Mar De Grises
Mar De Grises
Interview
Mit der Veröffentlichung ihres neuen Albums "Streams Inwards" dürften MAR DE GRISES wieder einige neugierige Augen und Ohren auf sich und ihr entferntes Heimatland Chile gezogen haben. Um herauszufinden, welche Umstände und Konzepte die Jungs zu ihrem neuen Prachtstück antrieben, befragte ich den Bassisten Rodrigo Gálvez und erfuhr dabei so einiges über das Selbstverständnis der Band und die teils widrigen Umstände in Chile, aber auch über die bezaubernde geographische und kulturelle Vielfalt ihres Heimatlandes.
Wir sind wirklich aufgeregt. Wir können es kaum erwarten, unsere neuen Lieder mit unseren Fans zu teilen und unsere Musik neuen Metalheads zu präsentieren! Weißt du, für uns, die aus einem Land wie Chile kommen, kostet es viel Mühe und Leidenschaft, diese Art von Musik zu machen. Jede Aufnahme beinhaltet für uns viele komplizierte Angelegenheiten. Wir gaben unser bestes für unser neues Album, wir verbesserten die Produktion, versuchten, unseren Sound und unsere Sinne zu erweitern und brachten wie immer unsere intensivsten Gefühle in die Lieder ein. Zugleich versuchten wir, nicht die selben Formeln wieder zu verwenden und bemühten uns, uns als Musiker weiterzuentwickeln… Somit ist jedes Album für uns als Band eine neue Herausforderung, auch was die Beziehung zu unseren Fans anbelangt, weil die Leute normalerweise erwarten, immer die gleichen abgefahrenen Lieder vorgesetzt zu bekommen, haha. Wir hatten bei diesem Album jedoch auch einige Herausforderungen in Bezug auf die Band als solche, ich meine vorallem was das Label, die Verbreitung, Promotion und andere Sachen anbelangt. Mit Season Of Mist als Label sind wir nun gut vorbereitet, unsere Musik mehr und mehr Leuten zu zeigen. Wir haben viele Pläne für die kommenden Monate, was sich natürlich großartig anfühlt!
Eure einzigartige chilenische Mischung aus Doom Metal, Post Rock und anderen Einflüssen hat eine solide Fangemeinde erlangt. Warum denkt ihr, dass eure Musik bei so vielen Leuten auf offene Ohren stößt?
Ich weiß es nicht genau. Wenn wir Lieder für MAR DE GRISES schreiben versuchen wir, unsere ehrlichsten und intensivsten Gefühle in die Musik einzubauen, und unser Vorhaben ist es gewissermaßen, den Leuten eine Art klangliche Erfahrung oder Reise anzubieten. Jeder Song eines Albums ist Teil einer Geschichte und versucht, Formen von Gefühlen, Momenten und verschiedenen Klangbildern wiederzugeben. Das Leben verändert sich immer, und auch die Art, wie wir fühlen, denken und Dinge tun. Wir versuchen, das irgendwie in unsere Musik einzubringen, all die verschiedenen Lebenssituationen, etwas Ehrliches, unsere introvertierteren Seiten wie Denken und Fühlen. Es ist eine Art Bedürfnis für uns, all das mit der Musik zu verknüpfen und unsere Gefühle zu befreien. Das ist der Grund, weshalb wir musikalische Elemente aus vielen Musikrichtungen einbeziehen, um diese Momente und Situationen in jedem Song wiederzuerwecken. Alles ist nützlich: Post Rock, Death- oder Black Metal, Hardcore, Progressive, Noise, oder Klassik, zeitgenössische Musik und Pop. Musikalische Elemente stehen im Dienst der Komposition, und es kümmert uns reichlich wenig, es ist nur Musik, wir brauchen nicht mehr von diesen serienmäßigen Labels wie „Ultra Emo Prog Doom“ oder ähnliche Kategorien für unsere Musik. Wir sind keine serienmäßigen Menschen.
Ich kann nicht sicher sagen, ob es diese Ideen sind, die Leute dazu veranlassen, unsere Musik gerne zu hören, aber ich denke, einige Leute suchen nach so etwas, nach einer klanglichen Erfahrung, und nicht nach fabrizierten Songs. Vielleicht hoffen sie auch auf die Möglichkeit, Einflüsse ihrer Lieblingsmusiker- und bands in unserer Musik zu finden, in einer guten Mischung. Und natürlich auch auf die Möglichkeit, etwas Neues zu entdecken! Ich weiß es, wie gesagt, nicht genau, aber wenn die Leute ihre Emotionen mit unserer Musik verbinden können, ist das für uns absolut großartig!
Lasst uns nun über euer neues Album reden! Während ich „Streams Inwards“ anhörte, fühlte ich diese pulsierende Aura der Verzweiflung. Ich würde sagen, dass „Streams Inwards“ weitaus intensiver ist als „Draining The Waterheart“, wohingegen letzteres Album ruhiger und zugänglicher war. Was denkt ihr?
Ich denke, dass „Draining The Waterheart“ insofern zugänglicher klingt, als dass es mehr typische Metal-Elemente enthält. Es ist in gewisser Weise eher „Standardzeug“, trotz all der Mischungen, experimentellen Parts und Arrangements, die dort zu finden sind. Verglichen mit „Streams Inwards“ kann ich bestätigen, dass das neue Album eine erwachsenere Form der Band darstellt. Wir hatten bei diesem Album eine klarere Vorstellung, also konnten wir mehr neue Ideen einfügen und eine Extraportion Gefühl hineinlegen. Wahrscheinlich wurden einige Facetten des Gesangs, der Synthesizer und der Rhythmen besser ausgearbeitet, um den Sound zu intensivieren. Aber wie ich bei der vorherigen Frage schon sagte, liegt der Hauptgrund für diese Unterschiede in unseren Lebensumständen während der letzten Monate und Jahre. Sie drücken unsere unterschiedlichen Gefühle aus. Es bedarf dazu einer gewissen Aura, und die wird im Rahmen der Lieder präsentiert, was ein allgemeines Gefühl des Fließens und der Spannung vermittelt, das ganze Album über, trotz der verschiedenen Strukturen, Elemente und Arrangements für jedes Lied. Das wären wohl die Ursachen für die Klangunterschiede des neuen Materials.
Eure Musik ist voller Vielfalt: jazzige Bass-Spuren, viele experimentelle Teile und Arrangements. Versucht ihr bewusst, all diese Einflüsse in euren Sound zu integrieren oder passiert es auf natürliche Weise. Und welche Art von Musik inspiriert euch am meisten?
Diese Klangvielfalt ist Teil eines für uns natürlichen, aber komplexen Prozesses. Jedes Album beinhaltet einige verschiedene Konzepte, Emotionen und Einflüsse und ist eine andere musikalische Geschichte, aber wir brauchen diesen Prozess, so wie es für uns wichtig ist, alte Formeln wieder zu verwenden und von typischen Klischees fernzubleiben, oder zu es zumindest zu versuchen. Dann denken wir, dass neue Einflüsse in den Kompositionen notwendig sind, um eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, es bedarf neuer Rhythmen, Harmonien, Strukturen, Melodien, neuer Instrumente, Experimente etc. Alles kommt auf die Geschichte und die Gefühle, die mit dem Lied verbunden sind, an, und unser Grundgedanke ist es, den typischen „Flow“ von MAR DE GRISES aufrechtzuerhalten. Jeder Song von MAR DE GRISES hatte von Anfang an verschiedene Charakteristiken. Und wie ich vorher sagte, wird jeder Prozess beeinflusst von Momenten und Situationen in unserem Leben. Jede Aufnahme ist wie ein Bildband unserer Emotionen, der auf jedem Album eine bestimmte Aura annimmt. Trotz der diversen Strukturen und Einflüsse kannst du einen gewissen „Flow“ oder eine gewisse durchgängige Note auf jedem Album ausmachen. Das klingt vielleicht alles kompliziert, ist aber Teil unserer natürlichen Arbeitsweise. Wir müssen nicht oft innehalten, um darüber nachzudenken, wir arbeiten einfach nach unseren eigenen Regeln. Das beinhaltet also einen bewussten und zugleich unbewussten Prozess, haha! Das ist der Grund, warumn wir so viele verschiedene Musikstile aufgreifen. Alle Elemente stehen im Dienste der Komposition, und die Herkunft dieser Elemente kümmert uns nicht. Solange sie nützlich sind und passen, ist es perfekt!
Welche Musik uns inspiriert? Nun… Ich muss sagen, dass wir bezüglich unserer Einflüsse sehr aufgeschlossen sind. Von den typischen Metalbands über experimentelles Zeug, zeitgenössische & klassische Musik, düstere Bands, Pop, Hardcore, Black Metal, Death Metal, Doom Metal bis hin zu Noise und Post Rock hören wir so einiges. Um nur einige Namen zu nennen: PINK FLOYD, NEUROSIS, ULVER, DILLINGER ESCAPE PLAN, IHSAN, PENDERECKY, JOHN CAGE, BEETHOVEN, DEBUSSY, IN THE WOODS, HYPOCRISY, GORGUTS, POEMA ARCANVS, SIGUR ROS, MOGWAI…
Für mich suggestiert der Titel „Streams Inwards“ meditative und entspannende Klangwelten, aber für mein Empfinden ist das Album voller emotionaler Ausbrüche. Gibt es ein spezielles Konzept hinter dem Album?
Ja, „Streams Inwards“ ist eine Metapher zur Beschreibung des Gedankens, dass alle unsere Gefühle uns mit der umgebenden Welt verbinden, also unsere intensivsten Gefühle mit diesem Universum in Verbindung stehen. Auch Elemente unseres gewöhnlichen Lebens, wie Städte, Freunde, Arbeit, einfache Dinge… Wir alle und all dies ist Teil eines Meeres von Emotionen. Es handelt davon, wie all die Elemente um uns herum unsere tiefsten Gefühle bilden und nähren- die guten Dinge sowie die Schlechten, Hass, Liebe, alles. Das vorherige Album „Draining The Waterheart“ erzählt von einem ähnlichen Prozess: der Befreiung dieser Ströme, unseren reinsten menschlichen Gefühlen. Aber der Titel „Streams Inwards“ schließt diese Idee in umgekehrter Weise ein sowie in einem breiteren Sinne. Und zwar in dem Sinne, dass die Mischung dieser einfachen und transzendentalen Elemente unseres Lebens unsere tiefste Natur und unser Gefühl definiert und erschafft. Natürlich ist das alles Teil eines Prozesses der Selbsterkenntnis und der Akzeptanz der Dinge, die uns umgeben. Etwas Reines und Spirituelles, auf eine gute Weise. Aber nichts, was mit Hippie-Spirit oder sowas verbunden wäre, haha.
Chile ist bekannt für Huasos (chilenische Rinderhirten), schöne Frauen, einige Gerichte und andere Dinge, aber es ist gewiss nicht das Herz der internationalen Metalszene. Könntest du uns etwas mehr darüber erzählen, was sich in der chilenischen Metalszene tut?
Es gibt heutzutage einige lobenswerte Bemühungen. Allgemein gesagt haben wir das Glück, dass Chile heutzutage ein „netter“ Ort ist, also ist es heutzutage einfacher, eine Band zu gründen und Aufnahmen zu machen. Verglichen mit wenigen Jahrzehnten zuvor, versteht sich. Heutzutage veröffentlichen ein paar Bands einige gute Alben mit teils echt interessantem Zeug, der Sound und die Produktion sind nahe am Standard und in einigen Fällen sogar sehr gut. Manche Bands arbeiten hart, auch in professioneller Hinsicht, einige Bands wie wir haben Aussichten und Unterstützung dafür, ihre Namen auch im Ausland bekannt zu machen, in Europa, den USA oder Japan. Aber trotz dieser guten Dinge sind es momentan nicht die besten Tage für die lokale „Szene“, aber ich denke, das ist überall so. Unsere lokale Szene ist jedoch schlecht entwickelt, und jetzt nach der Krise und einigen soziokulturellen Veränderungen ist es wirklich schwer, etwas Großes auf die Beine zu stellen. Es gibt wenig Zusammenhalt zwischen den Bands, den Medien, Clubs, Fans und Labels. Und traurigerweise glaubt niemand, dass Zusammenarbeit für jeden besser wäre. Einige Beispiele für diese schlechte Dinge sind, dass die lokalen Bands normalerweise nicht innerhalb des Landes touren, weil wir nur wenige Clubs für Rock- und Metal Konzerte haben, und die haben schlechtes Equipment. Wir haben gewöhnlicherweise keine großen Festivals, selbst wenn große Bands aus dem Ausland für große Konzerte nach Chile kommen, wir haben keine Konzertagenturen oder andere Promotion-Einrichtungen. Wir haben ein paar Magazine für Metal und Rock und ein paar Fanzines für spezielle Metalstile, aber die bieten normalerweise wenig Informationen über lokale Bands. Wir führten in den letzten drei Jahren tatsächlich nicht mehr als ungefähr vier oder fünf Interviews mit lokalen Medien, und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil die lokalen Medien nicht an uns interessiert waren, trotz unserer internationalen Veröffentlichungen, Tours und des guten Feedbacks in Europa und anderen Ländern. Noch schlimmer ist es, dass Chilenen kein Geld ausgeben und keine Zeit investieren, um Acts in ihrer Gegend zu unterstützen, und sie sind normalerweise auch gar nicht daran interessiert, Bands im eigenen Umkreis kennenzulernen. Wir haben nur drei bis fünf Läden für Musik aus dem Metalbereich und nicht mehr als fünf kleine Labels. Naja, und Metaller zu sein stößt in Chile auf eine Art von Vorurteilen und Abweisung… Niemand mag Metal. Nur wenige Leute mögen Metal mehr als andere Musikstile, um es nett auszudrücken. Normalerweise wird hier Metal nicht gemeinsam mit Rock als eine Kategorie betrachtet. Das führt dazu, das alles hier sehr unterentwickelt ist und es nur sehr kleine Budgets für alles gibt, was traurigerweise dazu führt, dass wir keine „Szene“ oder so etwas haben, wie beispielsweise in Europa oder anderswo. Es gibt nur individuelle Bemühungen.
Wie dem auch sei, würde ich gerne Bands wie POEMA ARCANVS, CRIMINAL, CAPROFAGO, ANIMUS MORTIS, PROCESSION, NUCLEAR, INANNA, BAUDA, DARKEMIST, PERPETUUM, SIX MAGICS, UNDERCROFT, CAPILLA ARDIENTE, UARAL, TARGET, THORNAFIRE oder DESIRE OF PAIN nennen. Oder Medien wie Rockaxis, Bulldozer, Grinder Magazine, Collapse, Necrosystem oder Promoagenturen wie Rawforce, Sickbangers, Australis, The Knife Stores und andere. Diese Namen sind gute Referenzen für die chilenische Metalszene der letzten Jahre!
Ihr erwähntet bereits oft, dass eure Musik stark von der phantastischen chilenischen Landschaft geprägt ist. Ich habe öfters Dokumentationen über Chile im Fernsehen gesehen und es fällt mir nicht schwer, das zu glauben. Könntet ihr für unsere Leser, die keine konkrete Vorstellung von Chile haben, beschreiben, inwiefern die Landschaft eure Musik beeinflusst?
Chile ist ein Land großer sozialer, wirtschaftlicher und natürlich geographischer Kontraste. Das Land ist lang und schmal, mit mehr als 4000km Küste. An der Ostseite ist das Land durchzogen von einem der größten Gebirgszüge, den chilenischen Anden, und auf der Westseite haben wir einen weiteren kleinen Gebirgszug, woraus sich ergibt, dass die meisten Städte an der Küste liegen oder in den zentralen Tälern zwischen den gigantischen Bergen, wie zum Beispiel unsere Hauptstadt Santiago de Chile. Das Land hat fünf verschiedene Landschaftstypen, je nach Lage, und es gibt aufgrund der Berge und des Meeres viele verschiedene Klimazonen. Der obere Nordteil des Landes birgt die trockenste Wüste der Welt, die Atacamawüste mit mehr als 100 000km². Ich kann dir versichern, dass es wie eine Mondlandschaft aussieht, dort lebt sogut wie niemand. Es ist jedoch einer der bedeutendsten Orte der Welt für den Bergbau und astronomische Forschung. Der untere Norden ist nicht ganz so trocken, das Klima im Landesinneren ist dem im Mittelmeerraum ähnlich, vielleicht etwas weniger warm. Fast die ganze Bevölkerung lebt in dieser Gegend, weil dort all das Dienstleistungsgewerbe, großen Firmen und der Handel angesiedelt sind. Der Süden des Landes hat eine wunderschöne Mischung aus ausgedehnten Wäldern, Flüssen, Seen, gewaltigen Bergen und Vulkanen. Und der untere Süden ist regnerisch, vollständig bewaldet und reich an Naturschutzgebieten, Gletschern und tausenden von Inseln. Das Klima ähnelt dort der alpinen Tundra oder an ein paar Stellen sogar dem Polarklima. Ich muss sagen, und das nicht nur, weil es mein Heimatland ist (dieser lächerliche Nationalismus interessiert mich wenig), dass einige Landschaften wunderschön und inspirierend sind. Im oberen Norden und unteren Süden kann man häufig europäische Touristen antreffen sowie auch ausländische Gemeinschaften (wie Deutsche Auswanderer im Süden des Landes). Der Tourismus ist hier nicht so gut ausgebaut wie in Neuseeland, das ein ähnliches Klima hat, aber es ist allgemein ein ruhiges Land, sehr ruhig sogar und natürlich sehr interessant. Wie man sich nun vorstellen kann, ist Chile keineswegs ein tropisches Land, haha! Und natürlich leben wir auch nicht wie Leute in den Tropen. Unser Verhalten ist ziemlich anders in vielerlei Hinsicht aufgrund geschichtlicher und geographischer Ursachen. Aber naja, du fragtest, in welcher Form uns das inspiriert? Es inspiriert uns alle notwendigerweise. Juan (Gesang & Keyboard) kommt aus der Wüstengegend, Sergio (Gitarre) stammt aus dem inneren Süden und ich komme aus der zentralen Küstengegend. Allejandro und Morris kommen aus der Hauptstadt Santiago.
Die Beziehung zu unserer Umgebung, auch unsere Gefühle zu ihr, sind beeinflusst durch unser geographisches Umfeld und auch durch diese wilde und große Stadt, in der wir leben (Santiago), der Name der Band ist in der Tat eine Metapher dafür, wie das Leben dort ist.
Wie sieht die politische Situation in Chile momentan aus? Die Geschichte eures Landes war voller politischer Umstürze, aber seit etwa zwei Jahrzehnten scheint es, als ob es sich beruhigt hätte. Könntet ihr von euren persönlichen Erfahrungen erzählen?
Auf die Band bezogen haben wir keine politische Einstellung, aber ich kann dir von meiner persönlichen Meinung erzählen, einschließlich meiner Ansichten und Erfahrungen nach einer längeren Zeit im Ausland (in Europa), wo ich eine zeitlang lebte und viel herumreiste in den letzten Jahren. Wir wurden nach diesen letzten politischen Konflikten geboren, was bedeutet, dass unser Blick auf unser Land nicht getrübt ist durch Politik und solche Dinge. Ich kann klar sagen, dass es in Chile große soziale und wirtschaftliche Kontraste gibt, die reichen Leute sind außerordentlich reich, wohingegen die armen Leute unter schlimmen Umständen mit nur unzureichender Unterstützung durch die Regierung leben. Das Land war sehr stabil in diesen letzten Jahrzehnten, das Kräftegleichgewicht des Präseidenten und des Parlaments sind ausbalanciert, die Hauptinstitutionen für Kontrolle und Regulation, wie die Zentralbank, sind stark und autonom, wobei sie Entscheidungen eher nach technischen Kriterien treffen und nicht sehr nach Politischen. Für Parlamentsbeschlüsse ist eine große Mehrheit notwendig, um wichtige Reformen zu durchzuführen, somit bedarf jede Veränderung und jedes Anliegen einer großen Zustimmung aus allen politischen Lagern.
Wir sind ein Land mit einer eher konservativen Einstellung, es ist in Chile sehr schwer, große Fortschritte und Wechsel schnell einzuführen, im Normalfall verbessern wir alles in kleinen Schritten. Das wirkt langwierig, aber so können wir uns Ärger und schlechte Einflüsse fernhalten. Beinahe alle Verwaltungspraktiken sind noch dieselben wie zur Zeit unseres letzten Diktators Pinochet, sogar in Hinblick auf die Wirtschaft und soziale Aspekte im Besonderen. Zum Glück arbeitet jeder, so hart er kann, trotz kleiner Diskussionen, Debatten oder sozialer Missstände, die wir natürlich verbessern müssen. Wir ändern nicht für jede Regierung vollständig die vorherrschenden Strukturen, nur weil neue Leute das Land oder die Betriebe leiten. Es ist nicht wie die Rivalität zwischen Fußballmannschaften oder ähnliches. Für Politiker heutzutage ist Verbindlichkeit ein wichtiger Kernaspekt, wie für normale Menschen auch. Wir interessieren uns nicht für politische Randgruppen oder extreme Ideologien, wir wollen nur Leute, die ihre Arbeit gut machen und sinnvolle Entscheidungen treffen. Ich meine das natürlich im Allgemeinen Sinne.
Wahrscheinlich hat unser Land gerade aufgrund dieser Ursachen in der letzten Zeit ein bedeutsames Wachstum an den Tag gelegt, was die Verbesserung vieler Aspekte einschließt sowie modernere Ansätze. Im Vergleich zu unseren Nachbarländern, ja sogar im Vergleich mit einigen europäischen Ländern sieht Chile heute zufrieden und ruhig aus. Das Land ist heute sehr stabil, selbst die letzte Krise schlug bei uns kaum ein, weil korrekte Wirtschaftskontrolle und eine Überwachung des Banksystems in Chile uns absicherten. Mancherorts wird Chile als eine Art „Modell“ für unsere Nachbarländer und deren aufstrebende Wirtschaft angesehen sowie als ein „strategischer“ Ort für Geschäfte, Handel und Werbung für große Unternehmen. Viele Ausländer kommen heutzutage nach Chile, um sich nach besseren Möglichkeiten umzusehen, obwohl Chile ziemlich weit ab vom Schuss ist. Ich weiß, dass es schwierig klingt, sich etwas wie dieses kleine Land am Ende der Welt vorzustellen, aber weißt du, TV-Nachrichten und Zeitungen zeigen uns ja nur die schlechten Seiten. Natürlich sind wir nicht so reich wie Norwegen oder Qatar, aber wir sind ja ein kleines und noch junges Land. Wir müssen natürlich noch viel verbessern, vorallem was die Gerechtigkeit anbelangt, d.h. mehr Möglichkeiten, ein besseres Schulsystem und Arbeit für die Chilenen, aber ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg.
Chile ist ziemlich ab vom Schuss, also denke ich, dass Touren für euch ziemlich schwierig und umständlich sein muss. Was sind eure Erfahrungen damit?
Touren ist wirklich schwierig und teuer für uns, selbstverständlich. Mehr noch aufgrund unserer Ausbildung, des Berufes etc. Eine Tour in Europa beinhaltet eine Menge komplizierte Dinge für uns, wie zum Beispiel den Beruf liegenzulassen, unsere Ausbildung auf Eis zu legen und andere Sachen… Wie auch immer, wir haben nur beste Erinnerungen an unsere Touren in Europa! Manchmal fehlen uns die Worte um zu beschreiben, wie unglaublich das für uns ist. Unsere Musik neuen Metalheads zu zeigen, sie mit den Fans und anderen Bands zu teilen, neue Plätze und Städte zu besuchen… Es ist sehr ermüdend und teuer, aus Chile anzureisen, mehr als fünfzehn Stunden oder mehr zu fliegen und jeden Tag hunderte von Kilometern zurückzulegen, aber Touren ist für uns das Beste, wir lieben es wirklich.
Habt ihr bereits Pläne für kommende Touren im Hinterkopf, um „Streams Inwards“ entsprechend zu promoten?
Ja. Wir können es kaum erwarten, wieder nach Europa zu kommen! Wenn alles glatt läuft, werden wir im Dezember mit SWALLOW THE SUN und SOLSTAFIR touren, im Dezember. Wir würden dann mehr als zwanzig Konzerte in Europa spielen, und Deutschland wird natürlich eines der Länder sein. Avocado Booking kümmert sich um diese Tour. Wir werden in den nächsten Wochen detailliertere Infos bekanntgeben.
„Streams Inwards“ wird über Season Of Mist veröffentlicht werden. Wie kamt ihr dort hin? Habt ihr bis jetzt gute Erfahrungen mit europäischen Metal-Labels gemacht?
Ja, die europäischen Labels sind wirklich in Ordnung. Sie geben unserer Band wirklich gute Chancen. Weißt du, für uns als chilenische Band ist es sehr schwer, einige Dinge zu regeln. Die Veröffentlichung, Promotion, Verbreitung, Konzertpläne und all das. Wir haben ja nicht unsere ganze Zeit für die Band wegen unserer Berufe und Ausbildungen. Deshalb ist ihre Mitarbeit für uns sehr wichtig. Für unsere vorherigen Veröffentlichungen arbeiteten wir mit Firebox Records in Finnland zusammen, und es war trotz des kleinen Budgets sehr gut. Es ist ein gutes Label mit zuverlässigen Leuten, guten Ideen, guten Bands und netten Leuten. Aber als unser Vertrag mit dem letzten Album „Draining The Waterheart“ endete fühlten wir, dass wir etwas neues machen könnten, ein neues Projekt, etwas Größeres, um unsere Musik mehr und mehr Leuten zu vermitteln. Die Kritiken zu den letzten Alben waren sehr gut, und trotz der wirtschaftlichen Probleme mit der Krise dachten wir, dass es möglich wäre, den Labels etwas Interessantes vorzuschlagen. Dann, mit mehr Erfahrung und Netzwerken, planten wir, eine Kontakte durchzugehen und zu fragen, ob Interesse besteht. Wir gingen fast alle Labels durch, die unsere CDs auf der Welt verbreiteten, und natürlich Firebox. Die Idee war, das für uns Beste herauszuschlagen und wir versuchten es mit einem größeren Label wie Season Of Mist. Warum auch nicht? Die Kontaktaufnahme mit Season Of Mist war einfach, weil sie unsere Alben in Fankreich verbreiteten und weil wir sie über andere Kontakte kannten. Ich lebte zu dieser Zeit in Frankreich, deshalb verlief die Kommunikation mit Season Of Mist reibungslos. Sie waren an unserer Musik und unserem Projekt interessiert, und wir waren natürlich auch daran interessiert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich denke, das war die beste Entscheidung für uns. Und jetzt haben wir eine neue Gelegenheit, unsere Musik mehr Leuten zu zeigen, mit besserer Unterstützung in jeder Hinsicht. Alles sieht gut aus, jeder arbeitet enthusiastisch daran mit. Hoffentlich genießen die Leute das neue Album!
Danke für deine Zeit, und ich wünsche euch viel Erfolg mit eurem neuen Album! Ich hoffe, euch bald auf einer deutschen Bühne zu Gesicht zu bekommen!
Kein Problem! Danke für deine Unterstützung, und danke nochmals an metal.de! Wir hoffen, ein paar Bierchen auf unserer nächsten Tour mit euch teilen zu können, haha. Prost!