Moonspell
Interview mit Sänger Fernando zu "Memorial"
Interview
MOONSPELL gehörten Anfang der Neunziger zu den innovativsten und interessantesten Bands in der europäischen Gothic Metal Szene. Sie beeinflussten mit ihrem Stil nicht wenige andere und machen sich mit Alben wie „Wolfheart“ oder „Irreligious“ für immer unsterblich. Nach jahrelanger Stagnation kehren die Portugiesen mit „Memorial“ auf die Bildfläche zurück und beweisen, dass sie nichts verlernt haben. Stilecht beantwortete ein nachdenklicher Sänger Fernando meine Fragen von einem Ort aus, der einem Dichter würdig ist – einer Bibliothek in Lissabon.
Hallo Fernando. Der Albumtitel „Memorial“ wirkt auf mich sehr vergangenheitsbezogen und sehr nostalgisch. Sehe ich das richtig?
Teilweise, ja, aber es ist immer noch ein Album dieser Tage und das zu betonen ist sehr, sehr wichtig. Wenn man älter wird, kommt irgendwann der Abschnitt in deinem Leben, wo man anfängt über sich selbst nachzudenken. Dieser Abschnitt ist für MOONSPELL jetzt gekommen. Dieser Blick nach Innen hat natürlich sowohl seine guten als auch seine schlechten Seiten. Man fühlt sich speziell aber auch unvollendet. Ich glaube, dass das das ist, was uns viele Chancen nimmt. Deine Vergangenheit, Tradition, Geschichte, sowie Personen und Musik sind die Dinge, die einem in eben dieser Vergangenheit geholfen haben, sich als Person zu entwickeln, in besonderer Weise zu sich selbst zu finden und dann zu entscheiden, ob die Dinge, wie sie heute sind, unvergänglich sind und einem selbst nach all den Jahren immer noch etwas bedeuten. Ob das den Leuten gefällt oder auch nicht, sie es klar sehen oder als mitleidserregenden Versuch, vergangene Taten wiederzubeleben, spielt eine untergeordnete Rolle.
Was wollte ein Fernando Ribeiro zu Anfang seiner Karriere und was will er heute?
Ich wollte, dass die Leute meine Musik hören und ich wollte sie so provozieren, wie solche Bands wie CELTIC FROST und BATHORY auch mich provoziert haben. Heute sind die Mittel anders, wie auch die Herzen und der Verstand, aber mein Ziel bleibt makellos und rein.
Durch „Wolfheart“ habe ich überhaupt angefangen Metal zu hören. Wie bewertest du nach elf Jahren die Wichtigkeit von „Wolfheart“ für euch und die Szene?
„Wolfheart” war für uns alle eine große Überraschung und wir sahen uns darin bestätigt, dass man was Besonderes wollen muss, dass man seinen kulturellen Wurzeln und der eigenen Originalität treu bleiben muss und den Mut haben muss, was Neues auszuprobieren und nicht auf den „nordischen“ Trend-Zug aufspringen soll, um schnell und böse zu spielen, ohne man selbst zu sein. Außerdem hatten die Leute keinerlei Erwartungen in uns gesetzt und das half natürlich auch. Heutzutage ist es anders. Alles ist zynischer geworden, was eine Schande ist, wie ich glaube. Alles was „Wolfheart“ zu einem unerwarteten Klassiker machte, die Geister die uns jagen, ist eine treibende Kraft für die Szene, uns miteingeschlossen. Nicht nur die Musik an sich, sondern auch ein Beispiel wie es gehen kann, eine unausgesprochene Erklärung.
Spätestens mit „The Butterfly Effect“ waren MOONSPELL für mich als Die-Hard-Fan tot. Willst du über diesen musikalischen Abschnitt in euerer Bandgeschichte sprechen oder wollen wir gleich zur nächsten Frage übergehen?
Nicht nur für dich, auch für viele andere Fans, speziell auch in Deutschland. Aber wir liefen nie vor Fragen weg, nie vor der Verantwortung die Musik mit sich bringt. Niemand hat mehr unter dem Abstand zwischen uns und unseren Fans gelitten als wir selbst. Aber wie ich bereits sagte, wir können vor dem, was wir tun müssen und dem, was unser Herz und unser Intellekt uns nötigten zu tun, nicht weglaufen. Vielleicht ist es unser Fluch oder die einzige Sache, die uns Ruhm bringen könnte. „Butterfly“ war unsere „Blaue Periode“, in der wir ein extremes, ja ein apokalyptisches Album aufnahmen, über Themen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahre 1999 aktuell waren. Weder MOONSPELL noch sonst einer muss sich für dieses Album entschuldigen, wir tun, was wir tun müssen und so machen es alle. Ich hasse diese Bands, die das machen, was ihre Fans hören wollen. Vielleicht bin ich ja nur ein Träumer, aber liebe es zu lernen und mich als Person an Wissen zu bereichern, so verhält es sich bei mir in der Musik, der Kunst, bei Metal. Der Rest ist aber Business und auch wenn es ok ist, das eine oder andere Album von MOONSPELL nicht zu lieben, sollten sich die Leute ansehen, was für Schrott sie die Tage konsumieren. Die Zuhörerschaft beurteilt alles, aber vergisst sich selbst in die Überlegungen miteinzubeziehen.
Für mich ist das Motto der neuen Scheibe „Back to the roots“. Sie hört sich wie eine Mischung aus „Under The Moonspell“ und „Irreligious“ – Black Metal and Gothic Metal an. Wo sind die „Wolfheart“-Elemente geblieben?
Dieses „Back to the roots“ Ding ist ein neuer Trend in der Presse, das oft verwendet wird, um etwas schneller zu beschreiben, dass eigentlich mehr Zeit benötigt, um sich da reinzudenken. Zu sagen „Memorial“ ist nur ein „Back to the roots“ Album, ist nur eine Facette der Geschichte und führt die Leute auf eine falsche Fährte. Aber, wenn es das ist, was sie denken, finde ich das ok und erlaube mir, anderer Meinung zu sein. Alle MOONSPELL Elemente sind vorhanden: das Visuelle, eine Geschichte, Texte, die Herz und Intellekt ansprechen, Experimente, Schönheit und Wut. Wenn „Memorial“ mit „Wolfheart“ Berührungspunkte aufweisen, dann sind es die sinfonischen und instrumentalen Stücke.
Ich habe zwei Gastsänger auf „Memorial“ heraushören können – einen männlichen Sänger, mit einer sehr charismatischen Stimme („At The Image Of Pain“) und eine Frau, die sich verdammt nach Cristina Scabbia von LACUNA COIL anhört („Luna“). Wer waren diese Sänger und warum brauchte „Memorial“ zwei Gastsänger?
Einer der Gastsänger, und zwar der mit der „charismatischen Stimme“, ist Big Boss, der Hauptsänger der tschechische Band ROOT, eine meiner absoluten Favoriten und ein großer Einfluss auf MOONSPELL. ROOT sind zwar eine relativ unbekannte Band in der Szene, was mal wieder beweist, dass Genialität nicht zwingend mit Beliebtheit einher geht. ROOT ist auf jeden Fall eine Band, die ich jedem ans Herz legen möchte. Wir haben mit ihm zusammengearbeitet, weil wir seine Stimme lieben, seine Arbeit bei ROOT und als ich selbst einen Song mit ROOT gemacht habe (Salamandra von „The Black Seal“), war die Chance da und ich glaube, es ist großartig geworden. Und was die Gastsängerin Brigit Zacher angeht, wir lieben ihre Stimme und sie ist schon seit „Wolfheart“ Tagen ein Teil der Band. Über die Gründe, warum wir sie eingesetzt haben, biete ich dir zwei Gründe an und du und die Leser können entscheiden, welcher der richtige ist: Wir wollten wie Parasiten aufgrund des LACUNA COIL Erfolgs jemanden, der die Leute mit der Stimme reinlegt, sodass sie denken, es sei Cristina und zum Plattenladen rennen und unsere Platte kaufen oder „Luna“ ist ein Song, worin die weibliche Empfindlichkeit (der Zauber, der Fluch) eine große Rolle spielt und wir deshalb für diesen Song eine weibliche Persönlichkeit und eine große Stimme, wie die von Birgit verwenden, um die beschriebene Empfindsamkeit hervorzurufen. Also, entscheidet selbst!
Wie sieht die textliche Konzeption aus? Wovon handeln die Texte?
Es gibt einen Roten Faden und eine Art Spannung, die alle Songs gemein haben. Die Themen sind zwar unterschiedlich, doch so wie man sie von MOONSPELL kennt. Es gibt Themen, die etwas weiter vordergründiger sind, als andere, so zum Beispiel: Isolation („Finisterra“), Verpflichtung („Blood Tells“), Abwesenheit/Dasein („Best Forgotten“) usw.. Ich habe versucht den Texten eine doppelte Bedeutung zu verleihen: etwas mehr auf der epischen Seite, der Geschichte über eine Nation oder einen Stamm oder sogar die Menschheit. Dies alles hat einen großer Anteil in unseren Texten. Ich bin von großem Blutvergießen in der Geschichte genauso inspiriert, wie von einem jungen Mann, der sich selbst schneidet, um mit seiner Freundin einen Bluteid zu schwören.
Teilweise hört sich „Memorial“ wie ein Soundtrack an. Sind diese hintergründigen Songs für euch nur verbindende Elemente oder von zentraler Bedeutung für die Atmosphäre?
Beides. Sie verbinden zwar die Songs, doch wir wollen auch, dass sie als etwas mit Eigenleben wahrgenommen werden. Die finale Tracklist der Platte festzulegen, gestaltete sich schwieriger, als ein Puzzle zusammenzusetzen und die Instrumentals haben uns sehr geholfen, den verschiedenen Dimensionen der Aufnahme mehr Atmosphäre und Kohärenz zu verleihen. MOONSPELL ist für Visualität bekannt und wenn dieser Soundtrack diesen Vibe erreicht, kann man sagen, dass wir unsere Arbeit gut gemacht haben.
Die tiefe Traurigkeit auf „Mare Nostrum“ rührt mich zutiefst. Ich glaube ein glücklicher Mensch, kann solch eine Traurigkeit nicht erzeugen! Liege ich da falsch? Woher kommt diese Traurigkeit?
Lass uns Traurigkeit durch eine gewisse Sehnsucht, Leere ersetzen, durch die man sich unvollständig fühlt. Das ist die Art, wie wir sind, dieses Gewicht lastete schon häufiger in unserem Leben auf uns – früher, jetzt und sicherlich auch zukünftig. Wir sind einfache Menschen mit unseren kämpfenden Schatten- und Sonnenseiten. Die Traurigkeit kommt vom Leben, vom Kämpfen, davon, dass man etwas anderes macht, als mit dem Strom zu schwimmen und einfach durch das Existieren. Hinzu kommt, dass wir aus Portugal, dem südlichsten Fleckchen Europas, einem sehr melancholischen Land mit einem melancholischen Erbe und melancholischer Literatur kommen. Es ist jedoch nicht immer so schwermütig, manchmal sogar hoffnungsvoll. Wir Portugiesen balancieren wie auf zwei Seilen aber ich glaube unsere Musik kann das Licht der Hoffnung bergen, für mich tut sie es.
Ihr habt euer Album mit Waldemar Sorychta aufgenommen, das heißt ihr seid jetzt genau da, wo ihr nach „Sin/Pecado“ wart. Der Diskografie nach müsste jetzt „The Butterfly Effect“ folgen, aber ihr werdet sicherlich nicht den gleichen Fehler zweimal machen. Wie sehen eure nächsten Schritte aus? Wo soll die Reise hingehen?
Womöglich ist das in deinen Augen ein Fehler, aber nicht in unseren – obwohl wir schon diesen Weg gegangen sind. Ich bin schon dabei an dem neuen Album zu arbeiten und das weitab der ausgetretenen Pfade, das du „Reise“ nennst. Ich möchte etwas tun, das Wut und Schönheit in Beziehung setzt, vielleicht mit einem femininen Touch bzw. einer weiblichen Empfindlichkeit. Etwas dunkler und sogar tiefer als „Memorial“, aber vielleicht etwas bestimmter. Aber es ist noch zu früh, um über etwas Definitives zu sagen. „Memorial“ ist gerade erst raus und es werden sicherlich noch viele Sachen geschehen, die unsere zukünftige Produktion beeinflussen werden.
Fast am Ende angelangt: Was bedeutet (Gothic) Metal für euch?
Dunkle, tiefe Texte in Verbindung mit ziemlich okkulten, traumgleichen Bildern. Die Eleganz von Gothic gepaart mit der Wut von Metal. Gottlose Themen und die Atmosphäre in ein Metal Riff gepackt. Besser als „Zoon“ von NEFILIM, ein verdammt dunkles Album, dass so klingt wie SLAYER.
Ich danke dir für das Interview und hoffe euch mal bald wieder live zu sehen. Die letzten Worte gehören dir. Sag was dir beliebt!
Ich danke auch dir für das Interview und auch all jenen, die sich die Zeit nehmen, das zu lesen, um mehr über MOONSPELL und das neue Album herauszufinden. Wir werden in diesem Sommern auf einigen deutschen Festivals spielen und im Herbst auf Tour gehen. Ich hoffe euch alle auf unseren Konzerten zu sehen! Beste Grüße! Und unterstützt guten Metal und öffnet euch allen Aspekten des Lebens – dunklen, wie auch lichten.
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