Nailed To Obscurity
"Stumpfes Durchbrüllen hätte einfach nicht funktioniert"
Interview
Das neue Album „Black Frost“ der Melodic Deather NAILED TO OBSCURITY aus Niedersachsen steht in den Startlöchern. Bereits die letzten beiden Scheiben konnten viele positive Kritiken einheimsen, weshalb die Band im Sommer 2018 auch einen Vertrag mit dem Branchenprimus Nuclear Blast abschließen konnte. Wir unterhielten uns mit Gitarrist Jan-Ole Lamberti und Sänger Raimund Ennenga über den Labelwechsel, die Entstehung von „Black Frost“ und die Entwicklung des Melo Death.
Hallo Ole, hallo Raimund! Erst einmal, wenn auch etwas verspätet, herzlichen Glückwunsch zu Eurem Deal mit Nuclear Blast. Könnt Ihr vielleicht direkt einmal erzählen, wie es dazu gekommen ist?
Ole: Vielen Dank! So ganz genau sagen, wie es abgelaufen ist, können wir gar nicht, da wir selbst nicht so sehr involviert waren. Mit dem Release von „King Delusion“, was ja noch bei Apostasy Records erschienen ist, haben wir bemerkt, dass etwas passiert und wir mit dem Album einen Schritt gemacht haben, den wir auch machen wollten, aber in dem Ausmaß nicht unbedingt erwartet hatten. Also dachten wir: „Ok, jetzt ist es vielleicht an der Zeit, auch mal größere Labels anzugehen.“ Tomasz (DAWN OF DISEASE, Inhaber von Apostasy Records – Anm. d. Red.) sah das aber selber auch so, dass er eigentlich nicht mehr für uns tun kann, und wir einen größeren Deal haben sollten, um unser Momentum auch nutzen zu können. Er hat uns diesen Deal dann letztlich sogar verschafft. Wir haben zwar auch Gespräche mit anderen Labels geführt, aber sein erklärtes Ziel war tatsächlich Nuclear Blast. Er bleibt aber weiterhin unser Manager, was wir sehr cool finden, da wir schon so lange mit ihm zusammenarbeiten.
Daher fühlt sich dieses Release, trotz Labelwechsel, eigentlich gar nicht so viel anders an, als bisher. Was wir natürlich merken ist, dass jetzt mehr Leute involviert sind und einfach ein viel größerer Apparat dahinter steht. So etwas merkt man aber meist erst, wenn die Promotion zu einem Album startet, man Interviews gibt, usw. Natürlich habe ich vorab schon etwas Kontakt zum Label gehabt, z.B. als es um die Anlieferung der Master ging. Aber da sich unser Team letztlich kaum verändert hat, war es für uns schon fast ein Running Gag: „Ach stimmt, wir sind ja jetzt bei Nuclear Blast.“
Schön, dass das so harmonisch abgelaufen ist und jetzt nicht z.B. das kleine Label enttäuscht zurück bleibt…
Ole: Genau, das ist bei uns eben nicht so und wir sind bislang auch immer sehr gut damit gefahren, dass wir den Leuten gegenüber, die uns über die Jahre geholfen haben, sehr loyal bleiben. Auch wenn wir beispielsweise einen Booking Agenten gewechselt haben, sind wir eigentlich immer im Guten auseinander gegangen. So sind wir auch mit diesen Leuten bis heute in Kontakt und sie kommen als Kumpels zu Festivals und zu unseren Konzerten. Das ist uns schon sehr wichtig.
Raimund: Schlussendlich wissen wir auch, was wir solchen Leuten zu verdanken haben. Das führen wir uns immer wieder vor Augen und das macht es einfach angenehmer, dass man diese Menschen weiter als Freunde in seinem Umfeld haben darf. Da steckt auch kein Kalkül dahinter, es funktioniert auf dieser Ebene einfach wunderbar.
Ole: Ich glaube, es liegt aber auch daran, dass wir schon vorab sehr genau auf die persönliche Seite schauen. Bevor wir uns wirklich festlegen und sagen, dass wir mit dem jetzt das und das machen, wissen wir schon: „Mit dem Typen kommen wir aus.“ Der erste Grundstein, der gelegt werden muss ist einfach, dass wir uns persönlich sehr gut verstehen.
Man hofft ja immer, dass es gerade in der Metalszene so familiär abläuft. Daher ist es schön zu hören, dass es bei Euch auch tatsächlich so ist.
Kommen wir dann auch direkt zum neuen Album „Black Frost“. Für mich wirkte der Vorgänger „King Delusion“ ein wenig wie eine Perfektionierung dessen, was Ihr mit „Opaque“ angefangen hattet, mit besserem Sound und ausgefeilterem Songwriting. Dieses Mal gibt es in Eurem Gesamtsound wieder stärkere Veränderungen. Hattet Ihr da in erster Linie im Sinn, Euch nicht zu wiederholen?
Ole: Das bringst Du eigentlich ganz gut auf den Punkt. Ich mag „Opaque“ total gerne, aber danach hatten wir das Gefühl, dass wir unseren Sound, den wir gerne machen wollen, gefunden haben, aber da durchaus noch mehr geht. Gerade auch mit einem gewissen Abstand zu der Platte. Wir hatten dann einen etwas besseren Plan, wie wir ans nächste Album herangehen wollen, was wir besser ausarbeiten möchten. Vieles ist aber auch einfach so passiert, da man ja doch nicht alles von vorne bis hinten durchplant. Dabei ist dann letztlich „King Delusion“ entstanden. Ich bin damit immer noch hundertprozentig zufrieden und ich denke, das trifft auf jeden in der Band zu. Daher ist „King Delusion“ auch das erste Album, bei dem wir hinterher dachten: „Da braucht man eigentlich nichts anders machen, das ist einfach geil so.“
In der ersten Songwritingphase schreiben Volker (Dieken, zweite Gitarre, – Anm. d. Red.) und ich die Grundgerüste der Songs immer zu zweit. Die nehmen wir mit in den Proberaum, wo dann das eigentliche Songwriting mit der ganzen Band stattfindet. In dieser ersten Phase ist uns selber aufgefallen, dass wir immer wieder „King Delusion“ als Maßstab genommen und uns so sehr daran orientiert haben, dass wir dazu neigten, ähnliche Songs nochmal zu machen. Wir haben uns dann gesagt, dass wir so ein Album natürlich nochmal machen können, es aber maximal eine Kopie sein wird und Kopien eben meistens schlechter als das Original sind.
Da wir das eigentlich vorher auch noch nie gemacht hatten und aus meiner Sicht jedes Album seinen eigenen Charakter hat, nahmen wir uns dann vor, „King Delusion“ einfach komplett auszublenden. Unser Ziel war dann, etwas eigenständiges zu machen, den Sound weiterzuentwickeln, die düsteren Anteile von „King Delusion“ aufzugreifen und daraus eine atmosphärischere Platte zu schreiben. Ich denke genau das ist es dann auch geworden.
Um bezüglich Veränderungen im Gesamtsound noch etwas mehr ins Detail zu gehen: Was natürlich sofort auffällt ist, dass der Klargesang mehr Raum einnimmt als bisher. Aus meiner Sicht hat er sich aber auch grundsätzlich verändert. Gerade z.B. zu Beginn von „Tears Of The Eyeless“ fühlte ich mich doch stark an neuere KATATONIA erinnert.
Raimund: Auf der einen Seite war es zwar durchaus gewollt, dass vielleicht etwas mehr Klargesang zum Einsatz kommt, auf der anderen Seite folgt der Gesang als solches aber natürlich auch immer der Dynamik der Songs. Das war mir schon immer wichtig, und entsprechend auch bereits auf „Opaque“ und „King Delusion“ so. Dass wir auf diesem Album aber, wie Ole gerade schon erwähnt hat, mehr denn je auf Atmosphäre gesetzt haben und viel flächigere Gitarren da waren, hat nicht unbedingt dazu geführt, dass Growls an allen Stellen immer gut passten. In einigen Passagen musste stimmlich irgendwie mehr passieren, der Gesang einfach dynamischer werden.
Ich entwerfe die Texte immer erst einmal als grobe Skizzen und Ideen, die ich dann auch bereits den anderen zur Verfügung stelle. Als ich dann aber angefangen habe, diese Skizzen mit den Songs zu kombinieren, zu phrasieren und die Texte weiter auszugestalten, habe ich gemerkt, dass stumpfes „Durchbrüllen“ einfach nicht funktioniert hätte und den Songs auch nicht gerecht geworden wäre. Außerdem entwickelt sich natürlich auch in den Köpfen der anderen Bandmitglieder, wenn sie an den Instrumentals arbeiten, eine Idee, wie der Gesang in etwa funktionieren könnte. Im Dialog kamen dann auch noch weitere Ideen zustande. Manchmal ganz kryptisch à la „es wäre cool wenn Du hier etwas anderes machen könntest“, manchmal wird aber auch ein konkreterer Vorschlag an mich herangetragen. Das versuche ich letztlich natürlich auch alles mit einfließen zu lassen. Am Ende war dann eben das Ergebnis, dass der Cleangesang häufiger eingesetzt wird. Ich würde ihn aber vielleicht eher „Effektgesang“ nennen, da es ja nicht immer auf die gleiche Art und Weise gesungen wird. Du hast ja gerade schon „Tears Of The Eyeless“ als Beispiel herausgepickt, dort ist es eher dieser klassische, weiche Cleangesang. Es gibt aber auch eher etwas „gehauchten“ Klargesang oder Flüstern, was ich sogar auch versucht habe auf verschiedene Weisen umzusetzen. Leicht „angekratzte“ Passagen wirst Du ebenfalls finden.
Diese Dynamik im Gesang ist einfach entstanden, da die Musik es erforderte und weil wir auch ein wenig den Fokus bewusst darauf gesetzt haben. Wir haben das Studio sechs Wochen, bevor wir das Album final aufgenommen haben, schon aufgesucht, um einerseits mit Victor (V. Santura, Produzent des Albums – Anm. d. Red.) zusammen die Songstrukturen als solche noch einmal durchzugehen, aber eben auch um beim Gesang detaillierter herauszuarbeiten, was man an den einzelnen Stellen machen könnte. Dabei entstanden auch die mehrstimmigen Gesänge, die wir bei „Protean“ auf „King Delusion“ schon einmal ausprobiert hatten und jetzt noch weiterentwickeln und verfeinern wollten. Bei „Tears Of The Eyeless“ sind wir in diesem Schritt besonders detailreich vorgegangen, es waren auch Ideen aller Bandmitglieder involviert.
Ole: Den Vergleich mit neueren KATATONIA finde ich übrigens nicht so abwegig, wobei wir uns gar nicht so sehr daran orientieren. Bei dieser Art des melodiösen Cleangesangs sind Volker und ich relativ stark involviert, wenn es um die Melodieentwicklung geht. Wir sind da bezüglich der Melodieführung ein bisschen wählerisch, da die Atmosphäre, die wir mit den Gitarren erzeugt haben dadurch nicht verändert werden soll. Vielmehr möchten wir beides miteinander verschmelzen.
Um aber auf den Vergleich zurück zu kommen: Natürlich geht das harmonisch, gerade durch die melancholische Atmosphäre, in eine sehr ähnliche Richtung, wie das z.B. bei neueren KATATONIA der Fall ist. Dazu kommt, dass auch die Art und Weise, wie Raimund singt, das etwas zurückgenommene, nicht so stark pressende, von frühen OPETH, KATATONIA und ANATHEMA beeinflusst ist. Diese Art von eher getragenem, zerbrechlichen Gesang steht solcher Musik einfach gut, viel eher als sehr gepresste, poppige Vocals. Aus diesem Grund setzen Bands wie KATATONIA das vermutlich ähnlich ein.
Zum Songwriting an sich: Die Kompositionen auf „Black Frost“ scheinen für mich wieder ein wenig zugänglicher zu sein. Auf „King Delusion“ wirkten die Songs sperriger, während es auf der neuen Scheibe einfacher ist, einen Draht zu dem Material zu bekommen. Seht Ihr das selber vielleicht ganz anders und habt ihr am Songwritingprozess etwas verändert, was dazu geführt haben könnte?
Ole: Für uns ist das natürlich schwer zu sagen, wie es ist, den Zugang zum Material zu bekommen, da wir diesen Punkt ja verpassen. Wir haben aber auch schon von vielen genau das Gegenteil gehört. Denen ist es etwas schwerer gefallen, reinzukommen und es brauchte ein paar Anläufe, dafür haben die Songs am Ende aber um so mehr gezündet. Das finde ich persönlich aber ganz gut, da das bei meinen heutigen Lieblingsalben auch immer so war. Wenn ich denke, „das hat irgendwie was, aber so richtig geschnallt habe ich es noch nicht, das muss ich noch ein paar Mal hören“, sind das meistens die Alben die in drei, vier oder fünf Durchläufen so dermaßen wachsen, dass man die immer wieder hören kann und richtig süchtig danach wird. Andere Alben hat man nach dem ersten Hören direkt verstanden, danach geben sie einem aber nicht mehr viel. Für mich gibt es eigentlich nur diese beiden Typen von Alben.
Am Songwritingprozess hat sich aber bei uns nicht viel geändert. Wie schon erwähnt, schreiben nach wie vor Volker und ich die Grundgerüste, wir gehen in den Proberaum und schreiben dann alle zusammen daran weiter. Das sieht dann im Detail so aus, dass wir unsere Ideen zunächst allen erklären, was wir uns wie vorstellen. Das wird dann erst einmal so umgesetzt und von da aus weiterentwickelt, ob etwas z.B. schneller gespielt werden muss oder gar nicht funktioniert und komplett verworfen wird, was auch oft genug passiert. In den meisten Fällen hat jeder Ideen, die alle unterschiedlich sind. Wir probieren alle aus und am Ende wird es eine Mischung aus all diesen Einflüssen. Lustigerweise funktioniert das letztlich immer am besten.
Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass wir dazu alle zusammen im Proberaum sein müssen. Das ist zwar cool, aber schwierig für uns, da wir mittlerweile alle relativ weit voneinander entfernt wohnen. Früher haben wir genau aus diesem Grund sehr lange gebraucht, um Alben fertig zu bekommen. Daher haben wir es dieses Mal wirklich so durchgezogen, dass wir uns ab dem Beginn der Proberaum-Sessions im Februar 2018 bis zum Studiotermin Ende August, absolut jedes Wochenende komplett im Proberaum eingeschlossen haben um Songs zu schreiben, sofern wir nicht live gespielt haben. Sonst wäre das in dieser Zeit nicht machbar gewesen. Das war natürlich anstrengend, aber auch sehr produktiv.
Der einzige Unterschied war, wie von Raimund schon erwähnt, die Woche der Vorproduktion im Studio zusammen mit Victor, wo wir auch noch viel an den Songs gedreht haben. Das würde ich gerne in der Zukunft so beibehalten und vielleicht zeitlich sogar noch ausweiten. So produktiv und fokussiert an dem Material arbeiten konnte ich vorher tatsächlich noch nie.
Eine Sache halte ich vielleicht noch für erwähnenswert: Wir haben für „Black Frost“ extrem viele Songs angefangen. Im Endeffekt haben wir parallel an 21 Ideen gearbeitet und bis auf die sieben Songs, die jetzt wirklich auf dem Album gelandet sind, haben wir alles andere wieder verworfen. Wir haben zwar schon immer mehr verworfen als letztlich veröffentlicht, aber an so vielen Songs gleichzeitig gearbeitet eben noch nie. Das schöne daran war, dass man, wenn man an einer Stelle nicht weiter kam, die Fragmente wie eine Playlist durchgehen konnte und einem garantiert zu einem anderen wieder etwas einfiel. So konnten wir die Wochenenden einfach besser nutzen. Da wir nur diese Wochenenden hatten, wäre es natürlich blöd gewesen, wenn zwar alle da sind, aber keine Ideen zum Weiterarbeiten vorhanden.
Wenn wir tatsächlich aufnehmen, gehen wir übrigens auch nicht mit komplett fertigen Songs ins Studio. Da sind wir genau so offen für Veränderungen, die uns dort zufällig auffallen. Alle Soli sind z.B. auch während der Studio-Sessions entstanden. Das letzte Solo in „Road To Perdition“ habe ich eigentlich improvisiert und am Tag, an dem ich es aufgenommen habe, erst geschrieben. Ich habe ein wenig herumgespielt und fand es so gut, dass ich es direkt aufnehmen wollte, bevor ich es vergesse, obwohl die Aufnahme eigentlich erst ein paar Tage später geplant war. Bei Volkers Soli war das ähnlich. Diese Spontaneität versuchen wir uns im Studio immer offen zu halten. Das bringt einfach eine gewisse Lebendigkeit in die Aufnahmen, genau wie wir die Songs ja auch in einer Quasi-Livesituation schreiben. All das führt im Endergebnis, glaube ich, zu einem relativ natürlichen Sound, der in einer gewissen Art und Weise auch ein „Live-Feeling“ ausstrahlt, obwohl es sehr sauber produziert ist.
Wie Du gerade schon erwähnt hast, Ole, lebt Ihr mittlerweile relativ weit voneinander entfernt. Soweit ich weiß übt Ihr auch alle „nebenbei“ noch normale Jobs aus. Anfang des Jahres 2019 tourt ihr dann direkt mit AMORPHIS, SOILWORK und JINJER durch Europa und einige Festivalshows sind ebenfalls bereits bestätigt. Mir kommt es so vor, als würdet Ihr Eure Touraktivitäten deutlich ausbauen. Wie vereint Ihr das mit Euren Jobs und den weit voneinander entfernten Lebensmittelpunkten?
Raimund: Du hast natürlich Recht, wir möchten unsere Live-Aktivitäten ausbauen und sind deshalb ganz froh über den Schritt, den wir im Booking-Bereich machen konnten. Das ist vielleicht ein wenig untergegangen, aber auch dort sind wir seit Mitte 2018 in neuen Händen. Klar, wir möchten so viel live spielen, wie es irgend möglich ist, aber sicherlich gibt es da diese kleinen Schranken, wie Jobs und Kilometer, die gefahren werden müssen. Diese Kilometer, die wir beispielsweise zu einer Probe zurücklegen müssen, fühlen sich aber mittlerweile schon total normal und natürlich an…
Ole: Ich finde auch, wenn wir zu Konzerten fahren, die übertrieben weit weg sind – wir dachten z.B. dummerweise, dass es eine bessere Idee wäre mit dem Auto nach England zum Bloodstock zu fahren, statt zu fliegen – fühlt sich das alles nicht so schlimm an. In der Gruppe macht das einfach Spaß.
Raimund: Wir haben einfach einen guten Draht zueinander. Was das Fahren zu den Proben angeht: Ich selbst kenne das ohnehin gar nicht anders. Egal wo ich bislang gewohnt habe, musste ich immer diese Kilometer zurücklegen, das gehört schon irgendwie dazu und ich bewerte es schon fast gar nicht mehr. Bisher hatten wir auch alle bezüglich unserer Jobs immer Glück. Mal schauen, was da noch für Hürden auf uns zukommen. Wir hoffen aber natürlich, dass es so wie bisher weiter gehen kann.
Ole: Tatsächlich ist es so, dass es um uns gerade ganz gut zu stehen scheint (lacht). Wir diskutieren im Moment schon einiges, da wir gerne noch deutlich mehr machen wollen. Das würde aber bedeuten, dass wir relativ drastische Schritte bezüglich unseres Privatlebens einleiten müssten. Einige von uns verändern schon etwas, um darauf gegebenenfalls vorbereitet zu sein, aber andere können das auch einfach nicht. Da suchen wir momentan nach Lösungen. Ob wir das dieses Jahr schon alles umsetzten können oder auch erst nächstes, wissen wir einfach noch nicht. Wir wissen also, dass wir einiges verändern müssen, um künftig auch live noch mehr machen zu können, was uns auch wirklich enorm wichtig ist.
Zum Abschluss würde ich gerne noch ein allgemeineres Thema ansprechen. Wie seht Ihr die Zukunft des Melodic Death Metal? Einige Leute meinen, der klassische Melo Death der Neunziger wäre tot, andererseits kehren Bands wie AT THE GATES oder auch NIGHT IN GALES gerade zu ihrem ursprünglichen Sound zurück. Viele experimentieren auch mit anderen Stilrichtungen, wie z.B. Doom, was ja auch bei Euch ein Thema zu sein scheint. Da ich Euch auch dem Melodic Death zuordnen würde: Wohin geht die Reise aus Eurer Sicht?
Raimund: Das ist wirklich eine schwierige Frage. Erst einmal möchte ich gerne, zusätzlich zu den von Dir genannten Bands, noch FRAGMENTS OF UNBECOMING empfehlen. Das sind gute Freunde von mir, und die passen in diese Aufzählung, denke ich, ganz gut rein. Aber etwas über die Zukunft des Genres zu prognostizieren ist wirklich schwer. Allgemein ist die Entwicklung von Musik ja ein sehr dynamischer Prozess. Daher gibt es ja auch immer wieder „Peaks“, Genres die dann plötzlich besonders favorisiert werden. Wenn man jetzt, wie von Dir schon genannt, AT THE GATES oder auch „klassische“ IN FLAMES – ich denke jeder versteht was ich damit meine – als Blaupausen für den klassischen Melodic Death Metal nimmt, weiß ich nicht, ob das noch einmal in dieser Form zurück kommt. Es wird aber natürlich immer Bands geben, die diesen Stil weiterhin spielen, davon bin ich überzeugt.
Im Metal gab es bisher ja immer plötzlich irgendwelche Mischungen, in denen ein anderes Genre mit Metal kombiniert wurde. Das plakativste Beispiel ist da vermutlich Metalcore, wo Melodic Death mit Hardcore verbunden wurde zu etwas neuem, angereichert u.a. durch die typischen cleanen Gesangspassagen. So etwas passiert immer wieder, und ich könnte mir Vorstellen, dass es auch zukünftig wieder neue Mixgestaltungen geben wird. Wir haben z.B. einen gewissen Anteil Doom in unseren Sound integriert, vielleicht sogar ganz entfernt ein wenig Gothic Metal, wenn man eher an Bands wie MOONSPELL oder PARADISE LOST denkt. Andere Bands reichern ihren Stil wiederum elektronisch an. Langfristig wird sich vielleicht einfach eine neue Schublade öffnen und man hat wieder einen neuen Namen. Melodic Death Metal gibt es schon so lange, vielleicht muss mal wieder ein neuer Begriff in diesen Topf geschmissen werden, auf den sich Bands dann stürzen können. Eine konkrete Antwort zur Entwicklung des Genres kann ich Dir also gar nicht geben. Ich finde es aber auch spannend, das Ganze einfach mal abzuwarten.
Ole: Ich gehe auch davon aus, dass Melodic Death in dieser Form nicht aussterben wird, da es einfach kein kurzlebiger Trend ist, wie das – zumindest in meinen Augen – Metalcore war. Es gibt ihn zwar noch, aber diese Welle an Metalcore-Bands nicht mehr unbedingt. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir eine Zeit lang wirklich Schwierigkeiten hatten, mit Metal-Bands zusammen zu spielen. Diese Bands klangen dann oft auch sehr ähnlich, was ich gar nicht unbedingt auf die großen Bands beziehe, die bekannt geworden sind. Die sind groß geworden und geblieben, da sie eine gewisse Qualität und einen eigenen Stil innerhalb des relativ limitierten Sounds hatten. Aber viele der kleinen Bands waren einfach ziemlich offensichtliche Kopien davon. Wenn man die Leute gesehen hatte, wusste man bereits wie die klingen. Die waren quasi uniformiert und haben die Songs so geschrieben, wie eben so ein Metalcore-Song sein muss. Da ist der Breakdown an der Stelle, die Harmonien bestehen nur aus diesen typischen, glaube ich, großen und kleinen Terzen. Das ist mittlerweile wieder deutlich weniger geworden, auch wenn ich das Gefühl habe, dass die größeren Bands gerade ein kleines Revival erleben, aber eben auch nur die.
Und genau so sehe ich das beim Melodic Death nicht, da das Genre einfach viel breiter gefächert ist. Da gibt es allein schon so viele Bands, mit denen ich selbst kaum etwas anfangen kann. Durch die Melodien hat man einfach auch viel eher die Möglichkeit, eine eigene Handschrift mit einzubringen. In vielen anderen Subgenres ist das nicht so, dass die Ausprägungen zwischen den Bands so extrem unterschiedlich ausfallen.
Aus meiner Sicht war es auch früher nicht so, dass es DEN einen Melo-Death-Sound gab, wie beispielsweise im Metalcore. Ich finde, dass IN FLAMES, AT THE GATES und DARK TRANQUILLITY zu der Zeit, als sie den Grundstein gelegt und diese Szene begründet haben, auch schon ziemlich unterschiedlich klangen. Jede Band hatte da schon ihren eigenen Sound. Wenn man dann z.B. SOILWORK nimmt, mit denen wir ja jetzt auf Tour gehen, haben die einen viel progressiveren, technischeren Ansatz. Eine Band wie AMORPHIS, die zwar mit Göteborg nichts zu tun hat, aber auch melodischen Death Metal spielt, hat wiederum eine sehr Folk-lastige Herangehensweise.
Irgend eine Form von melodischem Metal mit Death-Metal-Anteilen wird es immer geben, so lange es Metal gibt. Ich finde es auch bei uns schwierig, NAILED TO OBSCURITY in die Melo-Death-Schublade zu schieben, obwohl wir natürlich Death Metal machen, der sehr melodisch ist. Trotzdem sehe ich es anders als Raimund, ich finde nicht, dass man einen anderen Begriff braucht. Ich bin kein Freund davon, neue Genres zu erfinden, damit man einfach einen Namen hat. Für mich reicht es eigentlich, wenn alles einfach Metal ist und jeder sucht sich heraus, was ihm gefällt oder eben auch nicht.
Raimund: Absolut richtig. Das war von mir auch eher als kleine, zynische Bemerkung bezüglich der diversen Trend-Hypes gedacht. Diese Hochphase, die dieses Genre mal hatte, wo Melodic Death vielleicht auch wirklich ein kleiner Trend war, die gibt es natürlich nicht mehr.
Vermutlich hat es sich auch genau in diese Richtung entwickelt. Es gab einen gewissen Trend, in dieser Phase hat sicher auch einiges ähnlich geklungen, aber mittlerweile hat sich das in die von Ole angesprochene Richtung entwickelt. Alles, was eine gewisse Death-Metal-Basis hat, aber gleichzeitig sehr melodisch ist – obwohl die melodischen Parts sehr unterschiedlich sein und aus Genres wie Folk, Doom, usw. stammen können – wird als Melodic Death zusammengefasst.
Ole: Genau, es gibt einfach so viele verschiedene Ausprägungen, dass man gar nicht mehr von DEM Melo Death sprechen kann.
Raimund: Daher verwenden die Labels mittlerweile wohl auch eher diese Sticker: „Für Fans von…“ Das ist einfach aussagekräftiger als jede Genreschublade.
Das ist doch ein schönes Schlusswort. Ich danke Euch für das entspannte und ausführliche Gespräch!