Lord Of The Lost
"Es gab große Gefühle."
Interview
Für Fans von LORD OF THE LOST fing Heilig Abend schon gut an. Die Hamburger Band kündigte überraschend ihr achtes Album „Blood & Glitter“ an, welches nur sechs Tage später erscheinen sollte. Die Antithese zu mittlerweile absurd langen Promophasen inklusive einem halben Dutzend Vorabsingles kam bei uns und den Fans gut an. Trotz gewollt geringer Pressebegleitung konnten wir Sänger und Bandgründer Chris Harms zum Gespräch bitten.
Hi und danke, dass ihr euch die Zeit nehmt. Zuallererst einmal Gratulation zum 1. Platz der Charts trotz Überraschungs-Release. Viele Bands sagen ja immer, dass ihnen Charts eigentlich egal ist – aber ist schon geil, oder?
Das haben wir auch gesagt und die Charts waren uns tatsächlich auch vollkommen egal, da wir mit nur 6 Tagen Vorverkauf natürlich nicht mal mit Top 20 gerechnet hatten. Wenn man sich dann auf ein mal aber – ganz knapp – an erster Stelle wiederfindet, nur wenige Tage bevor die Chartswertung final ist, dann ist es auf einmal nicht mehr egal.
Wenn man merkt, dass man vollkommen überraschend doch „gewinnen“ kann, dann gibt man natürlich nicht auf. Und da wir die besten Fans der Welt haben, haben diese auch nicht aufgegeben. Und sie haben uns zur Nummer 1 in den Albumcharts gemacht. Das ist nach wie vor vollkommen verrückt!
Wann im Produktionsprozess kam überhaupt die Idee, „Blood & Glitter“ als Überraschung zu Heilig Abend anzukündigen?
Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich meine, dass ich diese Idee bereits ca. ein Jahr zuvor hatte. Mich hat es so unfassbar genervt, dass man von allen Künstlern momentan bereits ein halbes Jahr vorher Single für Single um die Ohren geknallt bekommt, und wenn das das Album rauskommt, ist die ganze Magie, die Spannung, das Bauchkribbeln, das Gefühl des Neuen, völlig passé. Und das alles maßgeblich, um möglichst lange Vorverkäufe für eine hohe Chartsplatzierung zu generieren, und noch viel wichtiger, um in Spotify-Playlists stattzufinden. Denn sobald das Album draußen ist, lassen sich Songs nicht mehr für Playlists pitchen.
Ja, all das ist marketingstrategisch wichtig, Musik machen und davon leben zu wollen, geht einher mit Opfern dieser Art. Aber wir wollten es zumindest mal anders versuchen. Hinzu kam, dass ich um Weihnachten 2021, wo wir for free ein Streamkonzert angeboten haben, realisiert, habe, wie sehr die Grundstimmung bei vielen Menschen zu dieser Zeit auseinanderdriftet. Die einen sind im Kreise der Familie, happy, alles gut, wohl behütet und aufgehoben, andere sind allein, depressiv, suizidal, krank, haben niemanden.
Ich habe mir vorgestellt, was es mit all den Menschen, die zudem vielleicht LOTL-Fan sind, macht, wenn auf ein mal an Weihnachten ein neues Album der Lieblingsband angekündigt wird, was dann auch noch enige Tage später direkt erhältlich ist: die Glücklichen können mit dieser info Ihr Weihnachtsfeeling abrunden, die Einsamen, Traurigen und allein Gelassenen finden mit diesen News vielleicht zumindest etwas Hoffnung. Wer weiß, vielleicht hat „Blood & Glitter“ damit sogar das ein oder andere Leben gerettet.
So oder so, es gab große Gefühle. Und nur darum sollte es doch gehen in der Musik! Ich bin völlig fein damit, in Zukunft auch mal wieder den Standard-Weg zu gehen, aber ich bin happy, dass wir und unser Label uns getraut haben, auch mal völlig konträr und anders zu agieren. Entgegen dem Rat aller „Experten“.
Wie hat Napalm Records auf die Idee reagiert?
Wir genießen 100%ige künstlerische Freiheit bei Napalm. Solche Entscheidungen sind aber natürlich nicht künstlerischer Natur. Allerdings konnten wir anscheinend ein schlüssiges Konzept vorlegen und hatten somit dann volle Unterstützung.
Ihr habt ja trotzdem noch sechs Tage plus ein Musikvideo zwischen Ankündigung und Release gehabt, es gab ja durchaus auch schon komplett ohne Vorwarnung veröffentlichte Alben. War das auch eine Überlegung?
Ja, das war tatsächlich auch eine Überlegung. Haben ja auch schon einige gemacht, wie Eminem zum Beispiel. Aber wir fanden ein kurzes Zeitfenster für die Vorfreude wesentlich intensiver, als ein komplettes quasi völlig sang- und klanglos auf den Markt zu werfen.
Wir haben kurz vor dem Release zu „Judas“ schon gesprochen und da hattet ihr für den Spätsommer des Jahres 2021 schon eine Songwriting-Session angesetzt. War diese bereits der Grundstein für „Blood & Glitter“?
Ja, wir haben im Juli, vor Release von „Judas“, angefangen, Songs für „Blood & Glitter“ zu schreiben. Die Pandemie war noch nicht vorbei und wir hatten so ein Gefühl, dass 2022 wieder alles richtig losgeht. Wir hätten also ab Frühjahr 2022 einfach keine Zeit gehabt für ein Album. Also haben wir im Sommer 2021 losgelegt, den pandemischen Stillstand zu etwas Gutem und Produktiven genutzt, das Album Anfang 2022 in Helsinki aufgenommen, bis April fertiggestellt, im Mai bereits Fotos gemacht und ein paar Videos gedreht und konnten so ohne Druck und völlig befreit die Sommer-Tour mit IRON MAIDEN starten.
Wäre die Pandemie nicht gewesen, hätten wir „Judas“ viel länger atmen lassen. Aber so haben wir das gemacht, was uns übrig blieb – wenn das Livegeschäft im Winterschlaf ist, dann machen wir uns eben mit Songwriting und Aufnahmen glücklich. Und das ist das Zentrale und Wichtige an allem, was wir tun: wir tun alles, was wir machen, so wie wir es machen, um UNS damit happy zu machen. Und damit schaffen wir es, immer authentisch zu sein. Der ein oder andere würde das vielleicht als TRVE bezeichnen. Auch wenn wir für die wahren Gatekeeper des echten Metal eh nie „true“ sein werden. Aber das war uns zum Glück schon immer egal.
„Leave Your Hate In The Comments“ ist nicht nur eins meiner neuen Lieblings-Videos von euch, sondern auch an und für sich einer eurer wichtigsten Songs derzeit, finde ich. Sind euch solche Kommentare schon einmal abseits des Internets begegnet, auf Festivals oder so beispielsweise?
Natürlich nicht. Diese Form von Hass lässt sich nur feige von der Couch aus in Formen von Einsen und Nullen in die digitale Welt schießen. Wenn es nach mir geht, könnte man gern die Kommentarfunktion auf allen sozialen Medien abschalten. Ich muss nicht wissen, wie mir völlig fremde Menschen eine Band, einen Song, ein Video finden.
Man stelle sich das mal bei Netflix vor. Man guckt ganz entspannt was-auch-immer und unten wird mit Hasskommentaren um die Wette geballert: „Schwarzenegger sieht aus wie ne Schwuchtel“, „Boah, ist die fett“, „Peinlichster Regisseur, ich hoffe er stirbt an Lepra“… Ja, ich komme tatsächlich nur auf solche Art Kommentare, weil wir genau auf diesem Niveau bereits digitale Begegnungen feiern durften. Schräge, traurige Webwelt.
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Stile | Dark Metal, Gothic Metal |
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