Nightfall
Interview mit Efthimis Karadimas zu "Astron Black And The Thirty Tyrants"
Interview
NIGHTFALL sind nach einer vierjährigen Pause zurück im Business und liefern mit „Astron Black And The Thirty Tyrants“ ihr musikalisch komplettestes Werk seit einer gefühlten Ewigkeit ab. Doch obwohl die Griechen damit einen Deal bei Metal Blade ergattern konnten und es am Album nichts zu kritisieren gibt, scheint Frontmann Efthimis Karadimas dem Frieden nicht ganz zu trauen. Und so fragt er zu Beginn des Interviews erst einmal ungeduldig nach meiner Einschätzung der Lage…
Hast Du die neue Platte „Astron Black And The Thirty Tyrants“ schon gehört? Magst Du es, findest Du es interessant?
Ja, ich habe es gehört und ich finde es interessant. Ich mag es wirklich.
Das ist gut zu hören. Wir waren ja nun für gut fünf Jahre von der Bildfläche verschwunden. Die Wahrheit ist, dass wir uns fragen, wie die Leute das Album annehmen werden, ob sie es mögen oder nicht. Aber die Resonanz auf die Scheibe ist wirklich gut, und das ist sehr befriedigend.
Ich finde, dass das Album in gewisser Weise an „Athenian Echoes“ erinnert. Zumindest finden sich in den einzelnen Songs Elemente, die dem aufmerksamen NIGHTFALL-Hörer bekannt vorkommen dürften. Aber wahrscheinlich hast Du auch schon andere Meinungen dazu gehört!?
Eigentlich hat die Band ja immer sehr unterschiedliche Alben aufgenommen. Und viele Leute, die nur auf eine Musikrichtung stehen, haben die generelle Entwicklung von NIGHTFALL nicht gemocht. Mal haben wir an der Produktion gefeilt, mal den Sound angepasst, mal die Ausdrucksweise, also die Kompositionen. Aber es gibt auch sehr viele Leute, die auf ein spezielles Album von uns stehen, andere aber nicht mögen. Das ist absolut akzeptabel, weil es zeigt, dass sich die Leute mit unserer Musik beschäftigt haben. Aber es gibt auch Bands, die sich immer wieder kopieren, wenn sie einmal ein erfolgreiches Rezept gefunden haben. Das halte ich nicht für sonderlich gut. Aber bei NIGHTFALL war das immer anders.
Wie würdest Du die Art und Weise charakterisieren, wie Du Songs schreibst?
Das ist ein Prozess. Es ist wie bei einem neugeborenen Kind. Du weißt einige grundlegenden Dinge, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, ob es gesund ist oder nicht, und das zählt am Ende des Tages. Und darauf baust du dann langsam auf, Tag für Tag entwickelt es sich weiter. Manchmal entwickeln sich auch verrückte Dinge, wie bei „Diva Futura“ von 1999. Das war ein hochexperimentelles Album und unterschied sich vom vorausgehenden Album „Lesbian Show“, das wiederum anders war als „Athenian Echoes“. Ich glaube, das ist ein riskanter Weg, um Musik oder Kunst zu erschaffen, wenn du einen Markt betrittst, CDs verkaufst und das in die Produktion gesteckte Geld wieder einspielen sollst.
Auf der anderen Seite ist die Freude daran und die Ehrlichkeit umso größer. Es ist, als wenn man einen Samen auf die Erde wirft und wie ein guter Bauer alles daran setzt, dass daraus ein Baum wird. Also nicht versuchen, ihn zu manipulieren oder anzumalen, damit er schöner aussieht. Lass ihn einfach wachsen – das ist die Essenz der Kunst, und das ist es, was wir seit Anbeginn versucht haben zu tun. Häufig waren wir in der komfortablen Position, dass den Leuten unsere Musik gefallen hat, aber ab und zu haben die Leute unsere Alben sehr kritisch hinterfragt. Das ist ein Teil des Spiels. Es ist ein großer Streitpunkt für den Künstler. Man muss zu einhundert Pronzent wahr in seiner Kunst sein. Ansonsten kann man beispielsweise Popmusik für Supermärkte oder Aufzüge machen.
Wenn man aber anfängt, Musik zu schreiben, ist das ein Prozess. Am Anfang weißt du, ob es eher traurig, aggressiv oder episch sein wird. Das sind die grundlegenden Dinge. Wenn du aber später die Arrangements machst und mit der kompletten Band probst, hast du einen guten Eindruck davon, wie das Album später klingen wird. Und das ändert sich bis zur fertigen Produktion kaum noch. Und das bringt uns wieder zurück zum Punkt mit dem neugeborenen Kind: Du weißt zu diesem Zeitpunkt schon, ob es ein aggressives, episches oder trauriges Album wird. Aber es gibt wichtige Aspekte, die sich noch ändern. Aber das kann man nicht forcieren, man muss es fließen lassen. Das ist das beste, was man mit seiner Schöpfung anstellen kann. Man bleibt immer im Hintergrund, überwacht es, füttert es, damit es stark wird. Das ist die einzig gültige Formel – da hilft kein bekannter Produzent und keine ultraberühmten Studios. Für mich ist das der Unterschied zu Popmusik, die jedem gefallen möchte. Das ist aber nicht der Anspruch von NIGHTFALL. NIGHTFALL ist eine sehr spezielle Art von Kunst, die man entweder mögen oder hassen kann. Und letzteres ist für uns auch in Ordnung – wir sind seit 19 Jahren am Start und wissen, wo wir stehen.
Als Du angefangen hast, Songs für das Album zu schreiben, hattest Du da ein Bild vor Augen, wie es sich am Ende anhören könnte?
Ja, ich sehe es in erster Linie als Parade von Symbolen, als Parade von Riffs und Melodien von den vorherigen Alben von NIGHTFALL an. Du kannst es also in gewisser Weise als Best-Of-Album betrachten. Das war aber so nicht geplant. Nachdem unser letztes Label Black Lotus seine Aktivitäten eingestellt hatte, nutzte ich die Gelegenheit, einmal inne zu halten und einige Dinge zu hinterfragen: Was ist die Absicht oder das Ziel, eine Band zu haben, was werde ich in Zukunft machen und so fort. Ich habe mich also in die Anfänge der Band zurückversetzt und habe versucht, einige Dinge aus der Sicht eines Newcomers zu sehen. Dieser Trip in die Vergangenheit ist für mich sozusagen zu einem Trend geworden.
Die Kompositionen, die ich nun ausgearbeitet hatte, waren eigentlich gar nicht dafür gedacht, offiziell über ein Label veröffentlicht zu werden. Ich wollte in erster Linie Lieder erschaffen, die mir gefallen. Dann sind aber Jörg (Uken, Drums), Evan (Hensley, Gitarre) und Stathis (Kassios, Keyboards) auf der Bildfläche aufgetaucht und dann haben wir in recht kurzer Zeit eine Vorproduktion auf die Reihe bekommen, das an Metal Blade geschickt, und Metal Blade hat uns aufgrund dessen einen Vertrag angeboten. Sie mochten das Album, und wir haben das Angebot natürlich gerne angenommen. Und ich bin mit dieser Entwicklung natürlich mehr als zufrieden: Aus diesem Break vor fünf Jahren ist ein Album entstanden, auf das ich stolz bin, ich habe eine Band zusammen, die sich sehr mit dem identifiziert, was wir geschafft haben, und wir haben einen tollen Plattenvertrag. Ich wage sogar zu behaupten, mit der Hand auf meinem Herzen, dass „Astron Black“ das kompletteste NIGHTFALL-Album überhaupt ist. Und ich kann sagen, dass NIGHTFALL derzeit eine Einheit von vier Musikern ist, die alle auf einer Stufe stehen. Das ist sehr wichtig. Ich habe wirklich genug von Musikern, die in zehn verschiedenen Bands spielen.
Und das war das Problem mit dem vorherigen Line-Up?
Ja, das war es. Ich denke, wir lagen einfach nicht auf einer Wellenlänge. Ich fühlte mich damals sehr erwachsen, denn die Band hatte bis dahin vor allem in Europa einen guten Karriereverlauf hingelegt. Wir hatten gute Alben vorgelegt, und ich dachte, dass wir uns vom Künstlerischen auf einem guten Weg befänden. Wir hatten also eine gute Basis, aber ich wollte nicht endlos touren. Ich gehe in dieser Hinsicht nicht allzu sehr mit dem Mainstream. Die anderen Jungs wollten aber auch diese Seite der Musikindustrie mitmachen, was für NIGHTFALL ziemlich teure Touren bedeutet hätte. Also haben sie in mehreren Bands gespielt. An diesem Punkt sind unsere Interessen eben auseinandergedriftet. Ich glaube auch, dass man dieses Zerrissene unserem letzten Album „Lyssa“ anhört – also nicht so sehr durch das musikalische Können, sondern im Agieren im Team. Es hängt alles von der Chemie zwischen den Bandmitgliedern ab. Wenn die Chemie nicht stimmt, kann man das aber niemandem ankreiden. Du musst es akzeptieren.
Das heißt, beide Faktoren haben in die Pause reingespielt: Der Zusammenbruch von Black Lotus und die Differenzen im Line-Up?
Hmm, der Anlass war sicherlich das Verschwinden von Black Lotus. Aber durch die daraus resultierende Pause habe ich noch einmal darüber nachgedacht, worum es bei NIGHTFALL geht. NIGHTFALL ist kein künstlerisches Vehikel, über das jedes Jahr ein Album veröffentlicht werden könnte, und dann kommt eine Tour, zwei Tours, drei Tours, nur um dann wieder ins Studio zu gehen. Ich bewundere die Bands, die das können, aber das habe ich niemals für NIGHTFALL so vorgesehen. Unsere Perspektive der Kunst gegenüber ist davon komplett verschieden. Kunst kann man nicht erzwingen, man kann keine Tracks für eine neue Veröffentlichung bestellen (lacht). Es ist gut, still zu bleiben, wenn du nichts zu sagen hast. Und in der Zeit zwischen „Lyssa“ und jetzt hatten wir eben nichts Interessantes zu sagen. Wir wollten andersherum auch kein Album als Entschuldigung dafür veröffentlichen, wieder im Rampenlicht zu stehen oder Interviews zu geben. Wenn man aber den richtigen Zeitpunkt findet und etwas gutes und wichtiges zu sagen hast, werden die Leute auch zuhören.
Wenn Du davon sprichst, dass „wir“ nichts zu sagen hatten, meinst Du aber in erster Linie Dich selbst!?
Ja, klar, ich bin der Kapitän des Schiffs, der Eigentümer sozusagen (lacht). Dazu musst Du Dir aber ins Gedächtnis rufen, dass ich niemals einen anderen Kanal für meine Kunst gewählt habe. Und das werde ich auch in Zukunft so beibehalten. Das hängt mit einem Grundsatz zusammen, nicht die Energie durch verschiedene Kanäle zu verpulvern, sondern in einem Kanal zu bündeln. Ansonsten wird das Endergebnis schwach werden. Das wäre so ähnlich, als wenn du deine geliebte Frau mit mehreren Männern teilen würdest (lacht). Und genauso glaube ich auch nicht, dass man jedes Jahr dreißig oder vierzig gute Songs für fünf verschiedene Bands schreiben kann. Das kann nicht klappen, sondern endet immer in Kompromissen.
Das bedeutet, dass die Tracks, die jetzt auf „Astron Black“ gelandet sind, das Material darstellen, das Du in letzter Zeit geschrieben hast?
Genau, bis auf ein oder zwei Tracks, mit denen ich nicht zufrieden bin und die ich erstmal beiseite gelegt habe. Da habe ich das Gefühl, dass etwas fehlt, wo mir aber die Lösung nicht einfällt.
Was verbirgt sich hinter dem Albumtitel „Astron Black And The Thirty Tyrants“?
Nun, im Grunde genommen ist es ein Konzeptalbum über die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte. Aber kein Konzeptalbum im Sinne von KING DIAMOND. Es ist eine Reise des „Astron Black“ (Astron – griech. Wort für „Stern“) durch die Jahrhunderte. Es ist damit vergleichbar, dass du in einem großen See von einem Felsen zum nächsten springst. Der See ist dabei die gesamte Geschichte und die Felsen sind einzelne geschichtliche Ereignisse.
Die Menschheit war aus Furcht vor ihrem Ende immer auf der Suche nach Neuem. Die Texte malen Bilder vom alten Athen oder einem Raumschiff, das in der Zukunft auf der Suche nach neuen Lebensräumen im All unterwegs ist. Der Album endet mit den Worten: „Die Menschheit ist stark, sie wird weiter existieren.“ Das ist eine Hoffnung und das Resümee. Die Menschheit soll weiter danach suchen, wer die Götter sind und wer die Sklaven, und welche die Position der Menschheit auf dieser unendlichen Reise ist.
Was hat es mit dem Titel des Instrumentals „I-I“ auf sich?
Ah, das steht für „One on One“. Das führt direkt zum nächsten Titel „Archon Basileos“, der vom Verlangen des Menschen handelt, sich zum Herrscher über alles zu machen. Es handelt vom Streben – auch in unseren persönlichen Erfahrungen – sich zum Ein und Alles zu erheben. Oder vom Bestreben in der modernen Gesellschaft, alles auf einen einzigen Gott zu reflektieren.
Ich würde gerne ein wenig in die Zukunft blicken. Du hast ja gesagt, dass Du nicht notwendigerweise touren möchtest. Wird es denn im Zuge von „Astron Black“ eine Tour geben?
Ja, wir wollen auf jeden Fall touren, aber wir wollen dabei keine Kompromisse eingehen. Wir werden erstmal abwarten, wie sich die Dinge rund um das Album entwickeln, und dann wollen wir eine ordentliche Tour mit guten Locations organisieren. Unsere Idee dabei ist, das komplette „Astron Black And The Thirty Tyrants“ von Track eins bis Track zwölf durchzuspielen, das wäre perfekt. Was jetzt erstmal im Gespräch ist, sind ein paar Shows auf Festivals im nächsten Jahr. Wir wollen uns jetzt nicht abhetzen, denn wir haben an dem Album lang genug gearbeitet. Ich finde, das Album kann für sich stehen – es soll nicht als Entschuldigung dafür herhalten, dass wir überhaupt auf Tour gehen. Das sind zwei unterschiedliche Aspekte: Wir wollen nicht touren, nur um Promotion für das Album zu machen.
Ihr müsst also nicht touren, um Euren Lebensunterhalt zu verdienen?
Nein, NIGHTFALL gehören genau in die andere Kategorie von Bands. Natürlich sind wir zu einhundert Prozent professionell bei der Produktion, aber wir touren nicht, um damit unseren Lebensunterhalt zu finanzieren. Ich bin aber froh, dass wir mit Metal Blade ein Label im Rücken haben, das genauso verrückt tickt wie wir und uns in dieser Hinsicht unterstützt. Wir werden sehen, wie sich alles entwickelt. Es gibt keinen Grund, jetzt hektisch zu werden. No need to sell our souls for Rock’n’Roll! (lacht)
Und eigentlich handelt der Track „Thirty Tyrants“ genau davon. Der Track beschreibt den Punkt, wo Athen Sparta verloren hatte, und Sparta installierte eine Oligarchie von dreißig Diktatoren, die alle einen Teil der Stadt kontrollierten. Der Hintergrund dafür war, weiter zu expandieren. Es ist aber wichtig, seine Grenzen zu kennen. Ansonsten könnte der Traum von gestern zum größten Alptraum von morgen werden. Und das möchten wir mit dieser Veröffentlichung vermeiden. „Astron Black“ ist ein sehr gutes, sehr schönes Album, und die Leute mögen es und ziehen daraus Inspirationen. Aber wir wollen deshalb keinen falschen Versprechungen erliegen in Hinblick auf Touren und den Verkauf. Wir werden alles weise und im normalen Tempo angehen. Egal ob du ein- oder fünfzehntausend Platten verkaufst, wirst du nicht reich werden. Aber wenn du dich für eintausend Platten verkaufst, wirst du am Ende arm sein, innerlich, verstehst Du? Wenn sich das Album gut verkauft, dann ist das der Grundstock für das Budget des nächsten Albums, aber wenn es sich nicht gut verkauft, wird davon nicht die Welt untergehen. (lacht) Das ist mein Standpunkt, ich sehe das sehr positiv.
Was könnte es für ein besseres Schlusswort für dieses Interview geben? Danke für das Gespräch!