Nebelkrähe
Steht das Ende des Underground bevor?

Interview

Mit „Ephemer“ veröffentlichen die Black-Metal-Avantgardisten von NEBELKRÄHE jetzt ihr drittes Studioalbum. Der Titel beschreibt eigentlich einen nur kurzen und flüchtigen Moment. Aber Zeit hat sich die Band für die Fertigstellung der Platte im großen Stil gegönnt und so sind die sieben Songs über einen Zeitraum von zehn Jahren entstanden. Das Ergebnis lässt sich jedenfalls sehen und hören, immerhin achten die Münchner neben detailgetreuem Songwriting auch auf eine visuelle Gestaltung, die sich als durchaus unkonventionell bezeichnen lässt.

Auf der einen Seite zeigen sich die Musiker traditionsbewusst mit Corpsepaint, auf der anderen Seite wuseln auf Bandfotos eben auch regenbogenfarbene Seifenblasen über das Szenario. Die Musik trägt die Metamorphose von altbewährten Stilmitteln zu kontrastreichen Überraschungen ebenso wie das Artwork. Das alleine klingt schon spannend, aber auch Gastbeiträge rund um Bands wie KANONENFIEBER und SCRETS OF THE MOON sind der Rede wert.

An einem eigentlich viel zu milden Mittwochabend im Oktober treffe ich mich mit Bandgründer, Hauptsongwriter und Gitarrist Morg in einem Hipstercafé im Zentrum von München. Mein Gegenüber bestellt entgegen allen Befürchtungen keinen Kelch voller Blut, sondern begnügt sich mit Maracujasaft-Schorle und gerät beim Erzählen über seine Musik geradezu ins Schwärmen.

Alleine meine Bitte, er solle einen kurzen Abriss über die Bandgeschichte geben, gelingt Morg nicht in ein paar halbherzigen Nebensätzen.

„Ich habe meinen ehemaligen Bassisten, also mit dem ich die Band gegründet habe, irgendwann auf dem Schulfest meines alten Gymnasiums wieder getroffen. Er war da glaube ich im MAYHEM-Shirt unterwegs und ich trug auch irgendwie sowas. Da haben wir auf einmal gemerkt, dass wir jetzt beide Black Metal hören. Das kam für mich völlig unerwartet und für ihn vermutlich auch. Daraus entstand schnell die Idee, dass man eine Band gründen könnte. Einen Gitarristen hatten wir auch schon in der Pipe und damit waren wir zu dritt und haben dann einfach mal, was damals irgendwie auch überraschend einfach war, einen Proberaum gesucht und gefunden. Angefangen haben wir mit Coversongs und blieben ziemlich lange ohne Schlagzeuger. Über eine Kontaktanzeige wurden wir dann allerdings fündig und es war die erste Band, in die unser Schlagzeuger eingetreten ist und er ist bis heute dabei.“

Morg erzählt routiniert, wie die Band auf dem gleichen Weg auch zu einem Sänger gekommen ist und NEBELKRÄHE auch ein paar Mal das Besetzungskarussell gefahren sind. Mittlerweile sei die Band halt „so eine Familiengeschichte“, erzählt der Gitarrist weiter und bestellt sich zwischenzeitlich Nachschub aus der Obstsaft-Quelle. „Insgesamt sind jetzt drei Alben dabei rausgekommen. Das erste damals mit der jugendlichen Motivation direkt mal was geschrieben sozusagen. Das zweite war dann schon ein größerer Kampf, weil wir es professioneller angegangen sind. Aber trotzdem ist viel schiefgelaufen, einfach aus mangelnder Routine.“

Warum seit der Veröffentlichung des Zweitwerks „Lebensweisen“ mittlerweile zehn Jahre vergangen sind, erklärt der Mann, dessen bürgerlichen Namen ich ihm versprechen musste, nicht zu erwähnen, wie folgt:

„Das basiert auf vielen unglücklichen Zufällen. Also wir hatten eigentlich die ersten Songs schon fertig, als das letzte Album dann wirklich rauskam. Das war 2013. Dann dachten wir, das müsste jetzt relativ schnell gehen. Allerdings hat unser zweiter Gitarrist die Motivation und Zeit verloren, was wir aber nicht schnell genug gemerkt haben und was uns ziemlich ausgebremst hat. Nach dem Ausstieg eines Musikers, ist es nie einfach, jemanden zu finden, der persönlich und musikalisch passt. Als wir diese Lücke geschlossen hatten, wurde es immer deutlicher, dass unser Bassist aus beruflichen Gründen die Zeit für die Band fehlte. Das heißt, für die Aufnahmen stand er dann auch nicht mehr zur Verfügung. Da konnten wir zum Glück auf unseren Aushilfsbassisten von früher zurückgreifen, der schon mal live für uns gespielt und auch das letzte Album schon eingespielt hatte. Als wir die Schlagzeug-Aufnahmen gerade im Kasten hatten, kam die liebe Pandemie daher, sodass dann inklusive unseres Proberaums, alles zu war. Die Aufnahmen mussten entsprechend dann in Einzelarbeit unter allen Auflagen passieren, was dann wieder viel Zeit gekostet hat, weil eigentlich niemand von uns vorher mit Home-Recording irgendwas am Hut gehabt hat. Dabei kann es passieren, dass man länger an gewissen Parts arbeitet, als es gesund ist. Und dann haben wir festgestellt, dass das Studio, in das wir gehen wollten, während der Pandemie geschlossen wurde. Wir haben uns dann eben für Victor (Bullok, hat unter anderem mit DARK FORTRESS, ANOMALIE und TRYPTIKON gearbeitet, Anm. d. Red.) entschieden. Aber jetzt ist jemand wie der Victor halt auch niemand, der sagt, „Hey, klar, kommst du nächste Woche rum, ich habe eh nichts zu tun.“ Das heißt, Victor hat gesagt: „Ich mache das total gerne, aber ich habe halt erst in einem Jahr Zeit.“ Wir hatten so viel Zeit verschwendet, dass das jetzt auch egal war und wir haben eingeschlagen und ein Jahr auf unseren Wunschproduzenten gewartet. Schlussendlich haben wir das Jahr dann auch noch für viele Details und Feinarbeiten genutzt. Aber es war halt wieder ein Jahr, was dazu kam. Für die Labelsuche und für die Fertigstellung der physischen Produkte, kommen nochmal knapp zwölf Monate oben drauf. So schnell sind zehn Jahre dann auch schon rum. Und da sind wir jetzt.“

Weil NEBELKRÄHE so lange an ihren Liedern gebastelt haben, kann ich der Frage nicht widerstehen, ob Morg das Album überhaupt noch hören kann und stattdessen nicht vielleicht schon neue Musik geschrieben hat. Die eigentlichen Aufnahmen zu „Ephemer“ seien letztlich aber so knapp kalkuliert gewesen, dass zum Beispiel die letzten Gast-Vocals quasi mit der letzten, gebuchten Studiominute aufgenommen wurden. Dementsprechend wäre schlicht und ergreifend gar keine Zeit geblieben, überhaupt an neue Songs auch nur zu denken.

„Aber es gibt ein vages Konzept für eine EP, die eine Art Gedichtvertonung werden könnte. Der Text steht zwar schon, aber ansonsten haben wir noch keinen einzigen Takt dafür geschrieben“, fügt Morg dann aber doch noch an. An den Songs auf „Ephemer“ hat er sich jedoch nicht abgehört, gerade weil sie nach dem Einstieg des neuen Gitarristen (Miserere) noch einmal überarbeitet wurden und man mit frischen Ohren ins Studio gegangen ist. „Außerdem haben sich die Songs über all die Jahre so geschliffen, dass sie aus meiner Sicht perfektioniert worden sind, was man über die eigene Musik nicht oft sagen kann. Bei unseren bisherigen Alben war es immer so, daß sie fertig waren, im Schrank landeten und es dann aber auch gut war. Dieses Gefühl habe ich bei „Ephemer“ zum Glück gar nicht, weil ich glaube, dass wir immer die Chance hatten, trotzdem nochmal etwas zu verbessern. Also da, wo du normalerweise die Songs aufnimmst und dann denkst, jetzt muss es gut sein, und dir dann denkst, eigentlich hätte man da schon noch irgendwas machen können… Das haben wir alles vor dem Release quasi schon durchlaufen und dadurch sind die Songs jetzt wirklich so, wie man sich das wünscht, so wie es andere vielleicht mit einem Re-Release später noch einmal angehen. Wie du es dann hast, so sind die Songs für uns quasi jetzt. Das ist eigentlich ziemlich cool. Also das ist der Vorteil dieses 10-Jahres-Prozesses.“

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25.10.2023

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