Nevermore
Nevermore
Interview
Nevermore sind wohl eine der am meisten respektierten Bands in der Szene. Eigenständig, ehrlich, innovativ und auf keinen Fall trendanbiedernd. Dies stellen sie einmal mehr mit ihrem neuen Album "Enemies Of Reality" unter Beweis. So ergab es sich auch, dass ein gut gelaunter Jeff Loomis (Gitarre) während seines Promo-Aufenthaltes in Dortmund bei mir durchklingelte und viel zu sagen und zu lachen hatte. Nur über das kontroverseste Album des Jahres, Metallica’s "St. Anger", wollte er sich kein abschließendes Urteil erlauben.
Ihr habt Anfang Juni auf dem Rock Hard Festival gespielt. Wie war es, wieder zurück in Deutschland zu sein?
Großartig! Es war eine super Show. Zudem hatten wir echt Glück gehabt. Als wir spielten, hatten wir gutes Wetter. Aber am nächsten Tag hat es geregnet wie Hölle. Außerdem hatten wir so die Möglichkeit, einige unserer neuen Songs vorzustellen.
Wie haben die Leute auf das noch unbekannte Material reagiert?
Es schien, als sei es ihnen recht schnell ins Blut übergegangen, obwohl dies ja nicht immer ganz so einfach ist, wenn das neue Album noch nicht auf dem Markt ist.
Kurz vor dem Rock Hard Festival habt ihr das New England Metal & Hardcore Festival gespielt. War es da genauso?
Ja, aber das war ein viel grösseres Event. MTV war da, eine kanadische TV-Metal-Show war da. Wir haben sehr viel Publicity durch unseren Gig bekommen.
Das klingt doch alles wunderbar. Kommen wir mal auf euer neues Album „Enemies Of Reality“ zu sprechen. Was hat es mit dem Titel auf sich? Mögt ihr die Realität nicht, wie sie gerade ist und seid deswegen ihre Feinde?
Naja, manchmal muss man schon ein Feind der Realität sein. Aber eigentlich ist meine eigene Realität für mich meine Musik. Sie ist das stärkste, was es für mich gibt. Genauso stark ist auch der Albumtitel.
Ist er bezogen auf eure politische Situation in Amerika? Als George W. Bush „gewählt“ worden ist, seid ihr ja nicht müde geworden, Kritik zu äußern.
Das stimmt zwar, aber deswegen hat der Titel trotzdem nichts mit diesem Thema zu tun.
Habt ihr euch eigentlich einem großen Druck ausgesetzt gefühlt? Ich meine, „Dead Heart In A Dead World“ zu toppen, musste doch ein unmögliches Unterfangen sein?
Im Prinzip schon, aber du kannst nicht die ganze Zeit zu Hause sitzen und dir Sorgen machen, du könntest es nicht schaffen, etwas Besseres zu erschaffen, als du es bereits in der Vergangenheit hinbekommen hast. Das würde dich nur unheimlich nervös machen. Ich z.B. habe meinen Kopf total frei gemacht, bevor ich mit dem Schreiben neuer Songs anfing, habe keine aktuelle Musik gehört und habe dann eigentlich 24 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche nur aufgenommen. Am Ende sind die besten Parts herausgepickt worden. Nichts war von vornherein geplant. Vielleicht ist unser Album deswegen auch so aggressiv geworden.
Wenn du die drei letzten Jahre mal Revue passieren lässt, wie waren sie für dich und für euch als Band? Immerhin wart ihr noch nie so durchgängig mit Touring, etc. gefordert gewesen.
Die Frage, die mir bisher die meisten Leute gestellt haben, war: „Warum hat euer neues Album so lange auf sich warten lassen?“ Ja, wir waren sehr lange auf Tour gewesen. Zwei Mal durch Amerika, sogar drei Mal durch Europa, dann noch Kanada, Südamerika. Das war mit ein Grund. Tja, und dann gab es noch ein paar Probleme mit unserem Label Century Media, als es um eine Vertragsverlängerung ging.
Hat sich das mittlerweile geklärt?
„Enemies…“ ist jetzt unser letztes Album im alten Vertrag. Unsere Optionen sind also offen. Was genau wir in Zukunft machen werden, wissen wir noch nicht. Da müssen wir uns erstmal zusammensetzen und die Angebote sondieren, von denen es eine Menge gibt. Das dauert vielleicht ein bisschen, das beste für uns zu finden. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass wir wieder bei Century Media unterschreiben. Aber dafür muss deren Angebot stimmen.
Das ist klar. Aber generell erinnert man sich doch lieber an die schöneren Momente in der Karriere. Welche waren deine bisherigen Nevermore-Highlights?
Es ist jedes Mal ein Highlight, wenn wir zu einer Tour aufbrechen. Aber das Größte für mich war bisher wohl unser erster Trip nach Europa mit dem Auftritt auf dem Dynamo-Festival. Da waren so verdammt viele Metalheads. Das hat mich schon sehr beeindruckt, zumal ich 1995 auch noch ziemlich jung war. Es war das letzte Dynamo mit so vielen Leuten, bevor alles ins Chaos abdriftete. Und es waren wirklich sauviele Menschen. Man hat nichts anderes gesehen. Das vergisst man nie.
Kommen wir zurück auf das neue Material, das man hoffentlich auch nie vergisst. Euer Sänger Warrel beschrieb es folgendermaßen: „Being hit over the head with a wet sock of raw sausage!“ Welchen Vergleich würdest du anbringen?
(lacht) Unser Album ist definitiv sehr rau und aggressiv. Es ist wie Nevermore live, weil wir es genauso aufgenommen haben. Wir haben nicht alles einzeln nacheinander eingespielt. Bei uns war es viel mehr Nevermore in einer Livesituation, wo alle gleichzeitig spielen. Also würde ich es so beschreiben: Being hit over the head with a baseball bat! Laut, roh und sehr aggressiv!
Trotzdem geht ihr aber wieder etwas mehr zurück zu komplizierteren Songstrukturen, wie sie z.B. auf „The Politics Of Ecstasy“ dominierend waren, oder?
Ein wenig schon, ja. Aber trotzdem sind die Songs kürzer und kommen schneller auf den Punkt. Früher waren unsere Alben 60 Minuten lang, dieses ist jetzt nur 40 Minuten lang. Quasi kurz und süss! (lacht) Und mir wird nicht langweilig, wenn ich es höre. (lacht noch lauter) Aber trotzdem ist noch die Catchyness von DHIADW in einprägsamen Melodien und Refrains vorhanden, wie z.B. bei „Tomorrow Turns Into Yesterday“.
Ja, dieser Song ist am ehesten vergleichbar mit „The Heart Collector“.
Richtig. Warum das so ist, kann ich gar nicht mal sagen. Es kam einfach in diesem Moment so aus uns heraus. Aber man kann Nevermore immer als Band beschreiben, die sich von Album zu Album weiterentwickelt und verändert. Das hält uns frisch.
Ist das dann auch der Grund, warum du diesmal sogar teilweise ein Riffing verwendest, das sehr Death Metal-like klingt?
Ich glaube, das liegt eher daran, dass ich vor Nevermore in einigen Death Metal-Kapellen aktiv war. Das kommt immer mal wieder durch. Normalerweise höre ich eigentlich Metal jeglicher Stilrichtung, um mich nicht zu limitieren. Aber Morbid Angel oder Cannibal Corpse nehmen schon eine dominierende Position in meiner CD-Sammlung ein und inspirieren mich demnach auch ab und an. Das hört sich bei „Ambivalent“ meiner Meinung nach ziemlich cool an, weil Warrel dazu singt, wohingegen beim Death Metal gegrunzt werden würde.
Würdest du sagen, dass das nicht auch ein wenig an den ganzen Touren mit Bands wie In Flames, Dimmu Borgir oder Soilwork gelegen hat?
Ja, natürlich. Irgendwie sind wir und diese schwedischen Bands schon eine Art kleine, coole Metal-Familie. Diese Bands sind allesamt großartig. Irgendwas muss da im schwedischen Trinkwasser sein. (lacht) Aber du hast Recht, Bands wie In Flames, Soilwork und im speziellen Arch Enemy haben uns schon auf ihre Weise inspiriert. Das ist ganz natürlich, wenn man sich auf Tour mehrere Wochen jeden Tag sieht und hört.
Kommen wir zu einer weiteren Neuerung: Ihr habt den Produzenten gewechselt. Wart ihr mit Andy Sneaps Arbeit auf DHIADW nicht zufrieden oder warum seid ihr zu Kelly Gray gewechselt? DHIADW ist eine der besten Produktionen, die es je gegeben hat.
Das lag daran, dass Andy gerade mit Arch Enemy gearbeitet hat, als wir auch ins Studio wollten. Unser Timing war also nicht allzu gut. Außerdem haben uns Century Media kein besonders großes Budget zur Verfügung gestellt. Aber ich denke, wir werden irgendwann wieder mit Andy zusammen arbeiten. Kelly Gray ist ein Freund von Warrel und schon seit Jahren in der Metalszene Seattles als Produzent bekannt. Normalerweise macht er aber eher Punk Rock. Er experimentierte also bei uns etwas herum und das Resultat ist gelungen, wie ich finde. Es klingt anders und neu.
Anders und neu, das passt auch gut zu „Noumenon“ dem vielleicht psychotischsten, abgründigsten Song eurer Bandgeschichte.
„Noumenon“ ist das Gegenteil von „Phenomenon“. Dieses Stück ist sehr psychedelisch und experimentell ausgefallen. Am Anfang sollte es eigentlich nur ein kleines Instrumental werden, aber es wuchs und wuchs immer mehr. Einmal benutze ich sogar eine Sitar.
Kürzlich habe ich mir nochmals ein Interview mit Warrel aus dem Jahre 1999 bezüglich „Dreaming Neon Black“ durchgelesen. Dort wurde er gefragt, wo er Nevermore in fünf Jahren sehe und er hat geantwortet: „Ich will eigentlich nur ein stabiles Line-up und genug Platten verkaufen, um auf Tour gehen zu können. Das würde uns glücklich machen!“ Diese fünf Jahre sind nun fast vorbei. Haben sich eure Träume und Wünsche erfüllt?
Natürlich! Wir haben die ganze Welt oftmals gesehen. Vielleicht haben wir noch keine zufrieden stellende, finanzielle Situation erreicht, aber für uns geht es jetzt sowieso wieder von vorne los, wenn unser Vertrag mit Century Media erfüllt ist. Was das Line-up angeht, waren Nevermore eigentlich immer schon stabil, zumindest was den Kern angeht. Es waren immer wir vier. Jetzt engagieren wir uns nur noch ein fünftes Mitglied für eine Tour. So können wir einfach besser arbeiten. Im Endeffekt muss ich aber wirklich sagen, dass alle meine Träume wahr geworden sind. Man braucht keine Millionen, um glücklich zu sein. Solange du deine Freunde, deine Musik, deine Touren, deine Sicherheit und deine Familie hast, kann es gar nicht besser sein. Aber eines kann ich dir auch sagen: Es würde nicht wehtun, etwas Geld in der Hinterhand zu haben. (lacht)
Allerdings. Also: Wo werden Nevermore 2008 stehen, um dieses Spielchen einmal fortzusetzen?
Mit dieser Frage habe ich jetzt gerechnet. Mist! (lacht wieder) Mann, das ist schwer. Ich kann eigentlich nur dasselbe sagen. Hoffentlich nehmen wir noch Alben auf und touren durch die Gegend. Hoffentlich wachsen wir als Persönlichkeiten und verbessern uns als Songwriter, so wie wir uns bisher auch immer von Album zu Album verbessert haben. Und ich hoffe, wir verändern uns nicht. Wir haben diese Grungeperiode hier in Seattle überlebt, ohne uns zu ändern und einem Trend hinterher zu laufen. Ich hoffe, das bleibt so ehrlich, damit die Leute auf uns vertrauen können, wie sie es immer getan haben.
Nächstes Jahr steht euer zehnjähriges Bandjubiläum an. Wie wird es gefeiert?
Gute Frage. Vielleicht mit einem Live-Album oder einer DVD. Wir haben noch keine Ahnung. Auf jeden Fall wollen wir irgendwo ein paar große Shows spielen und feiern.
Als ich über eure Homepage geschaut habe, ist mir aufgefallen, dass fast jeder von euch Metallica’s „Ride The Lightning“ in seinen Alltime Faves stehen hat. Dieses Album ist auch mein Favorit von Metallica. Was macht es für dich so faszinierend?
Tausende Gründe! Als ich es das erste Mal gehört habe, war ich vielleicht gerade 13 gewesen. Ich hatte Kopfhörer auf und hörte mir eine Radioshow aus Wisconsin an. Dann kam der Song „Ride The Lightning“ und hat mich einfach unglaublich weggeblasen. Diese Länge, diese Komposition! Dann habe ich sie auf dieser Tour live gesehen. Ich glaube, es war mit Armored Saint zusammen. Das werde ich nie vergessen, weil es einen riesengroßen Einfluss auf mich hatte. Wenn ich daran denke, bekomme ich immer noch Gänsehaut.
Magst du „St. Anger“?
Ich habe noch nicht das komplette Album gehört, weil ich im Moment hier in Deutschland einfach zu beschäftigt bin. Ich werde mir aber die CD besorgen, mit nach Hause nehmen und sie mir ganz genau zu Gemüte führen. Ich habe jetzt schon so viele verschiedene Meinungen über sie gehört. Das macht mich echt neugierig. Wie findest du sie?
Ich finde sie besser als „Load/Reload“, weil wieder mehr Zug dahinter ist. Sie sind wieder härter geworden und haben ein wenig ihrer früheren rebellischen Attitüde wiedererlangt. Einzig die Produktion ist grausam. Die Snare hört sich an wie Mamis Kochtopf.
Das habe ich jetzt auch schon ein paar Mal gesagt bekommen. Das ist auch das, was ich am Song „St. Anger“ nicht mag, weil dieser blecherne Klang so penetrant ist. Aber für eine abschließende Beurteilung des Albums habe ich noch zu wenig davon gehört.
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