Mar De Grises
Interview mit Alejandro
Interview
Nach vier Jahren war es endlich so weit für das neue Album der chilenischen Doomster MAR DE GRISES: „Draining The Waterheart“. Mit ihrem Debüt „The Tatterdemalion Express“ konnten sie seinerzeit einen Überraschungserfolg verbuchen und viele Fans in Europa und weltweit begeistern. Das Zweitwerk steht dem starken Vorgänger in nichts nach, deshalb war es an der Zeit, Schlagzeuger Alejandro mit ein paar Fragen auf die Pelle zu rücken…
Auf eurer Website habe ich gelesen, dass ihr euch im Zeitraum August 2000 bis September 2001 gegründet habt. Das klingt mir nach einer ungewöhnlich langen Gründungsphase, oder war das einfach die nötige Zeit, um das Line-Up zu vollenden? Wie habt ihr euch denn damals eigentlich zusammengefunden?
Die Geschichte von MAR DE GRISES beginnt 2000, als fünf Typen, die zufällig Musiker mit gleichen musikalischen Vorlieben und Ansichten waren, das Bedürfnis hatten, ihr Bedürfnis nach Kreativität miteinander zu teilen. Es hat allerdings etwas gedauert, den Fünften im Bunde zu finden, deshalb zog sich dieser Prozess bis 2001 hin.
Ich muss zu meiner Schande eingestehen, dass ich bis auf COPROFAGO und euch keine weitere chilenische Band von ähnlichem Kaliber kenne. Für uns Europäer hat Chile eher Exotenstatus, was Metalbands betrifft.
Wie sieht eure bisherige musikalische Biographie aus? Wart ihr vor MAR DE GRISES noch an anderen Bands beteiligt? Wie können wir uns Nicht-Chilenen eure musikalische Umgebung, die chilenische Metal-Szene, vorstellen?
Ja, COPROFAGO sind eine exzellente, originelle Band in Chile, aber selbst hier bei uns sind sie nicht sehr bekannt, absolut unterbewertet und deshalb sieht man sie auch kaum live. POEMA ARCANUS ist eine weitere Doom-Band mit progressiver Note, sehr interessant und auch sehr einflußreich auf uns. Ihr solltet sie definitiv mal antesten. Es gibt noch weitere Bands, von denen meiner Meinung nach aber nur ein paar erwähnenswert sind: PERPETUUM, UARAL, ANIMUS MORTIS, INANNA, TARGET, DEFECTOSCURA und MOURNERS LAMENT. Das sind wirklich sehr gute Bands, die ich nur empfehlen kann.
Die Szene hier ist ehrlich gesagt ziemlich klein, was es ziemlich schwierig macht, gute Gigs zu organisieren und Bands voranzubringen. Es gibt auch nicht gerade viele Auftrittsmöglichkeiten. Die Ladenbesitzer wissen das, und lassen sich dementsprechend gut und teuer bezahlen. Die meisten Leute hier können sich aber nicht solche teuren Eintritte leisten, ganz einfach, weil Chile kein reiches Land ist. Wie du siehst, befindet sich die Szene in einer Art endlosem Teufelskreis.
Allerdings, dass muss ich zugeben, ändert sich etwas, langsam aber sicher. Wir brauchen einfach mehr Zeit, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln, so dass sich dann auch die Mentalität der Menschen hier ändern wird, und natürlich auch die der Metal-Fans.
Welche Inspirationen lasst ihr in derart schöne, bildgewaltige und emotionale Musik, wie man sie auf euren Alben hört, einfließen?
Hauptsächlich aus unserem alltäglichen Leben mit seinen Problemen und den schönen Dingen. Musik zu machen ist für uns an erster Stelle Befreiung; es ist wie ein Ritual, live oder im Studio, wo wir versuchen, so ehrlich wie möglich mit unseren inneren Emotionen umzugehen, so dass wir sie glaubwürdig nach außen kommunizieren können. An zweiter Stelle steht die Idee, eine Atmosphäre zu schaffen, in welcher die Leute fühlen und sehen können was immer, und soviel sie wollen.
Was die musikalischen Einflüsse betrifft, so mögen wir alle Metal, aber sehr unterschiedliche Sachen. IN THE WOODS, NEUROSIS und ULVER gehören zu den Bands die uns, bewusst oder unbewusst, inspiriert haben, weil wir sie sehr mögen. Daneben stehen viele Death-Metal-Bands, Pop-Bands, klassische Komponisten, Electronic, Post Rock, Progressive Rock und so weiter… zuviele, um sie hier alle aufzuzählen. Ich denke, Emotionen sind zu weitläufig, als dass man nur das Bedürfnis nach einer ganz bestimmten Art von Musik haben könnte, und sonst nichts.
Für mich als Schlagzeuger sind vor allem Leute wie Carl-Michael Eide (von meiner absoluten Lieblingsband VED BUENS ENDE), Gene Hoglan und Dave Weckl prägend.
Als damals „The Tatterdemalion Express“ bei Firebox rauskam, machte euch das für viele Leute zu Exoten: eine chilenische Band bei einem finnischen Label. Wie seid ihr mit Firebox in Kontakt gekommen?
Wenn man sich die Entfernung und Unterschiede zwischen beiden Ländern vor Augen hält, kann diese Verbindung tatsächlich exotisch genannt werden. Tatsächlich ist das aber viel einfacher abgelaufen, als man sich vorstellen würde. Wir haben einfach eine Proberaumaufnahme gemacht, um zu hören wie die Songs funktionieren. Das Resultat war besser als wir erwartet haben, also haben wir es kurzerhand als Demo veröffentlicht. Wir haben es dann an einige Labels geschickt, von denen wir dachten, dass sie sich dafür interessieren könnten. Firebox taten es und machten uns ein gutes Angebot. Und bis jetzt funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut.
„The Tatterdemalion Express“ ist nach wie vor ein hoch gelobtes Album, ein Debüt, welches sich weltweiten Respekt eingeholt hat, und das nicht nur aus der Doom-Szene. Habt ihr mit diesem Erfolg gerechnet?
Ganz ehrlich: Dieser Erfolg hat alle Erwartungen übertroffen. Diese Tatsache hat uns dazu motiviert, die Band noch viel ernster zu nehmen, als wir es nicht ohnehin schon taten. Wir sind sehr glücklich mit dem, was wir als Band erreicht haben; vieles davon konnten wir uns überhaupt nicht vorstellen, als wir damals angefangen haben.
Was habt ihr, abgesehen von Touren und Konzerten, in den vergangenen Jahren so gemacht? Vier Jahre mussten vergehen, bis „Draining The Waterheart“ vor der Türe stand… wann habt ihr begonnen, Musik für das zweite Album zu schreiben?
Mitte 2005 hat uns unser damaliger Keyboarder und Sänger Marcelo verlassen. Es war sehr schwierig, einen Ersatz für ihn zu finden. Es hat rund eineinhalb Jahre gedauert, bis wir mit Juan den richtigen Mann gefunden hatten. In dieser Zeit haben wir nur einen Song geschrieben. Es war schon eine schwierige Phase, aber als Juan dann bei uns war, ging es sehr schnell wieder los, und wir fingen an, das neue Album zu komponieren. Juan hat der Band frischen Wind verpasst, und er passt in jeglicher Hinsicht absolut perfekt zu uns. Er ist ein sehr talentierter und vielseitiger Musiker.
Inwieweit unterscheidet sich „Draining The Waterheart“ vom Vorgänger und inwiefern ähnelt es ihm? Kannst du uns einen kurzen Einblick in deine persönliche Haltung zum Album geben?
Die Kompositionen auf „Draining The Waterheart“ sind sicherlich reifer. Die Gitarren sind viel ausgewogener, was Harmonien und Melodien angeht. Ganz allgemein ist die Interpretation viel reifer und auch präziser. Das wichtigste Element jedoch, die Essenz, ist in meinen Augen gleich geblieben. Es fühlt sich mehr oder weniger genauso an wie bei „The Tatterdemalion Express“. Der Grund, warum wir Musik machen, ist immer noch der gleiche, gleiches gilt auch für unsere Emotionen hinsichtlich der Musik.
Rein persönlich fühle ich mich dieses Mal besonders der lyrischen Seite verbunden, da ich die meisten Texte geschrieben habe.
Ich bin mir sicher, dass ihr schon einige gute Rezensionen zum Album bekommen habt, aber was erwartet ihr dieses Mal? Wird es so erfolgreich sein, wie euer Debüt?
Das weiß ich wirklich nicht, aber ich hoffe es natürlich. Momentan sind die Reaktionen durchweg positiv, genau wie beim Vorgänger. Lass uns also hoffen, dass es auch dabei bleibt.
Von einigen Fans habe ich kritische Stimmen vernommen, dass das neue Album nicht die emotionale Tiefe des Debüts erreicht, wohingegen ich der Meinung bin, dass ihr euch auf eine andere Ebene begeben habt, die nichtsdestotrotz sehr tiefgründig und atmosphärisch ist. Hattet ihr mit dem neuen Album ein bestimmtes Ziel vor Augen, oder schreibt ihr die Musik, so wie sie aus eurer Vorstellung entspringt?
Wir schreiben einfach die Musik, die aus unserem Innersten kommt, was auch immer das sein mag. Deshalb kann ich dir versichern, dass es auf keinen Fall die emotionale Tiefe ist, die dem Album fehlen könnte. Vielleicht ist es diesmal etwas konfuser und schwerer zu greifen, da wir uns neuer Elemente hinsichtlich Klangexperimente und musikalischer Reife bedient haben, aber das Emotionale ist stets präsent.
Abgesehen davon würden wir wahrscheinlich nicht mehr live spielen oder überhaupt Musik machen, wenn wir diese Gefühle nicht mehr in der Musik transportieren könnten.
Wie auch immer, jeder hat natürlich die Freiheit, glücklicherweise, Musik so zu interpretieren, wie er sie empfindet. Das ist doch eine gute Sache, oder?
Neben der Emotionalität und Atmosphäre hat eure Musik ein weiteres herausstechendes Merkmal, wie bereits von dir angesprochen: Experimente. Ihr mögt es, neue Bereiche von Melodien und Klängen zu erkunden. In welche Richtung, wenn es denn eine gibt, werden sich MAR DE GRISES in Zukunft bewegen, wohin wird euch euer nächstes Abenteuer führen?
Es gibt tatsächlich keine festgelegte Route. Wir werden mit dem, was wir tun, einfach weitermachen, und das bedeutet, unsere Sicht und unsere Visionen über das Leben in Form von Musik zu kommunizieren. Wenn sich darin etwas verändert, ist es etwas Natürliches; Gefühle verändern sich kontinuierlich, aber wir werden unser Bestes geben, immer ehrlich zu uns selbst und der Musik zu sein.
Was macht ihr denn, wenn ihr gerade nicht mit Musik beschäftigt seid? Geht ihr Berufen oder Ähnlichem nach?
Manche von uns haben gewöhnliche Jobs oder sind mit dem Studium beschäftigt. Für mich ist die Band derzeit das Wichtigste in meinem Leben, wichtiger als alles andere, und ich damit bin ich momentan sehr glücklich.
Ihr habt vor kurzem eure zweite Europa-Tour absolviert, wohin geht es das nächste Mal?
Ja, die Tour war ein großartiges und intensives Erlebnis für uns alle. Wir haben viel über das Tourleben und uns selbst lernen können. Wenn alles gut geht, wollen wir nächstes Jahr eine neue Europa-Tour machen und auch auf größeren Festivals auftreten. Eine Tour in die USA ist auch in Planung, aber vorerst werden wir uns auf das Komponieren neuer Songs konzentrieren, damit wir das nächste Album schon bißchen eher in der Tasche haben, und es nicht wieder vier Jahre dauern muss.
Hört sich gut an! Herzlichen Dank für das Interview!
Danke auch an Dich, die Unterstützung und die vielen guten Worte über unsere Musik. Danke auch an die Leser, die das Interview gern gelesen haben! Cheers!
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