Napalm Death
Interview mit Sänger Mark "Barney" Greenway

Interview

Napalm Death

NAPALM DEATH veröffentlichen im Januar 2009 ihr neues Album „Time Waits For No Slave“, das so klingt, wie man es von einem NAPALM-DEATH-Album eben erwartet – ohne jedoch nur die vorangegangenen Veröffentlichungen zu kopieren. Sänger Mark „Barney“ Greenway unterhält sich mit uns über das neue Album, die Zeit und Politik.

 

Napalm Death

 

Hallo Barney!

Hallo!

Wenn man sich einmal eure Website ansieht, dann sieht man, dass ihr euer neues Album „Time Waits For No Slave“ in einer Zeit aufgenommen habt, in der ihr zusätzlich sehr viele Shows gespielt habt. Wie habt ihr es hinbekommen, euch gleichzeitig auf die Aufnahmen und die Bühne zu konzentrieren?

Nun ja, das Album ist ja nun auch schon recht lange im Kasten, zumindest was die Aufnahmen selbst betrifft. Außerdem waren es auch gar nicht so viele Shows – natürlich kommen auf die Dauer einige zusammen, aber im Grunde ging das.

Und wie waren denn die Umstände generell, unter denen ihr „Time Waits For No Slave“ geschrieben und aufgenommen habt?

Das lief eigentlich so ab, wie bei jedem NAPALM-Album, um ehrlich zu sein. Shane (Embury, Bass – Anmk. d. Red.) hat immer jede Menge Ideen für Songs in der Hinterhand, er kümmert sich immer schon um das nächste Album, bevor es jemand anders tut und ich schreibe eigentlich auch immer Texte. Wie gesagt – im Grunde lief das dieses Mal wieder ab, wie immer. Aus Ideen entwickeln wir Songs, das dauert etwa einen bis anderthalb Monate und dann sind wir bereit für das Studio.

Um ehrlich zu sein, ist das genau das, was ich erwartet habe, denn in meinen Ohren klingt „Time Waits For No Slave“ nach 100 Prozent NAPALM DEATH – mit einigen experimentellen Elementen. Aber wie klingt das neue Album denn für dich?

Für mich klingt das Album wie die logische Fortsetzung von „Smear Campaign“ (2006 – Anmk. d. Red.). Ich meine, ich persönlich liebe „Smear Campaign“ nach wie vor, es ist ein sehr starkes Album geworden. Aber wie gesagt – wir haben es geschafft, mehr oder weniger eine Fortsetzung zu schaffen. „Time Waits For No Slave“ klingt nicht wirklich nach „Smear Campaign“, es gibt viele Details auf dem neuen Album, die wir so noch nicht dabei hatten, auch wenn das Grundgerüst natürlich dasselbe geblieben ist, wie immer. Ein paar Songs sind anders vom Aufbau und so weiter … da gibt es viele neue Kleinigkeiten, die aber nicht drastisch von dem abweichen, für das wir stehen. Das plus eben viele neue Sachen, die aber zu den Songs passen, so dass das Album irgendwo auch ein bisschen erfrischend wirkt – hoffe ich.

Du würdest also sagen, dass „Time Waits For No Slave“ da anfängt, wo ihr mit „Smear Campaign“ aufgehört habt?

Ja – allerdings sehe ich das so, das ist nur meine Meinung.

Und wie sieht das mit den Lyrics aus? Bezogen auf das Konzept – oder beziehungsweise das Thema – der Texte?

Nun ja, an sich gibt es sowas nicht, denke ich, nur ein sehr grundlegendes Konzept, das erst komplexer wird, wenn man sich ausführlich damit beschäftigt. Der Punkt, an dem das Album textlich ansetzt, ist einer, der uns alle irgendwann im Leben einmal betrifft. Weißt du, wir verbringen so viel Zeit damit, zu arbeiten, zu arbeiten und zu arbeiten, dass wir dabei die einfachen Sachen im Leben, die grundlegenden Dinge übersehen. Ich kenne Leute, die in einer Straße wohnen, an deren Ende es einen Park gibt und die diesen Park noch nie von innen gesehen haben – auch wenn es nur ein Fünf-Minuten-Marsch dort hin ist. Was wäre denn zum Beispiel, würde man an einem Montagmorgen sagen, hey, diese Woche gehe ich nicht zur Arbeit, stattdessen setze ich mich in diesen Park, genieße mein Leben und lese vielleicht ein Buch? Verstehst du? Ich denke, den meisten Menschen fehlt sowas in ihrem Leben, wobei das doch eigentlich die Hauptsache sein sollte.
Das macht die meisten Texte auf „Time Waits For No Slave“ aus. Ansonsten geht es viel um die Tatsache, dass sich viele Leute in ihr Leben rein reden lassen. Es gibt nun einmal Dinge im Leben, die uns gehören, die uns ausmachen und die unsere verdammte eigene Wahl sein sollten. Da hat niemand reinzureden.

Wenn man mal auf den Albumtitel schaut – „Time Waits For No Slave“ -, was genau meinst du dann mit „Slave“ (z. dt.: Sklave – Anmk. d. Red.)?

Nun ja, wie es da steht. Weißt du, Zeit vergeht, Zeit wartet nicht – und wenn du dein ganzes Leben damit verbringst, zu arbeiten und das zu tun, was dir andere sagen, dann hast du irgendwann keine Zeit mehr für dich. Und dann musst du dich fragen, ob du wirklich „Leben“ erfährst … also, ob du dein Leben lebst und nicht nur existierst. Darum ging es mir bei dem Titel – kannst du dich ausklinken und anstatt nur zu existieren dein Leben erfahren? Nicht nur zur Arbeit gehen und danach schlafen, sondern auch deine Umwelt, die grundlegenden Dinge wahrnehmen – das könnte ein Baum im Park sein, etwas wirklich einfaches auf einem grundlegenden Niveau. Ich glaube, wenn man das nicht kann – die einfachen Dinge beachten -, dann kann man auch die komplexeren Vorgänge der Welt nicht verstehen und bist irgendwann tot. Das kommt schließlich definitiv, das ist Natur.

Gibt es denn noch andere Bedeutungsebenen von „Slave“? Denn ich habe den Albumtitel so interpretiert, dass du mit „Sklave“ jemanden meinst, der nur nach dem lebt, was ihm aufgedrückt wird …

Nun, das ist auch ein Teil davon, klar. Den Gedanken könnte man natürlich auch noch ausweiten – in die Richtung zum Beispiel, dass das, was dir Dinge aufdrückt, nicht mal ein Mensch sein muss. Die Akzeptanz der Tatsache, dass du dein Leben nach diesen Regeln leben MUSST, dass du fünf Tage die Woche arbeiten gehen MUSST, dass du dieses neue Auto in deinem Leben haben MUSST, weil dich diese Sachen irgendwie relevanter machen – das muss doch nicht. Weißt du, für mich ist dieser ganze Kram bloß sekundär. Wenn du dein ganzes Leben davon bestimmen lässt, wirst du nie eine erfüllte Existenz haben.
Ein anderes Thema ist Glaube – auch wenn das in eine andere Richtung geht, im Grunde ist es ähnlich. Ich meine, ich habe kein Problem mit Leuten, die einen persönlichen religiösen Glauben haben, aber ich habe ein Problem damit, wenn es dazu kommt, dass anderen Leuten gesagt wird, wie sie ihr Leben zu führen haben. Man muss bei sowas halt immer im Hinterkopf haben, dass die Grundlagen von Religion nicht beweisbar sind – warum also sollte man sein Leben von einer Sache leiten lassen, die nicht einmal konkret ist? Von Gott – was auch immer Gott sein mag. Das klingt für mich lächerlich und es macht mich traurig, dass jemand so ein Leben weg wirft. Ich brauche einfach etwas mehr Freiheit, um mein Leben „Leben“ nennen zu können, als diese ganze religiöse Geschichte zulässt, weißt du, für mich wäre eine nur nach Gott ausgerichtete Existenz eine begrenzte Existenz.

Nun, ich denke, da sind wir ziemlich einer Meinung.
Ähm … eine weitere Frage, die sich auf die Lyrics bezieht: Ich habe den Eindruck, dass du die Inspiration für deine Texte hauptsächlich daraus beziehst, dass du deine Umwelt beobachtest. Würdest du da zustimmen? Oder hast du noch andere Quellen?

Nein, da gibt es mehrere Arten der Inspiration. Das kann natürlich meine Umwelt sein, aber auch der Gedanke an etwas, was mir in der Vergangenheit passiert ist. Oder ich denke an etwas sehr einfaches, das mich irgendwie berührt, und mache daraus etwas.

Gut, dann lass uns zu etwas anderem kommen.

In Ordnung.

Nun, es war für mich noch nicht möglich, das Coverartwork des Albums zu sehen, deshalb hoffe ich, du kannst mir ein bisschen was darüber erzählen. Ich hoffe, dass es typisch für NAPALM DEATH sein wird …

Auf jeden Fall, ich denke, das wirst du genau so finden. Im Grunde wird das Zeit-Konzept genutzt, es wird die Arbeit eines Körpers in einer Uhr dargestellt. Die einzelnen Körperteile stellen dabei Teile der Uhr dar. Dann gibt es noch eine zweite Ebene, und zwar ist eine Hand mit einem Ring sichtbar, denn eines der Themen, die ich auf diesem Album anzugreifen versuchte, ist diese ganze Heiratssache, etwas, das meiner Meinung nach aus dieser paranoiden Haltung der Gesellschaft zu sexuellen Dingen resultiert. Was soll das Ganze? Ich meine, gut, es kann religiöse Hintergründe haben, aber wie ich ja vorhin schon sagte, basiert das meiner Meinung nach nur auf Büchern, nicht auf wirklichen Fakten. Und was ist sonst der Sinn der ganzen Sache? Die Ewigkeit miteinander zu verbringen? Ich meine, wenn man das mal wirklich realistisch sieht, dann ist ewige Liebe nichts, was wirklich existiert. Wie oft hört man denn Sachen wie: „Oh, die Ehe ist auseinander gegangen, wie schrecklich.“ Nein, das ist es nicht, das ist nur natürlich! Menschen leben sich auseinander. Wir sind nun einmal Menschen, und wenn zwei Menschen viel Zeit miteinander verbringen und sich dann irgendwann langweilen – dann ist das eine komplett natürliche Entwicklung. Das ist etwas, was nunmal passiert, es ist nichts, worüber man traurig sein muss. Das ist dann meiner Meinung nach auch der Grund für häusliche Gewalt, denn niemand möchte sich unterdrücken lassen, aber darauf läuft es hinaus, wenn man mit jemandem zusammenlebt, obwohl man das gar nicht mehr will.
Ich will die Sache keinem schlecht reden – wenn zwei Menschen es schaffen, ihr ganzes Leben zusammen zu verbringen … schön! Aber das ist nicht der Normalfall und es sollte keiner darüber reden, wie schrecklich das Gegenteil ist. Wenn du jemanden heiratest und die Ehe scheitert nach sechs Monaten oder sechs Jahren, und du willst nicht mehr mit der Person zusammenleben, dann ist das dein Ding, keine hat das Recht, darüber zu urteilen. Wenn ihr euch trennt, dann trennt ihr euch. Das ist es, ein einfacher Teil des Lebens.

Okay.
Vor ein paar Tagen wurde bestätigt, dass ihr mit NAPALM DEATH auf dem Wacken:Open:Air im August 2009 spielen werdet.

Ja, richtig. Allerdings habe ich das vorhin erst erfahren, hahaha.

Haha. Was ist denn dein Gefühl dabei, wieder nach Wacken zu kommen?

Nun, ich hoffe, das wird dieses Mal unter etwas besseren Umständen laufen, als 2007, haha. Ich meine, wir spielten damals einen guten Gig, nur … also, das Heu hat damals Feuer gefangen, deshalb wurde uns gesagt … ähm … wie hieß noch diese finnische Band … ähm …

Ich glaube, das waren AMORPHIS.

Ja, richtig, AMORPHIS. Nun, auf jeden Fall wurde uns gesagt, AMORPHIS können nicht mehr spielen, also geht da raus. Wir haben also zu früh gespielt, so dass einige Leute, die uns sehen wollten, erst später dazukamen.
Aber wir freuen uns, wieder dort spielen zu können. Ich finde zwar nicht, dass wir unbedingt darein passen, da das Festival seine Wurzeln ja eher im traditionellen Metal hat, aber ein Gig ist ein Gig und wir werden für die Leute, die unsere Show sehen wollen, absolut alles aus uns rausholen und hoffen, dass sie es genießen.

Ja, ich war auch 2007 dabei und hatte da Glück, die ganze Show zu sehen, aber Freunde von mir kamen zu spät und haben fast das halbe Set verpasst. Aber nun ja, 2009 wird dann ja wohl besser werden, haha.

Auf jeden Fall, hahaha. Na ja, Scheiße passiert nun einmal, darauf hat niemand Einfluss, aber wir werden unser bestes geben. Das sollte man immer tun, es war schon immer meine Philosophie, jedes einzelne Konzert so zu spielen, als wäre es dein absolut letztes. Das schuldet man den Fans.

Okay, dann habe ich noch eine politische Frage, denn es ist ja bekannt, dass du dich nicht scheust, deine politische Meinung zu sagen.

Klar, Politik kann zwar etwas verdammt langweiliges sein, da es meistens eher darum geht, Geld zu machen, als etwas zu verändern.

Okay. Ich wäre trotzdem daran interessiert, wie deine Meinung zu den Wahlen in den USA wissen. Was war dein Favorit? Was sagst du zu der ganzen Sache? (Das Interview wurde kurz nach den Wahlen in den USA geführt. – Anmk. d. Red.)

Hm … also, mein Favorit ist ganz klar Obama, ich meine, hast du erwartet, etwas anderes von mir zu hören? Haha. Ich hätte niemals McCain gewählt, niemals, nicht einer einer Million Jahren. Ich meine, wäre er an die Macht gekommen, mit seiner Favoritin für den Posten des Vize-Präsidenten, das hätte allein schon die Rechte der Frauen um etwa 300 Jahre zurückversetzt. Aber trotzdem bleibt die Frage, ob Obama wirklich all das verändern kann, was zu verändern ist. Ich meine, ich wünsche mir, dass er es kann, aber das bedeutet sehr viel Arbeit! Ich habe allerdings ein sehr gutes Gefühl dabei, wenn ein US-Präsident darüber redet, Probleme friedlich zu lösen. Und ich hoffe sehr, dass er etwas gegen die Armut in Amerika unternimmt, denn an manchen Orten dort ist die Armut wirklich übel – wie an jedem Ort der Welt, wo es Armut gibt.
Nun, wir werden sehen, aber ich misstraue Politikern generell erst einmal und lasse mich dann eventuell vom Gegenteil überzeugen.

Gut, dann würde ich nochmal zu einem anderen Thema kommen: In eurem letzten metal.de-Interview, 2006 war das glaube ich, erzählte Shane, dass er sich vorstellen könnte, einen dritten Teil von „Leaders Not Followers“ aufzunehmen. Was würdest du heute sagen?

Ja, auf jeden Fall ist das vorgesehen. Ich meine, ich kann nicht sagen, wann das passieren wird, aber es wird definitiv einen dritten Teil geben, da das eine Sache ist, an der wir alle sehr viel Spaß haben. Es ist nur noch nichts in Planung, aber es wird allein schon deswegen kommen, weil ich denke, dass die beiden ersten Teile sehr gut funktionierten.

So, das war’s von mir, ich hab nur noch ein paar Fragen von unserem metal.de-Forenmitglied Predator.

In Ordnung.

Als erstes würde ihn interessieren, da es ja seit Jahren kein Gründungsmitglied mehr in der Band gibt – schon auf dem Debütalbum „Scum“ war keiner davon mehr dabei -, ob NAPALM DEATH vielleicht so etwas wie ein ewiges Projekt ist.

Schwer zu sagen, aber im Grunde sehe ich NAPALM DEATH schon als Band an. Ich meine, wir spielen seit Jahren in dieser Konstellation und da wird sich wohl so schnell auch nichts dran ändern. Tendenziell also eher nein, und „Projekt“ ist meiner Meinung nach definitiv das falsche Wort!

Okay.
Dann hätte Predator noch die Frage, welches Album für dich das wichtigste war.

Hm … da gibt es zwei: Zum einen „Utopia Banished“ (1992 veröffentlicht – Anmk. d. Red.), da ich finde, dass das Album einfach super heftig ist und einfach nur knallt, zum anderen „Enemy Of The Music Business“ (veröffentlicht im Jahr 2000 – Anmk. d. Red.), weil das Album einen Wendepunkt in unserer Karriere bedeutete.

Gut … ich glaube, das war es mit der Zeit, oder?

Ja, an sich schon seit vier Minuten … ich muss mich jetzt auch beeilen, dein Kollege, der als nächstes dran ist, wartet.

Okay. Danke und tschüss!

Ja, ciao, ich danke dir!

Galerie mit 31 Bildern: Napalm Death - Campaign For Musical Destruction 2024 Saarbrücken
25.01.2009

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