Nebelkrähe
Interview zu "Lebensweisen"
Interview
„Lebensweisen“ heißt das zweite Album der Münchner NEBELKRÄHEn – waren die Aussichten auf eine Label-Veröffentlichung noch im Herbst letzten Jahres eigenen Angaben zufolge eher mau, ist der Fünfer in der Zwischenzeit bei Mighty Music untergekommen und kann auf diese Weise sein progressives Schwarzmetall auch einem größeren Publikum präsentieren. Anlass genug, um erneut das Gespräch mit Gitarrist Morg zu suchen, der einige Einblicke in die Lebensweisen seiner Band gab:
Grüß dich, Morg. Sooo lange ist es ja jetzt noch nicht her, dass wir beide das Vergnügen hatten – ihr hattet gerade eure Single „Der Flaneur“ in Eigenregie veröffentlicht und du hast ausdrücklich bezweifelt, dass euch die Single in der Labelfrage weiterbringt. Nun habt ihr mit Mighty Music aber doch ein Label im Rücken – erzähl doch mal, wie diese Zusammenarbeit zustande gekommen ist:
Hallo Falk! So lange ist es nicht her, in der Tat. Aber um ehrlich zu sein: Mit der Single hat der Vertragsschluss mit Mighty Music wirklich nichts zu tun gehabt – ich glaube, die wussten nicht einmal, dass es die Single gibt. Im Endeffekt war es einfach die Penetranz, die wir beim Thema Bewerbungen an den Tag gelegt haben, die am Ende zum Erfolg geführt hat – ich sage nur: Viel hilft viel. Irgendwann kam dann eben doch ein Angebot, das uns unter den gegebenen Umständen als gut genug erschien, einen Vertrag zu unterschreiben…
Dann lass uns mal auf das Album eingehen: Die Musik von „Lebensweisen“ steht ja schon länger – über welchen Zeitraum ist das Material denn entstanden?
Ja, du hast recht – für uns sind die Songs wirklich schon fast „olle Kamellen“, wie man in Norddeutschland so schön sagt. Nachdem sich schon der Aufnahmeprozess zu unserem Debüt „entfremdet“ relativ lange hingezogen hatte, waren zur Veröffentlichung dieses Albums 2009 bereits ein paar der Songs fertig, die jetzt auf „Lebensweisen“ zu hören sind – und auch der Rest war relativ bald geschrieben. Gezogen hat sich eigentlich erst der Aufnahmeprozess in nächtlichen Recording-Sessions, die problematische Soundfindungsphase mit mehreren Mix- und Master-Versionen sowie zuletzt eben die Labelsuche.
Wie läuft denn bei den NEBELKRÄHEn das Songwriting? Bei derart sperriger Musik kann ich mir kaum vorstellen, dass irgendetwas davon das Resultat von Jam-Session ist…
Nein, so etwas Jam-Sessions gibt es bei uns in der Tat nicht. Im Endeffekt ist ein NEBELKRÄHE-Song vom Grundgerüst her komplette Einzelarbeit. Ich persönlich bin auch eher der Perfektionist, der nächtelang alleine an einem Riff bastelt, als der spontane Typ, der sich in den Proberaum stellt und drauf los spielt – was im Endeffekt vermutlich auch zu einem ganz anderen Ergebnis führen würde als das bei uns der Fall ist: Unsere Songs sind von Grund auf durchstrukturiert, meist kommt sehr früh im Songwriting-Prozess der Text ins Spiel, der dann auch direkten Einfluss auf Struktur und Atmosphäre des Songs nimmt – so etwas kannst du meiner Meinung nach bei intuitivem Jammen nur schwer umsetzen. Die Zusammenarbeit als Band erfolgt in diesem Stadium meist nur über regen Email-Austausch mit Verbesserungsvorschlägen.
Erst, wenn die erste Version des Songs inklusive einer spielbaren Spur für jedes Instrument steht, wird er in den Proberaum gebracht und dort überarbeitet: Manchmal funktionieren Passagen, die man sich besonders cool vorgestellt hat, im Proberaum einfach überhaupt nicht, oder ein anderes Bandmitglied hat eine weiterführende Idee. Diesen Input nimmt der Songschreiber dann mit und setzt sich eben nochmal dran, bis das Ergebnis für alle zufriedenstellend ist.
Also gibt es keine gravierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Songs, was den Prozess des Songwritings angeht?
Nein, Unterschiede gibt es eigentlich keine – bislang sind wir mit dem beschriebenen Arbeitsmuster aus unserer Sicht immer gut gefahren. Klar, mal wird ein Song direkt von allen abgenickt, mal gibt es so tief greifende Meinungsverschiedenheiten, dass grundlegende Überarbeitungen anstehen oder ein Song komplett auf Eis gelegt wird und manchmal kommt man auch selbst nicht weiter und „übergibt“ einen Song-Rohbau an einen der anderen – aber genau dieser Prozess der Konsensfindung zwischen Songschreiber und Band ist, was den Song eines Einzelnen zu einem NEBELKRÄHE-Song macht. Das Prinzip ist dabei immer das Gleiche.
Du hast eure Musik in unserem letzten Interview als „Black Metal +“ bezeichnet. Magst du mal ein bisschen zu dem „+“ sagen? Gibt es konkret benennbare Einflüsse für dich als Gitarristen?
Mit konkreten Einflüssen tue ich mich immer etwas schwer; zum einen, weil ich natürlich immer versuche, möglichst eigenständig Musik zu schreiben, zum anderen, weil ich als Musikjournalist im Jahr gut hundert Alben zu hören bekomme – dass das nicht spurlos an einem vorüber geht, ist ja auch klar. Gerade deshalb freut es mich immer, wenn ich in Reviews lesen darf, dass NEBELKRÄHE nur schwer mit anderen Bands zu vergleichen ist – ich denke, das ist ein gutes Zeichen, so lange nicht gemeint ist, dass keine zweite Band so schlecht ist wie wir, haha.
Ich muss aber auch zugeben, dass ich bei NEBELKRÄHE auch eher für die „traditionelleren“, härteren Riffs zuständig bin – die richtig abgefahrenen Sachen wie der Funk-Part in „Mut & Demut“, also das „+“, kommen dann doch eher von Kar [dem Bassisten – Anm. d. Verf.]. Und wenn mir dann doch mal etwas wie der Walzer-Teil in „Lebenswaisen“ einfällt, ist das sicher nicht, weil ich so gerne Walzer höre, haha. Das ist dann eben im konkreten Fall beispielsweise vom Text inspiriert, der an besagter Stelle eben Tanzmusik nahelegt.
Verlassen wir kurz die Musik: Die Mehrheit der Songtitel („Mut und Demut“, „Macht und Ohnmacht“, „Lebenswaisen“, „Mit Glut auf den Lippen“, „ebenbürdig“) tragen Wortspiele oder Verweise auf Idiome in sich und legen damit nahe, dass ihr ein sehr inniges Verhältnis zur deutschen Sprache habt. Gibt es einen konkreten Anlass zu solchen Spielereien?
Nun, was heißt konkreten Anlass…? Es stimmt, dass sowohl Kar als auch ich die Worte beim Schreiben der Texte sehr sorgfältig wählen. Die beste inhaltliche Idee verliert einfach an Durchschlagskraft, wenn sie sprachlich nicht adäquat umgesetzt ist. Genauso ist es mit Songtiteln: Für mich gibt der Name dem Song seinen Charakter, insofern würde mir nie einfallen, der mühevoll ausgearbeiteten Kombination aus Text und Musik einen belanglosen Titel zu geben. Aus diesem Grund machen wir uns über die Titel viele Gedanken und diskutieren Meinungsverschiedenheiten diesbezüglich auch ausführlichst aus. In diesem Prozess wechseln manche Songs ihren Namen diverse Male, oder behalten innerhalb der Band auf ewig ihren Arbeitstitel, auch wenn im Booklet ein anderer gedruckt steht.
„Lebenswaisen“ beispielsweise war erst der gefühlt hundertste Titel für den entsprechenden Song, obwohl er, als Wortspiel mit dem Albumtitel und im Bezug auf den Text, eigentlich fast schon auf der Hand liegt. Umso befreiender war dann der Moment der Erleuchtung, das Ende der enervierenden Suche nach einem Begriff, der Text und Song perfekt vereint. Dass dabei neben der Doppeldeutigkeit von „Lebensweisen“ durch den ausgetauschten Buchstaben noch eine dritte Bedeutung eingeführt wurde, war dann so etwas wie das nerdige i-Tüpfelchen, haha.
Insgesamt habt ihr – wie ich feststellen musste – ziemlich ausladende Songtexte: Wie wichtig sind euch diese?
Auf diese Frage antworten Musiker in der Regel ja, dass ihnen das sehr wichtig ist, dass sie davon ausgehen, dass die echten Fans die Texte auch lesen und dergleichen mehr.
Als Musikhörer entspreche ich dieser Erwartung selbst nur äußerst selten… Insofern sehe ich das ganz realistisch: Im Endeffekt zählt die Musik – entweder sie gefällt oder eben nicht; an dieser Grundsatzfrage hat ein guter Text wohl noch nie etwas geändert.
Für die erste Rezeption ist der Text also vor allem in Form des Gesanges, quasi als Teil der Musik von Bedeutung: Riff und Text, aber auch übersungene und gesangsfreie Passagen müssen sehr sorgfältig aufeinander abstimmt sein. Ich finde, man hört sehr schnell heraus, ob eine Band darauf Wert legt – NAGLFAR oder SATYRICON sind da Paradebeispiele, die eine Menge ihrer Dynamik aus diesem perfekten Ineinandergreifen der beiden Zahnräder Musik und Gesang ziehen.
Hat man den Hörer mit der Musik erst für sich gewonnen, wäre es wiederum blamabel, wenn man zu elaborierten Songstrukturen irgendwelchen sprachlich schwach umgesetzten Unsinn abliefert – insofern ist unser Ziel hier natürlich, all denen, die sich wirklich für mehr als den bloßen Musikgenuss interessieren, auch etwas Interessantes zu bieten.
Lange Rede, kurzer Sinn: Man kann zweifelsohne an unserer Musik Freude finden, ohne einen einzigen Blick ins Booklet geworfen zu haben – wenn man sich allerdings mit den Texten beschäftigt, durchlebt man die Songs definitiv intensiver.
Würdet ihr auch englische Texte in Betracht ziehen?
Nein, keinesfalls. Warum auch? Deutsch ist unsere Muttersprache… Dass ich mich jemals in einer anderen Sprache so zurecht finden werde, wage ich zu bezweifeln. Ich sähe auch keinen Grund, ins Englische zu wechseln – ich finde die Sprache durch ihre Allgegenwärtigkeit im musikalischen Kontext ehrlich gesagt ziemlich abgenutzt: Ich finde, englische Texte klingen allein der Sprache wegen oft belangloser, weil Worte wie „darkness“, „death“ und so weiter einfach so abgegriffen sind. Sicher gibt es auch im Englischen schöne Metaphern, aber da sind wir dann eben wieder bei der angesprochenen Wortgewandtheit.
Natürlich ist es schade, dass nicht-deutschsprachigen Hörern die Texte damit vorenthalten bleiben, aber das ist bei den ganzen norwegischen Bands, die in ihrer Muttersprache singen, ja auch nicht anders. Und trotzdem finde ich das deutlich interessanter, als würden alle der Völkerverständigung wegen Englisch singen. Bis also endlich der symbiontische Babelfisch gefunden wird, müssen sich Hörer aus dem nicht-deutschsprachigen Raum wohl oder übel mit der Musik zufriedengeben… haha.
Jetzt aber nochmal zum Gesamtbild: Würdest du sagen, dass es musikalisch und/oder lyrisch ein fassbares Konzept, einen roten Faden in „Lebensweisen“ gibt? Falls ja, welche Botschaft(en) gibt es für eure Hörer zu entdecken?
Das musikalische Konzept ist (hoffentlich) hörbar – innovativer Black Metal, der auch vor vollkommen genrefremden Einflüssen nicht zurückschreckt, so sie im Kontext des Songs Sinn ergeben.
Lyrisch ist tatsächlich der Name Programm: Nachdem sich unser erstes Album, „entfremdet“, sehr genretypisch mit Sinnsuche und vermeintlicher Aussichtslosigkeit herumgeschlagen hat, geht es hier tatsächlich um „Lebensweisen“ – weiterführend gedacht also quasi um das Weiterleben nach dem Frust der ins Leere gelaufenen pubertären Revolution, den Umgang mit so banalen wie zugleich komplexen Lebensfragen. Versinnbildlicht wird das Ganze durch das Coverartwork: Das kleine Menschlein, verloren im Labyrinth der Individualität.
Wichtig ist dabei, dass hier weder versucht wird, einen Themenkomplex abzudecken, noch in Kategorien oder Kapitel geteilt abgearbeitet wird. Die Texte stehen in keinerlei direktem Zusammenhang, sind mal aus sehr persönlichen Situationen heraus entstanden und manchmal eher aus abstrakten Gedanken – der rote Faden, der alles zusammenschnürt, ist also wirklich nur das allen Texten gemeinsame Thema der das Leben verändernden Situation.
Zu guter Letzt möchte ich einen Punkt ansprechen, der euch ohne Zweifel von vielen avantgardistisch angehauchten Projekten unterscheidet: Ihr seid live ziemlich aktiv. Was bedeutet es für euch, auf der Bühne zu stehen?
Ironischerweise wurde ich im letzten Interview gefragt, wieso wir so wenige Konzerte spielen – auch das ist offensichtlich Definitionssache, haha. Ich persönlich wäre live tatsächlich gerne noch viel aktiver. Aber zum einen wird man nicht mit reizvollen Angeboten überschüttet, zum anderen ist das eigenständige Organisieren von Events immer mit enormem Zeitaufwand verbunden.
Doch zu deiner Frage: Ich denke, jeder, der in einer aktiven Band spielt, will nicht nur einen siffigen Proberaum beschallen, sondern irgendwann auf eine Bühne… zumindest hätte ich auf Dauer keine Motivation, monatelang am Zusammenspiel zu feilen, wenn es nur darum ginge, in einem Luftschutzbunker zu musizieren. Darüber hinaus empfinde ich es immer als eine Art Feuertaufe für einen Song, wenn er auf die Bühne kommt: Ein Stück im Studio einzuspielen oder im Proberaum herunterzunudeln ist das eine – einen Song live so darzubieten, dass er seine volle Atmosphäre entfaltet und das Publikum in seinen Bann zieht, ist etwas ganz anderes.
Für mich hat so manches Album durch das Live-Erlebnis neue Tiefe bekommen – dieses Erlebnis möchte ich, wenn möglich, auch an unsere Hörer weitergeben.
Wie setzt ihr die etwas abgedrehteren Ideen aus der Konserve (Chöre, Klavier, Streicher etc.) dort um?
Zunächst einmal möchte ich eines klar stellen: Auf „Lebensweisen“ (wie auch auf „entfremdet“) gibt es keine Ideen aus der Konserve. Jedes Geräusch, das du auf dem Album hörst, hat ein leibhaftiger Mensch gespielt, gezupft, gestrichen oder gesungen. Das ist mir insofern wichtig, als ich sehr großen Wert auf Authentizität lege…
…vielleicht sollte ich an dieser Stelle gerade anmerken, dass ich mit „Konserve“ nicht meinte, dass es sich hier um vollsynthetische Klänge handeln könnte – „aus der Konserve“ heißt, dass es auf Platte hörbar ist…
…ok, das erklärt den Bezug zur Live-Situation: Wenn etwas live nicht umsetzbar ist, wird es eben nicht umgesetzt oder entsprechend angepasst, dass es eben doch geht: Wo möglich, treten wir mit Gastmusikern auf, die die entsprechenden Instrumente bedienen. Aber wir werden uns sicher nicht hinstellen und wie die Affen zu Musik vom Band headbangen … da wird die Cello-Melodie lieber auf die Leadgitarre umgelegt oder der Bass spielt den Kontrabass oder das Klavier bleibt eben weg.
Ich danke dir für das Gespräch und wünsche euch den wohlverdienten Erfolg mit „Lebensweisen“. Die letzten Worte gehören dir:
Ich möchte mich aufrichtig bei allen, die sich bis hierher durch meine Gedanken und persönlichen Ansichten gekämpft haben, bedanken! Wer neugierig geworden ist, kann das Album derzeit noch in voller Länge auf der Legacy-Homepge im Stream sowie in Auszügen auf unserer Facebook-Seite hören – möge dabei aber zumindest in Hinterkopf behalten, dass es am Ende immer die CD-Käufer sind, die es Bands unserer Größe ermöglichen, weiterhin professionell produzierte Musik zu veröffentlichen.
Zu guter Letzt dir vielen Dank für die netten Worte und interessanten Fragen, Falk – es war mir eine Ehre!