Maybeshewill
They Were Here For A Moment, Then They Were Gone – das große Abschiedsgespräch

Interview

Maybeshewill

„Wir hoffen, dass wir unseren Fans eine positive Nachricht hinterlassen. Wir haben immer versucht, etwas Hoffnungsvolles in unserer Musik zu vermitteln.“

Angesichts der derzeit laufenden Abschiedstournee MAYBESHEWILLs wird die Euphorie zahlreicher Fans wohl erst einmal von einem dicken Kloß im Hals verdrängt. Im September 2015 erschütterte eine unerwartete Hiobsbotschaft die internationale Post-Rock-Szene: Eine der wichtigsten Instrumental-Bands der neueren Generation wird nach über zehn Jahren abdanken. Wo zuvor Schock und Trauer standen, beweisen Fans bei den letzten Konzerten einen letztes Mal Treue und Verehrung. „In emotionaler Hinsicht haben wir das Ganze vielleicht ein bisschen unterschätzt. In den letzten Jahren haben wir so viele Freundschaften auf der ganzen Welt geschlossen und nun heißt es plötzlich Lebwohl.“

„Genau die richtige Zeit zum Aufhören.“

Einen Grund, angesichts des schwerwiegenden Schritts plötzlich Reue zu empfinden, gibt es für Gitarrist John Helps allerdings nicht. „Es ist immer noch eine Entscheidung, an der wir alle gemeinsam festhalten. Wir stecken alle in ziemlichen unterschiedlichen Phasen unseres Lebens – für einige ist also genau die richtige Zeit, aufzuhören. Für einige vielleicht auch nicht.“

Und dennoch ist dieses Mal alles ganz anders als auf Tourneen zuvor. Nicht nur galt es eine Setlist zusammenzustellen, die Fans aller Alben gleichermaßen befriedigt, auch betraten MAYBESHEWILL im vergangenen Februar erstmals geografisches Neuland. Mit einer Show im New Yorker Bowery Ballroom verwirklichten sich die Briten einen lang gehegten Traum – und den der Fans eines ganzen Kontinents. Das via Crowdfunding finanzierte Konzert avancierte zum internationalen Fantreffen: „Es ist wohl nicht so üblich, dass eine Band in die Staaten fliegt und dann nur eine einzige Show spielt. Da kamen wirklich Leute von überall um uns zu sehen. Chile, Mexiko, Kanada – das ist schon ziemlich berührend.“

„Wir denken noch nicht über das Ende nach.“

Und nun nähert sich die Stunde Null mit großen Schritten. Weniger als zehn Konzerte verbleiben. Für John Helps kein Grund zur Panik: „Um ehrlich zu sein, denken wir noch überhaupt nicht über das Ende nach. Bei den ersten Tourstopps in den USA und in Russland war das noch allgegenwärtiger, aber gerade sind wir ziemlich im Flow.“ Sein Sechssaiter-Kollege Robin Southby ist sich aber sicher: „Das wird sich gegen Ende der Tour wieder deutlich zuspitzen. Aber gerade ist alles okay.“

Ihr vorletztes Konzert werden die fünf Herren aus Leicester dabei in ihrer Heimatstadt absolvieren, doch für das allerletzte Kapitel haben sich MAYBESHEWILL das KOKO im Londoner Stadtteil Camden ausgesucht. Helps erläutert: „Unser Bookingagent zwingt uns! Nein, Quatsch, wir haben natürlich auch lange darüber nachgedacht. Das KOKO in London ist eine unfassbar tolle Location, ein wunderschönes altes Theater, in dem wir immer einmal als Headliner spielen wollten. Und auch wenn wir versuchen, auf dieser Tour jetzt noch möglichst viele Länder mitzunehmen, wollen wir den Fans auch ermöglichen, am letzten Konzert teilzuhaben. Und da liegt London einfach zentraler.“

In den vergangenen Jahren halb Europa zu bereisen – ein Aspekt, der MAYBESHEWILL fast schon Lohn genug war. „Es ist einfach fantastisch, so viele Länder und Städte gesehen zu haben. Du verbindest mit jeder Stadt mindestens eine bestimmte Erinnerung, so klein sie auch sein mag.“ „Sind wir nicht in Brüssel irgendwann einmal aufgewacht und der Van war weg?“, wirft Schlagzeuger James Collins ein. „Aber hallo, da rutscht dir dann schon mal das Herz in die Hose. Zum Glück wurde er nur von der Polizei abgeschleppt“, erinnert sich Helps.

„Die Strapazen des Tourlebens sind nicht zu unterschätzen.“

Doch auch wenn MAYBESHEWILL im Laufe der Jahre so manchen Club zu füllen wussten, bleibt das Reisen ein teures Hobby. „Ich glaube, letzten Endes sind wir bei plus minus null rausgekommen. Ich denke da an die ersten Touren zurück, wo wir nicht immer alles berücksichtigt haben. Wir haben damals zwar keinen großen Verlust gemacht, aber waren doch viel auf Wohlwollen und Gefallen angewiesen. In den letzten zwei bis drei Jahren hat es sich dann aber ziemlich eingependelt.“ Schwankende Entwicklungen also, die auch den Alltag auf Tour wiederspiegeln. So sind die Strapazen des Lebens zwischen Bühne und Schlafkoje laut Southby nicht zu unterschätzen, wenngleich Collins schlussfolgert: „Es ist auch immer Gewöhnungssache. Nach den ersten paar Terminen sind wir schon ziemlich im Tourmodus, aber wenn du dann nach Hause kommst und wieder dein normales Leben führen sollst, dauert es wieder ein paar Tage, bis du zurechtkommst. Dauerhaft müde ist man sowieso.“ Die Balance zwischen Alltag und nicht hauptberuflichem Touren sei eben verdammt schwer zu finden.

Dementsprechend haben MAYBESHEWILL als Gruppe immer für den Moment gelebt. Dass „Fair Youth“ (2014) das letzte Album der Bandgeschichte bleiben sollte, war Southby und seinen Mitstreitern während des Entstehungsprozesses jedenfalls nicht bewusst. „An so etwas denkst du beim Schreiben überhaupt nicht, du fokussierst dich komplett auf das Projekt. Jedes Album ist eine Momentaufnahme.“ Sein Kollege Helps bringt es auf den Punkt: „Im Grunde hätte seit dem Debüt jedes Album immer auch das letzte sein können.“

 

Konkrete Abnutzungserscheinungen seien jedoch nicht vor Ende der vier Monate andauernden Release-Tour im Jahre 2014 aufgetreten. „Es gab ja keinen Konflikt in der Band oder irgendetwas in der Art. Wir sind nach wie vor ziemlich gute Freunde. Nach der Tour geschah erst einmal ein halbes Jahr lang gar nichts. Jeder ging wieder seiner Wege – und manch einer hat sich eben weiter entfernt, etwas mehr Abstand gewonnen. Und irgendwann wird klar, dass gewisse Kompromisse, die man in der Vergangenheit eingegangen ist, so nicht mehr fortbestehen können. Es hat zwei oder drei Treffen gebraucht, bis wir diesen Entschluss gefasst haben. Wichtig war uns aber auf jeden Fall, MAYBESHEWILL angemessen zu Ende zu bringen – mit dieser Tour.“

„Es ist so einfach, wie Post-Rock-Band XYZ zu klingen.“

Und so geht nun zu Ende, was Southby und Helps 2005 als Wohnzimmerprojekt ins Leben gerufen haben. Zu einer Zeit, die gleichermaßen den bis heute andauernden Post-Rock-Boom einläutete. Wie es ihnen gelang, sich in der den Markt überschwemmenden Bandflut über Wasser zu halten, darüber können MAYBSHEWILL heute nur mutmaßen: „Wir haben immer versucht, uns musikalisch kurz zu fassen, im Songwriting präzise zu bleiben. In der Regel sind unsere Songs ja nicht länger als fünf oder sechs Minuten. Unsere Musik sollte nicht wie eine einzige Jamsession klingen, es sollten schon richtige Songs sein. Darum haben wir immer Wert auf Struktur und melodische Hooks gelegt – und auf elektronische Elemente“, meint Southby. Helps sieht das ähnlich: „Wir haben nie gesagt, so, jetzt schreiben wir einen Post-Rock-Song, denn wir sind eine Post-Rock-Band. Inzwischen kann es so einfach sein, wie Band XYZ zu klingen. Hauptsache Delay-Pedal an und los geht’s. Das war kein Zug, auf den wir einfach aufspringen wollten. Denn MAYBESHEWILL ist die Summe von dem, was uns fünf Musiker ausmacht.“

Als unverwüstliche Publikumslieblinge haben sich dabei vor allem Songs vom Debütalbum herauskristallisiert. „Das wechselt tatsächlich auch von Show zu Show. Aber gerade die Songs von ‚Not For Want Of Trying‘ kommen immer sehr gut an. Allem voran natürlich ‚He Films The Clouds Pt. 2‘. Das ist das große Motiv, auf das viele Leute anspringen.“ Laut James Collins muss allerdings differenziert werden: „Es ist auch situationsabhängig. Natürlich steckt man in seine eigenen Lieblingssongs live noch mal besonders viel Energie“. Southby stimmt zu: „Das ist im Grunde ein totales Wechselspiel, wenn du mehr Energie reinsteckst, merkt das Publikum das auch und geht automatisch mit. Und das spornt dich wiederum mehr an. Das ist wohl eine der schönsten Facetten an Livemusik.“

Remix-Compilation soll noch erscheinen

Doch was bleibt und was bringt die Zukunft? Verlorenes, übriggebliebenes oder gar neues Material wird es von MAYBESHEWILL jedenfalls nicht zu hören geben. „Natürlich gibt es Demos und Snippets, aber wenn es nicht auf den Alben gelandet ist, dann war es auch nicht gut genug. Wir haben da eine relativ strenge Qualitätskontrolle“, witzelt Southby. Auch nach „Fair Youth“ sei kein neues Material mehr entstanden. Wohl aber sei eine Remix-Compilation im Gespräch, die vermutlich als Gratis-Download erscheinen soll. „Wir wollen die Fans ja auch nicht doppelt für die Songs zahlen lassen. Das wird mehr eine Zusammenstellung, also auch mit älteren Sachen, von und mit Leuten, mit denen wir in der Vergangenheit gearbeitet haben“, erklärt Helps.

Neben MAYBESHEWILL sind die fünf Herren aber schon längst als fleißige Musikerbienchen unterwegs. John Helps spielt bei FREDDY LOBOS, Bassist Jamie Ward betreibt seit vielen Jahren das Elektro-Projekt DARK DARK HORSE, bei dem er mitunter von Robin Southby unterstützt wird. Southby selbst schreibt weiterhin eigene Musik, die er künftig in Form eines Soloprojektes veröffentlichen will. Drummer James Collins hingegen ist schon länger mit weiteren Bands auf Tournee (u.a. VAULT OF EAGLES) und auch Keyboarder Matthew Daly betätigt sich als Live-Drummer für die Musikerin CHARLOTTE CARPENTER. „Musikalisch haben einige der anderen Projekte eine ganz andere Ausrichtung als MAYBESHEWILL. Aber das eine oder andere Element wird sich sicher wiederfinden – schließlich hat wirklich jeder etwas zur Band beigetragen.“

„Jeder wird noch einmal von vorne anfangen.“

Was bedeutet aber dieser Schritt für die Musiker? Ist es ein Neustart, eine Reset-Taste für alles, was MAYBESHEWILL in den letzten zehn Jahren erreicht haben? Die Antwort kommt John Helps nicht allzu leicht über die Lippen: „Um ehrlich zu sein, niemand erwartet, jetzt gleich wieder denselben Erfolgsgrad wie mit MAYBESHEWILL zu erreichen. In gewisser Weise wird also jeder von uns noch einmal von vorne anfangen und wohl auch noch einmal die harte Arbeit investieren müssen, die wir jahrelang in unser Projekt gesteckt haben.“

Doch die harte Arbeit hat sich schließlich ausgezahlt: Vier Studioalben, über 400 Live-Konzerte – und zahlreiche treue Fans auf der ganzen Welt. John Helps blickt auch auf unvollendete Kapitel zurück: „Wir hätten natürlich gerne noch wesentlich mehr Länder besucht und auch eine vollwertige Tour in den USA absolviert. Oder jedes Land in Europa besucht, obwohl wir davon vermutlich gar nicht so weit entfernt waren. Aber wir hatten eben auch wirklich keinerlei Erwartungen, als wir diese Band vor all den Jahren gegründet haben. Damals hätten wir uns nicht ansatzweise träumen lassen, jetzt gerade hier in diesem Raum zu stehen. Das ist einfach verdammt cool.“

James Collins, Matthew Daly, John Helps, Robin Southby und Jamie Ward waren MAYBESHEWILL. Und sie waren eben genau das – einfach verdammt cool.

MAYBESHEWILL sind noch bis zum 15. April 2016 auf Abschiedstournee.

25.03.2016
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