auch nicht mehr allzu oft hören und Blastbeats noch weniger bis gar nicht. Wir sind derzeit mehr für Dynamik oder Wand, nicht für Rattern. Ich empfinde das auch nicht mehr als hart, bloß als schnell, und auf so schnell haben wir keinen Bock mehr. Zumindest im Moment.
Vermutlich werden ein paar Idioten meinen, wir wären kommerzieller geworden, obwohl das absolute Gegenteil der Fall ist. Für den konservativen Teil der Metalgemeinde sind wir nun endgültig zu ruhig geworden, für die Postrocker haben wir zu viele Vocals und zu viele Parts, für die Rocker sind wir viel zu kompliziert, für die Blumenkinder sind wir zu hart … und für sowieso haben wir viel zu oft viel zu lange Songs.
Es dauerte ja verdammt lange, ehe nun das letzte Werk von NOCTE OBDUCTA namens „Sequenzen einer Wanderung“ endlich erscheint. Worin lagen die genauen Gründe für diese lange Verzögerung, und wie fühlst du dich nun so kurz vor dem Release? Was bedeutet dir dieses Album?
Worin genau die Gründe lagen, will ich hier nicht breittreten, Fakt ist, dass die Band keinerlei Schuld traf, wir aber absolut machtlos waren.
Mir bedeutet das Album schon alleine deshalb unglaublich viel, weil es einen so weiten Bogen spannt. Eine in unterschiedlichsten Versionen und Verfremdungen immer wiederkehrende Melodie stammt aus einem der ältesten Lieder von NOCTE OBDUCTA aus dem Jahr 1995. Eine weitere, ebenfalls wiederholte Melodie ist ein niemals verwendetes Fragment von DESÎHRA, tatsächlich eine meiner ersten Gitarrenmelodien überhaupt. Jeder Part erzählt eine sehr persönliche Geschichte, und ich finde, die „Wanderung“ gelingt wirklich sehr gut und klingt auch wie eine solche. Wir haben Passagen, die man sich vielleicht für „Nektar 3“ gewünscht hätte (und die auch tatsächlich aus der Vorbereitungszeit zu „Nektar“ stammen), du hast mehrfach den Namen PINK FLOYD erwähnt, es gibt TripHop-Anleihen, zähen Doom, Soundspielereien, straighten Rock, Groove, Ruhephasen … und am Ende zeigen wir dem Nachwuchs, wo der schwarze Hammer hängt. Und wie man ihn schwingt.
Mehrere Leute haben schon gesagt, „Sequenzen“ sei das bislang beste Album. Ich sage so etwas jetzt mal nicht, weil mir nicht nur der persönliche, sondern momentan vor allem noch der zeitliche Abstand fehlt, aber eines ist klar: Das Album ist unglaublich rund, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Einflüsse gelingt, obwohl die Umstände ein normales Arbeiten unmöglich gemacht haben und das gebotene stilistische Spektrum unglaublich breit ist. Obwohl natürlich auch dieses Album ein paar Stellen hat, an denen ich mir sage „Scheiße, unter fairen Bedingungen wäre uns das nicht passiert“, aber erstens hört das am Ende eh kein Mensch, außerdem halte ich es für das in sich geschlossenste Album. Geschlossener sogar als „Schwarzmetall“.
Nun hat sich der Stil ja hierauf ganz schön weiterentwickelt. Sicherlich war die Band immer stets offen, hat sich nicht um Konventionen geschert, seien sie musikalisch, textlich oder in Sachen Image, doch dieser Schritt ist schon auf eine gewisse Art und Weise krass, wobei ich dies im positiven Sinne meine. Sicherlich werden nicht wenige ob eurer musikalischen Entwicklung überrascht sein. Wie kam es dazu?
Wir hatten unmittelbar nach den Aufnahmen zu den beiden „Nektar“-Alben mit Proben für zwei weitere Alben begonnen. Das eine war das sehr konkret umrissene Konzeptalbum „Glückliche Kinder / Operation: Traumreise“, das andere ein Album irgendwo zwischen „Nektar“, „Sequenzen“ und dem, was jetzt DINNER AUF URANOS heißt. Beides haben wir verworfen, weil wir Angst hatten, dass bei Komplikationen, die dann auch tatsächlich eintraten, Alben wie diese nicht flexibel genug wären, die schwere Zeit unbeschadet zu überstehen. Insbesondere das Konzeptalbum schien uns da arg gefährdet, später dann sogar ein „normales“ Album.
Wir entschlossen uns also Anfang 2006 zu diesem anderen Konzeptalbum, das allerdings aufgrund der nicht so sehr Song-bezogenen Struktur schneller und vor allem musikalisch glaubwürdiger und hochwertiger Veränderungen unterworfen werden konnte. Das Ganze war für uns gefühlsmäßig wieder so etwas wie die „Schwarzmetall“, wenn auch in eine völlig andere Richtung, aber das Album stellt ja ganz eindeutig ein Ausscheren dar, das nächste Album von NOCTE OBDUCTA hätte sicherlich nicht wie „Sequenzen“ oder eine Weiterentwicklung davon geklungen. Und auch DINNER AUF URANOS klingt nicht wirklich wie eine logische Fortsetzung dieses Albums, auch wenn wir wohl tatsächlich eher heute wie „Sequenzen“ klingen als zu „Nektar“ Zeiten. Es war die aus der Not geborene große Chance, endlich alles Mögliche einmal auf einem Album umzusetzen, das man vorher immer nur in der Schublade hatte.
Stand die Musik oder Teile davon schon vor der Auflösung? Wurde in der Zwischenzeit noch einiges auf dem Album verändert?
Sowohl als auch. Das Album war komplett fertig durchstrukturiert, noch bevor wir beschlossen haben, nach einer Pause unter anderem Namen weiterzumachen. Die Komplikationen, die dann auftraten, führten aber zu einigen Änderungen. Insbesondere wurden die Vox und somit die Texte, die ohnehin einen nicht allzu großen Raum eingenommen hatten, noch einmal um sagen wir 60% gekürzt. Das passt zwar wirklich besser zum Album, wurde aber letztlich ausgelöst durch ein paar Terminprobleme und die schlichte Unmöglichkeit, dies irgendwie zu umgehen.
Flange, Matze, Stefan und ich können damit sehr gut leben, ich finde das Album jetzt vielleicht sogar eine Ecke besser, als wären mehr Vox am Start, ich bin sowieso ein großer Freund von Instrumentalmusik. Für Torsten, der sich ein „typischeres“ Album gewünscht hätte, war es natürlich ziemlich bitter. Aber wie gesagt, es war nicht anders machbar, und die genauen Umstände gehören sicherlich nicht in ein Interview.
Habt ihr euch für „Sequenzen“ denn alle musikalischen Freiheiten genommen, oder liegen noch immer Sachen in der Schublade, an die ihr euch (noch) nicht bzw. unter dem Banner NOCTE OBDUCTA nicht rantraut?
Das kann man gar nicht so klar beantworten … es gibt ein paar Songs, an die wir uns dann letztlich nicht gewagt haben, aber das lag eher an den äußeren Umständen. Bevor wir Anfang 2006 „Sequenzen“ beschlossen haben, hatten wir ja an einem ebenfalls sehr vielschichtigen Album gearbeitet, das allerdings mit einzelnen Songs aufwarten sollte. Der Metal-Anteil war ebenfalls reduziert im Vergleich zu den Vorgängern, aber doch noch präsenter als bei „Sequenzen“. Trotzdem hatte ich für dieses Album unter anderem ein Ambient / TripHop / Space Ding in Arbeit, das in einer Postrock-Gitarrenwand im Stile von MOGWAI meets EMPEROR enden sollte … ähnlich der Reprise von „Gemälde derer, die schieden“ am Ende von „Ein knöchernes Windspiel“. Es gab mehr Songs dergleichen oder eben (art)rockigeres. Wir haben uns dann aber bekannter Maßen für „Sequenzen“ entschieden.
Wenn ich richtig es richtig verstanden habe, stellt „Sequenzen einer Wanderung“ eine Selbstreflexion der Bandgeschichte dar, ein Abschiednehmen. Liege ich richtig?
Nein, das siehst Du nicht wirklich richtig. Das Album war auf dem Papier und im Proberaum schon fertig, bevor wir uns „aufgelöst“ haben. Hört man sich die Texte und die Sprachsamples an, dann ist die Konnotation „Abschied“ sicherlich etwas, das sich festsetzt, aber wesentlich intensiver wird eigentlich für meine Begriffe das Thema „Neubeginn“ behandelt. Und genau das ist die Idee des Albums gewesen. Während der Proben zu diesem Alben wurde dann der Himmel immer dunkler, und dieses Album, das lediglich eine Art Zäsur an einem Wendepunkt hatte werden sollen, wandelte sich zu einer Art Schlusspunkt einer ganzen Ära.
Was die Selbstreflexion angeht, so liegst du gar nicht so daneben, aber da für mich das Ende gar nicht so intensiv ist, sondern eher als Impulsgeber dient (deshalb beginnt das Album ja auch mit diesem Wort, anstatt mit ihm zu enden), stellt sie kein abschließendes Resümee dar, sondern lediglich ein paar wichtige, aber unvollständige Gedanken zu einem nur grob umrissenen Zeitabschnitt.
Willst du diese „paar wichtige, aber unvollständige Gedanken zu einem nur grob umrissenen Zeitabschnitt.“ in Zukunft evtl. doch noch weiter vertiefen? Oder könnte man Sequenzen als eine Art „Schlussstrich“ für diesen Zeitabschnitt sehen?
Zu diesem Zeitabschnitt wird es noch einiges geben. Mit DINNER AUF URANOS haben wir wie gesagt soeben die Arbeiten an „Glückliche Kinder“ wieder aufgenommen. Das Lied dreht sich um den Herbst 1994, als die Transformation von DESÎHRA zu NOCTE OBDUCTA begann, es ist quasi die inhaltliche Einleitung zu „Anis“, allerdings nicht ganz so bewusst wehmütig. Und es gibt massig weitere Lieder, die sich auf teilweise stark verschlüsselte Art und Weise mit Erlebnissen und Gedanken auseinandersetzen, die stark mit der Geschichte von NOCTE OBDUCTA und DESÎHRA verbunden sind.
Auf dem Album sind viele Sprachsamples zu hören. Wie entstanden diese Sequenzen, was kannst du uns hierüber alles berichten?
Wir haben mehrere Karten mit Schlagworten und Fragen rund um die Themen Neubeginn / Abschied / Aufbruch etc. geschrieben und einige Bekannte vor dem Mikro spontan etwas dazu erzählen lassen, die Idee haben wir von PINK FLOYD geklaut. Woher die sie geklaut haben, weiß ich nicht. Danach haben wir aus dem endlos langen Gelaber einzelne Passagen herausgeschnitten und auf dem Album platziert. Wir haben dabei auch eher untypische Monologe und Dinge, die manch Hörer vielleicht als albern bezeichnen würde, drin gelassen, damit das Ganze auch wirklich echt klingt. Wir wollten nicht, dass es so klingt als würde jemand quasi auf Bestellung unsere Gedanken zu dem Thema vortragen, oder noch schlimmer, von mir verfasste, lyrische Inhalte zum Besten geben.
Einige der im Hintergrund hörbaren Sprachfetzen gehören außerdem zu Unterhaltungen während der Arbeit an den Soundscapes. Wir haben schlicht aufgenommen, wie wir gerade arbeiten und über die Soundscapes diskutieren. Teilweise sind wir auch mit dem Mikro betrunken durch die Wohnung gerannt und haben irgendwelchen Unsinn getrieben. Zum Beispiel einen sehr verwirrten Matze angerufen, aus Versehen ein Weinglas zerschlagen, Menschen auf der Straße beobachtet, uns darüber ausgelassen, was wir für eine kommerzielle Scheißband seien und dergleichen mehr. Außerdem haben wir noch eine Passage von meinem Anrufbeantworter benutzt.
Der absolute Großteil wurde übrigens aufgenommen, noch bevor das Thema Auflösung auf den Tisch bzw. mir in den Kopf kam. Uns war zwar klar, dass wir Album machen wollten, das anders als die vorangegangen und für die Zukunft geplanten war, also eine Art Zwischenspiel, aber die Thematisierung einer Auflösung ist etwas, das der Hörer wohl deshalb in die Sprachfetzen hineininterpretiert, weil es halt danach tatsächlich zur Auflösung kam. Da war der Kram aber wie gesagt größtenteils schon im Kasten.
Ende Teil 1
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