Wardruna
Interview mit Einar Selvik zu "Runaljod - Ragnarok"
Interview
WARDRUNA haben mit „Runaljod – Ragnarok“ ein packendes Album veröffentlicht, das den Kollegen Wischkowski sprachlos und ehrfürchtig zurückgelassen hat. Kein Wunder, ist es nicht nur ein Meisterwerk des Folk, sondern es enthält zudem beispielhaft expressive Musik, die theoretisch auch ohne Worte auskäme. Wir hatten die Möglichkeit, mit Bandkopf Einar Selvik über dieses Album, dessen Einordnung in den gesamten Zyklus und die Zukunft von WARDRUNA zu sprechen.
Hallo Einar Selvik, zunächst einmal: Gratulation zum neuen Album „Runaljod – Ragnarok“. Wie fühlst du dich dabei?
Ich bin sehr stolz, nicht nur auf das Album sondern auf den gesamten Zyklus. Es war eine Menge Arbeit und hat uns einiges abverlangt. Aber ich denke, dass es uns gelungen ist, die etablierten Werke gut fortzusetzen. Wir konnten den Fortschritt von Album zu Album erkennbar zu machen und unsere Musik auf die nächst höhere Ebene emporheben.
Es heißt ja, dass du viele deiner Instrumente selbst baust. Inwiefern spiegelt sich das in der Musik von WARDRUNA wider, abgesehen von den Klängen an sich?
Ja, ich habe in den Anfangstagen von WARDRUNA einige der Instrumente selbst gebaut. Für mich war es eine Frage der Hingabe. Es war viel Arbeit, ich habe Rückschläge und Erfolge gleichermaßen erlebt, aber es hatte diese erhebende Do-It-Yourself-Mentalität. Und ja, es passt auch irgendwie in unser Konzept hinein. Alles, was irgendeinen Wert hat, hat auch einen Preis. Wenn du etwas lernen möchtest, musst du dafür arbeiten. Ich bin nun mal jemand, der mit esoterischem Material arbeitet, der nach der Natur verschiedener Dinge sucht. Es geht um den Prozess des Lernens.
Gutes Stichwort: Ihr habt auch eine Reihe an Naturgeräuschen in eure Musik eingebaut. Wie habt ihr das angestellt?
Naja, wir sind einfach raus ins Freie gegangen. (lacht) Unsere moderne Welt ist voller Lärm. Um diesem Lärm zu entgehen, muss man schon weit raus in die Natur gehen. Es ist natürlich eine Herausforderung und kostet gewiss auch Überwindung. Vor allem kostet es Zeit. Aber das ist Teil der gesamten Erfahrung, die mit WARDRUNA zusammenhängt.
Und der Titel „Ragnarok“, steht er für das Ende der Trilogie?
Naja, das wird immer schnell angenommen, dass „Ragnarok“ für das Ende steht, aber es steht gleichermaßen für Ende und Anfang. Ich möchte die drei Alben als Kreislauf verstanden wissen. Es ist ein Zyklus ohne Anfang und Ende, den man endlos laufen lassen kann. (lacht) „Runaljod – Ragnarok“ knüpft an dem Punkt an, an dem in „Runaljod – Yggdrassil“ die Sonne verschlungen worden ist – Fragmente von diesem Moment sind sogar zu Beginn des Albums zu hören. Doch es geht hier nicht um Zerstörung, sondern um das, was sich aus der Asche erhebt, um das Leben. Das Leben ist auf diesem Album ein wiederkehrendes Thema, ebenso wie die Konzepte „Potential“ und „Bewegung“ in verschiedenen Formen thematisiert werden und sich in den besungenen Runen wiederfinden.
Ich würde an dieser Stelle vorschlagen, dass wir die Trackliste einfach mal durchgehen, angefangen bei „Tyr“. Der Song klingt so wie eine Armee, die in den Krieg zieht, einerseits voller Antizipation, allerdings auch voller Ungewissheit.
Ja, tatsächlich thematisiert der Song die destruktive Natur von Ragnarok wie auch den Krieg. Er bezieht sich auch auf Mut und Aufopferung. Das Wort „Tyr“ selbst bedeutet nur „Gott“, wird aber oft mit einer antiken, einarmigen Gottheit gleichgesetzt, die über den Tempel regiert. Wir fanden den Beginn mit den tiefen Blasinstrumenten passend.
Der nächste Song wäre „UruR“, was wohl Ochse, genauer: Auerochse bedeutet. Dazu die stoische Natur des Songs und wie er geradezu monoton vor sich hin zu stampfen und schnauben scheint, erweckt tatsächlich das Bild eines auf dem Feld arbeitenden Ochsen.
Der antike Auerochse ist bereits ausgestorben. Das Schnauben, das du im Song hörst, haben wir von einem europäischen Bison gesamplet. Damit kamen wir dem Auerochsen noch am nächsten. Was den Song selbst angeht, so erinnert dieser Tatsächlich an die monotone Arbeit auf dem Feld. Ich wollte eine Art Zeitreise unternehmen in diese simplere Zeit, was sich auch in der Zeile „In memory I travelled“ widerspiegelt.
Das nächste wäre „Isa“, was für Eis steht.
Genau, das Eis repräsentiert den Stillstand. Es repräsentiert aber auch das Potential. Es kann Dinge enthalten. Im Bezug auf den Mythos kann da denn gefrorenen Samen hineininterpretieren, der zu tauen beginnt.
Die beiden „Mannar“-Songs drehen sich demnach um den titelgebenden Menschen, oder?
Richtig, genauer handeln sie von zwei als wurzellose Baumstämme dargestellten Menschen, die in „Mannar – Drivande“ zunächst noch ziellos umherirren, in „Mannar – Liv“ jedoch zum Leben erweckt werden und eine Seele erhalten.
Mit „Raido“ beschreibst du das Reiten auf einem Pferd. Was hat es damit genau auf sich?
Das Pferd steht für das Reisen an sich, das sich in vielen verschiedenen Formen äußern kann. Wieder steckt das Konzept des Potentials hier drin, dazu kommt das Gefühl von Freiheit. Es geht aber auch um das Verhältnis zwischen Pferd und Mensch, das Geben und Nehmen zwischen beiden. Das Pferd bietet Komfort für die Rastlosen. Es ist für den Reiter entspannend, während das Pferd die harte Arbeit verrichtet. Gleichzeitig muss der Reiter Verantwortung für sein Reittier übernehmen. Ein Geben und Nehmen eben.
Für „Pertho“ habe ich nichts eindeutiges gefunden. Dazu wird im Lied aber ein Gelage besungen. Was hat es damit auf sich?
Tatsächlich ist „Pertho“ eine der obskureren Runen, über die wir nur wenig wissen. Es gibt ein kurzes Gedicht, das überliefert ist, aber das ist sehr vage gehalten. Und wir wollen ja auch nichts unsinniges erfinden. Es gibt viele Theorien dazu, aber keine davon ist wirklich einschlägig. Im Gedicht ist die Rede von Ausgelassenheit, von Kriegern, die fröhlich in einer Festhalle feiern. Es gibt viele Interpretationen. Wir versuchen, das wiederzugeben, die Festhalle als diesen Mikrokosmos dazustellen, in dem alles einen symbolischen Wert hat, von den im Song erwähnten Zwergen hin zur Halle selbst.
Machen wir mal bei „Odal“ weiter, was so viel wie Erbe bedeutet.
Hier diente uns der Baum als Gleichnis für besagtes Erbe. Ich finde, dass es ein einschlägiger Vergleich ist: Die Wurzeln, die Zweige, die Sprösslinge, das alles kann man auf das Bild einer Familie übertragen. Das haben wir genutzt, um die Rune zu beschreiben. Dazu habe ich auch meine eigene Familie mit eingebunden. Meine Kinder sind im Lied zu hören. Das ist quasi Teil des Konzeptes „Familie“, um das es letztlich im Song geht.
Und „Wunjo“, die Freude?
Ja, hier haben wir versucht, Freude zu vertonen. Der Gedanke dahinter war, dass kaum ein Mensch Emotionen wie eben Freude in so purer Form ausdrücken kann, wie Kinder. Daher haben wir hier einen Kinderchor eingesetzt. Gleichzeitig soll der Song auch die Morgendämmerung darstellen, womit wir wieder bei den zwei Bedeutungen von „Ragnarok“ wären. Hier in diesem Falle geht es ganz konkret um das Leben, das sich aus der Asche erhebt, dargestellt durch die Kinder.
Zu guter letzt kommt quasi der Titeltrack, „Runaljod“. Ich nehme an, dass er als Zusammenfassung des gesamten Zyklus‘ dient, oder?
Ja, „Runaljod“ dient als Zusammenfassung der Konzeption. Wir haben tatsächlich schon eine ganze Weile daran geschliffen, einen Song über die 16 Runen zu machen. Es handelt sich um ein Gedicht mit runischen Rätseln, die weniger zur „Wahrheit“ führen, als dass sie nur weitere Fragen aufwerfen. Es ist sehr belebend, sich damit zu befassen, denn durch die Suche nach Antworten lernt man einfach sehr viel.
Wie kann man sich das alles live vorstellen?
Konzerte sind eigentlich immer etwas ganz anderes als eine Studioaufnahme, obwohl die gespielten Songs die gleichen sind. Bei einer Performance geht es um Kommunikation, zumal du kaum zwei mal das gleiche Publikum vor dir haben wirst. Das Ziel von WARDRUNA ist es, ein Gefühl für die Natur zu schaffen, unser Verhältnis zur Natur zu transportieren und daran zu erinnern, dass wir alle Teil der Natur sind, Teil von etwas, das uns verbindet. Wir wollen einen wertvollen Moment schaffen, der allen Beteiligten von Bedeutung ist. WARDRUNA spielt schließlich keinen Rock ’n Roll. (lacht) Unsere Konzerte laufen nicht nach einem Schema ab und sollen auch nicht in Gewohnheiten ausarten. Außerdem möchte keiner von uns von unserer Musik gelangweilt werden, ein Grund, warum wir so selten auf Tour kommen. Wir möchten die Erfahrung eines WARDRUNA-Konzertes so frisch und wertvoll wie möglich halten.
Ist das Ende dieser Zyklus‘ auch als Ende von WARDRUNA zu verstehen?
Nein, definitiv nicht. Das ist nicht das Ende von WARDRUNA. Es gibt immer noch vieles, was ich mit diesem Projekt tun möchte. Die Erschaffung des Zyklus‘ war eine große Ambition. Aber wir wollten ihn fertig stellen, bevor wir uns an etwas Neues heranwagen. So gesehen ist der Zyklus eher als Anfang von etwas Großem zu verstehen. Denn in diesem Projekt steckt so viel mehr. Wir möchten einfach alles aus WARDRUNA herausholen.
Dann bedanke ich mich für die ausführlichen Antworten. Gibt es etwas, was du unseren Lesern noch mitteilen möchtest?
Danke auch für das Gespräch. Wir hoffen, dass wir in Zukunft mehr Konzerte in Deutschland spielen werden.