Machine Head
Diese Dinge mussten gesagt werden!
Interview
Den Song „Bastards“ habt ihr bereits im November 2016 in einer akustischen Proberaum-Version und als Folk Song angekündigt bei YouTube hochgeladen. War von Anfang an klar, dass der Song es auf „Catharsis“ schaffen würde?
„Bastards“ habe ich wenige Tage nach dem Ende der Präsidentschaftswahlen geschrieben, nachdem ich ein längeres Gespräch mit meinen beiden Söhnen geführt hatte. Als ich ihn bei YouTube hochgeladen habe, hatte ich keinerlei Ambitionen, ihn auch auf das Album zu tun. Wir hatten gerade erst mit dem Songwriting für „Catharsis“ begonnen und ich dachte, ich würde „Bastards“ einfach hochladen und dann damit abschließen. Als das Album dann aber Form annahm, tauchte ein Thema immer wieder auf, das in einer Textzeile von „Bastards“ enthalten ist: „Stand your ground, don’t let the bastards win!“ Es fand sich in „Hope Begets Hope“, in „Eulogy“, in „Catharsis“, in „Grind You Down“.
Weißt du, bei MACHINE HEAD haben wir viele „Empowering Songs“: „Imperium“, „Ten Ton Hammer“, solche Sachen, aber dieser Zeile wohnte etwas besonders kraftvolles inne. „Stand your ground / Don’t let the bastards grind you down / Be bold, be strange, dont let their fears make you afraid.“ Also haben wir es weiter ausgearbeitet. Diesen Tapping-Part hatte ich schon vorher und dachte dann, es könnte cool werden, das Ganze runterzustimmen. Also richtig tief, auf F. Wir haben es versucht, ein bisschen damit rumgespielt. Dann haben wir die Hammond-Orgel hinzugefügt. Und da dachte ich mir schon, dass hier am Ende etwas Besonderes und Einzigartiges stehen könnte. Über einen solchen Song stolperst du nicht alle Tage. Zu so etwas musst du dann einfach stehen und es veröffentlichen.
Ein weiterer Song, den du bereits angesprochen hast und der mir beim Hören von „Catharsis“ auch besonders aufgefallen ist, ist „Triple Beam“. Hier thematisierst du ziemlich offensichtlich auch deine eigene Drogenvergangenheit. Wie stehst du heute zu Drogen und wie wirst du reagieren, wenn deine Söhne irgendwann ihre ersten eigenen Erfahrungen machen?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Dieser Song beschreibt einen Moment in meinem Leben aus meinen Zwanzigern. Ich weiß gar nicht so richtig, wo dieser Song überhaupt herkam. Ich habe diese Lyrics nicht zu genau dieser Musik geschrieben. Ich wache jeden Morgen zwischen vier und halb fünf auf und schreibe Lyrics, vor allem wenn ich mich gerade mitten im Schreibprozess befinde. Die meisten Sachen die ich schreibe sind richtig scheiße, aber ab und an ist was Gutes dabei. Den Text zu „Triple Beam“ fand ich von Anfang an gut, aber ich hatte keine Musik dazu. Und dann haben wir diese spannenden Rahmen dazu geschrieben.
Was meine Kinder angeht: In meiner Rolle als Vater bin ich glaube ich ziemlich konservativ. Ich fluche zum Beispiel nicht, wenn sie in der Nähe sind. Zumindest versuche ich, es nicht zu tun. Es passiert natürlich trotzdem, dass wir Campen gehen und ich mich mit meinen Freunden betrinke und dann bin ich auch schnell wieder ein richtiger Motherfucker. Aber wenn sie mich auf der Bühne sehen, sind sie überrascht. Sie sind es nicht gewohnt, dass ich so viel fluche. Als mein Ältester mich zum ersten Mal sah und wir zu „Imperium“ auf die Bühne kamen und alle „fucking fingers“ sehen wollten, hat er sich zu seiner Mutter herumgedreht und gesagt: „Mama, Papa flucht ganz schön viel auf der Bühne.“ Die meisten meiner Songs haben sie noch nie gehört. Noch nicht einmal „Bastards“. Möglicherweise wird das auch nie passieren. Ich habe ihnen weder „Imperium“ vorgespielt noch „Davidian“. Es wird eine Zeit kommen, da werde ich das tun, vielleicht in ein paar Jahren. Aber ich werde sie sicher nicht dazu drängen. Das gehört für mich dazu, wenn man ein guter Vater sein will. Wir machen halt einfach keine Musik für Kinder. Punkt.
Mit „Catharsis“ im Gepäck werdet ihr wieder einen großen Tour-Zyklus starten. Abermals im „An Evening With …“-Format. Nur MACHINE HEAD, kein Support. Wie schwer fällt es euch, jeden Abend diese zweieinhalb bis drei Stunden Bühnenprogramm abzureißen?
In gewisser Weise ist es sogar einfacher. Denn wenn du ein Festival spielst, oder einen Support-Slot mit 50 Minuten Spielzeit ausfüllst, ist es einfach nur ein reines Gemetzel. Du willst so viele harte Songs wie möglich spielen und die Leute ausflippen sehen. Und MACHINE HEAD sind definitiv eine Heavy-Band. Die brutalste? Ich denke nicht, dass wir 2017 auch nur annährend zu den brutalsten Bands da draußen zählen. Und wir hatten schon immer diese ruhigeren Momente in unserer Musik. Auf jedem Album. Sei es nun „I’m Your God Now“ oder „The Burning Red“, „Deafening Silence“, „Darkness Within“ oder Descend The Shades Of Night“. Im Festival-Kontext würden wir diese Songs vielleicht niemals spielen, weil der harte Kram da Priorität hat. Bei den „Evening With …“-Shows musst du dich zwangsläufig bremsen. Dich und auch das Publikum. Niemand hält drei Stunden im Circle Pit aus. Deswegen flechten wir diese ruhigeren Momente ein, damit alle mal durchatmen können.
Ich meine, klar, ich muss vor der Tour auch ordentlich trainieren, um in die richtige Verfassung zu kommen. Aber wenn man dann dabei ist, ist es tatsächlich fast einfacher, gerade auch weil du die ruhigeren Songs spielen kannst. Es ist verdammt gut, ich meine, die Leute lieben diesen Kram. Als wir mit diesem Tourformat anfingen, haben wir einige Songs wieder hervorgeholt, die wir ewig nicht live gespielt hatten. Manche sogar noch nie. Und die Leute sind komplett ausgerastet. Als wir „Crashing Around You“ nach Ewigkeiten zum ersten Mal wieder gespielt haben, sind die Leute schlicht ausgetickt.
„Wir wollen das Level erreichen, auf dem GRATEFUL DEAD und BRUCE SPRINGSTEEN ihr Ding machen.“
Woran liegt es aber dann, dass vor allem im Metal diese Tour-Pakete mit drei oder mehr Bands eher die Regel als die Ausnahme sind. Hat das finanzielle Gründe?
Ich kann da natürlich nicht für andere Bands sprechen. Ich weiß nur, dass wir seit nunmehr 23 Jahren Festivals und Tour-Pakete mitnehmen und ich besonders Festivals mittlerweile nicht mehr ausstehen kann. Ich bin es irgendwann so leid geworden. Die ganzen Verhandlungen, bei sieben Grad und strömendem Regen auf der Bühne stehen. Aber vor allem habe ich irgendwann keine Verbindung mehr zum Publikum gespürt. MACHINE HEAD können ein Festival rulen, die 80.000 Leute sind nicht das Problem. Jeder bekommt die ans Springen oder kriegt den Circle Pit um den Mischturm zustande.
Ich erinnere mich an das letzte Festival, das wir gespielt haben: Es hat mich kaputt gemacht. Wir spielten auf einem Parkplatz zwischen zwei Einkaufszentren vor 15.000 Leuten, es war arschkalt und hat aus Eimern geschüttet. Mein Verstärker hat Aussetzer wegen der Nässe, alle stehen da in ihren beschissenen Regencapes und bis zu den Knien im Schlamm. Und ich dachte nur: „Was zur Hölle tun wir hier? Was hat das mit Metal zu tun? Dafür habe ich nicht mit der ganzen Sache angefangen. Fuck this!“ Für mich war es absolut deprimierend. Und darüber hinaus war einfach niemand wirklich bei der Sache. Jede verdammte Band hätte in diesem Moment auf der Bühne stehen können. Nach dieser Sache haben wir uns intensive Gedanken darüber gemacht, wie wir unsere Band managen wollen. Und natürlich ist das, was sich für uns als richtig rausgestellt hat, nicht unbedingt auch das Richtige für andere Bands. Nicht jede andere Band hat neun Alben im Gepäck und 50 Jahre auf den Knochen. Nicht jede Band hatte die Karriere die wir hatten, nicht jede Band hat die Dinge hinter sich, die wir hinter uns haben. Wir mussten sehen, was das Beste für uns ist. Viele Leute wollten uns dieses Tour-Format ausreden. Das sei etwas für Jam-Bands, für Hippie-Bands. Es ist nicht sonderlich populär. BRUCE SPRINGSTEEN macht so etwas. Wir haben es trotzdem durchgezogen. Weißt du, alles in der Musik-Welt verändert sich. Einfach alles. Was vor zehn oder 15 Jahren funktionierte, funktioniert heute möglicherweise nicht mehr. Und diese traditionelle Art des Tourens funktionierte für uns nicht mehr. Wir zogen weniger Leute an, wir verkauften aus diesem Grund auch weniger Alben. Und wir dachten uns, dass sich etwas ändern muss. Deshalb haben wir mit „An Evening With …“ angefangen. Und es war die beste Idee, die wir jemals hatten. Es hat unsere Passion wiederbelebt.
Insgesamt bin ich aber auch der Meinung, dass mehr Bands diesen Weg gehen sollten. Wenn BRUCE SPRINGSTEEN in die Stadt kommt, fragt keiner nach den Support-Bands. Es ist verdammt nochmal BRUCE SPRINGSTEEN. Gleiches gilt für MCCARTNEY, U2 oder wen auch immer. Im Metal hat es sich irgendwann in diese Richtung entwickelt, dass es immer 150 verdammte Bands sein müssen. Aber ich glaube, es geht auch ganz anders. Wir wollen dieses Level erreichen, auf dem GRATEFUL DEAD und BRUCE SPRINGSTEEN ihr Ding machen.
Die letzte Frage zum Live-Geschäft bezieht sich auf deine Aussage, dass du, wegen der Zeile „Let freedom ring with a shotgun blast“ nach dem Massaker von Las Vegas den Song „Davidian“ nicht mehr live spielen möchtest. Wie ist deine jetzige Position dazu?
Seit dieser Aussage sind MACHINE HEAD noch nicht wieder im Proberaum zusammengekommen. Ich weiß nicht genau, wie ich aktuell dazu stehe. Ich habe diese Aussage unter dem Eindruck dieser schrecklichen Tragödie gemacht. Andererseits haben wir in den USA mittlerweile alle zwei Monate eine Massenschießerei. Alle zwei Monate sterben verdammt nochmal 20, 30, 40 oder 50 Leute bei derartigen Vorkommnissen. Es ist krank. Und es wird mit sehr schwer fallen, diese Worte in nächster Zeit zu sagen und irgendetwas Gutes dabei zu fühlen. Manche Leute meinten, ich solle die Worte für die kommende Tour abwandeln in: „Let freedom ring like a popcorn pack.“ Was ich ziemlich lustig finde. Vielleicht mache ich das, vielleicht ist das der beste Weg darum herum. Aber ich weiß nicht, wie ich mich im Januar fühlen werde. Bis dahin sind es noch zwei Monate.
Abgesehen davon bin ich ja der Meinung, dass wir jede Menge Songs haben, die genauso gut sind wie „Davidian“, wenn nicht noch besser. Die Medien haben diese ganze Aussage auch ordentlich gepusht. Ich meine, wir haben schon ganze Touren durchgezogen, ohne „Davidian“ zu spielen. Es hat niemanden interessiert. Und jetzt kündige ich so etwas an und alle rasten aus und schreien: „Damit lasst ihr die Bösen gewinnen!“ Und ich denke mir: „Inwiefern gewinnt irgendjemand dadurch irgendetwas? Was redet ihr da?“
Wir freuen uns trotzdem auf die Tour und danken dir für deine Zeit!
Es war mir eine Freude!
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