Nefastus Dies
Nefastus Dies
Interview
NEFASTUS DIES sind einer der momentan spannendsten BM-Exporte aus Quebec. Nur dass seltsamerweise das großartige Debüt "Urban Cancer" nicht nach Europa exportiert wird. Warum das so ist, versucht Schreihals Sebastian im Interview zu erklären. Unter anderem.
Ich selbst bin der Band erst 2005 beigetreten, aber die Anderen haben schon seit 2002 rumgejammt und ab und zu auch live gespielt. Anfangs ging es dabei bloß um den Spaß an der Freude, und dabei ist haufenweise Material entstanden. Aber ein musikalisches Konzept gab es eben nicht, weshalb die alten Sachen ein wildes Sammelsurium aus allen möglichen Ideen sind. Als Max (a.k.a. Scythrawl, Schlagzeug. -Ed.) und ich in die Band kamen, haben wir uns entschieden, NEFASTUS DIES etwas ernster zu betreiben und auf ein höheres Niveau zu bringen.
Wenn ich recht informiert bin, wurde „Urban Cancer“ bereits 2006 aufgenommen. Warum hat die Veröffentlichung so lange auf sich warten lassen? Wie seid Ihr im übrigen an Siege Of Amida Records geraten? Und wie passt Ihr zu deren anderen Bands? Da gibt’s ja ansonsten kaum BM, meinst Du, SOAR können Euer Zielpublikum erreichen?
Wir hatten ursprünglich bei einem nutzlosen Label unterschrieben, das eine Nennung an dieser Stelle nicht verdient. 2006 wurde dann das Album aufgenommen, um über diesen Verein veröffentlicht zu werden. Wir merkten jedoch schnell, dass jene Firma nicht die Möglichkeiten haben würde, uns angemessen zu unterstützen. Deswegen haben wir den Vertrag aufgelöst, alle Kopien der CD aufgekauft und uns auf die Suche nach einem neuen Partner gemacht, während wir die CD bei Gigs unters Volk brachten. Ein Promopaket ging auch an Candlelight Records, die der Meinung waren, wir würden gut zu SOAR passen, einem britischen Label, mit dem sie eng zusammenarbeiten. So landete unser Material also bei Siege Of Amida, die uns kurze Zeit später einen Vertrag anboten. Bei SOAR gibt es Bands aus verschiedenen Genres, was für uns nur von Vorteil ist. So hat der Hörer zumindest keine vorgefasste Meinung davon, wie wir klingen SOLLTEN und geht unsere Musik offener an. Wir sind der Meinung, dass in unsere Zielgruppe jeder gehört, der offen ist und etwas für brutale Musik übrig hat, nicht unbedingt nur BM-Hörer.
Da es für mich lächerlich kompliziert war, Eure CD käuflich zu erwerben, möchte ich noch ein bisschen über Euer Label sprechen. Nachdem Ihr bei SOAR unterzeichnet hattet, durftet Ihr die CD bis zur offiziellen Veröffentlichung nicht mehr verkaufen, das kann ich noch nachvollziehen. Danach wird es jedoch undurchsichtig. Wie es aussieht, habt Ihr keinerlei Vertrieb in Europa. Warum nicht? Zusätzlich ist Euer amerikanischer Vertrieb nicht willig, Eure CD nach Europa zu verticken, noch nicht mal einzelne Exemplare an Privatkunden. Im SOAR-Webshop gibt’s die CD auch nicht. Die Situation lässt sich also so zusammenfassen, dass es für Europäer das Album nicht von der Band, nicht vom Label und auch nicht vom einzigen Vertrieb gibt. Das will mir nicht in den Kopf. Sollte ein Label nicht daran interessiert sein, CDs zu verkaufen? Kannst Du dieses ganze Chaos etwas ordnen?
All dies geht noch auf die Schwierigkeiten mit unserem ursprünglichen Label zurück. Als wir alle CDs aufkauften, hat dieser Bastard ungefähr 100 Stück behalten, und diese an verschiedene Distros und Läden verkauft, de facto also das Album geleakt. Da das Kind nun schon in den Brunnen gefallen war, haben auch wir angefangen, die CD zu verbreiten. Auf diese Weise waren dann schon ein paar hundert Kopien des Albums in Umlauf, als wir bei SOAR unterschrieben. Deshalb haben SOAR entschieden, das Album nicht in Europa zu veröffentlichen. Stattdessen haben sie mit uns und Candlelight USA einen Deal vereinbart, um das Album in Amerika rauszubringen. Deshalb gibt’s die Scheibe in Europa nicht, und sie wird auch nicht im SOAR-Webshop vertrieben. Auf Bitte von Candlelight haben wir auch aufgehört, die CD übers Netz zu verticken, um ihnen keine Verkäufe „wegzunehmen“, denn das Onlinegeschäft ist für sie ziemlich wichtig. Auf unseren Shows kann man die CD weiterhin kaufen. (Kompliziert. Allerdings weiß ich jetzt immer noch nicht, warum Candlelight USA mir keine CD verkaufen wollte. -Ed.)
Von diesem ganzen Hickhack abgesehen: Wie zufrieden seid Ihr mit Siege Of Amida? Ihr tourt ja mit ziemlich großen Namen, hat SOAR vielleicht dabei geholfen?
Nein, alle Touren bisher habe ich für uns organisiert. Aufgrund unserer komplizierten Situation und weil wir bei SOAR noch nicht wirklich ein Album veröffentlicht haben, haben wir noch keine Shows oder Touren über sie gebucht. Wir freuen uns aber darauf, mit SOAR-Bands auf Tour zu gehen, denn da gibt’s ein paar gute Truppen mit viel Liveerfahrung.
Dass Ihr mit NORTHER tourt, finde ich durchaus überraschend, die sind ja doch deutlich easy-listening-orientierter als NEFASTUS DIES. Was versprecht Ihr Euch von dieser Tour? Wie wichtig ist es generell für Euch, auf der Bühne zu stehen?
NORTHER zieht ein viel jüngeres Publikum als die Bands, mit denen wir normalerweise spielen. Für uns ist das nur gut, denn in „all age venues“ kommen wir eigentlich immer gut an. Die Kids gehen meist besser ab, es gibt mehr Moshing, das Publikum ist viel aktiver. Live zu spielen, ist für uns extrem wichtig, denn erst live kann man ein Gefühl für die Band entwickeln und besser verstehen, was wir rüberbringen wollen. Wir sind stolz darauf, so energetisch wie nur menschenmöglich aufzutreten, ohne dabei auf die üblichen BM-Gimmicks zurückzugreifen.
Jetzt können wir – endlich! – zum Album an sich kommen. Auf Eurer Seite kann man nachlesen, dass nach Scythrawls Beitritt zur Band „Most songs were butchered then restructured in a more vicious and agressive overall manner. The concept was also rebuilt from scratch.“ Was genau hat diese Entwicklung ausgelöst? Lag es einfach daran, dass seine Fähigkeiten als Schlagzeuger Euch neue Möglichkeiten eröffneten? Oder hattet Ihr sowieso die Schnauze voll von Eurem alten Kram, und der Personalwechsel war dann bloß der sprichwörtliche letzte Tropfen?
Die Neuorientierung der Band war bereits in vollem Gange, bevor Max/Scythrawl zu NEFASTUS DIES stieß. Zwei der Stücke auf dem Album wurden sogar noch mit Tommy komponiert, unserem alten Drummer, der jetzt bei NEURAXIS lärmt. Max‘ sehr typischer Stil und sein Einfluss haben schlicht die Entwicklung der Band vorangetrieben, genauso wie mein Einstieg. Einige Dinge haben sich sofort geändert, andere (Verzicht auf Schminke und Pseudonyme) erst im Laufe der Zeit, als wir uns unsere neue Ausrichtung konsequenter durchgezogen haben.
Ich persönlich finde ja Eure Version von Black Metal ziemlich originell. Wo siehst Du Eure Einflüsse? Warum klingen NEFASTUS DIES, wie sie klingen; was inspiriert Euch?
Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir uns keine Grenzen aufzwingen lassen, was wir als Einflüsse vewenden. Wenn man einige unserer Riffs mal auseinandernimmt (und dabei ganz bewusst das Drumming überhört), findet man Einflüsse von Bands wie KATATONIA oder GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR, sogar ein bisschen SUFFOCATION und natürlich typischere Sachen wie MAYHEM. Wir achten halt nur darauf, dass alles so dynamisch und brutal wie möglich bleibt.
Die Texte zu „Urban Cancer“ sind ein ganzes Stück von den üblichen BM-Thematiken entfernt. Gibt es da irgendein Konzept, dem Eure Lyrics folgen? Was erwartest Du, wie das BM-Publikum derlei aufnimmt (nicht dass mich dergleichen stören würde; es gibt sicher genug Bands, die sich mit verschneiten Winterwäldern und Satan beschäftigen)?
Wir haben kein Konzept an sich, aber wir wollten stets alles „Mystische“ oder Satanische vermeiden. Wir widmen uns lieber dem Scheiß, mit dem wir tagaus, tagein konfrontiert werden, anstatt uns in eine Fantasiewelt voller heidnischer Wikinger und satanischer Trolle zu flüchten. Wir bieten keine Lösungen an, sind also ganz sicher keine politische Band. Wir sind schlicht „a bunch of pissed off guys“, die darauf aufmerksam machen, was mit dem Leben an sich nicht stimmt. NEFASTUS DIES ist für uns einfach eine Möglichkeit, ordentlich Druck abzulassen. Wir sind ganz und gar nicht religiös, und in Quebec hat das Christentum sowieso wenig bis keinen Einfluss auf unser tägliches Leben, deshalb finden wir es gar nicht notwendig, es zu attackieren. Das wäre letztendlich, als ob man auf einen zurückgebliebenen Krüppel einschlägt. Es mag ganz unterhaltsam klingen, aber erreichen wird man dadurch nichts.
Ich habe auch irgendwo gelesen, dass Ihr in Zukunft die Keyboards ganz über Board werft. Was erwartet uns da? UNQUINTESSENCE 2.0? Ich hoffe doch sehr, dass Ihr mit den Keyboards nicht auch gleich alle Melodien entsorgt.
Es war für uns immer schwer, die Keyboards in unserer Musik unterzubringen, und oft fragten wir uns beim Komponieren tatsächlich: „Und wo zum Teufel quetschen wir jetzt noch ein paar Keys dazwischen?“ Wir haben sowieso immer die Stücke komplett für die Gitarre geschrieben, bevor es an die Keyboards ging, deshalb ist dieser Schritt kein besonderer Einschnitt. Obwohl wir das zweite Album brutaler gestalten wollen (gleichzeitig haben wir uns auf kürzere Songs konzentriert, alles unter fünf Minuten), wird es dennoch reichlich Melodie bieten. Unser Ziel ist immer noch, dass die Leute nach dem Hören unseres Album eines unserer Riffs im Kopf haben, bis es sie in den Wahnsinn treibt. Auf dem nächsten Album werden wir diese Melodien halt einfach noch schneller und unbarmherziger in Eure Schädel hämmern.
Wie sieht es überhaupt mit einem neuen Album aus? Wenn man bedenkt, dass „U.C.“ schon zwei Jahre auf dem Buckel hat, dann hattet Ihr doch jede Menge Zeit, an neuem Material zu arbeiten. Ist das Studio schon gebucht? Habt Ihr eventuell schon ein ungefähres Veröffentlichungsdatum im Visier?
Es gibt vier neue Stücke, die wir auch schon live gespielt haben. Der Rest des Albums ist zumindest in Sachen Riffs fertig, wir müssen das Ganze nur noch ordentlich arrangieren. Studio Badass (u.a. NEURAXIS und THE LAST FELONY) haben wir für Februar gebucht. Wenn alles klappt, kommt die Scheibe dann im Juni oder Juli 2009 raus, also so ziemlich genau ein Jahr nach „Urban Cancer“.
Da Ihr aus Quebec seid, muss ich natürlich meine Standardfrage zum Thema an den Mann bringen: Woran liegt es, dass aus Quebec soviel guter (Black) Metal kommt? Und warum ist die Szene in Quebec so isoliert vom Rest von Kanada?
Ich denke, dass Quebec (und ganz besonders Montreal) einfach ein bisschen seiner Zeit voraus war, wenn es ums Vermischen verschiedener Stile geht. Mir kommt es so vor, als ob die Leute hier sich früher für nichtmetallische Einflüsse geöffnet haben als anderswo. Deshalb haben wir etwa den Deathcore-Trend mit Bands wie DESPISED ICON oder ION DISSONANCE angeführt (Eigenlob stinkt, haha. -Ed.). Wenn wir damals mit Metalshirts zu Hardcoreshows gegangen sind, hat es regelmäßig Zoff gegeben. Wir waren die ersten, die sagten: Pfeif auf die Limitierungen, die gewisse Leute unserer Musik aufgezwungen haben.
Zum Abschluss vielen Dank für Deine Zeit und noch eine kleine Bitte: Verrate doch unseren Lesern, wo sie „Urban Cancer“ erstehen können. Das wäre zu nett.
Wir bemühen uns um einen Deal, um die CD in Europa zumindest zu vertreiben (womit dann auch die Kooperationsunwilligkeit von Candlelight USA erklärt wäre. -Ed.), haltet also einfach die Augen offen. Wenn das nichts wird, wollen SOAR Album Nummer zwei (vorläufig „Failed Suicide Attempt“ betitelt) als Doppel-CD rausbringen, mit „U.C.“ als Bonus. Auf jeden Fall wird die Scheibe also spätestens nächstes Jahr erhältlich sein. (Was natürlich etwas zu spät ist. Weniger Geduldige sollten sich das Teil schlicht bei irgendwelchen Vertrieben in Übersee besorgen. Beim momentanen Dollarkurs selbst mit Portokosten sehr günstig. Einfach mal ein bisschen googlen. -Ed.)