Nervecell
Interview mit Rami und Barney

Interview

Auch im Metal spielt das Thema Globalisierung zweifelsfrei eine gewisse Rolle und gewinnt deutlich an Stellenwert. Nichtdestoweniger gibt es noch immer Länder, wo man als Fan, Journalist oder Szenekenner von Exoten spricht. Das trifft garantiert auch auf NERVECELL zu, die aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stammen. Die beiden Gitarristen Rami und Barney gaben Metal.de Einblick in die Szene ihres Heimatlandes, sprachen über ihr Neuwerk „Psychogenocide“ und über ihren Werdegang als Band.

 

Hey Jungs! Was geht bei euch in Dubai?

Barney: Im Moment nicht gerade unheimlich viel, denn wir sind gerade von einer Asien-Tour zurückgekommen, die wir just damit komplettiert haben, einige Festivals und Headliner-Shows auf den Phillipeinen, in Sri Lanka und Indien zu spielen. Die Tour war großartig und wir sind froh, dass alles super über die Bühne gegangen ist.

Könntet ihr zuerst zusammenfassen, wer NERVECELL sind und wie euer neues Album “Psychogenocide” klingt? In welcher Art hat sich die Band seit ihrer Gründung entwickelt?

Rami: Wir sind eine Death/Thrash-Metal Band, die sich im Jahre 2000 in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten gegründet hat. Unser Sound basiert auf einem Old-School Death- und Thrash-Metal-Gerüst mit einigen modernen Elementen sowie leichten Einflüssen aus orientaler und mittelöstlicher Musik. “Psychogenocide” ist unser zweites Vollwerk, das über Lifeforce Records in Europa und Spellbind Records im mittleren Osten erschienen ist. Ich kann guten Gewissens sagen, dass es sich um ein vollends abgerundetes Death/Thrash-Album handelt, mit dem Fans von MORBID ANGEL, TESTAMENT, DEATH und SLAYER etwas anfangen können sollten. Die Platte sollte technisch, brutal und thrashig zugleich klingen, dabei sowohl moderne Passagen und ihren eigenen bandtypischen Sound einweben. Die Band selbst startete eher in einer Richtung zwischen Hardcore und Metal, bevor sie sich eher in besagter Art entwickelte. Wir haben alle unsere persönlichen Einflüsse eingearbeitet, sodass sich ein charakteristischer Sound aufgetan hat.

Ihr lebt alle in den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber eure Mitglieder stammen aus verschiedensten Ländern wie Libanon, Indien und Jordanien. Wie habt ihr euch eigentlich als Band gefunden?

Barney: An einem Ort wie Dubai trifft man unheimlich viele Menschen aus unterschiedlichsten Herkunftsorten, was auch die vielfältige Ader unserer Band bedingt. Bevor Rami und James zu uns gestoßen sind, hatten wir auch einen polnischen Bassist, sowie einen amerikanischen Sänger. Ich finde das echt hammermäßig, denn völlig unabhängig von unserer Herkunft, haben wir uns lediglich durch die Musik gefunden, dadurch dass bei denselben lokalen Shows abgehangen und dieselben sozialen Netzwerke genutzt haben. Dubai ist ein relativ kleiner Ort, wenn du hier also auf andere Metalheads triffst, geht kein Weg daran vorbei, Nummern zu tauschen und in Kontakt zu bleiben. James hat NERVECELL etwa entdeckt, als wir an der Universität, in der er studierte, im Jahr 2003 gespielt haben, demnach haben wir direkt Telefonnummern ausgetauscht. Nachdem er schließlich zu uns gestoßen war, folgte ein Jahr später auch Rami, sodass wir bis Heute in einem konstanten Line-Up arbeiten konnten.

War es jemals eine realistische Idee von euch, die Texte in eurer Muttersprache zu schreiben? Kannst du in diesem Zusammenhang kurz umreißen, worum es bei “Psychogenocide“ geht?

Rami: Nun, das Konzept des Albums kommt von der Idee der Gedankenkontrolle und Propaganda gegen die menschliche Rasse, was jeder Mensch schon seit Jahrhunderten mitmachen musste. In unserer modernen Lebensform glauben wir, dass massive Kontrolle von den Medien ausgeht, solche Dinge leiten auf lange Sicht unweigerlich zur menschlichen Versklavung durch ebensolche, die mit größerer Macht als die Masse ausgestattet sind! “Psychogenocide” beschreibt die totale Zerstörung der menschlichen Identität, indem es sämtliche Techniken der Gedankenkontrolle erläutert, die gegen die Menschheit verwendet werden…die Waffen der psychologischen Kriegsführung, denen wir jeden Tag begegnen und aus denen es kein Entrinnen gibt. Es soll unser Gedankensystem für das öffnen, was wirklich in der Welt geschieht, anstatt blindlings dem folgen, mit dem wir tagtäglich angefüttert wurden und werden. Das einzige Mal, wo wir unsere Muttersprache genutzt haben, war in dem Song “Shunq”, der sowohl arabische als auch englische Passagen in sich trägt. Die Geschichte dieses Tracks kommt aus der arabischen Lyrik, wird aber im Song doppelsprachig weitergeführt. Die englischen Teile dieses Songs wurden von Karl Sanders (NILE) eingesungen, der einen grandiosen Job in der Hinsicht gemacht hat.

Auf “Psychogenocide” nutzt ihr programmierte Drums, richtig? Wie kommt es, dass ihr keinen festen Schlagzeuger habt oder wollt ihr schlichtweg in der aktuellen Formation verweilen?

Rami: Es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich höre, es handele sich um programmierte Drums, haha! Denn ein menschlicher Drummer, Dave Haley (PSYCROPTIC), hat die Drums für “Psychogenocide” aufgenommen, genauso wie auf dem Vorgänger “Preaching Venom”, wobei beides wirklich gut gelungen ist! In der Tat haben wir keinen Schlagzeuger, der uns permanent unterstützt, für unsere Tourgeschichten hilft uns allerdings Louis Rando, ebenso haben wir schon mit dem Fellhauer von BENIGHTED namens Kevin Foley zusammengearbeitet. Wir ziehen es einfach vor, mit verschiedenen Drummern zu arbeiten, sodass in unseren Gigs jeweils eine andere Facette zum Tragen kommen kann und sich nicht ausschließlich auf eine Variante konzentriert werden muss. Da NERVECELL meiner Ansicht nach eine durchaus gitarrenbetonte Band ist, folgen die Drumparts immer erst später im Songwriting-Prozess.

Habt ihr die Möglichkeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten eure Gigs zu spielen, oder ist Death Metal nicht gerade sehr willkommen bei euch?

Barney: Es bekommt langsam die verdiente Akzeptanz, aber dazu brauchte es in der Tat eine recht lange Zeit. Du musst wissen, dass es hier vor einigen Jahren noch nicht möglich war, Metal-CDs zu kaufen, demnach ist das gesamte Genre ziemlich neu für die Menschen. Um Konzerte spielen zu können, muss man einiges an Papierkram und Formalitäten erledigen, allerdings ist es nur noch dies. Dubai ist, anders als die umliegenden Länder, deutlich offener hinsichtlich Events und Nachtleben. Wir sind eben die Band, die in unserem Land extremen Metal repräsentiert, und das tun wir mit Stolz, indem wir Live auftreten und, noch viel wichtiger, die Presse, TV und Radio über unsere Musik informieren und ihnen eröffnen, um was es beim Metal überhaupt geht.

Wenn ihr nochmals auf “Psychogenocide” blickt, habt ihr dort einen Lieblingssong? Wenn ja, um welchen handelt es sich und warum?

Barney: In jedem Fall habe ich das, und zwar handelt es sich um “Shunq”, der mir mit seiner Mixtur aus arabischen und englischen Lyrics von Karl Sanders besonders gut gefällt. Der andere Song, den ich unheimlich gerne höre, ist “Driven By Nescience“, den ich erst nach dem Albumrelease richtig mögen gelernt habe. Das ist etwas Besonderes für mich, denn ebendieser gehört zu jenen Stücken, wegen denen ich mit Rami einige Meinungsverschiedenheiten im Hinblick auf das Songwriting in ein paar Passagen hatte. Wenn ich mir den Titel jetzt anhöre, habe ich ein super Gefühl dabei, denn er ist nicht nur verdammt brutal, sondern auch unglaublich divers im Vergleich zu dem, was wir bisher als Band auf die Beine gestellt haben. Um ehrlich zu sein finde ich dennoch, dass das gesamte Album mit Stücken gefüllt ist, die unterschiedlichste Stimmungen ansprechen, obwohl die Grundeinheit einer brutalen Death/Thrash-Basis immer aufrechterhalten wird! Das ist für mich auch der Grund, warum gerade diese Platte so besonders in unserer bisheriger Bandphase ist, weil genau dies uns so gut gelungen ist.

Eine weitere Sache, die ebenfalls durchaus von Interesse erscheint, ist euer Songwriting- und Aufnahmeprozess. Wie läuft das bei euch? Könnt ihr mal zusammenfassen, wie ein Stück im Hause NERVECELL wächst?

Rami: Im Wesentlichen sind es Barney und Ich, die kompositorisch tätig werden, die Gitarren arrangieren und alles zusammenstückeln. Die Texte schreibt unser Bassist und Sänger James, woraufhin wir die Songs zu unserem Drummer senden, der meistens schon einen Demo-Records gemacht hat. Seine eigenen Einflüsse und Ideen bringt er dennoch dazu. Für dieses Album haben wir eine komplette Vorproduktion gemacht, was schließlich auch als eine gewisse Referenz für den Schlagzeuger zu sehen war. In Australien wurden die Drum-Tracks letztlich aufgenommen und zu uns zurückgesendet. Als wir diese erhalten hatten, nahmen wir in Dubai Gitarren, Bass und Vocals auf. Das war ziemlich interessant, denn wir hatten keinen festen Produzenten, sodass ich die Produktion übernommen habe, und das Ganze dann zum Hertz Studio(Behemoth, Vader, Decapitated) gesendet habe, die das Album dann gemixt und gemastert haben. Das war ein wirklich langer Prozess, aber herausgekommen ist exzellente Arbeit, soweit ich das mit meiner bescheidenen Meinung beurteilen kann.

Wenn du einen Vergleich zwischen der Metalszene in der Vereinigten Arabischen Emirate und in Deutschland anstellst, wo liegen da die wesentlichen Unterschiede?

Barney: Naja, es ist schonmal kein Geheimnis, dass Deutschland schon sehr lange eine etablierte Metalszene hat, nicht allein wenn man an all die tollen Bands denkt, die von dort kommen! Da entsteht definitiv keine Vergleichsebene. Ich denke die Metalszene in Dubai hat mehr Einschränkungen und Barrieren, während man in Deutschland sicherlich einem kulturellen Zweig angehört, wenn man ein Metalhead ist. In den Vereinigten Arabischen Emiraten ist das noch immer sehr neu und die Menschen müssen sich erst an die optischen Merkmale und all das gewöhnen. Ein ganz riesiger Unterschied ist für mich, wie professionell die Deutschen mit Equipment und hinsichtlich Konzertorganisationen vorgehen, das ist allen voran einfach sehr effiziente Arbeit, weil die Menschen diese Jobs mit Passion zu machen scheinen. Wo auch immer wir in Deutschland oder Europa touren, dauert unser Soundcheck vielleicht zwischen 15 und 20 Minuten, wobei wir in unserem Heimatland aufgrund fehlender Technik und Fachkenntnis zwischen einer und zwei Stunden benötigen! Das hat nichts damit zu tun, dass die Leute hier dumm oder nicht fähig wären, etwas derart Professionelles zu bewerkstelligen, viel mehr hat es mit der mangelnden Erfahrung mit Metalkonzerten und allem drum und dran zu tun.

Das war schon alles, danke für eure Antworten! Ich freue mich bereits, euch auf dem diesjährigen Summer Breeze Live erleben zu dürfen. Die letzten Worte gebühren euch!

Rami: Deutschland ist ein ganz besonderes Land für uns, weil schon oft dort auftreten durften, dabei freuen wir uns, auf dem Summer Breeze endlich unser neues Songmaterial präsentieren zu dürfen. Weitere Shows werden sicherlich bald folgen. Danke an alle Leser und Metal.de für den Support! “Psychogenocide” steht in Europa und Deutschland in den Läden, schnappt euch ein Exemplar und checkt es ab! Prost!

Barney: Hails an alle Leser und das Team von Metal.de. Deutschland hat uns immer großartig unterstützt, und wir freuen uns auf ein super Wiedersehen im August!

19.05.2011
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