Night In Gales
Vom Zwielicht in den Sonnenuntergang

Interview

Kurz vor der Jahrtausendwende, NIGHT IN GALES sind mit ihrem neuen Album „The Last Sunsets“ am Start. Und im Vergleich zum formidablen Debüt hat sich eigentlich wenig geändert, geboten wird nach wie vor geiler Melodic Death klassischer Prägung, ohne Firlefanz oder moderne Elemente. Moment mal, so ein Blödsinn, wir haben ja mittlerweile 2018! Sind wir in einer Zeitschleife gefangen, oder ist hier plötzlich ein uraltes Scheibchen den Archiven entsprungen? Jens Basten, wir müssen dringend reden…

Hallo Jens! Zunächst einmal Glückwunsch zur neuen Scheibe, ganz starke Leistung! Oder sollte man besser sagen, herzlich Willkommen zurück? Ihr wart ja offiziell nie wirklich weg vom Fenster, dennoch wirkt „The Last Sunsets“ schon wie ein Neustart, finde ich.

Vielen Dank! Und cool, dass dir die Scheibe gefällt. Wir hatten ja bis zum ersten Comeback 2011 mit „Five Scars“ schon einmal so eine längere Pause überstanden. Die Band war in dieser Zeit natürlich auch nicht stetig aktiv. Wir haben uns eher kreativ ausgeruht, viel nachgedacht und uns schließlich neu fokussiert. Ich finde es albern, sich direkt aufzulösen, nur weil man mal nicht mehr regelmäßig probt oder auftritt. Denn in der Kunst gibt es zum Glück keine Vorschriften für sowas, auch wenn es sich vielleicht manche wünschen würden.

Da bin ich bei dir, die Länge der kreativen Pausen muss letztlich schon jeder für sich selber festlegen dürfen. Ich muss ja ehrlich sagen, dass euer Debüt „Towards The Twilight“ noch heute nach gut 20 Jahren regelmäßig in meinem Player rotiert. Wie schaut es diesbezüglich bei dir aus, bzw. wie oft hast du dir gerade in letzter Zeit diese Scheibe angehört?

Uih, das ist jetzt nicht wirklich regelmäßig der Fall. Ich stolpere aber öfters mal bei YouTube über Songs dieser auch aus meiner Sicht sehr gelungenen Platte und bleibe dann eine Weile dabei hängen. Dann staune ich immer wieder, wie speziell wir anno 1997 eigentlich geklungen haben, hahaha. Das wirklich Verblüffende an „Towards The Twilight“ für mich sind die zahlreich vertretenen Momente, wenn Harmonien, Leadgitarren, das durch Mark und Bein dringende Geschreie sowie gewisse Textstellen zusammen manchmal derart killen, dass es nur mit Magie zu beschreiben ist. „Autumn Water“, „Razor“ und vielleicht noch „Tragedians“ sind auch weiterhin im regulären Live Set vertreten. Es wird übrigens parallel zum Release von „The Last Sunsets“ ein limitierte Neuauflage des „Towards The Twilight“-Shirts geben. Diesmal sogar in den richtigen Farben des Marshall-Artworks, das Blast Shirt war ja damals eher dunkel orange, hahaha.

Das wäre dann schon ein Grund zuzuschlagen, sofern man das Shirt noch nicht hat. Blicken wir mal zurück in eure Anfangszeit. Ihr wurdet ja damals mächtig von Nuclear Blast gepusht als die deutsche Melodic Death Hoffnung. Warum ist euch trotzdem der große Durchbruch verwehrt geblieben? Oder anders gefragt, warum habt ihr schon mit dem Zweitling „Thunderbeast“ einen stilistisch etwas anderen Weg eingeschlagen?

Der Push durch Blast war damals wirklich stark, das ist richtig. Warum wir es trotzdem geil versemmelt haben, hat verschiedene Gründe. Die haben wir nun, also 20 Jahre danach, auch echt lang und breit analysiert, hahaha. Also dann: Es begann mit einer Art Realitätsverlust in den eigenen Reihen bezüglich der damals doch sehr privilegierten Situation, beim dicksten Label für Death Metal gesignt worden zu sein und sofort mit Helden wie IN FLAMES, DEATH, DISMEMBER, HYPOCRISY, CHILDREN OF BODOM usw. touren zu können. Das Cover von „Thunderbeast“ war damals im Nuclear-Blast-Katalog rund 50mal abgelichtet – ich habe es selber nachgezählt. Heutzutage ist man froh, wenn einmal dein Name da drin steht, hahaha, so sieht‘s aus. [Und genauso ist es auch im aktuellen Katalog der Donzdorfer.; Anm. d. Verf.] Mit anderen Worten: Wir waren innerhalb kürzester Zeit irgendwie abgehoben und dachten, wir könnten nun machen was wir wollen und die Fans würden uns sowieso folgen. Dazu waren wir auch genervt durch die ständigen Punktabzüge in den Reviews großer Magazine. Die warfen uns vor, wir sollten doch mal an unserem Stil arbeiten usw. Mit Christian [Bass, ehemaliger Drummer, mittlerweile bei HEAVEN SHALL BURN aktiv] und Björn [Gooßes, Ex-Sänger] gab es dann noch zwei dominante Pole in der Band, die ab „Nailwork“ die progressive Entwicklung stark pushten. Es war ja auch interessant, mal neue Wege zu beschreiten, das kann ich nicht abstreiten. Aber es lag nun mal nicht im eigentlichen Sinne des Erfinders und so eine „Stilvergewaltigung“ birgt immer das Risiko, seine komplette Fan Base und seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Bis auf Kreator mit „Renewal“ hat auch kaum eine Band ein solches Experiment ohne größeren Schaden hinbekommen. Naja, jedenfalls brachen bei „Nailwork“ die Verkäufe schon in der Presale-Phase ein, woraufhin die Werbung zurückgefahren wurde und wir im Zuge der großen „Label-Reinigung“ 1999 mit zig anderen Combos einfach raus gekickt wurden. Bei Massacre Records lief es dann aufgrund der nochmals krasseren Stilexperimente auf „Necrodynamic“ ebenfalls nicht wirklich besser. Daher war dann erstmal eine der eingangs beschriebenen kreativen Besinnungspausen angesagt. Mich nervt heute natürlich immer noch wie das alles gelaufen ist. Aber umso mehr feiern wir momentan die überwältigend guten Resonanzen zu „The Last Sunsets“. Insbesondere das Abschneiden in den Soundchecks der großen Magazine lässt uns des Öfteren mit offenen Mündern staunen.

Eine erfrischend ehrliche Einschätzung, wie ich finde, hört man gerade in dieser Branche echt nicht alle Tage. Ich will ja auch eure Scheiben zwischen dem Debüt und dem neuen Werk nicht in Grund und Boden reden. Aber musikalisch und qualitätstechnisch lag da finde ich schon so einiges im Argen. Wie siehst du das?

Zu den oben bereits erwähnten stilistischen Themen kam auch noch die Experimentierfreudigkeit hinsichtlich des Cover-Artwork und der Auswahl des Produzenten. Das hat den roten Faden natürlich vollkommen verbrannt. Ich will nicht sagen, dass diese Scheiben aus dem Kontext gerissen betrachtet schlecht sind. Sie passen nur irgendwie nicht in die logische Folge und waren sowohl für die Fans als auch für die Presse aus heutiger Sicht eher unzumutbar. Wir haben da ganz einfach zu viele Dinge zu schnell verändert. Schließlich war ja eigentlich alles anders: Musikstil, Gesang, Texte, Image/Look, Produktion, Bühnenklamotten, das ganze Paket. Wir haben es aber auch echt erst gemerkt als es viel zu spät war. Das lag natürlich auch daran, dass wir ja noch ständig Erfolge feiern konnten und dadurch etwas abgelenkt waren. Als der Drop von Blast nach „Nailwork“ schon hinter den Kulissen beschlossene Sache war, tourten wir z.B. wie King Kotelette mit DEFLESHED durch Japan und haben uns um Zukunft keine Sorgen gemacht, hahaha.

King Kotelette ist gut, hahaha. Aber so ist halt dieses Business, was soll man sagen. Mal was anderes, du hast ja die Szene sicher über all die Jahre hinweg weiter verfolgt. Was denkst du, warum sich da vor allem die Zugpferde (also DARK TRANQUILLITY, vor allem IN FLAMES usw.) von ihrem ursprünglichen Sound mehr oder weniger weit entfernt haben? Das ursprüngliche Genre hatte doch eigentlich alle Voraussetzungen gehabt, um richtig groß zu werden.

Das sehe ich nur bedingt so. Der ursprüngliche Melo Death hätte ohne gewisse Eingriffe nicht das Potenzial zum Wacken-Headliner gehabt. IN FLAMES haben den wirklichen kommerziellen Durchbruch ja auch erst mit dem Einzug in den New Metal und damit in den amerikanischen Markt geschafft. Mir gefiel es seit „Colony“ nicht mehr so sehr, da war alles gesagt denke ich. DARK TRANQUILLITY haben für meinen Geschmack den guten Stil nach „The Gallery“ und „Of Chaos And Eternal Night“ zu sehr mit Keyboards platt gemacht und auch keine großen kommerziellen Aufbruchattacken wie IN FLAMES gewagt. AT THE GATES hatten sich nach der Slaughter-Worldtour aufgelöst. DISSECTION waren zu böse, hatten aber eigentlich das größte Potential von allen. Und AMON AMARTH zählt man glaube ich gar nicht erst zu diesem Kreis, da geht es ja eher um die Viking-Nummer. Durch die ganzen mundgerechten Metalcore-Interpretationen, die heute leider häufig mit Melodic Death gleichgesetzt werden, wurde dann alles sehr aufgeweicht und durcheinander gebracht. Wer heute 16 ist, hört dann eben KILLSWITCH ENGAGE, IN FLAMES und ARCH ENEMY parallel zu SLIPKNOT. Die letzte AT THE GATES passt da dann aber irgendwie auch nicht rein, weil man da schlechter drauf tanzen kann, hahaha.

Da decken sich unsere Meinungen in vielen Punkten, auch wenn ich das Kriterium „Wacken-Headliner“ nach wie vor nicht als einzigen bzw. gewichtigen Maßstab für Erfolg oder gar Qualität gelten lasse. Aber habt ihr nun vielleicht sogar genau die Scheibe aufgenommen, die ihr heute von euren alten Helden gerne hören würdet?

Ja, das ist korrekt. Aber es ist auch die Scheibe, die wir von uns selbst gerne gehört hätten, hahaha. Und jetzt hören wir sie. Das ist eigentlich ein super Rezept, um eine ehrliche und authentisch klingende Platte zu erschaffen, die auch die Leute berührt. Man schreibt dann wirklich nur für sich, statt für ein Label oder eine eventuelle kommerzielle Option. Man nennt das in der Fachsprache auch Kunst.

Danke für die Aufklärung, hahaha. Dann kommen wir nun endlich mal zu „The Last Sunsets“. Ist es für dich eher ein Comeback oder ein Neustart?

Es ist ein Comeback für die Fans der ersten Stunde. Oder sagen wir mal lieber anders für jene, die vor allem „Sylphlike“, „Razor“ und „Towards The Twilight“ mochten. Der starke Zuspruch der Presse motiviert uns natürlich gerade sehr, sodass wir tatsächlich voll motiviert schon bald das Songwriting für den Nachfolger für „The Last Sunsets“ beginnen werden. Ein Neustart ist es in dem Sinne, dass wir mit Christian nun nach 21 Jahren ein anderes Line Up haben und insofern auch live wieder quasi unser Debüt in dieser Konstellation geben. Außerdem werden wir zukünftig live kaum mehr Songs aus den Jahren 1998 bis 2011 spielen. Von daher ist echt vieles anders.

Galerie mit 19 Bildern: Night In Gales - Summer Breeze Open Air 2018

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16.02.2018

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