Negativvm
Interview mit T. Maximilian zu "Tronie"

Interview

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NEGATIVVM haben mit „Tronie“ ein vielversprechendes Debütalbum hingelegt. Wir sprachen mit T. Maximilian (Bass, Vocals) über das Album, die Band und warum es das Album für lau auf der Homepage zum Download gibt.

Ich fange mal ganz langweilig an, da ihr wohl den wenigsten bekannt sein dürftet, stell doch NEGATIVVM bitte mal kurz vor.

Hallo Jan! Langweilig ist in Ordnung, ich denke wir können in diesem Fall von einer Vorstellung unsererseits nur profitieren. Auch wenn die bisherige Bandhistorie nicht unbedingt von Skandalen geprägt ist, hehe. Nach der Auflösung meiner letzten Bands habe ich mich musikalisch unausgelastet gefühlt und begonnen, mich intensiver mit dem Gitarrespielen auseinander zu setzen. Das Ergebnis waren fürchterliche Demo-Versionen der Stücke, die jetzt auf „Tronie“ zu hören sind. Da ich mit dem Material zwar zufrieden war, die Umsetzung aber eingedenk meiner eher mittelmäßigen Fähigkeiten unzulänglich ausfallen musste, habe ich mit der halbfertigen Platte im Gepäck meine langjährigen Freunde Willem von Kaysersberg für den Posten des Schlagzeugers, Heiland von der Aue und Täufer für die Gitarren gewinnen können. Wir probten das Material, schrieben die Stücke zu Ende und gaben uns schließlich den Namen NEGATIVVM. 

“Tronie” ist euer Debütalbum, aber ganz untätig wart ihr ja in der Vergangenheit nicht. Du z.B. hast bei STENCH OF STYX mitgewirkt und auch auf dem FLUORYNE-Debüt einen wichtigen Part innegehabt. Kannst du einen kurzen Abriss geben, wer von euch in welcher Band ist? Und warum hast du z.B. ein anderes Pseudonym gewählt?

Sowohl ich als auch Willem waren Gründungsmitglieder von STENCH OF STYX. Täufer spielte im letzten Jahr der Band erst Gitarre und später auch Bass, NEGATIVVM ist also nicht unsere erste gemeinsame Band. Heiland ist schon seit vielen Jahren Gitarrist in der hervorragenden Doom-Kapelle DUST und tritt auch bei deren Sideproject mit SHEVERs Gitarristin Jessica, EARTH TO GROUND, in Erscheinung. Auch mit meinem Gastauftritt auf FLUORYNEs „Dämmerung“ liegst du richtig. Für meine Vocals auf seiner Platte hat sich Falk übrigens mit den Ambient-Passagen auf „Tronie“ revanchiert. Daneben singe ich zur Zeit noch bei WILT (Death Metal) und spiele Bass für eine D-Beat/Sludge-Band namens THRAWN sowie für VYRE, die neue Band der ehemaligen EïS-Leute. Täufer unterhält neben NEGATIVVM noch sein Soloprojekt FADING.

Das mit den Pseudonymen hat sich einfach so ergeben. Ich denke, ein bewusster Bruch mit unserer letzten Band war schon in unserem Sinn, auch wenn es nicht direkt die Motivation für unsere Namensgebung war. Das kam alles ganz natürlich und ohne groß darüber nachzudenken. Wir haben uns dabei auch um ein einigermaßen homogenes Bild bemüht: So sind es genau genommen keine Pseudonyme, sondern Abwandlungen unserer wirklichen Namen.

Sicher ist die Idee, ein Album kostenlos ins Netz zu stellen, nichts neues, aber doch eher ungewöhnlich. Ihr habt dazu zwar ein Statement auf der Seite stehen, aber erkläre doch bitte, warum ihr darauf verzichtet, Geld für euer Schaffen zu nehmen, zumal ihr ja auch einiges investiert habt, oder? Zum anderen, ich fände es sehr schade, “Tronie” nie als Tonträger in den Händen zu halten, ich stehe definitiv eher auf physisches als digitales. Gibt es da Hoffnung?

In erster Linie haben wir Zeit und Leidenschaft investiert. Beides kann man nicht in Geld aufwiegen. Wir lieben, was wir tun, und wir stehen hinter der Band und der Musik und genießen die gemeinsamen Proben und Konzerte. Wir verwirklichen einen Teil von uns in NEGATIVVM. Wenn Finanzscheiße anfängt, in diese Leidenschaft einzugreifen, werden die Dinge im schlimmsten Fall auf Buchhaltung reduziert. Und wie realistisch ist es schon, mit einer Black-Metal-Band genügend Geld verdienen zu können, um sein Lohnarbeitsverhältnis hinter sich lassen zu können?

Außerdem wäre alles andere, als die Platte kostenlos ins Netz zu stellen, einfach blöd gewesen. Alternativ hätten wir zwei Möglichkeiten gehabt: Promomaterial an Labels zu schicken und zu hoffen, irgendwo Gehör zu finden, oder selbständig ein Demo pressen zu lassen. Ersteres wäre vergebene Liebesmüh gewesen. Das muss jeder einsehen, der sich auch nur ein paar Jahre im Business bewegt. Ohne Reputation werden die meisten Labels dein Zeug nicht mal anhören. Die zweite Möglichkeit wäre schlicht unökonomisch gewesen. Damit es einigermaßen bezahlbar geworden wäre, hätten wir eine Auflage produzieren lassen müssen, die wir niemals losgeworden wären. Da spreche ich aus Erfahrung.

Es waren zwar diese praktischen Überlegungen, die uns zu dieser Art der Veröffentlichung bewogen haben, aber es ist letzten Endes das einzig Vernünftige, was man als neue Band machen kann. Das Internet bietet Verbreitungsmöglichkeiten, von denen Bands in den 80ern und 90ern nicht mal geträumt hätten! Was haben wir schon zu verlieren? Alles, was wir als Band zu diesem Zeitpunkt realistischerweise erreichen können, ist, dass viele Menschen die Möglichkeit bekommen, unsere Musik zu hören. Das ist heute für NEGATIVVM nicht anders, als es ’86 für MORBID ANGEL war.

Ein physischer Tonträger würde uns wirklich große Freude machen. Da wir auch begeisterte Plattensammler sind, können wir nachvollziehen, dass Menschen mp3-only-Veröffentlichungen unbefriedigend finden. Gleichsam sind wir alle Studenten und Heiland der einzige, der daneben auch noch einer Festanstellung nachgeht. Insofern können wir selbst die Mittel für Produktion, Promotion und Vertrieb nicht aufbringen, die nötig wären, um nicht ohne Ende Verlust zu machen. Sollte sich allerdings ein Label finden, um „Tronie“ physikalisch herauszubringen, werden wir nicht nein sagen.

Nun aber wirklich mal zur Musik. Ich war überrascht, wie roh euer Sound ist, ohne dass man euch als wirklich old school charakterisieren kann. Wie würdest du “Tronie” einordnen? Mir fiele da zum einen der Vergleich zu EIS zu “Patina”-Zeiten ein, zum anderen erinnert das Riffing in “Chöre Aus Gold” an BERGRAVEN.

Den EïS-Vergleich höre ich nicht zum ersten Mal, kann ihn aber nur bedingt nachvollziehen. Wir kommen zwar aus derselben Stadt, sind befreundet, und ich würde mich durchaus als Fan bezeichnen, aber musikalische Ähnlichkeiten sehe ich nur ganz bedingt. Wie du schon sagst, wir sind ungleich roher und handwerklich weniger kopflastig. Mit BERGRAVEN habe ich mich nur ganz rudimentär beschäftigt, deswegen kann ich den Wahrheitsgehalt deiner Einschätzung nicht zuverlässig bestimmen.

Das Rohmaterial ist, wie es ist, weil ich mir autodidaktisch das Gitarrespielen auf diese Weise beigebracht habe. Ich könnte z.B. keine Death-Metal-Songs an der Gitarre schreiben. Alles, was über die Grundstruktur der Songs hinausgeht, ist Arbeit von Heiland und Täufer, die eigentlich für jeden Moment auf „Tronie“ verantwortlich sind, der mir wirklich Schauer über den Rücken jagt. NEGATIVVM ist das Ergebnis des Zusammenspiels von Musikern mit unterschiedlichen Herangehensweisen und Hintergründen und klingt deswegen so, wie wir klingen. Das ist die einzige Parallele zu EïS, die ich guten Gewissens mitgehen würde.

Ihr arbeitet auch mit ziemlich vielen Zitaten. Woher stammen sie, wie passen sie in das lyrische Konzept – bzw. existiert überhaupt ein Konzept?

Das einzige Zitat, das wir selbst auf „Tronie“ eingebracht haben, ist das Sample im Mittelteil von „Chöre aus Gold“. Alles andere ist Teil der Ambient-Rahmung der Songs durch Falk. Wir haben das Material um Ostern 2011 herum aufgenommen. Zuvor hatte ich ihn gebeten, die entstehende Platte mit seiner Arbeit zu bereichern. Zu hören sind Versatzstücke einer Ostermesse, die im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen ausgestrahlt, aufgezeichnet und in das Ambiente eingearbeitet wurde. Ich finde, das Ergebnis passt sowohl konzeptuelle als auch musikalisch sehr gut zum Metal-Material. Die ganze „inhaltliche“ Ebene von „Tronie“ ist aber auch für mich so vage und abstrakt, dass ich mich dazu gar nicht konkret äußern kann und möchte. Ich denke, die Atmosphäre ist stimmig genug, damit sich jeder seine eigenen Vorstellungen vom Zusammenspiel der einzelnen Elemente machen kann!

 

Der Sound ist ziemlich gelungen, wie ich finde. Laut eurer Bandpage hattet ihr die Möglichkeit, in einem Studio aufzunehmen. Wo war das, und kannst du noch etwas mehr zu der Entstehung von “Tronie” erzählen?

Ungefähr als wir planten, die fertigen Stücke aufzunehmen, erzählte mir KG Cypher (VYRE, LOST WORLD ORDER, Ex-EIS), dass er gerade im Begriff sei, sein eigenes Tonstudio einzurichten und uns gerne als erste Band dort aufnehmen würde. Zu so einer Möglichkeit konnten wir unmöglich nein sagen, zumal wir durchaus wussten, auf welchem Niveau Cypher arbeitet. Ein paar Monate später kamen wir also zusammen und bannten den Löwenanteil von „Tronie“ in Rekordzeit auf seine Festplatte. In wenigen Stunden waren Drums, eine Gitarre, Bass und Gesang im Kasten. Leider ergaben sich in den Monaten darauf einige Schwierigkeiten hinsichtlich der Absprache von Terminen, sodass wir das Album erst vor wenigen Wochen, ein halbes Jahr später also, fertigstellen konnten. Um so erleichterter waren wir natürlich, als wir das endlich hinter uns lassen konnten, um den Blick nach vorn zu richten.

Am schönsten war es für mich allerdings zu sehen, wie gut wir zusammen im Studio arbeiten konnten. Unglaublich viele Ideen sind erst am Aufnahmetag entstanden und haben dann doch noch ihren Weg ins Material gefunden. Am zweiten Aufnahmetag kam Heiland kurz mit seinem Sohn im Studio vorbei und sang spontan den Chor in „Lingchi“. Während des Mixes am letzten Tag spielte Täufer die Leadgitarre am Ende des Stücks ein, die ihm fünf Minuten zuvor eingefallen war. Das zeigt mir, was bei kommenden Stücken möglich sein wird, die ich nicht mehr allein schreibe, sondern bei denen wir zusammen eben diese kreative Energie nutzen können.

In einem weiteren Statement auf eurer Homepage distanziert ihr euch aufs schärfste von Rassismus und Sexismus, gleichzeitig bedauert ihr aber die Notwendigkeit eines solchen Statement. Es steht ja außer Frage, dass es solche Bands gibt, sicher auch nicht wenige. Aber glaubst du, NEGATIVVM wäre von jemandem dort eingeordnet worden bzw. gab es etwas Konkretes, weshalb ihr euch für das Statement entschieden habt?

Es kotzt mich einfach unglaublich an zu sehen, wie beschissen Teile der Szene drauf sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jemals in Verdacht geraten wären, auch nur in der Grauzone zu stehen, aber mir war es wichtig,im Vorfeld explizit klar zu machen, dass wir für Menschen mit entsprechenden Ansichten nicht hörbar sind. Wir wollen nicht, dass sie unsere Musik hören, wir wollen nicht, dass sie unsere Shirts tragen, und wir wollen sie nicht auf unseren Konzerten.

Ihr habt ja bereits Liveauftritte absolviert. Da ihr sicher alle Erfahrung darin habt, es aber dennoch etwas Neues ist, wie war das Gefühl, mit NEGATIVVM auf der Bühne zu stehen, und wie war euer Eindruck von der Livequalität eurer neuen Band?

Als Musiker sieht man sich ja immer übertrieben kritisch, deswegen sollen das andere beurteilen, die VOR der Bühne stehen. Vor allem aus technischer Sicht bin ich eigentlich nie so richtig zufrieden, habe aber bisher trotzdem nicht das Gefühl gehabt, dass wir Konzertbesuchern einen schlechten Gig geboten hätten. Da kommen ja noch viel mehr Teile zusammen, die dann den Gesamteindruck ausmachen. Als Zuschauer hat man, glaube ich, schnell ein Gespür dafür, wer ernsthaft hinter seiner Musik steht und wer nur Show macht.

Dann bleibt mir nur noch die Frage, wie es weitergehen wird. “Tronie” ist frisch draußen, aber macht ihr euch schon Gedanken über die Zukunft von NEGATIVVM oder genießt ihr den Augenblick? Wird es weitere Alben geben, sind Livedates schon geplant oder lasst ihr das auch erst mal auf euch zukommen?

Wir genießen im Augenblick, dass wir uns nach dem langwierigen und belastenden Entstehungsprozess des Albums endlich Gedanken um unsere Zukunft machen können. Wir schreiben gerade vielversprechende neue Stücke und versuchen, so viele Konzerte an Land zu ziehen wie möglich. Wir möchten zusammen Musik schreiben und sie live spielen. Ich glaube für alle anderen Bandmitglieder sprechen zu können, wenn ich sage, dass es das ist, worum es uns geht: Zusammen Musik machen und sich auf einer geteilten Basis selbst zu verwirklichen.

Nun denn, kommen wir zum Ende. Ich danke dir recht herzlich für das Interview und hoffe, noch mehr von NEGATIVVM zu hören. Die letzten Worte überlasse ich definitiv dir.

Dank auch an dich und Metal.de für das Interview!

12.12.2011

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