Licht Erlischt...
Interview mit Nerrath
Interview
Um uns erfreulicheren Themen zuzuwenden: das neue Album ist ziemlich stark geworden. Sicher, schon das Demo vor ein paar Jahren war gar nicht so übel, aber „Retrograde“ hat ein Niveau, das ich absolut nicht erwartet hätte. Wie hast du das angestellt? Nimmst du heutzutage andere Drogen? Ist in deinem Leben etwas Einschneidendes passiert, oder ist das alles bloß „natürliche Weiterentwicklung“?
Ich danke dir!
Der Weg von der ersten LE-Demo über „The Narrow Path“ bis hin zum jetzigen Album war eine klassische Frage der Stilfindung. Ziel war es ursprünglich, eine dunklere Version von HORN zu erstellen, die sich auf getragener Atmosphäre statt auf hervorstechende Melodien stützt. Die erste Demo ist im Grunde eine noch recht unselbständige Version von HORN, die sich erstmal eine eigene Marke schaffen musste. Die beiden Geschichten voneinander zu trennen hat, ein wenig Zeit und Entwicklung in Anspruch genommen. Da ich ausschließlich allein arbeite, kommen neue Einflüsse nunmal nicht von außen, sondern durch die Zeit. „The Narrow Path“ hingegen wurde zu BM mit Doom-Komponente, die danach stärker Überhand genommen und in „…retrograde…“ dann das Ruder ganz übernommen hat.
Heute ist LE eine eigenständige Einheit. Das Album hat jedoch noch eine BM-Vorgängerversion, die mit schnellerem Drumming und weitaus stärkerem Keyboardeinsatz versehen ist. Nachdem diese erste Version zu drei Vierteln fertig war, habe ich die Aufnahmen abgebrochen und sämtliche Dateien gelöscht, da ich während der Entwicklung immer stärker vom eigentlich beabsichtigten Stil abgewichen bin und das Album einfach „fremd“ klang. Mit der aktuellen Version bin allerdings äußerst zufrieden, denn auf visueller, textlicher und musikalischer Ebene ist alles so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe.
Bist du eigentlich großer PRIMORDIAL-Fan?
Erraten. Ich denke, dass dies unschwer anhand des LE-Albums zu erkennen ist. Womit wir bei meinen Einflüssen und letztendlich auch bei den musikalischen Intentionen des Albums angelangt wären. Ich habe „…retrograde…“ als eine Kreuzung aus PRIMORDIAL, NORTT und URFAUST ausgelegt und es nach diesem Vorbild geschrieben. Das gebe ich gerne zu, da ich keinen Sinn darin sehe, sich als Künstler in Interviews als autoinspiratives Genie darzustellen. Du weißt schon, der Schlag Musiker, der sich lieber ein Bein ausreißen würde anstatt zuzugeben, dass er sich an einer fremden Band orientiert hat („Wir hören den ganzen Tag lang Band XY zum Erbrechen, aber letztendlich ist unsere Musik vollkommen eigenständig“). Das ist Unsinn, jeder Musiker kommt an den Punkt, an dem er sich sagt: „Genau wie der und der Part von dieser und jener Band soll meine Musik klingen“. Das Ergebnis wird dann meist ein anderes, aber die Grundideen bauen doch zumindest zum Teil auf musikalischen Fremdinspirationen auf. Wie auch immer, ich schweife ab…
Adam (PRIMORDIAL) ist in meinen Augen einer der größten Künstler dieser Erde, der es schafft, kritische und tiefgründige Themen in spärliche Worte und Zeilen zu fassen… simple Sätze, deren Sinn allerdings eine unglaubliche Tiefenstruktur aufweist. Musikalisch hat er und seine Band das Genre auf den Kopf gestellt. Nur wenige Bands außer Primordial bringen es fertig, sich auf der einen Seite von nahezu allen gängigen Genrekonventionen zu lösen, und auf der anderen Seite 1000 Mal mehr nach Black Metal zu klingen als jedes dahergelaufene Satansgekreische. Eine der Bands, die progressiv bis zum Gehtnichtmehr sein können, ohne nach eingebildetem Avant-Garde-Müll zu klingen. Kurzum, LE verdankt dieser Band viele Riffkonstruktionen (vorwiegend triolische Ansätze), und auch beim formalen Aufbau der Texte habe ich mich stark am Stil von Adam orientiert. Ich sehe meinen Gesang letztendlich als ein Mittelding zwischen PRIMORDIAL und URFAUST, habe ihn auf diesem Album zum ersten Mal in diesem Ausmaß eingesetzt und werde dies zukünftig wohl noch exzessiver tun.
Du hast ja mit HORN noch ein weiteres Soloprojekt am Start, welches nicht nur ganz anders klingt sondern mir auch viel weniger gibt als LICHT ERLISCHT…. Nun kann man ja über Geschmack nicht streiten, aber mich würde schon interessieren, wie du so unterschiedliche Musik machen kannst. Gibt es da bestimmte Stimmungen, Situation, was weiß ich, in denen dir eher Material für HORN einfällt und andere Perioden, die du L.E. widmest? Oder sammelst du einfach alle Ideen und teilst sie später auf beide Projekte auf? Oder kannst Du einfach einen „HORN-Modus“ in deinem Kopf in Betrieb nehmen? Ist die Trennung HORN-L.E. etwas, worauf du bewusst achtest, oder geschieht das ganz natürlich?
Richtig, mit HORN mache ich seit 2003 aktiv Musik und habe mittlerweile zwei Demos und vier volle Alben herausgebracht, und es läuft im Normalfall so ab, dass ich die Alben für beide Projekte im Wechsel schreibe. HORN ist in der Tat ein ganz anderes Projekt, was es natürlich auch sein soll, denn zwei Soloprojekte mit ein und demselben Stil zu praktizieren wäre recht überflüssig. Das mit dem Wechsel in den HORN- oder LE-Modus ist im Grunde nicht so kompliziert, wie es evtl. klingt, denn wie du richtig vermutest, kann da einfach dieser „Schalter“ umgelegt werden. Das liegt daran, dass ich kein impulsiver Musiker bin, dem beim Zähneputzen oder beim Reifenwechseln ein geniales Riff einfällt, flugs ins Haus huscht und selbiges erstmal aufschreibt und dann direkt daran weiterbastelt. Ich gehe die Sache an, indem ich mir ein Projekt vornehme und warte, bis ich ein klares Bild im Kopf habe, welche musikalische Richtung bzw. welche Thematiken gut umsetzbar sind. Dieses „Bild“ ist dann die Inspiration, und aus ihm entstammen dann die Ideen. Dieses Prinzip ist allerdings erst mit der Zeit gekommen. Anfänglich war meine Musik mit HORN noch recht impulsiv, ich wollte mehr oder weniger viele kontrastierende Ideen unter einen Hut bringen, wodurch sich vielerlei gravierende Stilwechsel auf den ersten HORN-Werken erklären lassen.
Thematisch gesehen sind HORN und LE heutzutage identisch. Das liegt unter anderem daran, dass mir zwar viele Gedanken im Kopf herumschwirren und ich zu vielen Dingen eine klare Meinung habe, aber mich sehr schwer tue, diese zu Papier zu bringen oder gar „lyrisch“ zu gestalten. Daher habe ich einfach nicht die Möglichkeit, meine Gedanken dann auch noch in zwei komplett unterschiedliche Kategorien aufzuteilen.
Da du nun mit „Retrograde Disciples“ ein ziemlich fantastisches Album abgeliefert hast, muss ich trotz allem „über Geschmack kann man nicht streiten“-Geschwafel mal ganz direkt fragen: Findest du HORN eigentlich immer noch gut?
Das lässt sich schwer mit ja oder nein beantworten. Tatsache ist, dass ich HORN aus heutiger Sicht nicht mehr mit dem vereinbaren kann, wofür es mehrere Jahre lang stand. Das Projekt existiert immerhin seit etwa neun Jahren, erschwerend kommt hinzu, dass ich stets ein starkes Bedürfnis habe, meine Musik zu „überholen“. Sprich, HORN hat einen starken Wandel durchgemacht. „Distanz“ (2009) hat auf musikalischer, visueller und vor allem textlicher Ebene kaum noch Gemeinsamkeiten mit den bunten Wäldern von „Der Forst im Frühjahr“. Ich gehe stark davon aus, dass du mit deiner unterschwelligen Kritik (Unterschwellig?! -Ed.) vor allem auf meine Demos und die ersten beiden Alben anspielst. Ich empfehle dir, „Distanz“ einmal ein Ohr zu leihen, und glaube, dass dir das Gleiche auffallen wird. Durch diese Scheibe ist auch der Schulterschluss mit LE weitaus besser erklärbar.
Trotz allem ist deine Frage berechtigt. Ich fürchte, HORN hat sich in eine gewisse Sackgasse manövriert, und ich überlege seit einiger Zeit, wie es weitergehen soll. Als alleiniger Musiker allerdings stehe ich zu meinen alten Veröffentlichungen und weiß, dass sie zum jeweiligen Zeitpunkt genau das waren, was ich machen wollte.
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