Marschland
Ich wollte genau das machen: Traurige Akustikmusik.
Interview
Gerade hat Ernie Fleetenkieker seine ersten Songs nach jahrelanger Pause auf der EP „Traurige Trinkerlieder“ unter dem Titel MARSCHLAND veröffentlicht. Darauf finden sich vier handgemachte Tracks, die einen ganz eigenen Charme und Authentizität haben. Wir haben es uns nicht nehmen lassen und den Mann aus Niedersachsen zu seinem Leben nach KRACHMUCKER TV (der Kanal ist derzeit zumindest auf Eis gelegt) und der Veröffentlichung seines ersten Buches „Ernie Fleetenkiekers Metal-Manifest“ zu befragen.
Wie immer gibt sich Fleetenkieker bodenständig, ehrlich und reflektiert. Immer wieder flackert etwas von seinen Gefühlen durch und es ist beinah tragisch zu erleben, dass er mit positiven Reaktionen auf sein Wirken nur schwer umgehen kann. Immerhin gibt es eine Menge Menschen, für die FÄULNIS, KRACHMUCKER TV und das Metal-Manifest wichtige Meilensteine in ihrem Leben sind. Sei es der reine Unterhaltungswert darin oder das Gefühl, doch nicht alleine zu sein.
Hallo Ernie – ich hoffe es geht Dir gut?
Moin Oliver, ich nehme mir einfach mal die Freiheit und wiederhole, was ich dir eben als Reaktion auf deine EP-Besprechung geschrieben habe: „Mein Guter, du hättest auch einfach frei heraus sagen können, dass es nicht dein Ding ist. Absolut ok für mich, die Platte läuft phantastisch, Reviews bisher alle wirklich positiv und Feedback generell umwerfend. Klar polarisiert es ordentlich, aber in Bezug auf FÄULNIS, da war es 1:1 genau so, wenn nicht gar beleidigender. Aus deinem Review liest man förmlich den Verriss und die Enttäuschung, aber weißte, warum ich dir das schreibe? 2024 und ich hab es endlich geschafft, dass so was nicht mehr an mich ran kommt. Wenn ich überlege, wie sehr ich mich früher über falsche Interpretationen selbst bei positiven Reviews geärgert habe, oh man. Ich stehe 100 % hinter meiner Musik, bin mir über ein paar Schwächen im klaren, ist ja nun der erste Gehversuch in einem neuen Genre, aber Krachmucker und das Buch haben mich gelehrt, komplett auf mich selbst zu hören, mein Ding zu machen – dass „ich mach es so, wie ich das will“ nicht nur Applaus bekommt – das liegt in der Natur der Dinge.“
So viel in Sachen Prolog, Oliver, vielen Dank für die Möglichkeit eines Interviews und um die Frage zu beantworten, im Moment geht es mir gut, ich kann all das Schöne und Positive der Veröffentlichung annehmen, das ist ein Fortschritt.
Gib uns doch mal einen kleinen Abriss über das letzte Jahr. Wie ist es Dir nach der Buchveröffentlichung und der anschließenden Tour ergangen?
Danach, puh. Ich hab mit einer neuen Therapie angefangen. Nach der Tour war alles leer und ich bin in das altbekannte tiefe Loch gefallen. Das passiert immer wieder, man gewöhnt sich nach dreißig Jahren daran, ich kann über all das sehr nüchtern und offen reden, aber mir ist einmal mehr bewusst geworden, dass sich was ändern muss. Da spielte dieses Mal viel mit rein, viel Verdrängung, viel Mist aus den letzten Jahren, privates, meine „geliebte“ Depression“, oder was es auch ist. In Bezug auf mein Leben in der Öffentlichkeit, Buch und Tour liefen wirklich sehr gut, aber ich habe festgestellt, dass es alles überhaupt nichts ändert und kein Stück nachhaltig glücklich macht. Viele Elemente sind sehr schön, wir haben darüber im Video-Interview, glaube ich, gesprochen. Der Schreibprozess, das Buch in den Händen halten. Auch das Schneiden der Videos, das Vorbereiten der Ideen, der Nachgang. Das Drehen weniger, da hab ich mich immer sehr gestresst. Aber auch das auf der Bühne stehen. Da ist letztes Jahr in Leipzig im Schauspielhaus der Knoten geplatzt, seitdem genieße ich es ehrlich und wirklich. Aber irgendwie ist das auch alles eine ganz komische Scheinwelt. Ich habe mich auf jeden Fall dieses Jahr stark zurückgezogen. Kaum Festivals oder Konzerte besucht, einfach im Stillen mein Ding gemacht.
In welcher Zeit sind die Songs zu „Traurige Trinkerlieder“ denn entstanden? Nach oder während der Zeit, als Du „aktiv“ Alkohol getrunken hast?
Die ersten Gehversuche liegen ungefähr zwei Jahre zurück. Da war mir aber noch nicht klar, wohin die Reise hingehen soll. Ich weiß es nicht genau, aber ab einem bestimmten Punkt ging es relativ schnell. Ursprünglich wollte ich ja nur ein Zwei-Song-Kassetten-Demo machen. Vieles davon ist eine Verarbeitung über mein Verhältnis zum Alkohol. Das begann während des Schreibens des Buches, wo ich irgendwann festgestellt habe, mich in Klischeephrasen zu verlieren und die Sache mit dem Bier noch einmal kritischer angegangen bin. Ich trinke immer noch, nicht täglich, aber nie eins, sondern hundert.
Steckt in den Songs – ähnlich wie im Metal-Manifest – ein wenig Autobiografie oder ist das eher ein Blick auf das Thema in der Art von „so könnte es sein, wenn man ein Nihilist ist und am eigenen Untergang arbeitet“?
Es ist ja alles irgendwo biographisch, was ich mache. Natürlich erzähle ich auch Geschichten, aber die beruhen auf Erfahrungen und Erlebnissen. „Hiroshima“ und „Atomkinder und Vogelmenschen“ von FÄULNIS sind ja praktisch Erlebnisberichte aus meiner Zeit in Japan. „Letharg“ hat praktisch 1:1 mein Leben Anfang der 00er beschrieben. Und im Buch geht es ja auch mehr um meine eigenen, subjektiven Empfindungen, es ist keine soziologische Doktorarbeit. Gerade „Der Saufende Nihilist“ beschreibt das Dilemma, eigentlich am liebsten allen zu sein, weil einem alles und jeder auf die Nerven geht, ich mir aber immer wieder eine Bühne suche, um eben das herauszuposaunen.
Wie sind die Songs entstanden? Ich stelle mir Ernie Fleetenkieker in seinem Haus vor, der an Ideen tüftelt, vieles verwirft und letztlich dann doch die ersten Ideen verwendet…
Das ist ja meistens so.
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