Lunar Shadow
"Diese Art der Anonymität, dieses Verschwinden in der Masse, das war für mich eine absolute Offenbarung."
Interview
Die einstigen Vorzeige-Epic-Metaller LUNAR SHADOW haben einen beachtlichen Ritt hinter sich: drei Alben und eine EP in sieben Jahren. “Far From Light” (2017) und “The Smokeless Fires” (2019) wurden wohlwollend respektive euphorisch besprochen, LUNAR SHADOW wurden schnell zu Lieblingen aller Freunde von quietschfideler Melancholie und spleeniger Detailverliebtheit. Per Vorankündigung ließ die Band verlauten, dass “Wish To Leave” anders werden würde, möglicherweise das Potenzial hätte, die Fans zu spalten.
LUNAR SHADOW – Big city… Big city nights!
Ein “Großstadt-Album” sei “Wish To Leave”, das sich Post-Punk- und Indie-Territorien erschließen will. Inspiriert haben Hauptkomponist und -gitarrist Max “Savage” Birbaum dazu nächtliche Spaziergänge durch die Stadt Leipzig. An diesem Punkt wurde ich – als ebenfalls vor einer Weile zugezogener Wahl-Leipziger – hellhörig. Unser Vorhaben, bei einer Corona-sicheren Session im Park, ein Interview gewissermaßen vor der Kulisse der Inspiration selbst zu führen, scheiterte letztlich an einem mehrtägigen Sauwetter und musste so ironischerweise wieder auf digitale Kommunikationsmittel verlagert werden. Das ändert allerdings nichts am Informationsgehalt und der beinahe literarischen Qualität der Antworten des Gitarristen.
„Wish to Leave“ ist schon euer drittes Album. Wie fühlst du dich generell bei der Veröffentlichung eines neuen Albums?
Das ist zweifellos immer eine recht spannende Zeit, wir investieren ja nicht eben wenig Zeit, Aufwand, Geld und Arbeit in unsere Alben. Ein Album dann an die Welt zu übergeben ist daher dann immer schön. Es hat für mich im Speziellen aber natürlich auch Schattenseiten, weil dann viel Arbeit auf mich zukommt, ich mache viel Promo, Interviews, kriege Anfragen, beantworte Nachrichten von Fans, das darf man nicht unterschätzen.
Ich merke an diesem Aufwand auch von Album zu Album, wie die Band tatsächlich “wächst”. Ich kriege immer mehr Feedback, immer mehr Anfragen, immer mehr Magazine, national und international. Agenturen wollen uns unter Vertrag nehmen, Labels. Die üblichen Scammer (“Überweise mir 1000 Euro und ich schicke euch eine Liste mit den Adressen von 1000 Plattenlabels! Mit Erfolgsgarantie!”)
Aber das ebbt zum Glück dann auch irgendwann wieder ab nach einigen Wochen.
Du meintest im Vorfeld, das Album hat das Potenzial, eure Fans zu spalten, bzw. dass du dir sicher bist, dass es einige nicht mögen werden. Dafür kommt das Album aber, soweit ich sehen konnte, bisher durch die Bank recht gut an. Tangiert dich sowas überhaupt?
Gut, zunächst mal sind Promotexte natürlich auch ein Stück weit dafür da, um verbal ein wenig auf die Pauke zu hauen und Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist ja ihr eigentlicher Sinn, per definitionem. Ich muss aber zugeben, dass ich mich in dem Punkt durchaus geirrt habe, denn das Feedback ist in der Tat überwiegend sehr positiv. Da habe ich die Hörerschaft möglicherweise etwas unterschätzt. Oder die Shock Value des Albums überschätzt, je nachdem.
Was die Reviews angeht, ich will ganz ehrlich sein: ich lese eigentlich kaum noch welche. Mir ist es an diesem Punkt wichtig zu betonen, dass ich jedem Einzelnen, der über die Band schreibt, dankbar bin. Ob das eine gute oder schlechte Rezension ist, spielt gar keine Rolle. Ich habe nur oben bereits erwähnt, dass wir als Band immer mehr Aufmerksamkeit bekommen und ich kriege einfach so viele Rezensionen wie noch nie, jeden Tag bekomme ich von unseren PR-Agenturen Reviews en masse, das habe ich so auch noch nicht erlebt. Und es gibt einfach mittlerweile so viele Websites über Metal und Rock, Blogs, so viele Leute schreiben über das Album.
Ich habe nach 6 Jahren mittlerweile auch einfach schon alles gehört: Der Sänger ist scheisse, der Sänger ist super, langweilig, die Alben davor waren besser, das aktuelle Album ist ein Meilenstein, zu gut produziert, zu schlecht, was soll das, wie sieht der denn aus? Und so weiter und so fort, ich habe für mich persönlich entschieden, dass ich da gar nicht mehr wirklich hinterher bin. Für mich ist das auch einfach mental gesünder, ich habe nämlich so Tendenzen 99 euphorische Reviews zu bekommen und ein schlechtes und ich halte mich dann mit letzterem auf.
Das vergeht in der Tat sehr schnell, mich tangieren solche Meinungen in der Tat nicht so sehr, das ist nicht nur Interview-Gerede. Wenn jemand unser Album hoch lobt, vielen Dank! Freut mich ehrlich. Wenn er es nicht gelungen findet? Auch gut, danke sehr!
Ich habe mich einfach eines Tages beim Spazieren gehen gefragt: “Warum liest du die Rezensionen eigentlich? Ziehst du da was raus? Etwas positives?” Und dem war eigentlich nicht so. Das Ganze passt zu meiner unlängst erfolgten Entscheidung, auch Social Media komplett hinter mir zu lassen. Ich steige einfach ein bisschen aus der ganzen Internet Culture aus, mir tut das gut.
Meine These ist, dass Entwicklungen dieser Art inzwischen vom Gros der Fans wohlwollender aufgenommen werden, weil die meisten inzwischen offener sind und die Emotionen, die sie in Musik suchen, nicht mehr nur im Metal finden. Vor 25 – 30 Jahren hätte euch das eventuell stärker die Beine berechen können, wie einige Bands aus den Achtzigern belegen. Inzwischen scheint es einige Leute zu geben, die geradezu nach dieser Grenzüberschreitung suchen. Wie ist das bei dir als Musik-Fan: Bist du eher konservativ oder auch auf der Suche nach „Stilbrüchen“?
Da musste ich jetzt erstmal drüber nachdenken. Dem könnte ich entgegenhalten, dass es damals diese Zersplitterung in 73457345 Genres noch nicht gab und man halt VENOM und MÖTLEY CRÜE problemlos nebeneinander gehört hat.
Das Internet gab es aber natürlich noch nicht und das spielt eine wichtige Rolle. Man kann heute viel genreübergreifender Musik hören, sich in vielen verschiedensten Musikrichtungen Wissen und Kenntnis aneignen, das war damals in der Form gar nicht drin, da hat man halt Tapes getauscht. Das ist heute alles einfacher und ich denke, dass die Leute dann auch bemerken, dass es in Ordnung ist, wenn man einfach hört, was man will. Dass es akzeptiert ist zu sagen “Ich mag halt JUDAS PRIEST, aber eben auch PINK TURNS BLUE”, da tragen wir möglicherweise jetzt halt auch ein bisschen zu bei. Sich zu lösen von diesen starren Genres.
Ich habe auch ein bisschen das Gefühl, dass das möglicherweise auch etwas mit dem Alter zu tun hat. Ich argumentiere jetzt hier von meiner eigenen Warte, als ich jünger war, war ich deutlich engstirniger und weniger tolerant. Die ganzen Insta-Kids Anfang 20 sind glaube ich auch heute eher noch auf Genregrenzen fixiert und die richtigen Shirts und Patches. Ich bin aber halt einfach Anfang 30 und habe nur Leute in diesem Alter um mich, da interessiert das halt einfach niemanden mehr, da wird gehört, was einem gefällt und fertig. Da wird gar nicht mehr drüber diskutiert, finde ich irrsinnig angenehm. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich viel lieber 30 bin als 20.
Mir ist es nur immer wichtig zu betonen, dass hinter gewissen Stilbrüchen in meiner Musik keine Intention verborgen liegt. Ich forciere keinen Wandel um des Wandels willen. Ich spiele die Musik, die ich spielen will und bin in der komfortablen Situation, das auch in vollem Umfang tun zu können.
Was mir an dem Album gefällt ist, dass man einerseits eine Weiterentwicklung, einen Reifeprozess wahrnimmt; andererseits ist nach den ersten Sekunden von „Serpents Die“ schon klar, dass es LUNAR SHADOW sind. Die Melodien sind unverwechselbar. Bisher hatte ihr auf jedem Album Songs, die zum Aufnahmezeitpunkt schon etwas älter waren – zählt dieser Song auch dazu? Er ist eine schlüssige „Brücke“ zwischen den „Smokeless Fires“-LUNAR SHADOW und den „Wish to Leave“-LUNAR SHADOW.
Nein, “Serpents Die” ist tatsächlich ein neuer Song. Ich mag den aber auch gerne, er enthält alle „neuen“ Trademarks und führt sie, denke ich, schlüssig zusammen.
Ich glaube auch, dass es noch nach Lunar Shadow klingt, da ich meine Art Songs zu schreiben ja nicht einfach über Nacht ändern kann. Daher sind diese bestimmten Trademarks immer irgendwie mit drin. Ist ja auch eine gute Sache. Ich will zugeben, dass es mich immer stolz macht, wenn ich höre, dass Lunar Shadow ein ganz eigener, unverwechselbarer Stil zugesprochen wird. Größeres Lob kann es nicht geben.
Ihr habt diese Entwicklung mit „Roses“ auf dem Vorgänger-Album bereits angedeutet, auch wenn der Song sich schon ein Stück weit von dem aktuellen Material unterscheidet.
Absolut, das ist richtig. Mir war auch klar, dass wenn wir nochmal ein Album machen, es den Weg von “Roses” weiterführen wird. Das war die Richtung, die mich interessiert hat.
Soweit ich weiß, ist „And Silence Screamed“ ursprünglich für das letzte Album gedacht gewesen. Das Stück beweist, ebenso wie „Delomelanicon“, dass es überhaupt nicht abwegig ist, klassische Heavy-Metal-Parts in einem „unklassischen“ Gewand zu spielen. Hast du viel von dem älteren Song viel angepassen müssen für „Wish to Leave“?
Jein, “And Silence Screamed” und “Delomelanicon” sind einfach beide um die 8 oder 9 Jahre alt.
“Delomelanicon” hieß erst “Crystal Avenger”, dann “The Sower Of Thunder” und ich habe ihn während der Aufnahmen dann nochmal umbenannt. Die Nummer wollte ich ungern verkommen lassen, ich bin mit dem Ergebnis auch sehr zufrieden.
“And Silence Screamed” war schwieriger. Der Song ging mir während der Aufnahmen total auf die Nerven und ich fand, dass er überhaupt nicht zum Rest des Albums passt. Man hört ihm sein Alter halt an, es ist eher der “alte” Stil, à la “Triumphator”. Ich habe dann zusammen mit Max Herrmann im Studio noch einiges umgebaut, den kompletten Refrain gestrichen, neu geschrieben, einen neuen Text dafür verfasst, das Solo nach dem Refrain eingebaut und improvisiert und die Hammond-Orgel drunter gepackt. Jetzt komme ich mit der Nummer auch zurecht. Ich habe mir aber geschworen, dass ich keine alten Songs mehr wiederverwenden werde in Zukunft.
“Es gibt keine super schnellen Shred-Soli mehr, ich wollte mal ausprobieren, ob ich auch ohne Gefrickel etwas bedeutsames hinbekomme.”
Eine der auffälligsten Neuerungen ist der Sound, der dem Material die perfekte Atmosphäre gibt. Wieder habt ihr mit Max Hermann in Leipzig aufgenommen. – Die ideale Arbeitspartnerschaft?
Unbedingt. Wir sind einerseits persönlich befreundet, aber es bietet mir auch die perfekte Arbeitsumgebung. Wir wohnen 15 Gehminuten voneinander entfernt, wir können schnell und spontan Zeug aufnehmen oder austauschen.
Max hat auch einfach ein super Gehör und, lapidar ausgedrückt, Geschmack. Er weiß, was man an einer kleinen Stelle vielleicht noch anders machen könnte, ein Snareschlag, eine etwas anders gezupfte Bassnote. Viele kleine, aber wertvolle Ideen stammen immer aus seinem Fundus.
Er hat außerdem viel Geduld mit mir Vollidiot. Ich kann anstrengend sein. Ich gehe halt auch gerne mal ins Studio, verkünde, dass ich ein Solo neu einspielen will, mache das 30 Minuten, nur um dann zu beschließen, dass wir doch den ersten Take nehmen. Er trinkt dann einen Orangenschnaps und weiter geht’s.
Apropos Sound: Hast du dein Equipment verändert, um ihn so zu erreichen, wie er ist? Wenn ich mich richtig erinnere, hattet ihr ja bisher extra das gleiche Equipment, das auch auf „The Jester Race“ zum Einsatz kam, benutzt, um diesem Sound nahezukommen. Hattet ihr wieder Referenzen anderer Alben oder Bands, denen ihr nahekommen wolltet?
Ja, habe ich tatsächlich. Alle Musik von LUNAR SHADOW wurde bis dato auf meiner 2004 gekauften Jackson SLSMG (“Siren”) eingespielt. Die passte jetzt nicht mehr zur aktuellen Musik und kann nun langsam mal in wohlverdienten Ruhestand. Benutzt habe ich diesmal überwiegend eine umgebaute Greco-Strat von 1979, die hat mir netterweise Martin von PROWLER geborgt. Einige Rhythmusspuren habe ich mit einer Telecaster eingespielt.
Wir haben diesmal kein festes Setting gehabt, wie beim letzten Album. Ich gebe Max ein paar Referenzen, was den Gitarrensound angeht (BEASTMILK, CHAMELEONS) und die Drums (WHITE LIES) und dann bauen wir was eigenes draus. Die Amps waren diesmal ein alter Marshall und ein Fender Tone Master.
Auch euer Sänger Robert Röttig passt inzwischen noch besser ins Gesamtbild. Natürlich ist er jetzt schon länger in der Band, ich glaube aber auch, dass die Musik seiner Stimme mehr entgegen kommt, als das bisher der Fall war.
Stimmt. Robert war auf “The Smokeless Fires” noch relative neu in der Band, hatte noch nie professionell aufgenommen oder sowas wie Overdubs eingesungen. Wir haben diesmal erstmals richtige Pre-Production gemacht und uns alle Gesangsspuren schon mal so gut es ging zurecht gelegt. Das sollte Zeit sparen, mit Betonung auf “sollte”. Leider mussten wir dann unsere Gesangssessions aus diversen Gründen arg verkürzen und wurden nicht fertig. Diverse Sachen musste Robert also noch daheim mit Equipment von Max einsingen.
Bei „I Will Lose You“ singst du zum ersten Mal selbst und ich muss gestehen, es wäre mir fast nicht aufgefallen. Wie kam es dazu?
Jeder hat Stärken und Schwächen als Sänger. Robert ist technisch stark und geht eher nach vorne. Mir fehlt etwas die Technik, ich kann aber ruhige, emotionale Stellen teils etwas besser, auch, da ich die Texte schreibe und der Bezug viel stärker ist. Der Song “I Will Lose You” ist mir persönlich sehr wichtig und ich musste diesen Part am Ende einfach singen. Es geht um Liebe, kann man nicht erklären. Musste einfach so sein.
Ich habe ja ein ganz gutes Selbstbewusstsein, aber wenn ich singen muss, zum ersten Mal allein, da hatte ich auch etwas kalte Füße. Erstaunlicherweise wird das in Rezensionen wirklich kaum erwähnt. Ich war total baff. Merken das die Leute wirklich nicht? Ich habe da vielleicht einen anderen Blick drauf, aber das hört man doch? Da singen doch zwei völlig unterschiedliche Leute? Verrückt.
Fast allen neuen Songs ist gemein, dass sie weniger Parts haben und eingängiger sind. Auch die Lead-Gitarren sind deutlich reduziert. Ist es dir schwerer gefallen, solche Stücke zu schreiben als bei den komplexeren, epischeren Nummern der Vergangenheit?
Ja, richtig erkannt. Da steckt in der Tat Absicht dahinter. Ich habe mich diesmal reduziert. Es gibt keine super schnellen Shred-Soli mehr, ich wollte mal ausprobieren, ob ich auch ohne Gefrickel etwas bedeutsames hinbekomme. Zudem habe ich den Fokus mehr auf die Rhythmusgitarre gelegt. Auch die Drums sind bewusst etwas einfach gehalten, alles, um dieses beruhigte, geradlinigere zu betonen.
Ich habe mich damals beinahe ein bisschen gegen “Eingängigkeit” gewehrt, das ist aber im Grunde unsinnig. Eingängigkeit kann auch etwas Gutes sein, so lange sie nicht in die Trivialität abrutscht.
Ihr schließt den Kreis wieder mit „The Darkness Between The Stars“, der einerseits sehr episch ist und andererseits Blast Beats, DISSECTION-Melodien und den ersten Screams von Robert aufwartet – auch ein älterer Song?
Nein, der Song ist auch neu. Relativ “klassisch”, es passiert viel in dem Track. Sicher erst einmal ziemlich verwirrend für die Hörerschaft. Hier singe ich übrigens auch, nämlich die kompletten letzten drei Minuten. Auch der Song handelt von einer ganz besonderen Person, der Text ist mir sehr wichtig und das Ende konnte nur ich singen, da durfte kein anderer ran.
Die Screams von Robert sind in der Tat cool geworden. Wir sind da drauf gekommen, weil Robert mit unserem Basser Sven nebenbei eine Powerviolence-Band betreibt, daher wollte ich das mal an dieser einen Stelle einbauen.
Ziemlich überragend finde wieder die visuelle Gestaltung. Nicht nur das Artwork passt sehr gut zur irgendwie eskapistischen Musik, die Fotos sind auch sehr stimmungsvoll. Auf einem davon verlässt du deinen Körper.
Die Fotos hat mein guter Freund Sebastian Wünsche gemacht, den ich in einer düsteren Nacht vor Jahren in der Zwille zu Leipzig kennenlernte. Die Fotos sind jedoch eher aus der Not geboren, ich hatte durchaus vor, klassische Gruppenfotos zu machen. Ich bin ja auch sowas wie der künstlerische Leiter in spe, ich dirigiere die Fotos, Posen, Outfits. Herrlich, das ist jedes Mal ein Fest. Wir konnten uns aber wegen Corona einfach nicht treffen, zumal wir mittlerweile fast alle komplett verstreut leben. Also habe ich entschlossen, dieses Problem halt künstlerisch zu lösen. Die Jungs haben Porträtaufnahmen von sich selbst gemacht, ich habe sie ausgedruckt und gerahmt und Wünsche hat dieses wundervolle Setting aufgebaut, mit viel Liebe zum Detail. Alles analog und durch Doppelbelichtung. Ich bin auch sehr happy mit den Bildern.
Das Artwork von Denis Forkas Kostromitin habe ich beim Stöbern entdeckt. Ich interessiere mich ja persönlich sehr für Kunst und habe seine Malerei schon seit einigen Jahren verfolgt. Als ich dann über seine Traumstudie gestolpert bin, hat mich das Bild regelrecht angesprungen und ich wusste sofort, dass das unser Albummotiv werden muss. Die perfekte Repräsentation des Albums. Isolation, Verlangen, Bemühen, Fallen, Kämpfen, Verwirklichen.
Über den “Wish to leave” …
Ich weiß, dass der Titel „Wish To Leave“ persönlicher Natur ist, dennoch finde ich, er passt gut zur momentanen Situation. Einen „Wish to Leave“ verspüren möglicherweise gerade viele von uns.
Die Situation gerade ist in der Tat ein wenig witzlos. Auch mir fehlt mittlerweile besonders die soziale Komponente ziemlich stark und ich würde mich als einen Menschen bezeichnen, der normalerweise relativ gut alleine zurecht kommt.
Mir geht es aber vergleichsweise gut: ich habe keine Kinder, kann weiterhin arbeiten, wenn auch eingeschränkt. Ich bin gesund. Meinen Topfpflanzen fehlt nichts. Ich denke, dass andere Leute, Selbstständige oder Eltern gerade deutlich mehr durchmachen. Aber es geht vorbei.
Was tust du, um dir durch die Pandemie zu helfen?
Mein Fatalismus hilft mir und eine gute Portion Pragmatismus. Es macht wenig Sinn sich über Dinge zu ärgern, die man nicht ändern kann, die sich der eigenen Kontrolle völlig entziehen.
Daher gehe ich jeden Tag schön spazieren, ich bin passionierter Spaziergänger, koche, verabrede mich ein- oder zweimal die Woche mit Freunden zum Sport oder zum Tee / Kaffee. Ich lese viel, telefoniere mit Leuten, die ich gerade nicht sehen kann. Und versuche mich auf den Sommer zu freuen.
Wie hat sich die Krise auf die Entstehung des Albums ausgewirkt?
Eigentlich gar nicht. Bis auf die Bandfotos vielleicht, siehe oben. Aber ansonsten haben wir im Spätsommer – Herbst damals genau eine Phase erwischt, in der das Reisen noch einigermaßen möglich war. Wir haben wie immer Termine gemacht, die Jungs kamen nach Leipzig und haben ihr Zeug aufgenommen.
Du hast angekündigt, außer der Party.San-Show keine Konzerte mehr geben zu wollen. Probt ihr vor Aufnahmen regelmäßig oder wie kann man sich das bei euch vorstellen?
Wir proben eigentlich gar nicht mehr. Ich glaube, das letzte Mal in kompletter (!) Besetzung haben wir 2018 geprobt. Vor unserem letzten Konzert auf dem Hammer and Iron in Essen haben wir glaube ich einmal geprobt und dann auch noch ohne Kay. Und nach dem Konzert schrieb glaube ich irgendwo jemand auf Facebook oder sowas, dass er unseren Auftritt sehr gut fand, aber fast schon “zu professionell”, da musste ich dann fünf Minuten unkontrolliert kichern. Lunar Shadow ist die krasse Antithese von “professionell”, wir haben nicht mal ein Stagebanner, unsere Bühnenanweisung sieht immer ungefähr so aus “Können wir etwa Wasser bekommen? Danke!”
Wir wohnen so verstreut, dass das mittlerweile nicht mehr möglich ist. Ich reise ja bekanntermaßen eh nicht gerne und bin gleich immer mehrere Stunden unterwegs nach Hessen, das kostet auch alles immer viel Geld und ach.
Jeder packt sich die Parts immer individuell drauf, die Jungs haben glaube ich auch ein paar Mal ohne mich geprobt, die sind etwas näher beieinander. Vor dem Party.San werden wir aber definitiv nochmal etwas einschieben.
Werdet ihr auf der hoffentlich nachzuholenden Party.San-Show dann Material von allen Alben spielen? Ich bedaure fast, die neuen Songs nicht in einem intimen, kleinen Club hören zu können.
Ich habe mir ehrlichgesagt noch keinerlei Gedanken gemacht über die Setlist. Ich nehme an, dass wir was von allen Alben spielen werden. Auf ein paar Songs unserer Standardsetlist habe ich auch überhaupt keine Lust mehr, da haben wir ja jetzt zum Glück ein paar neue Optionen.
In dem Zusammenhang fand ich den Satz im Promo Sheet etwas lustig: „… to break LUNAR SHADOW out of the metal underground“. Gemeinhin ist das ja ohne Gigs nicht unmöglich, aber schwierig. Vielmehr hätte ich aber gar nicht gedacht, dass das dein Ziel ist.
Ja, ich verstehe schon. Da sind wir natürlich wieder beim Thema Promotexte. Aus dem Metal-Underground will ich nicht. Wie du sagst auch völlig illusorisch, wenn man sich weigert zu spielen wie wir. Wenn man so wenig kompromissbereit ist wie ich. Mit so vertrackter Musik erst recht nicht. Nein, das sollte man also nicht so ernst nehmen. Tatsache ist aber, dass ich mit dem Album gerne neue Hörerschichten erreichen wollte. Vielleicht halt mal Leute aus der Indie-Ecke, die sonst nicht so viel Metal hören. Nicht immer nur dieses Keep It True-Publikum.
LUNAR SHADOW und der Einfluss der Großstadt
Apropos: Das leider einzige Mal habe ich euch hier in Leipzig mit VISIGOTH im leider geschlossenen Four Rooms gesehen. Bei der Show hat euer Basser zu den Songs gegrowlt, weil ihr gerade keinen Sänger hattet. Ich kannte euch noch nicht besonders gut und wurde hellhörig, weil ich „The Gallery“ von DARK TRANQUILLITY so mag.
Ach, erinnere mich nicht daran. War ja alles total aus der Not geboren, Alex, unser erster Sänger war kurzfristig nicht mehr dabei und ich wollte die Gigs nicht absagen. Manchmal denke ich, ich hätte sie vielleicht doch absagen sollen. Ich glaube, ziemlich viele Leute waren damals ziemlich verwirrt. Aber ich habe halt in alter Punk-Attitude gedacht “Ach, fuck off, wen interessiert das?”
Dark Tranquillity schätze ich übrigens auch sehr. Mikael Stanne ist ein wunderbarer Texter und die Band hat in meinen Augen nie ein wirklich schlechtes Album veröffentlicht. Ich mag sogar die neueren Sachen, wie “Atoma”. Meine Favoriten wäre vermutlich “Damage Done” und die ruhige “Projector”.
Welche Kneipe hat dich denn zu „To Dusk And I Love You“ inspiriert? Für mich hat der Song ein wunderbares, schummriges Tresenfeeling.
Die Zwille, mein zweites Wohnzimmer sozusagen. Da fühle ich mich am wohlsten, wenn ich unterwegs bin. Klein, gemütlich, gute Leute, beste Musik, feinstes fränkisches Bier. Man kennt eigentlich immer wen vor Ort. Der Text basiert auf einem Abend dort, zum Teil jedenfalls.
[Der Redakteur hat dem nichts hinzuzufügen und kann die Zwille ebenso wärmstens empfehlen.]
Da wir nun beide Wahl-Leipziger sind: Ich finde es spannend, dass du sagst, die Stadt hätte einen Einfluss auf dein Songwriting zum neuen Album gehabt. Ich kann das nachvollziehen, denn als ich hierher gezogen bin, haben sich u. a. durch neue Kontakte meine Hörgewohnheiten auch weit geöffnet. Aber auch die Vielseitigkeit dieser Stadt ist anregend. Wie wirkt sie auf dich? Was bedeutet sie dir?
Die Stadt hatte einen sehr großen Einfluss auf mein Leben und meine Musik. Ich hatte noch nie in einer großen Stadt gelebt. Überall ist was, in der Kneipe Bier trinken und nach Hause laufen, kannte ich gar nicht. Da musste damals am Land immer wer fahren. Jeder macht was, überall Bands, jeder malt, fotografiert, tätowiert. Die Leute hören Black Metal und gehen trotzdem auf Raves. Sowas hatte ich noch nie erlebt. Ich war da zunächst auch sehr reserviert und fand das eher komisch. Aber nach und nach lernte ich dann Leute kennen, fand Freunde, ich habe neue Ansichten kennengelernt und festgestellt, dass Stadt alles ist, was ich immer wollte.
Ich habe ja einen recht speziellen Stil, so ein bisschen androgyner Rockstar, Marke Bowie. Ich wurde halt damals auf dem Land, wo ich 22 Jahre gelebt habe, immer dumm angeglotzt. Von Erwachsenen, Kids haben gelacht, wenn ich vorbei ging. Für mich war das völlig normal, ich war halt ein beschissener Outcast, der nirgends hinpasste. Meine Musik hat da eh auch keiner gehört. In der Stadt kratzt das einfach niemanden. Niemand guckt mich hier zweimal an. Weil gefühlt jeder Zweite noch stärker tätowiert ist als ich, verrücktere Haare hat, andere Klamotten trägt, das interessiert niemanden. Diese Art der Anonymität, dieses Verschwinden in der Masse, das war für mich eine absolute Offenbarung. Ich kann deswegen auch nie wieder auf dem Land leben. Diese Toleranz, diese offene, vorurteilsfreie Art und Weise zusammenzuleben, abseits von Normen und schablonierten Lebensmodellen, das bedeutet mir alles.
Heimat oder wish to leave?
Ich betrachte Leipzig mittlerweile als meine Heimat. Mir steht wenig der Sinn nach Urlaub, Reisen, fremden Ländern. Ich bin ja beileibe nicht ignorant, mich reizt da schon einiges, aber dieser ganze Stress drumherum überwiegt bei mir in der Regel die positiven Aspekte einer Reise. Daher bleibe ich lieber hier. Ich widme meiner Wohnung sehr viel Aufmerksamkeit, das ist meine Oase.
Hast du einen Lieblingsort hier, abgesehen von deiner – wie man so hört beachtlichen – Privatbibliothek?
Ich brauche wirklich neue Regale, das wird langsam etwas viel mit den Büchern.
Ich habe so ein, zwei Lieblingsbänke im Clara-Park, da sitze ich fast jeden Tag und ruhe mich aus. Da gucke ich den Enten zu und schalte meinen Kopf komplett ab. Ich bin da auch schon mehrfach direkt an Leuten vorbei gelatscht, die ich eigentlich kenne, ich kriege dann echt nicht viel mit. Im Auwald bin ich auch gern, Bäume, Vögel, der Geruch nach Wald.
Welche Bücher haben dich zuletzt so begleitet?
Ich lese gerade viele Essays, zuletzt waren es “Verratene Vermächtnisse” von Milan Kundera und “Anleitung zum Alleinsein” von Jonathan Franzen. Auf dem Stapel liegt noch “Über das Böse”, eine Abhandlung von Hannah Arendt. Als Kontrastprogramm, wenn mir der Sinn nach Blut steht, “Das Buch Kane” von Karl Edward Wagner, die alte Sammeledition von Bastei-Lübbe.
Welche Musik läuft bei dir aktuell so?
RITUAL HOWLS höre ich gerade gerne, die neue WHEEL ist echt stark geworden. Viel INTERPOL, die “Shock Troops” von COCK SPARRER hatte ich eben an und gerade DIRE STRAITS.
Denkst du, es wird wieder ein LUNAR-SHADOW-Album geben?
Das ist in etwa so, als würdest du mich fragen, wie in zwei Monaten das Wetter sein wird. Ich weiß es wirklich nicht.
Die letzten Worte gehören dir.
Passt auf euch auf, hört eine Runde RUSH, denkt vielleicht zweimal darüber nach, was ihr im Internet schreibt und seid nett zueinander.