Long Distance Calling
Interview mit Jan Hoffmann zu "The Flood Inside"
Interview
Nein, sie haben nicht einfach nur ein weiteres Instrumentalalbum veröffentlicht und halt das gebracht, was alle irgendwie erwartet haben. LONG DISTANCE CALLING aus Münster sind einen Schritt weiter gegangen und präsentieren auf ihrem neuen Album „The Flood Inside“ mit Martin Fischer ihren ersten festen Sänger. Bassist Jan Hoffmann ließ sich zum Album und zum Gesang von mir befragen…
Hi Jan, der Knoten ist geplatzt, das neue Album ist am Start. Im Vorfeld gab es einiges an, ich denke mal wohlüberlegter Promotion. Die Info mit dem Sänger, das Cover, die Tracklist und der bzw. die Gäste wurden nach und nach bekannt gegeben. Ihr wolltet uns also richtig foltern, bis wir das Resultast tatsächlich hören konnten!?
Hey! ja endlich, die Platte ist ja schon eine Weile fertig und jetzt nach den ganzen Vorbereitungen ist es sehr schön, dass es nun losgeht. Foltern wollten wir niemanden, haha, aber wir wollten einfach nicht alles auf einmal bekannt geben, weil sowas zu schnell untergeht und dafür haben wir zu viel Arbeit in dieses Album gesteckt. Wir wollten schon, dass die Leute das mitkriegen.
Bevor wir direkt auf das neue Album gehen, muss ich dir wohl erst einmal DIE FRAGE schlechthin stellen, die du vermutlich nicht mehr hören kannst aber ihr habt euch das selbst eingebrockt, haha. Stichwort Martin Fischer… ihr habt ihn als Sänger in die Band aufgenommen. Mal abgesehen davon, dass das eine sehr geile Sache ist, was um Himmels Willen ist passiert, dass es dazu kam?
Meine Hypothese ist: Ihr wart ja zusammen auf Tour, da habt ihr immer mal gejammt und er dazu aus Gaudi bissel was gesungen und dann hats gefunkt und ihr dachtet euch: jo, machen wir…
So war´s eigentlich nicht. Wir waren zwar mal zusammen auf Tour aber gejammt haben wir damals nicht. Wir kannten aber natürlich seine Stimme und Livepräsenz und menschlich eben auch und das war bei der Entscheidungsfindung auch wichtig. Generell ist das ja so: die wenigsten Leute wissen, dass wir eher zufällig eine Instrumentalband sind/waren. Wir haben am Anfang der Band verschiedene Sänger ausprobiert aber es hat einfach nicht gefunkt, wir haben da einen recht hohen Anspruch denke ich und das ist ja auch gut so. Dann hatten wir uns irgendwann mit der Situation angefreundet aber als wir diesmal mit dem Songwriting anfingen, haben wir wieder die Lust verspürt es doch noch mal zu versuchen. Tja und dann ist uns Marsen eingefallen.
Ist er denn nun richtig fest dabei? Also auch das nächste Mal oder ist das lediglich ein Zwischespiel nur für dieses Album?
Ne, er ist ab jetzt Teil der Band. Das war uns auch wichtig. Er übernimmt neben den Vocals bei 3 Songs auch die komplette Live-Elektroabteilung inklusive Hammond und Keyboard und das macht echt Bock, er ist ein fantastischer Musiker.
Immer einen anderen Sänger pro Album wäre doch auch spannend oder?
Jein. Spannend vielleicht schon aber logistisch sicher ein Albtraum. Wir wollen ja auch live spielen und die Songs müssen auch zur Stimme passen, außerdem würde man da menschlich auch immer wieder von Null anfangen. Und wir sind sehr zufrieden mit Marsen, wir haben uns das schon gut überlegt.
Ich finde, dass die Entscheidung sehr gut war, denn er ergänzt eure Musik wirklich erstklassig und, das darf man sicher nicht außer Acht lassen, die Hinzunahme von Gesang eröffnet für eure Musik und fürs Songwriting an sich ja auch ganz neue Wege.
Ich bin wahnsinnig gespannt, wie sich das beim zukünftigen Album auf das Songwriting auswirken wird. Diesmal waren die Songs ja bereits so gut wie fertig komponiert, als Marsen dazu kam. Bei der nächsten Platte werden wir sicher sehr viel mehr zusammen machen und da freue ich mich auch drauf.
Rein musikalisch erlebe ich euch als enorm gewachsen. Die Musik ist stilistisch vielseitiger und trotzdem auch konkreter im Zusammenspiel. Ihr verbindet viele stilistische Mittel wie Prog, 70s, Alternative, Post- usw. miteinander und das, was dabei tatsächlich zwischen euch Musikern passiert, klingt regelrecht wie eine Art Austausch, ein Gespräch der Instrumente, gemeinschaftliche Harmonie über Töne…
Ich würde sagen, es ist euch hörbar gelungen, euer Zusammenspiel und auch das Sonwriting an sich zu verbessern. Wie geht es dir damit, wenn ich das so einschätze und wie ist deine spezielle Meinung als beteiligter Musiker dazu, wie und was „The Flood Inside“ tatsächlich ist?
Ehrlich gesagt sehe ich das genau so wie du und empfinde das als großes Kompliment. Das Ziel bei diesem Album war ganz klar uns im Songwriting noch mal zu steigern und außerdem noch mehr Dynamik zuzulassen. Als Musiker haben wir uns auch weiterentwickelt, aber generell ergänzen wir uns einfach gut. Das, was jeder für sich spielt ist jetzt sicher nicht das komplizierteste auf der Welt, aber das muss es auch nicht sein und bei uns ist das Ergebnis irgendwie immer größer als die Summe der einzelnen Teile. Jeder weiß was er kann und was er nicht kann und fühlt sich in seiner Rolle wohl und ich glaube, das hört man. Das fängt bei Schlagzeug und Bass an und auch die Gitarristen ergänzen sich perfekt. Flo ist eher die Riffmaschine und Dave ist für Atmo und Melodien zuständig und das passiert in der Regel unterbewusst und völlig automatisch. I love it.
Wie gravierend ist denn das Fehlen von Reimut Van Bonn für euer Songwriting, bzw. fehlt er überhaupt in irgendeiner Form? Sein Ausstieg kam seinerzeit recht überraschend.
Es war war einfach wie in einer Beziehung, irgendwann lebt man sich ein bisschen auseinander, ohne dass es dafür nen richtigen Grund gibt. Den Großteil der Songs haben wir in der Vergagngenheit sowieso immer zu viert geschrieben, von daher war das keine Veränderung was das Songwriting angeht. Wir haben immer geschrieben, nen grobes Demo gemacht und das dann Reimut geschickt, der seine Parts hinzugefügt hat. Genau so war da diesmal auch. Wir haben die Songs geschrieben, vorproduziert und dann den Gastmusikern geschickt, die dann ihre Elemente eingewebt haben.
Vincent Cavanagh und Petter Carlsen… Im letzten Interview haben du und Dave ein paar Wunschnamen in die Runde geworfen, aber mit Cavanagh ist euch wieder eine Überraschung gelungen. Ich habe gefühlt 1000 Fragen dazu, beschränke mich aber mal aus Rücksicht auf eine handvoll: Wo habt ihr ihn aufgegabelt und gefragt, wie schnell hat er ja gesagt, wann und warum wurde Carlsen hinzugezogen und welche Absprachen oder Vorgaben gab es vor dem Einsingen bzgl. der Performance?
Also das war wesentlich unspektakulärer als vermutet, haha. Wir waren 2010 mit ANATHEMA auf Tour und haben uns wahnsinnig gut verstanden, nicht nur musikalisch. Da wurde schon mal ein Grundstein gelegt. Außerdem sind wir einfach alle auch ANATHEMA Fans, von daher lag das recht nahe. Petter Carlsen war ebenfalls auf dieser Tour mit dabei und auch ihn haben wir ins Herz und Ohr geschlossen. Als wir uns dann Gedanken um Gastvocals für „The Flood Inside“ gemacht haben war für uns eigentlich recht schnell klar, dass wir mit beiden was machen können, und auch hier harmonieren die Stimmen einfach super. Vorgaben machen wir nie. Sobald wir wissen wer der/die Gastsänger sind schreiben wir den Song und schicken ihn ohne Vorgaben (nur den Albumtitel als Richtlinie) an den Künstler, der dann im Prinzip damit machen kann was er will. Also Songtitel, Text und auch die Vocal Lines. Das sind alles gestandenen Musiker, die wissen was sie tun.
Da ihr ja jetzt selbst einen guten Sänger am Start habt, wird es nun die Chance geben, Songs wie „Middleville“, „The Nearing Grave“, „Built Without Hands“ und eben „Welcome Change“ mit Marsen am Mikro zu erleben oder bleiben diese Stücke live weiterhin unberührt aufgrund der fehlenden Originalsänger?
Wir werden diese Songs wenn überhaupt nur mit den Originalleuten spielen, wenn sich das mal ergibt, alles andere wäre irgendwie öde. In Paris werden wir „Welcome Change“ aber mit Vincent und Petter spielen. Mehr war zeitlich nicht drin.
Mal abgesehen von der Musik, wie sieht denn die Flut innen drinnen bei euch aus? Kopfkino deluxe?
Ich kann nur für mich sprechen aber generell verkörpert der Albumtitel für mich ein tolles Bild. Alles was in uns drin passiert, jeden Tag. Damit kann jeder was anfangen und der Mix der Emotionen ist ja auch komplett individuell. Man hat also eine gemeinsame und eine individuelle Ebene, was ich sehr spannend finde. Das letzte Jahr war schon sehr intensiv und momentan spürt man natürlich eine gewisse Euphorie und das ist eine tolle Sache.
Was hörst du oder ihr als Band am liebsten: Wenn die Presse auch als Prog-Band einstuft, als Post-Rocker (was meiner Meinung nach völliger Quark ist) oder schlichtweg als Rock Band? Dadurch, dass ihr jetzt einen Sänger habt, könnte man jetzt ja auch Post-Instrumental Rock sagen…
Haha, ich kann mit Rock Band am meisten anfangen, auch wenn das natürlich sehr schwammig ist. Am treffendsten wäre vielleicht Progressive Alternative Rock aber klingt halt scheisse, haha. Wie man es nennt ist uns mittlerweile eigentlich egal, solange die Leute trotzdem den Weg zu uns finden. Wir halten es wie die Fussballer und schauen nicht groß auf die anderen und ziehen einfach unser Ding durch, damit sind wir bisher gut gefahren.
Wie läuft die Tour zu „The Flood Inside“? Kommt der neue Stoff genauso gut an wie eure vorigen Sachen oder hattet ihr eh schon Feuerproben diesbezüglich?
Mittlerweile sind wir ja schon den sechsten Tag auf Tour und es läuft echt sehr gut. 3 von 5 Shows waren ausverkauft, damit haben wir nicht gerechnet. Die Feuertaufen hatten wir und natürlich speziell Marsen bei zwei Warm Up Shows Mitte Februar, die beide sehr gut liefen und Marsen wurde wirklich gut aufgenommen.
Werdet ihr eure Live-Performance verändern? Ich meine, es gibt jetzt einen Platz weniger auf der Bühne, aber auch eine wichtige Präsenz mehr.
Nicht wirklich. Marsen hat mit dem ganzen Elektrokram genug zu tun und steht eher im Hintergrund auf einem Riser neben dem Schlagzeug und kommt nur ab und zu mal nach vorne, von daher ändert sich an der Liveperformance eigentlich nicht viel, nur eben, dass bei ein paar Songs Vocals mit dabei sind. Es fühlt sich auch überhaupt nicht komisch an; von der ersten Show an macht das richtig Spass.
Wenn dich jemand fragt, wie er sich „The Flood Inside“ am besten reinziehen solle und was er beachten muss, dann sagst du:
Nachts mit Kopfhörern Die Platte ist sehr intensiv und meiner Meinung nach nichts zum nebenbei hören, man muss sich schon auf das Album einlassen und wird dann mit vielen Details belohnt, die das Album auch langfristig spannend machen. Wir sind sehr zufrieden!
LONG DISTANCE CALLING in den Verkaufs-Charts auf ernstzunehmender Position. Totale Utopie oder durchaus möglich?
Die Frage ist, wie man „ernsthaft“ definiert. Also für Top 10 ist es sicher noch zu früh, haha, aber ich denke schon, dass wir durchaus eine Chance haben, wieder in die Charts einzusteigen, mal schauen. Eigentlich ist das auch egal, jeder, der sich ein bisschen damit beschäftigt weiß, was das heutzutage noch bedeutet, aber natürlich freut man sich über sowas, ist ja klar.
Vielen Dank für ein weiteres tolles Album und dieses Interview!
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Stile | Alternative Rock, Instrumental, Progressive Rock |
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