Nebelkrähe
Interview mit Morg zu "Der Flaneur"
Interview
Mit „Der Flaneur“ veröffentlichen die Münchner Schwarzwurzeln von NEBELKRÄHE eine streng limitierte Single, die die Wartezeit auf ihr zweites Album „Lebensweisen“ verkürzen soll. Eine Single im Black Metal, noch dazu von einer Band, die nicht unbedingt für ihre eingängigeund leicht durchschaubare Musik bekannt ist – das war für uns Grund genug, das Gespräch mit Gitarrist Morg zu suchen:
Grüß dich, Morg. Der Anlass unseres Gespräches ist schon etwas ungewöhnlich: Im Black Metal, noch dazu in eher avantgardistischen Gefilden, ist es ja nicht unbedingt üblich, Singles zu veröffentlichen. Kannst du mir ein bisschen was zu den Hinter-/Beweggründen zu „Der Flaneur“ erzählen?
Hallo Falk! Ja, in der Tat, alltäglich ist das sicher nicht, aber der Kommerz macht eben auch vor dem Avantgarde Black Metal nicht halt… haha. Der primäre Beweggrund für diese recht spontan getroffene Entscheidung war tatsächlich, dass es mit unserem zweiten Album „Lebensweisen“ leider alles andere als geplant läuft, so dass wir nun seit drei Jahren nur unser Debüt „entfremdet“ am Merch-Stand liegen haben. Das ist schon deshalb suboptimal, weil wir von dem Album nur noch zwei bis drei Songs im Live-Set haben und den Leuten natürlich gerne die Möglichkeit geben würden, auch die Stücke, die sie live gehört haben, mit nach Hause zu nehmen – „entfremdet“ repräsentiert einfach nicht mehr den Stand der Dinge bei NEBELKRÄHE Im Hinblick auf unseren Gig mit NEGURA BUNGET am 28.10. in München kam uns die Idee mit der Single. Ich denke aber, dass diese Veröffentlichung auch ganz allgemein eine gute Sache ist, da sie mit 25 Minuten Spielzeit und einem mehr als fairen Preis-Leistungs-Verhältnis von vier Euro für vier Songs jedem die Möglichkeit bietet, sich für wenig Geld einen Einblick in unser derzeitiges Tun zu verschaffen.
In der Tat ist „Lebensweisen“, euer neues Album, schon länger „in der Pipeline“. Wie kommt’s, dass ihr erst jetzt konkret die Veröffentlichung plant?
Da kommen viele Faktoren zusammen. Zunächst haben wir das Album komplett in Eigenregie aufgenommen und gemischt, was natürlich immer ein deutlich zersplitterterer und damit langwierigerer Prozess ist als eine Studiowoche, in der man alles am Stück aufnimmt. Nachdem wir das Album dann haben mastern lassen haben wir uns auf Labelsuche begeben und leider nicht die besten Resonanzen auf den Sound bekommen. So etwas ist nach einem so zeitintensiven, langen Arbeitsprozess natürlich nicht sonderlich motivierend, so dass wir uns eine kleine Auszeit genommen und erst einmal etwas Abstand zu dem Album gesucht haben, um die Ohren frei zu bekommen. Danach haben wir uns an einen Tisch gesetzt und diskutiert, wie man weitermacht… kein einfacher Prozess, da natürlich (trotz Eigenproduktion) auch eine Menge Geld im Spiel ist. Am Ende stand der Entschluss, dass das Material es verdient hat, so veröffentlicht zu werden, dass wir selbst zu 100% dahinter stehen können – und das war, mit dem gewonnenen Abstand, beim damaligen Stand der Dinge tatsächlich nicht gewährleistet. Wir haben dann eben nochmal tiefer in die Taschen gegriffen, die Regler auf null gedreht, und Mix und Master aus der Hand gegeben – mit dem Resultat, das ihr auf „Der Flaneur“ hören könnt. Nachdem das Thema Sound für uns dann endlich abgehakt war, haben wir natürlich auch einen neuen Anlauf hinsichtlich der Labelsuche gestartet… diese ist bis dato noch nicht abgeschlossen, insofern kann von „konkret die Veröffentlichung planen“ leider noch nicht die Rede sein. Fakt ist aber: Wir haben uns mit dem Ende dieses Jahres eine Deadline gesetzt – wenn bis dahin keine konkreten Angebote vorliegen, werden wir wieder selbst veröffentlichen. „Lebensweisen“ wird also definitiv nicht in der Schublade verstauben, sondern in absehbarer Zeit erscheinen!
Wie kommt’s, dass ihr mit einer fertigen Studio E-Produktion noch einmal zu Christoph Brandes gegangen seid?
Ich will diesbezüglich nicht zu weit ins Detail gehen… Sound ist einfach immer Geschmackssache und am Ende hat uns das Resultat der Arbeit mit Markus Stock eben aus verschiedenen Gründen nicht zugesagt. Mit Christoph hat es dann einfach gepasst – sowohl musikalisch als auch zwischenmenschlich, was für eine Zusammenarbeit in Herzensangelegenheiten wie Musik ungemein wichtig ist. Er hat sich in die Songs eingearbeitet, das Material verinnerlicht und verstanden, was wir dem Hörer vermitteln wollten – so war er in der Lage, die Songs am Ende so klingen zu lassen, wie wir sie hätten klingen lassen, hätten wir das tontechnische Know-How dazu. Natürlich könnte man sich jetzt grämen, viel Geld wir in den Sand gesetzt haben… aber sich darüber aufzuregen bringt einen ja auch nicht weiter. Musik auf semi-professionellem Level ist immer eine kostspielige Sache, da braucht man sich nichts vorzumachen. Aber wenn das Resultat am Ende so klingt, wie es klingen soll, ist das jeden Cent wert. Wenn man in etwas jahrelang Herzblut fließen lässt, gibt man sich nicht im letzten Schritt aus Kostengründen mit einem Kompromiss zufrieden… das würde der ganzen in das Projekt gesteckten Arbeit nicht gerecht. Und der Terminus „Lehrgeld zahlen“ kommt ja auch nicht von ungefähr: Nächstes Mal wissen wir gleich, wo wir hingehen müssen – das ist auch eine wertvolle Erkenntnis.
Anders als bei „Pop“-Singles, die neben verschiedenen Versionen des Titelsongs nur wenig anderes Material enthalten, gibt es auf „Der Flaneur“ zwei weitere Songs des neuen Albums sowie eine Live-Version des „entfremdet“-Songs „Über den Fluss hinweg“ zu hören. Nach welchen Kriterien habt ihr die drei Songs ausgewählt?
Nun, die Auswahl der Album-Tracks ist darauf ausgelegt, ein in sich stimmiges Song-Triplet zusammenzustellen, das das Album in seiner Vielseitigkeit repräsentiert, aber auch noch nicht alles verrät – wer „Der Flaneur“ hört, ahnt, was ihm „Lebensweisen“ zu bieten hat, kennt das Album aber noch lange nicht… Um den Hörern nicht nur ein Album-Exzerpt vorzuwerfen, haben wir uns dann überlegt, noch einen „Bonustrack“ draufzupacken. Der Song wurde extra für die Single gemischt und gemastert (übrigens ebenfalls von Christoph Brandes) und wird exklusiv auf dieser Veröffentlichung zu finden sein – als Gimmick für alle, die sich die Single in den Schrank stellen.
Ich habe in den drei Songs des Albums verschiedene Anklänge an deutsche Dichter gehört: Georg Trakls „Verfall“ in „Der Flaneur“, Goethes „Faust“ in „Das Karussell“, Rilkes „Der Panther“ in „Macht & Ohnmacht“. Darf der geneigte Hörer auf „Lebensweisen“ noch weitere Ehrerbietungen an deutsche Lyrik erwarten?
So etwas kommt immer mal wieder in unseren Texten vor: wenn es eben passend erscheint. Wichtig ist, dass ein Zitat nicht bloß um des Zitates Willen in den Text gepresst wird. Gerade populäre Quellwerke wie „Faust“ oder „Der Panther“ vermitteln vielleicht zunächst diesen Eindruck… als wolle sich eine Band mit ihren Deutsch-Leistungskurs-Kenntnissen als besonders „sophisticated“ profilieren. Aber wenn du die Texte liest, wirst du feststellen, dass sich auch diese bekannten Zitate sehr natürlich in die jeweiligen Texte einfügen: Der entsprechende Schriftsteller hat einfach genau das, was wir an der jeweiligen Stelle vermitteln wollen, in Perfektion zum Ausdruck gebracht… die Suche nach einer alternativen Formulierung wäre also zwangsläufig die Suche nach einem Kompromiss gewesen. Insofern würde ich sagen: Ehrerbietung vor der lyrischen Leistung der entsprechend Zitierten ja, aber keinesfalls nur der Ehrerbietung wegen! Die offensichtlichen Zitate sind „die Spitze des Eisberges“, sozusagen – dass Zitate und Anspielungen als solche erkannt werden, ist aber aus eben diesem Grund auch nicht wichtig – sie dienen nur sich selbst beziehungsweise dem Text: Wer sie entdeckt, kann sich daran freuen – für alle anderen tragen sie auch unerkannt ihren Teil zur Atmosphäre der Texte und damit auch der Songs bei.
Ihr veröffentlicht „Der Flaneur“ ja offen mit dem Wunsch, über die Einnahmen des Verkaufs das Albumrelease zumindest teilweise zu stemmen. Wie siehst du die Chancen, dass die Single vielleicht doch das eine oder andere Label überzeugen könnte?
Dass die Single uns in der Labelfrage weiterbringt, wage ich zu bezweifeln, da das gute Stück streng auf 77 Exemplare limitiert ist – es gibt also darüber hinaus auch keine Promo-Exemplare, die wir an Presse oder Labels schicken. „Der Flaneur“ ist ein Dankeschön an unsere Hörer, mit dem wir die Wartezeit auf „Lebensweisen“ versüßen wollen – keine Label-Demo und, realistisch gesehen, schon ob seiner Limitierung auch kein Release, der unseren Bekanntheitsgrad großartig steigern wird. Das mit dem „Stemmen“ der Eigenproduktion durch den Singleverkauf ist natürlich utopisch… man braucht bloß mal durchzurechnen, was man mit 77 Singles á vier Euro verdient, wenn man die Kosten für Rohlinge, CD-Labels und Bookletpapier abzieht… den Druck, den wir zum Glück als Freundschaftsdienst umsonst bekommen haben, und die Investition in den Bonustrack, die wir aber mehr als Herzensangelegenheit und Geschenk an uns selbst verbuchen, garnicht eingerechnet. Die Idee hinter dieser Formulierung war die des „Crowdfunding“: Normalerweise bittet man dabei ja um Spenden, mit denen ein Projekt am Ende finanziert wird. Weil ich mich aber schwer damit tue, Leute um einen Vorschuss zu bitten, bekommen sie von uns direkt einen Gegenwert in Form der Single… und weil wir alle Idealisten und keine Betriebswirte sind, bleibt nach Abzug der Produktionskosten so wenig übrig, dass man vom sprichwörtlichen „Tropfen auf den heißen Stein“ sprechen könnte. Aber das Prinzip dahinter gefällt mir… darum geht es.
Was denkst du generell über die Kollision von Avantgarde mit dem „Business“? Sind Labels mittlerweile zu feige, gewagte Musik herauszubringen? Würdest du dir manchmal etwas mehr Idealismus in der Metal-Landschaft wünschen?
Oh, das ist durchaus ein interessantes Thema… denn einerseits wird, vor allem seitens der Presse, aber auch vieler Fans – und somit ja auch indirekt seitens der Labels – stets gefordert, nicht auf der Stelle zu treten, die Musik weiterzuentwickeln und nicht bloß sich oder (schlimmer noch) andere zu kopieren. Tut man als junge Band jedoch genau das (und ich will mich garnicht so weit aus dem Fenster lehnen, zu sagen, dass ausgerechnet wir da wahnsinnig weit voranschreiten – am Ende des Tages ist unsere Musik immernoch „Black Metal +“), bekommt man von größeren Labels schnell die üblichen Bedenken zu hören… dass dafür kein Markt da wäre, man mit sowas heute keine CDs mehr verkauft bekommt und dergleichen mehr. Derweil halte ich genau das für einen Trugschluss… vielleicht kaufen die Leute auch einfach keine CDs mehr, weil das meiste, was auf CD bei großen Labels rauskommt, nur noch Einheitsbrei ist, wie er angeblich gut ankommt… wie ihn die Leute aber eben auch schon in mehrfacher Ausfertigung zu Hause haben. Gerade im Bereich der Underground-Labels ist mangelnder Idealismus aber definitiv nicht das Problem – eigentlich ist wohl jeder, der heute noch Zeit und Geld in ein Label investiert, per Definition ein Idealist. Hier zeigen unsere Erfahrungen eher, dass viele Besitzer kleiner Black Metal-Labels eher auf Tradition denn auf Innovation setzen… was ja auch in Ordnung ist. Die wenigen, die sich auf eher avantgardistischere Musik spezialisiert haben, sind entsprechend gefragt und agieren oft an ihren persönlichen Zeit- und Investitionslimits… selbstverständlich, ohne dabei das große Geld zu scheffeln. Und viele neue Namen kommen in der Metal-Labellandschaft ja nicht mehr hinzu: In Zeiten, in denen die Leute kaum noch CDs kaufen und viele Bands auf Selbstvermarktung setzen, ist es ja schon mutig, ein Populärmusiklabel zu gründen. Sowas ist vermutlich nur im Schlagerbereich noch risikofrei möglich…haha.
Ein schöner Abschluss – die letzten Worte gehören selbstverständlich dir:
Ich danke für das Gespräch und die interessanten Fragen! Ansonsten lade ich jeden, dessen Interesse an Nebelkrähe ausgereicht hat, sich all das bis hierher durchzulesen, herzlich ein, auf unserer Facebook- oder Myspace-Seite in unser neues Material hineinzuhören, uns bei unserem nächsten Konzert am 28.10.12 im Münchner Backstage besuchen zu kommen und bei Gefallen vielleicht sogar einem Flaneur Unterschlupf zu gewähren. Auf bald!