Longing For Dawn
Interview mit Frederic Arbour
Interview
Frederic Arbour ist nicht nur Inhaber des kanadischen Labels Cyclic Law, mit dem er sich auf Dark Ambient und Industrial spezialisiert hat, er ist außerdem Kopf der Doom Metaller von LONGING FOR DAWN. Deren zweites Album „A Treacherous Ascension“ ist jüngst erschienen und lädt den Hörer zu einer gefühlsintensiven Reise in die tiefsten Gründe der menschlichen Seele ein. Da LONGING FOR DAWN für mich nicht nur in Kanada einzigartig sind, war es mir ein besonderes Anliegen, mit Frederic nicht nur über die Band und das neue Album zu sprechen, sondern auch über Inspirationen, die kanadische Szene und Innovation beim eigenen Schaffen.
Hallo Frederic, Euer zweites Album „A Treacherous Ascension“ ist seit kurzem endlich erhältlich. Leider sind LONGING FOR DAWN hierzulande noch nicht so bekannt, wie sie es eigentlich verdient hätten, stell‘ dich deshalb bitte unseren deutschen Lesern kurz vor. Wie hat sich die Band formiert, wie habt ihr überhaupt zusammen gefunden?
Die Band wurde 2002 gegründet, und bestand zunächst nur aus mir (Gitarre, athmosphärische Elemente) und dem Sänger Stefan Laroche. Über die Jahre hinweg hatten wir einige Besetzungswechsel, aber nun sind wir zur perfekten Einheit gewachsen, zusammen mit Etienne Lepage (VENEFICIUM) am Bass, Simon Carignan (TOWARDS DARKNESS, ESKER, VENEFICIUM) an der Gitarre und Francois C. Fortin (UTLAGR, ESKER, VENEFICIUM) am Schlagzeug.
2005 wurde euer Debütalbum als „Canada’s unique atmospheric doom metal“ angepriesen, und mir fällt tatsächlich keine andere Band aus eurem Land ein, die man mit LONGING FOR DAWN vergleichen könnte. Mir sind nur die letzten Releases vom kanadischen Label Sepulchral Productions bekannt, die sich zwar mehr auf Black Metal konzentrieren, aber eines ihrer Projekte – SOMBRES FORÊTS – hat auch einen sehr atmosphärischen Touch, wenn auch eher im „Suicidal Black Metal“ verwurzelt. Was kannst du uns über eure musikalischen Einflüsse erzählen? Mit welcher Musik seid ihr aufgewachsen, und was waren die Meilensteine, die Schlüsselsituationen für eure musikalische Entwicklung als LONGING FOR DAWN?
Bis jetzt hat die kanadische Szene noch sehr wenige Doom Bands, wobei unsere Freunde von TOWARDS DARKNESS da die heißeste Empfehlung sind. Was die Inspirationen betrifft, so sind die meisten von uns im Black / Death / Doom Metal verankert. Gehe ich von mir selbst aus, beschäftige ich mich nun seit mehr als 25 Jahren mit allen möglichen Richtungen des Undergrounds, angefangen von Speed/Thrash Metal bis Grindcore, Hardcore und vieles mehr, sowie Industrial Ambient und Neo Folk. Für LONGING FOR DAWN wollte ich die langsamen, melancholischen und schwermütigen Aspekte des Doom Metals ergründen, sowie Dark Ambient Klänge darin verweben – es vereinigt zwei Genres, die mir wirklich etwas bedeuten.
„One Lonely Path“ ist in der Tat atmosphärischer Doom Metal, andere haben es auch gelegentlich als „Funeral Doom“ bezeichnet, was einerseits sehr zutreffend erscheint, andererseits aber eher die abgrundtief depressive und melancholische Stimmung, die durch die Musik transportiert wird, fokussiert. Ich persönlich könnte mich nicht für ein konkretes Genre entscheiden (mal abgesehen davon, dass ich sowieso kein Freund von Schubladen bin), also überlasse ich diese Aufgabe dir: Wie würdest du die Musik von LONGING FOR DAWN beschreiben?
Ich habe mich mit dieser Frage auch schon oft beschäftigt und bin auch nicht sonderlich angetan von Genres, aber ich bevorzuge „Atmospheric Doom Metal“, weil ich es für die passendere Beschreibung halte. Natürlich verstehe ich es, wenn uns einige Leute in die Funeral Doom Ecke stellen, aber am Ende kommt es ja auf jeden einzelnen Hörer an. Musik wird immer in einem spezifischen Genre enden, und die Leute haben die Angewohnheit, alles zu kategorisieren, daran werden wir wohl kaum was ändern können…
Ich schätze, „One Lonely Path“ hat eine Menge guter Kritiken erhalten. Wie sind da eure Eindrücke? Waren die Reaktionen überraschend oder etwas, was ihr erwartet habt? Waren vielleicht auch obskure Kritiken darunter?
Das überwiegend positive Feedback auf unser erstes Album hat uns wirklich überrascht. Wir wußten zwar, dass wir etwas erreicht hatten, was einen gewissen Grad an Einzigartigkeit besaß, aber da es unser erstes und bisher einziges Album war, wußten wir nicht genau, womit wir zu rechnen hatten. Es ist immer interessant zu sehen, wie die Menschen auf unsere Musik reagieren, da wir definitiv nicht die gleiche Perspektive darauf haben, wie sie. Sie ist ein sehr positives, kreatives Ventil für uns, und auch ein sehr notwendiges, aber für manche Hörer ist es manchmal auch das Gegenteil. Sie sehen es als eine Ode an die Depression, als etwas sehr Negatives und Obskures, weshalb ich natürlich verstehe, dass manche Leute anders darüber denken und fühlen. Wir haben sicherlich eine andere Sichtweise, und es ist interessant auch andere Perspektiven kennenzulernen.
Lass uns nun den Blick auf „A Treacherous Ascension“ schwenken. Wie sahen diesbezüglich die Reaktionen aus und wie sieht es mit euren Erwartungen diesmal aus?
Nun, bis jetzt haben wir eine Menge fantastischer Reviews erhalten, fast 99,9% davon waren positiv. Ich habe auch schon eine ganze Reihe Interviews gegeben, das Album scheint also wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben, was uns natürlich freut. Wir wußten, dass wir auf dem Album diesmal vieles besser gemacht haben, sowohl produktionstechnisch als auch beim Komponieren, und wir sind alle sehr zufrieden mit dem Resultat. Es ist immer schön zu sehen, dass anderen Leuten die eigene Arbeit gefällt.
Euer Album ist eins von der Art, die mich als Kritiker immer vor ein kleines „Problem“ stellt. Es gibt Alben, die man bis ins Detail zerpflücken kann, Instrumentation, Produktion, Songstrukturen, und so weiter. Aber dann, manchmal, gibt es Alben, die dermaßen intensiv und atmosphärisch sind, dass sie direkt ins Herz gehen, und es beinahe unmöglich machen, die Musik zu „dekonstruieren“. Für mich ist „A Treacherous Ascension“ ein solches Album, was (nicht nur) mich von Anfang bis Ende fasziniert. Welches Konzept steckt hinter eurer Musik?
Danke für deine lobenden Worte, es freut mich natürlich, dass dich die Musik so berührt. Ich kann nicht sagen, dass es ein echtes Konzept für die Musik gibt, ich lasse immer einfach alles auf mich zukommen. Ein Konzept würde stark mit den Namen der Band verbunden sein: LONGING FOR DAWN – der Kampf, um Ärger und Trauer oder jedwede Form negativer Gedanken zu überkommen, immer wissend, dass ein neuer Morgen bevorsteht, dass bessere Tage kommen werden. Wir versuchen also nicht einfach, eine negative Stimmung zu erzeugen, aber all diese Gedanken und Gefühle zu kanalisieren und zu einem Punkt innerer Balance und inneren Friedens zu gelangen. Grenzen überschreiten, den Geist erheben.
Bei „One Lonely Path“ hatte ich ein konkretes Bild vor meinem geistigen Auge, dass Bild einer Reise. „A Treacherous Ascension“ erscheint mir mehr als Metapher. Als ich das Album angehört habe, dachte ich an die wörtliche „Ascension“, z.B. die Besteigung eines Berges und parallel dazu das Bild einer Illusion. Wie die Illusion von Hoffnung, die Illusion des Lebens überhaupt. Ich hatte leider keine Texte vorliegen, könntest Du mir und den Lesern daher einen Einblick in das lyrische Konzept des Albums gewähren?
Deinen Visionen gehen in die richtige Richtung, auch wenn es nicht eine vollständige Illusion von Hoffnung oder Leben ist. Es geht mehr um das Finden von Hoffnung, darum, nicht aufzugeben auch wenn die Reise, die Aufgabe keine leichte und der Pfad der Genesung mit Hindernissen gespickt ist. Bandname, Album Titel und alle Songs mit ihren Texten sind komplex miteinander verbunden, letzten Endes ist es das Überwinden von persönlichen Problemen und die Erhebung darüber.
Ich würde niemals bezweifeln, dass Kanada mit faszinierender Musik und Bands aufwarten kann, aber aus einer sehr stereotypischen Sicht könnte man sich fragen, woher ihr eure Inspirationen nehmt, vor allem für diese spezielle Richtung. Für viele Leute ist es selbstverständlich, dass Menschen aus dem „Norden“ (Skandinavien) die Musik spielen, die sie spielen, weil sie oft in abgelegenen Plätzen fernab der pulsierenden Zivilisation leben. Sie verbinden dieses Bild bestimmt nicht mit Kanada, dem „Land der Grizzlybären und des Ahornsirups“.
Also, um es klarzustellen: Auf so eine Sicht gebe ich natürlich nichts, aber es interessiert mich sehr, was euch inspiriert, weil es oft die Lebensumstände sind, die einen großen Einfluß auf die Kompositionen ausüben.
Natürlich ist unsere Umgebung in gewisser Weise Einfluß und Inspiration, aber ich denke, die Verbindung liegt viel tiefer. Aus irgendeinem Grund sind hier schneller, technischer Death Metal und Black Metal sehr angesagt, wogegen Doom immer noch eher unbekannt ist, weshalb ich es nicht auf die einfache Formel „ich lebe hier, deshalb spiele ich diese Art von Musik“ reduzieren kann. Ich habe ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zum Norden; die Extreme der vier Jahreszeiten, unsere Naturlandschaften sind einfach beeindruckend; aber dies mit Doom in Verbindung zu setzen… ich weiß nicht. Die Frage ist einfach, was dabei herauskommt, wenn ich mich zum Komponieren hinsetze. Ich hab das Gefühl, dass es zuerst von einem selbst abhängig ist, die inneren Gefühle die man ausdrücken will, wobei das Umgebende zwar gewissen Einfluß übt, es aber meiner Meinung nach mehr um die Wahrnehmung dieser Dinge geht, und was davon in die Musik einfließt.
Euer Album erscheint bei Grau in Deutschland. „One Lonely Path“ erblickte seinerzeit auf Twilight Foundation das Licht, das Schwesterlabel von Cyclic Law, welches durch euch ins Leben gerufen wurde. Bislang gab es dort keine weiteren Foundation-Releases, was ist also damit geschehen? Ist es immer noch aktiv? Warum habt ihr euch für Grau entschieden und wie seid ihr überhaupt mit ihnen in Kontakt getreten?
Ich bin gerade dabei, Twilight Foundation wieder zurück auf die Beine zu stellen, als völlig eigenständiges Label mit eigener Website und Mailorder, etc., und nicht nur als Nebenprojekt bei Cyclic Law, meinem Dark Ambient/Industrial Label. Ich war zunächst nicht sicher, was ich damit machen sollte – wir wollten das LONGING FOR DAWN Debut herausbringen, also wurde Twilight Foundation aus der Taufe gehoben. Während wir mit den Aufnahmen zum zweiten Album beschäftigt waren, entschieden wir uns dazu, es mit einem anderen Label zu versuchen, in der Hoffnung, damit mehr Leute zu erreichen. Wir haben ein paar Promos verschickt, und Grau zeigten das stärkste Interesse an dem Material, also wollten wir dieser Zusammenarbeit eine Chance geben.
Seit kurzem aber arbeite ich wieder vollzeitmäßig für TF, und es sind nun einige Veröffentlichungen für 2007 geplant. Die erste wird das Album einer hiesigen befreundeten Doom Band sein, in der alte und momentane Mitglieder von LONGING FOR DAWN mitspielen: TOWARDS DARKNESS (früher unter dem Namen THE MASS aktiv). Ihr neues Album ist einfach der Wahnsinn. Es wird auch ein Album der hier ansässigen Black Metal Band ESKER geben, in der ebenfalls Leute von uns mitspielen. Eine wirklich einzigartige Band. Es gibt natürlich noch weitere Planungen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, darüber zu reden. Die Zukunft sieht aber sehr vielversprechend aus.
Was sind deine bisherigen Eindrücke von Grau, wie sehen deine Erwartungen aus? Ich bin ja der Meinung, dass LONGING FOR DAWN perfekt ins momentane Programm von Grau paßt.
Der Meinung bin ich auch. Die Kommunikation ist einfach super und ich bin sehr zufrieden. Lass uns hoffen, dass diese Zusammenarbeit für alle Beteiligten „ertragreich“ sein wird, wobei ich mir dessen äußerst sicher bin.
Einige Rezensionen, die ich zum Album gelesen habe, beklagen nicht nur einen Mangel an Innovation sondern unterstellen euch auch Plagiarismus – was in meinen Augen etwas zu weit geht, da sich LONGING FOR DAWN in einem sehr eng gefaßten Genre bewegen, welches nur eine handvoll Klassiker zu bieten hat, und nicht sehr viele neue Bands. Hier Grenzen zu überschreiten würde gleichzeitig bedeuten, sich von dieser speziellen Spielart des Doom zu weit weg zu bewegen, und letztendlich völlig anders zu klingen. Was denkst du darüber? Was ist für dich am wichtigsten, wenn es um die Musik geht?
Auch hier muß ich dir vollkommen zustimmen – es ist natürlich ein Fakt, dass wir unsere Inspirationen innerhalb dieses Genres beziehen, so wie jeder Künstler es in seinem Feld auch tut, aber ich bin wirklich der Meinung, dass wir es geschafft haben, unseren eigenen Sound und persönlichen Zugang zu Doom mit diesem zweiten Album zu kreieren. Natürlich hinterlassen die Inspirationen ihre Spuren, dennoch haben wir unseren ganz eigenen Weg, an die Dinge heran zu gehen.
Um das ganze noch etwas weiter zu treiben: Ist Innovation wirklich ein Maß für Qualität? Ist der Effekt, den Musik haben kann, abhängig vom Grad seiner Innovation oder dreht sich letzten Endes alles um die Atmosphäre? Viele Bands spielen heute nach der „alten Schule“ – sie erschaffen überhaupt keinen neuen Sound, aber schreiben dennoch großartige Alben. Was ist deine persönliche Definition von einem „guten Album“?
Ich denke nicht, dass Innovation mit Qualität gleichzusetzen ist, es geht darum, den Dingen seinen eigenen Stempel aufzudrücken, seine eigene persönliche Note zu geben. Doom ist immer noch eine kleine Szene mit wenigen Bands, deshalb gibt es noch genügend Raum für Innovationen, und ich weiß, dass wir nicht wie jede andere Band klingen. Man kann zwar Ähnlichkeiten heraushören, aber dem Vorwurf, wir könnten dem nichts eigenes hinzufügen, können wir nur mit unserer eigenen Perspektive dieses Genres entgegnen. Für mich macht ein gutes Album aus, dass es mich berührt, dass es tief in mich hineingeht. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Wir kommen langsam zum Ende dieses Interviews…also lass uns kurz ein kleines Spiel spielen. Wenn ich eure Musik höre, kommen mir eine Reihe anderer Bands in den Sinn, was denkt ihr also über…
DOLORIAN, WINTER, ESOTERIC und THERGOTHON?
Einfach fantastische Bands, die mich alle vier wirklich begeistern!
Ist LONGING FOR DAWN euer einziges Betätigungsfeld, oder mischt ihr noch in anderen Projekten und Bands mit? Und ganz nebenbei – gibt es irgendwelche heißen neuen Bands oder Alben, die du uns ans Herz legen kannst?
Wie bereits erwähnt, betreibe ich mein Dark Ambient und Industrial Label Cyclic Law, sowie Twilight Foundation, desweiteren habe ich zwei Ambient Soloprojekte, eines heißt VISIONS, dass andere INSTINCTS.
Für neue und spezielle Veröffentlichungen kann ich dir nur raten, mal bei www.cycliclaw.com vorbei zu schauen. All jene, die noch nicht so sehr mit Dark Ambient Klanglandschaften vertraut sind, können hier eine sehr faszinierende Szene mit äußerst talentierten und einzigartigen Künstlern entdecken.
Letzte Frage: Wie sieht es mit Live-Aktivitäten aus? Ich konnte bisher keine Daten oder Pläne finden, oder ist LONGING FOR DAWN evtl. keine Liveband? Gibt es eine Chance, euch mal in Deutschland zu erleben?
Wir haben hier in Kanada bereits sechs Mal live gespielt, und die Reaktionen waren sehr positiv. Wir hoffen wirklich, dass wir irgendwann mal nach Deutschland und Europa kommen können, wenn sich also jemand findet, um uns bei der Organisation einer Tour zu helfen, kann er sich jederzeit an uns wenden.
Vielen Dank für deine Geduld und die Beantwortung meiner Fragen. Ich wünsche dir und der Band nur das Beste und das euer Album die verdiente Aufmerksamkeit bekommt! Du hast das letzte Wort…
Ich danke dir wirklich für dein Interesse an unserer Musik, für dieses Interview und deine Unterstützung. Alle, die sich für uns interessieren, können mal unsere Websiten besuchen:
www.longingfordawn.ca
www.myspace.com/longingfordawn