Epica
Zuviel gibt es für EPICA nicht: Die Listening-Session zu "The Holographic Principle"
Interview
Angesichts einer solch immensen Menge an musikalischen Möglichkeiten mögen manche Menschen mutmaßen, dass die Musiker beständig Gefahr laufen, ihre Songs gnadenlos zu überladen. Mit ihrer langjährigen Erfahrung gelingt es EPICA erstaunlich gut, den totalen Overkill zu vermeiden. Oder lauern im Giftschrank der Band noch Kompositionen, die sie mit verschiedenen Elementen bis zur Unhörbarkeit vollgestopft haben? Mark Jansen verneint und gibt einen tieferen Einblick in die Kompositionsweise der Band: „Wir arbeiten so lange an jedem Stück, bis wir die perfekte Balance gefunden haben, da kann es zwischendurch schon einmal überladen wirken. Aber man muss dann einfach das tun, was am besten für den Song ist. Wenn man sich das Stück anhört und merkt, dass man zu viel hineingepackt hat, vereinfacht man es eben wieder.“
„So etwas wie ein Zuviel gibt es bei EPICA nicht“
Wirklich nötig ist so eine Vereinfachung laut Isaac Delahaye aber eher selten: „So etwas wie ein Zuviel gibt es bei EPICA doch eigentlich gar nicht. Obwohl wir mit einem ganzen Orchester arbeiten, liegt den Songs üblicherweise eine Hauptmelodie zugrunde. So lange man diese nicht aus den Augen verliert, kann eigentlich nichts schiefgehen. Man muss die einzelnen Elemente nur wohldosiert einsetzen und gut aufeinander abstimmen. Wenn beispielsweise eine Klavierstimme sehr laut im Vordergrund agiert, kann das schnell zuviel werden, so dass man sie besser etwas subtiler im Hintergrund einsetzt.“ Somit lässt die Hauptmelodie ein typisches EPICA-Stück schnell ins Ohr gehen, während die Vielzahl an muskalischen Schnörkeln und Verzierungen auch beim wiederholten Hörgenuss noch Raum für neue Entdeckungen birgt. Für den Gitarristen macht genau das letztlich den massiven EPICA-Sound aus. „Es passiert so viel darin, aber man konzentriert sich stets auf das, was wirklich wichtig ist. Und das ist, dass wir eine Metalband haben, dass die Sängerin eine großartige Melodie singt und dass das Orchester das Ganze mit unterstützt. Der ganze Rest sind nur Dinge, die man hier und da hinzufügt, um die Sache für all jene Leute etwas interessanter zu gestalten, die etwas genauer hinhören wollen.“
Fast zwangsläufig stößt die Band damit immer wieder auch in proggige Gefilde vor, wie „The Cosmic Algorithm“ als vorletzter Song auf der heutigen Tracklist verdeutlicht. Mit einer Vielzahl an Harmonie- und Stimmungswechseln kommt das Stück eher sperrig daher und dürfte mehrere Anläufe brauchen, um richtig zu zünden. Dann aber verspricht die Suche nach immer neuen Details, deren Vorhandensein man beim ersten Hördurchgang kaum bemerkt hatte, dem detailverliebten Musik-Nerd umso größeres Hörvergnügen. Auf der finalen Tracklist ist „The Cosmic Algorithm“ ein paar Plätze nach vorne gewandert und wird von den beiden heute noch nicht vorgestellten Nummern „Once Upon A Nightmare“ und „Ascension – Dream State Armageddon“ flankiert.
Mit dem Titelstück „The Holographic Principle“ haben sich EPICA ihr dickstes Pfund wieder einmal für den Schluss aufgehoben. „Es ist schon fast eine Tradition bei EPICA, den überlangen Titelsong als großes Finale zu bringen,“ erklärt Mark Jansen. „Das ist in meinen Augen einfach die beste Position für ein solches Stück. Wir wollen uns zwar nicht ständig selbst wiederholen, gleichzeitig aber doch die Tradition wahren. Beim Schreiben des Songs wurde uns schnell klar, dass das ein Longtrack wird. Er wuchs immer weiter an und ab einem gewissen Punkt wussten wir einfach, dass er wirklich episch werden würde.“
Angesichts einer finalen Spieldauer von knapp zwölf Minuten bleibt hier also auch genug Zeit für einen gemächlichen Songaufbau mit getragenem Chor-Intro und ruhigen Piano- und Streicher-Parts. Über den Refrain erlebt das Lied dann eine stete Steigerung, während der Spannungsbogen hin zur großen Bombast-Symphonie immer weiter angezogen wird. Gerade in dieser Kerndisziplin des Orchester-Metal kann EPICA kaum ein anderer Genre-Vertreter das Wasser reichen. „The Holographic Principle“ bildet damit den würdigen Abschluss einer herausragenden Platte, auf der sich EPICAs längjährige Erfahrung und kompositorische Routine mit der noch immer ungebrochenen Experimentierfreue und dem Spaß am Erforschen der Grenzen ihres Genres paaren.
Abschließend fasst Isaac Delahaye noch einmal für uns zusammen, was „The Holographic Principle“ im Vergleich zu früheren EPICA-Werken besonders auszeichnet: „Wir haben uns mit diesem Album wohl im Hinblick auf so ziemlich alles gesteigert – mehr Bandproben, mehr Songs, aus denen wir auswählen konnten, mehr Zeit im Studio – deshalb mussten wir auf jedes Detail achten. Wenn du die ganzen EPICA-Elemente auf eine beliebige unserer Songideen draufpackst, klingt es immer nach EPICA. Da ich und Mark aber beispielsweise ganz andere Inspirationsquellen haben, haben wir auch unterschiedliche Herangehensweisen an die Musik. Ich sehe darin momentan die große Stärke dieser Band. Es war nicht immer so, aber heute sind wir in der komfortablen Situation, dass jeder in der Band Songs schreibt, wodurch das neue Album auch sehr vielfältige Interpretationen des gleichen Musikstils zeigt.“
Das Einbeziehen modernerer Einflüsse hat sich bereits auf dem Vorgänger als richtiger Schritt erwiesen, kommt nun aber erstmals voll zur Geltung. Für Isaac Delahaye haben diese Elemente jedoch ganz selbstverständlich ihren Weg in das Songwriting gefunden: „Ich persönlich wollte die Energie einfangen, die man mit Sechzehn beim Entdecken einer neuen Band gefühlt hat. Dieses Wow-Gefühl, wenn man in seinem Zimmer sitzt und zum ersten Mal ein Album hört, das ganz anders klingt als alles, was man bis dahin kannte. Oder der Moment, wenn man zum ersten Mal in seinem eigenen Auto durch die Stadt fährt, die Sonne scheint und man die Scheiben runterkurbeln und einfach nur stolz darauf sein möchte, dass man ein Metalhead ist, weil dieses Riff so cool ist, dass alle Welt das mitbekommen soll. Diese Gedanken hatte ich beim Schreiben meiner Stücke immer im Hinterkopf, wodurch diese eine Menge Groove bekommen haben und ich mächtig stolz auf das Riffing bin. Aber das ist sicher nur einer von vielen Aspekten, die dieses Album ausmachen.“
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