Neaera
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Interview

Die Münsteraner NEAERA sind inzwischen eine feste Größe in der deutschen Metalszene. "Omnicide – Creation Unleashed" ist bereits ihr viertes Album und von Qualitätsverlust ist nach wie vor nichts zu hören, genauso wenig von Arroganz aufgrund des Erfolgs. Grund genug, einige Fragen an die sympathischen Herren zu schicken, welche mir Gitarrist Stefan mit dem größten Vergnügen beantwortete.

NeaeraMoin, alles fit?

Jo, alles fit! Ich sitz bei herrlichstem Wetter am Münsteraner Aasee und mache ein Interview mit guten Fragen eines ganz coolen Zines über unsere neue Platte. Was will ich mehr?

Zunächst erst mal Glückwunsch zur „Omnicide – Creation Unleashed“. Soweit ich das nach den ersten Eindrücken beurteilen kann, ist es wieder ein absoluter Kracher geworden. Ich nehme an, ihr seid sehr zufrieden damit, oder?

Danke, danke! Wir sind sehr zufrieden mit dem Produkt, sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit mit Alexander Dietz und glücklich über das Endresultat von Zeuss. Gerade die Entscheidung, die CD im Ausland mixen und mastern zu lassen, war zu Beginn etwas unangenehm. Das Gefühl, so gar keine Kontrolle zu haben, gefiel mir nicht. Im Endeffekt hat Zeuss uns genau den Sound gegeben, den wir uns vorgestellt hatten! Fantastisch, wenn sich solche konkreten Vorstellungen realisieren, ohne dass man groß Kontrolle gehabt hätte.

Damit hätten wir ja den Einstieg zum neuen Album direkt geschafft, eigentlich.

Klar! Bin voll drin!

Also gleich weiter im Takt, ihr habt als Produzenten erneut Alexander Dietz gewählt, der euch ja schon bei „Armamentarium“ zur Seite stand, wie kamt ihr denn auf ihn und was zeichnet ihn als Produzenten aus?

Auf ihn zu kommen, war eigentlich nicht schwer. Es war nahe liegend. Jacob Hansen ist ein super Typ und grandioser Produzent. Doch sind wir auch Freunde des Neuen! Ein höheres Budget gab uns die Möglichkeit, sich einen Mann wie Zeuss leisten zu können und Ali hatte schon auf „Armamentarium“ Großes geleistet. Ali identifiziert sich extrem mit der Arbeit. Durch unsere Freundschaft und die Tatsache, dass er mich schon oft vertreten hat, hat er eine hohe Identifikation mit uns und unserer Arbeit. Im Studio kann man schon mal träge werden. Jedoch nicht Alexander Dietz. Man könnte ihn auch Alexander Trietz nennen! Ein schier endloses Energiebündel.

Es hatte sich ja schon abgezeichnet, dass ihr immer mehr Old-School Death Metal Einflüsse nutzt und das etwas die Melodien verdrängt. War das einfach ein Reifeprozess oder habt ihr euch bewusst dazu entschlossen?

Die Frage finde ich schwierig. Die Grenze zwischen intuitivem Musizieren und bewussten musikalischen Entscheidungen ist schwammig. Es gab eine Entscheidung, sich etwas von Morbid Angel, Behemoth und Wolves in the Throne Room offen beeinflussen zu lassen. Hier und da wird man das hören. Von Bolt Thrower und Heaven Shall Burn sind wir drei Songwriter alle Fans. Die sind immer dabei und der Vergleich (auch der Vorwurfsvolle!) hat uns immer nur geehrt.
Trotzdem würde ich den Begriff Old-School nie mit unserer Musik verbinden. Wir haben uns stets bemüht, durch einen bunten Mix an alt und neu, an verschiedenen Einflüssen und Zitaten etwas „Neues“ oder irgendwie Modernes zu erschaffen. Ob das Ziel erreicht wurde, müssen natürlich andere entscheiden.

Insgesamt finde ich „Omnicide – Creation Unleashed“ weitaus wuchtiger und drückender als den Vorgänger. Nicht, dass „Armamentarium“ jetzt schlecht wäre, aber ich finde, auf dem neuem Album sind die Stücke weitaus zwingender, wütender, abwechslungsreicher, wo siehst du selbst die Hauptunterschiede zum letzten Album?

Ich glaube auch, dass wir in Sachen Härteentwicklung tatsächlich etwas mit der Zeit gehen. Die Zeit ist wieder da für brutalen Sound. Der immer massenkompatibler zu werden scheint, ohne dass viele wissen, wie sich diese Härte in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt hat. Wir sind auch Speedfreaks, die gerne schnell spielen und in den Songs viel passieren lassen. Natürlich muss man dazu erst die technischen Möglichkeiten haben und das dauert seine Zeit.

Ich glaube, dass „Omnicide“ abwechslungsreicher geworden ist, könnte an dem etwas zwangloseren und freieren Songwriting gelegen haben. Außerdem war „Armamentarium“ ein wichtiger Schritt in eine Richtung. Diesen Schritt brauchten wir mit „Omnicide“ nicht wiederholen. Den hatten wir ja bereits hinter uns.

Nimmt Benny eigentlich noch Gesangsunterricht? Ich war schon immer von den Vocals begeistert, aber so fiese Growls habe ich von ihm bisher noch nicht gehört.

Benny hat sich meiner Meinung nach mit unserem Drummer zusammen am stärksten und schnellsten entwickelt in der Band. Sein Stimmvolumen scheint sich von Konzert zu Konzert zu vergrößern. Dass Benny so angepisst klingt auf der Platte ist deutlich auf Ali Dietz zurückführen, der aus Benny mehr rausholt, als in ihm drin zu sein scheint. Für Benny (in Zusammenarbeit mit Ali Dietz zumindest) ist Studio eine Grenzerfahrung, um die ich ihn nicht beneiden kann.

Eure Texte waren immer sozialkritisch geprägt, daran hat sich, nehme ich an, nicht viel geändert? Worum geht es denn in den Songs auf „Omnicide – Creation Unleashed“?

„Caesura“ widmet sich in typischer NEAERA Manier der Finanzkrise, das heißt für mich etwas zynisch, etwas polemisch und doch differenziert. Ansonsten singen wir über Kindersoldaten in Nord Uganda in „The Wretched Of The Earth“, über Sekten und Manipulation in „The Nothing Doctrine“, über Kolonialismus und zerstörerische Arroganz in „I Am The Rape“.
Immer mit einer großen Verachtung vor der Menschheit, die aber von einem höheren Menschenideal rührt, das von gerechteren Zeiten mit weniger sinnlosem Leid träumt.

Der Albumtitel sowie das Layout symbolisieren die Selbstzerstörungstendenzen der Menschheit. Dieses Motiv zieht sich durch alle Platten. Auf „Omnicide“ beschäftigen sich „Grave New World“ zynisch abstrakt und der Titeltrack kritisch konkret mit dieser Thematik. Zusammen bilden sie textlich dann eine Einheit.

Was ich immer ziemlich unterhaltsam finde ist, dsas einige Leute euch nach wie vor krampfhaft versuchen, in die Metalcore-Ecke zu pressen, wobei ich das inzwischen absolut nicht mehr nachvollziehen kann. Wie denkt ihr denn darüber, wenn zum Beispiel in einem Review als Stilbezeichnung „Metalcore“ steht?

Für eine Band wie uns ist es schwierig, sich inbrünstig dagegen auszusprechen, weil wir nicht nur unsere Anfänge, sondern auch unsere ersten Fans aus diesem Genre haben. Daher würden wir wohl nicht sagen, dass wir damit nichts zu tun haben. Metalcore beschreibt ja nicht nur Musik. Auch Optik, Tanz -und Essverhalten sind damit irgendwie verbunden. Ich zitiere uns mal selbst: „We stand on different lines, we dance on twisted knives“.

Ihr habt es ja mit „Armamentarium“ sogar in die Charts geschafft, war das für euch noch mal eine Bestätigung für euer Schaffen?

Die Charts bedeuten für mich persönlich, dass jemand das Datum des Releases weiß und darauf wartet. Das allein ist für mich der Wert der Platzierung und daher eine sehr große Ehre und Genugtuung. Es ist schon eine Art Lohn.

Um generell noch mal etwas weiter in die Vergangenheit zu gehen. Hättet ihr erwartet, je so einzuschlagen? Wenn du zurückblickst, seid ihr ja beinah aus dem Nichts gekommen und habt in recht kurzer Zeit vier qualitativ hochwertige Alben abgeliefert und auf den größten Festivals gespielt, klingt doch schon ein bisschen nach einem wahr gewordenen Traum, oder?

Es ist sicherlich ein wahr gewordener Traum. Unser Bassist machte sich gestern noch etwas darüber lustig, dass ich in einem Interview gesagt habe, dass wir keine „realistischen Erwartungen“ gehabt haben. Aber es stimmt. Niemand hat damals etwas erwartet. Es hätte sich auch niemand getraut.

Und auch, wenn man es vielleicht zu Recht Jammern auf hohem Niveau nennt: es hat auch einige Schattenseiten. Das darf man nicht vergessen. Bei uns werden viele Konflikte ausgetragen, die einem auch manchmal den Spaß nehmen können. Auch das gehört dazu.

Ihr seid ständig auf Tour oder es kommt ein Album, wann, wie, wo entstehen dann überhaupt die Songs? Im Tourbus?

Also ich finde gar nicht, dass wir soo viel unterwegs sind. Wir sind aber eine Band, bei der sich der Songwriting Prozess über einen sehr langen Zeitraum erstreckt. An „Omnicide“ haben wir fast ein Jahr gearbeitet. Es gab drei Touren in dieser Zeit und den ganzen Festival Sommer. Dementsprechend zieht es sich halt hin. Aber unter der Woche haben Tobi und ich immer genug Zeit, um ein paar Riffs oder Melodien für die nächste Nummer zu schreiben. Da wir auch nie länger als zwei Stunden proben, empfinden wir das auch nicht als stressig. Es ist eigentlich sehr relaxt.

Was mich an dem Tourleben noch interessieren würde, wie macht ihr das mit Freunden und Verwandten, ist dafür denn überhaupt noch Zeit?

Naja, wir sind ja keine Ami Band, die das ganze Jahr das Land durchkreuzt, um dann nach der Produktion der nächsten Platte damit direkt wieder von vorne zu beginnen. Das tun wir ja nicht. Oft sind es ja auch nur die Wochenenden. Die Freundinnen beschweren sich natürlich öfter und sicherlich zu Recht.

Zudem, bei alldem Erfolg scheint ihr ziemlich auf dem Boden geblieben zu sein, wenn ich da an so manch andere Künstler und ihre Sonderwünsche auf Konzerten anschaue… jedenfalls hatte ich bisher den Eindruck, dass ihr a) sehr viel Spaß auf der Bühne habt und b) auch immer noch für ein Wort mit dem Publikum offen seid. Woher zur Hölle nehmt ihr die Kraft dazu und was haltet ihr von Bands, die sich sagen wir mal, wie „Diven“ aufführen?

Ach, auch einige von uns können sich zwischendurch etwas divenmäßig benehmen. Aber wir haben, so glaube und hoffe ich, noch genug Anstand, Realitätssinn und Eier in der Hose, um aus sich nicht mehr machen zu müssen, als man ist. Narzisstische Störungen und Größenideen scheinen bei Künstlern und Musikern weit verbreitet. Da gibt es sicherlich auch einen Zusammenhang. Trotzdem hoffe ich, auf dem Boden zu bleiben.

Auch dabei haben uns Heaven Shall Burn beeinflusst. Die benehmen sich manchmal so bescheiden, wie sich bestimmte Bands mit dem ersten Demo nicht mehr verhalten würden. Ich ziehe da extrem meinen Hut vor und habe das immer bewundert.

So kurz vor Schluss noch die Frage nach den Liveplänen für dieses Jahr, wird es neben den Festivalshows auch noch eine eigene Tour geben? Gibt es da schon was Konkretes?

Da sind Dinge für den Herbst im Gespräch, die leider noch nicht konkret sind. Tut mir Leid.

So, nun sind wir durch und kommen zu den berühmten letzten Worten. Vielen Dank von meiner Seite aus und nun schieß los…

Da wir noch vor dem Release stehen und bisher daher wenig Feedback zur Platte bekommen haben, hoffe ich sehr, dass es unseren Fans gefallen wird. Wir sind selber sehr zufrieden und hoffen sehr, dass wir Eure Erwartungen an ein NEAERA- Album erfüllen.

Und an Dich vielen Dank für die guten Fragen! Es hat mit sehr viel Spaß gemacht.

Metal on!

Galerie mit 31 Bildern: Neaera - Summer Breeze Open Air 2024
17.05.2009

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