Nebelkrähe
Steht das Ende des Underground bevor?
Interview
Wir machen eine Pause. Dabei plaudern wir darüber, dass sich bei der aktuellen Veröffentlichungsflut auch andere Bands mehr Zeit und vor allem Ruhe beim Songschreiben nehmen könnten, wobei Morg sogar davon ausgeht, dass sich das insgesamt positiv auf die Qualität der Musik auswirken würde.
Beim Stichwort Musik, soll Morg für NEBELKRÄHE eine Beschreibung finden, ohne dabei das Genre Black Metal zu erwähnen.
„Nun, wir werden oft als Dark Metal bezeichnet, was ich persönlich nicht so nachvollziehen kann. Das ist für mich oft elektronisch angereicherte Musik oder tatsächlich einfach Black Metal. Auch glaube ich nicht, dass man uns in die Post-Black-Metal-Schublade stecken kann, nur weil wir modern klingen.
Ich glaube, wenn du innovativen, extremen Metal gelten lässt, steckt da schon relativ viel drin. Es gibt viele Komponenten, die es im extremen Metal auch gibt. Sei es das das Shouting, das irgendwie fiese Riffing, Distortion-Gitarren und so weiter. Auf dem letzten Album hatten wir beispielsweise einen Funk-Part zwischendrin oder einen Walzer und haben diverse Instrumente, mit denen wir die Songs anreichern oder eben dann auch aus einer klassischen Schublade raushebeln. Tatsächlich finde ich Black Metal, je öfter ich darüber nachdenke und je mehr ich es gefragt werde, als Genre auch immer schwieriger. Über die die Jahre habe ich gemerkt, dass ich mit dem Genre und dem, wofür es steht, immer weniger anfangen kann. Dieses ganze Wir-Hassen-Alles-Und-Satanismus-Und-Dies-Und-Das, das ist halt schon auch ein großer Kindergarten.“
Morg verrät mir in diesem Zusammenhang, dass er das entmystifizierende Element an „Lords Of Chaos“ gerade deshalb so schätzt, weil er es nur den wenigsten wirklich abkauft, „trve“ mit dem Black Metal und seiner Mentalität verhaftet zu sein. Entsprechend will er seine Musik auch gar nicht einem Genre zuordnen, weil das ja auch immer Erwartungen bei den Hörenden schürt, die möglicher Weise nur bedingt erfüllt werden.
Gleichzeitig stellt Black Metal für viele die letzte Bastion der Freiheit dar, eine Insel der Vielfalt sozusagen. Immerhin sind Experimente und abgefahrene Instrumentierungen gern gesehene Gäste bei gewissen Unterkategorien im weit verzweigten Genre-Geflecht. Menschen, bei denen Bands wie BETHLEHEM und NOCTE OBDUCTA im Plattenschrank stehen, können NEBELKRÄHE sicherlich auch etwas abgewinnen.
Morg ist diese Herangehensweise aber ein bisschen zu einfach: „Nehmen wir mal BETHLEHEM. Klar, ich mag nicht alles, was die gemacht haben, aber es ist ein super eigenständiges Ding. Das finde ich auch einen wichtigen Punkt. Und halt auch extrem vielseitig in dem, was sie so ausprobiert haben. „Schatten Aus Der Alexander Welt“… Ich meine, wie krass ist das denn? Das ist einfach ein abgefahrenes Ding. Deshalb geht es gar nicht darum, dass man NEBELKRÄHE nur hören kann, wenn man diese Band oder jene Band mag. Man muss einfach bereit sein, sich auf Dinge einzulassen. Und dann kann es immer noch sein, dass es dir halt einfach stilistisch nicht taugt.“
Gefährlich wird es eigentlich also erst, wenn man sich nur oberflächlich mit NEBELKRÄHE beschäftigt und über den Tellerrand des deutschen Black Metal nicht hinausblickt. Dann kann eine Textzeile wie „Doch Kinder verzagt nicht. Nah ist der Tag, an dem euer Vater die Besatzer verjagt.“, vom aktuellen Song „Tumult Auf Claim Abendland“ für Falten auf der Stirn und ein unangenehmes Bauchgrummeln sorgen. Von Morg will ich wissen, ob in einer solchen Textzeile nicht doch der Versuch steckt, in alter Black-Metal-Manier auf Provokation zu setzen oder ob es der Band vielleicht sogar egal ist, in einer bestimmten Grauzone verortet zu werden.
„Egal ist ein Wort, das ich in dem Kontext jetzt erstmal überhaupt nicht stehen lassen will! Das ist mir absolut nicht egal. Ich will absolut nicht in die rechte Ecke gedrängt werden. Ich versuche mich überall in meinem Leben dagegenzustellen und auch bei der Band immer darauf zu achten, dass wir absolut keine Grauzonenberührungspunkte haben. Wir haben einmal in unserem Leben einen Gig mit INQUISITION gespielt. Das war bevor die Band all die Skandale hatte. Und aus heutiger Sicht würde ich sagen, es war vielleicht auch ein Fehler, auch weil der Gig nicht geil war und es sich überhaupt in keiner Hinsicht gelohnt hat. In jedem Fall würde ich es heute aber nicht mehr tun und ich wäre noch vorsichtiger bei der Entscheidung, mit welchen Bands wir spielen. Bevor wir bei Crawling Chaos Records unterschrieben haben, hat Holger mich gefragt hat, ob wir da irgendwelche Berührungspunkte in diese Richtung hätten. Darauf habe ich zu ihm gesagt: „Wenn du die Berührungspunkte hättest, würden wir bei dir auch nicht unterschreiben. Und damit waren wir auf einer Wellenlänge.“ Also insofern, nee, egal ist mir das definitiv nicht. Aber, und jetzt kommt das große Aber, das ist nichts, was mich künstlerisch beeinflussen darf oder soll. Durch mein vollkommen antifaschistisches Weltbild, weiß ich für mich, dass keiner meiner Texte, die ich schreibe und das gilt auch für die Texte, die K. damals geschrieben hat, ansatzweise eine faschistische oder rechte Tendenz haben. Natürlich du bist nie dagegen gefeit, dass jemand, egal was du schreibst, irgendwas reininterpretiert. Und wenn jemandem reicht, dass eine Band auf Deutsch singt, um sie dann in die Ecke zu stellen, dann sind wir halt auf einem Diskussionslevel, wo ich auch nicht mehr mitspielen muss.“
Letztlich seien die Lyrics deshalb in deutscher Sprache verfasst, weil die Band ihre Themen damit lebendiger und glaubhafter zum Ausdruck bringen kann, als im Englischen.
„Ich glaube, die Zeiten, in denen Bands Deutsch nur aus unlauteren Gründen verwendet haben, liegen weit zurück. Heutzutage ist das ein künstlerischer Approach, den du machen kannst, wenn du das Gefühl hast, dass es besser zu deiner Musik passt. Und das ich finde tatsächlich, weil das Deutsche eine wahnsinnig schöne Gesangssprache ist. Du kannst es wunderbar modulieren, du kannst alle Emotionen reinpacken, du kannst wahnsinnig viel mit rollenden Rs und der ganzen Sprache machen. Die Worte funktionieren super schön.“
Ein paar Tage nach unserem Treffen hat mir Morg übrigens noch einen Nachtrag zur oben erwähnten Textzeile von „Tumult Auf Claim Abendland“ per E-Mail geschickt, den ich einfach mal 1:1 übernehme: „Zentral ist, dass Claim einerseits dieses abgesteckte Gebiet der Goldsucher, aber eben auch eine Behauptung ist – also dass das Abendland bzw. sonstige Identitätskonzepte ja nur durch Behauptung funktionieren, wie auch Grenzen generell. Das Leitmotiv des Songs ist also auch hier Anti-Patriotisch…“
Ein Konzeptalbum sei „Ephemer“ eigentlich nicht. Zumindest nicht im abgestumpften Terminus der Memento-Mori-Philosophie. Und schon gar nicht, wenn man ein pathetisches Fundament wie ein opulentes Doppel-Album mit einer großangelegten Story zugrunde legt. Aber natürlich verfolgt das Album einen roten Faden, was Morg als Dinge aus dem alltäglichen Leben beschreibt, die „man grundsätzlich als Konstante ansieht oder als gegeben. Hinterfragt man diese Dinge dann, stellt sich heraus, dass es halt gar nicht so ist. Das können irgendwelche Staaten, Grenzen oder eben Hoffnungen, Lebensträume und Wünsche sein. Schlussendlich fallen alle sieben Songs in dieses Schema und haben auf die eine oder andere Art irgendeine Form von Flüchtigkeit und Vergänglichkeit als Thema, aber sie sind vollkommen unabhängig voneinander, haben komplett andere Schauplätze sozusagen. Zum Beispiel „Nielandsmann“ erzählt von zwei Fronten und einem völlig unklaren Grenzverlauf. Diese Grenze existiert nur deshalb, weil sie jemand proklamiert hat. In den Songs verwenden wir immer einen Schauplatz, mit dem Du Geschichten erzählen kannst. „Nielandsmann“ ist gar kein Kriegssong, denn alles was relevant ist, passiert in der Feuerpause.“
Allein das Cover-Foto hat Morg so beeindruckt, dass er davon beeinflusst den Titeltrack zu „Ephemer“ schrieb. Daraus sind dann die Songs und das eigentliche Konzept zur Platte entstanden. Nicht zuletzt die Bandfotos nehmen das Thema auf, auf denen Seifenblasen, nur einen Wimpernschlag vom Platzen entfernt, die Vergänglichkeit der Dinge nicht besser darstellen könnten.
Noch einmal kommen wir auf den Song „Nielandsmann“ zu sprechen, auf dem Noise von KANONENFIEBER als Gastsänger zu hören ist. Insgesamt nähert sich der Track musikalisch als auch inhaltlich der Thematik ähnlich wie die Gipfelstürmer aus Franken und lassen die ein oder andere Parallele erkennen. Zyniker würden NEBELKRÄHE vielleicht vorwerfen, sie seien Trittbrettfahrer, die ein düsteres WW-1-Szenario skizzieren und sich KANONENFIEBER zum Vorbild für einen schnellen Euro genommen haben.
Morg hat zu Beginn unseres Gesprächs allerdings schon vorweggenommen, dass alle Songs kurz nach den Aufnahmen zum Vorgänger, also vor etwa zehn Jahren, entstanden sind. „Tatsächlich ist der Text zu „Nielandsmann“ im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 entstanden. Damals habe ich in Freilassing an der deutsch/österreichischen Grenze gewohnt und alles hautnah miterlebt. Ich war drüben in Salzburg, als die Grenze dichtgemacht wurde und kein Zug mehr fuhr. Also musste ich zweieinhalb Stunden nach Hause laufen. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Immerhin war ich in einem Europa mit offenen Grenzen und einer einheitlichen Währung aufgewachsen und plötzlich war die Grenze zu. Der Song ist alles, nur kein Kriegssong und schlussendlich nicht mal mehr ein kriegsthematischer Song. Ich bin ein Riesen-Remarque-Fan und der Text ist ein bisschen an die Ästhetik von „Aus Dem Westen Nichts Neues“ angelehnt. Wertfrei kann ich sagen, dass der Song absolut nicht irgendwie im Sinne dieser Erster-Welt-Krieg-Hype-Black-Metal gedacht ist. Aber klar, das ist aktuell schon ein großes Ding für einige Bands. Seien es jetzt MINENWERFER oder auch PANZERFAUST oder eben KANONENFIEBER oder wie sie alle heißen.“
Dass Noise als Gastsänger für den Song verpflichtet wurde, sei reiner Zufall gewesen. Als die beiden sich 2018 über das angekündigte Remake von „Im Westen Nichts Neues“ unterhielten.
„Schlussendlich weiß ich gar nicht, ob er der perfekte Sänger für den Song ist. Noise klingt sehr ähnlich wie unser Sänger. Das finde ich grundsätzlich nicht ideal für einen Gastgesang, weil man vielleicht nicht immer heraushört, wer welche Passagen eingesungen hat. Aber es hat halt einfach gefunkt sozusagen und funktioniert. Letztlich hatte Noise auch noch eine mega gute Idee und hat die Strophe über den Clean-Part einfach noch einmal geflüstert, was dem Song eine krasse Gänsehaut-Atmosphäre verleiht.“
Auch wenn das Lied durch den Gastbeitrag vielleicht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen wird, ist es Morg wichtig, noch einmal klar zu stellen, dass NEBELKRÄHE einen sechsstimmigen Bläsersatz verwenden und sich alleine dadurch aus dem Fahrwasser anderer Bands freischwimmen. Und damit liegt er sicherlich nicht falsch, wenngleich „Ephemer“ andere, vielleicht stärkere Stücke beinhaltet.
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Stile | Atmospheric Black Metal, Black Metal, Melodic Black Metal, Post-Black Metal, Progressive Black Metal |
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