Licht Erlischt...
Interview mit Nerrath
Interview
Man mag von HORN halten, was man will, eins muss man Nerrath lassen: Mit seinem anderen Projekt LICHT ERLISCHT… und dessen zweitem Album „and below, the retrograde disciples“ ist ihm ein ziemlich großer Wurf gelungen. Dermaßen mächtigen pechschwarzen Doom hört man nicht alle Tage. Da mussten wir den guten Mann natürlich sofort kontaktieren um herauszufinden, wie er nach Jahren der VerballHORNung auf einmal so umwerfende Musik hinbekommt. Und ein paar weitere Fragen haben wir uns selbstverständlich auch einfallen lassen, die Nerrath ausführlichst beantwortet hat.
Guten Tag! Wie geht’s, wie steht’s? Was macht der Winter in D-land?
Den Gruß erwidere ich, alles ist den Umständen entsprechend in Ordnung. Der Winter geht langsam wieder in die Defensive, nachdem er ja in den letzten Wochen einen starken Auftakt gehabt hat… ungewöhnlich spät!
Bevor ich die ganz dummen Fragen auspacke, mache doch etwas Werbung für dein neues Album „Retrograde Disciples“. Wer sollte mal in die Scheibe reinhören, und vor allem warum? Warum hat ausgerechnet deine Musik die Aufmerksamkeit der Hörerschaft verdient?
Gern. „and below, the retrograde disciples“ ist auf musikalischer Ebene für Hörer interessant, deren Aufmerksamkeitsspanne für mehr als einen 3-minütigen Radioedit ausreicht. (Es gab ja auch schon vereinzelte Kritik bzgl. der Liedlängen… dabei ist die Rechnung doch denkbar einfach: Blastbeatgewitter sind nun mal schneller um als schleppende Downtempotakte). Womit wir beim Genre wären: Die neue Scheibe richtet sich an Doom-Metal-Hörer, denen das gängige Doom-Umfeld zu „rockig“ ist, und die das gewisse „Dunkle“ vermissen. Die neue LE ist pechschwarzer Doom Metal mit starkem BM-Einschlag, wobei sich der Anteil „BM“ allerdings nicht anhand der einzelnen Konventionen (Gesang, Schlagzeugstil etc.) festmachen lässt. Ich selbst bin einer dieser Hörer, der innerhalb der weitgefächerten Bandbreite an Stilrichtungen BM-lastigen Doom (nicht zu verwechseln mit Doom-lastigem BM) vermisst, und daher ein solches Stück schreibt. Wer allerdings auf Depressive-/Suicide-/Post-Rock-Metal steht, soll bitte seine Finger von dieser Scheibe lassen: Trotz aller Genrevermischungen bewegt sich LE im Gehege des traditionellen Heavy Metals und spiegelt somit gewisse Grundideale wider, welche mit diesem Depressivquatsch unvereinbar sind. Rumgewimmer, Ritzereien und Sterbenssehnsucht sind und bleiben Emoscheiße, die dann auch bitte innerhalb der Grenzen selbigen Genres (Emocore?) ausgetragen werden soll… oder, wie man so schön sagt: It´s not suicide unless you kill yourself“… mich stört es zunehmend, ständig in diese Schiene eingeordnet zu werden.
Wenn man Google mit Bandname und Albumtitel füttert, stößt man vor allem auf Downloadblogs, Torrentseiten und russische Piraten, die für geklaute mp3 auch noch Geld haben wollen. Wie sehr ärgert dich das?
Ein zweischneidiges Schwert, wenn du mich fragst… Einerseits ist es höchst bedrückend, dass heutzutage ein Album bereits Stunden nach Veröffentlichung für wirklich jeden ängstlichen Teenager mit High-Speed-DSL-Verbindung zugänglich ist… und das aus einer Vielzahl von Quellen. Da wünscht man sich doch gern mal in Zeiten zurück, in denen wegen der Beschaffungshürden grundsätzliche Aussiebkriterien herrschten… kurzum: Niemand durchwühlte Mailorderlisten etc., wartete zwei Wochen auf eine kopierte CD-R, nur um nachher sagen zu können: „Hör ich zwar nicht rein, aber ich will ja den Rekord für die bestsortierte Albensammlung haben“… das Persönliche fehlt bei der heutigen Technologie einfach… Ich kenne die Leute, die meine Musik hören, nicht mehr, ich kenne die Nische, die ich bediene, nicht… Jeder will Anerkennung für sein Werk haben, und die erhalte ich nicht dadurch, dass UserXYZ in Forum YZX einen „Daumen hoch“ für meinen Scheibe gibt.
Andererseits ist der Zugänglichkeitsfaktor nicht zu unterschätzen, der einfach dazu führt, seinen Hörerkreis ohne Eigenleistung global auszuweiten… die altbekannten Vorteile eben, welche ich als geneigter Hörer übrigens auch ab und an in Anspruch nehme.
Nun nochmal zu den Nachteilen: Wie du schon erwähnst, versuchen Dritte von der Musik zu profitieren, und der kostenfreie und kinderleichte Zugang auf so ziemlich jedes noch so unbekannte Album der Szenerie führt schlichtweg zu massiven Verkaufseinbrüchen und läuft im schlimmsten Fall darauf hinaus, dass kleine und idealistisch-selektive Untergrundlabels die Kosten für Neuveröffentlichungen nicht mehr tragen können, und das ist ein Verbrechen an der Kunst (obwohl man bei so manchen musikalischen Vergewaltigungen ganz froh darüber sein darf, hehe).
Die vorherige Frage impliziert natürlich auch, dass man zum neuen Album kaum Reviews findet, obwohl das Ding schon zwei Monate raus ist. Darüber hinaus findet man bei Black Blood oder Einheit kaum Infos zum neuen Album. Als Außenstehender (für die Öffentlichkeitsarbeit ja in erster Linie gedacht ist) sieht das doch sehr nach äußerst bescheidener Promoarbeit aus. Bist du damit zufrieden? Willst du das gar so? Wozu Musik aufnehmen/veröffentlichen, wenn man sie danach vor dem Publikum verstecken will?
Hier ist der Fairness halber zu erwähnen, dass die CD faktisch erst Ende Januar herausgekommen ist. Wir sind, um es mal gelinde auszudrücken, nicht die Zuverlässigsten, wenn es um die Einhaltung von VÖ-Terminen geht. Ich glaube, dass sich daher die bis dato spärliche Ausbeute an Rezensionen erklären lässt.
Auch wir – wie auch viele andere – sind stark vom Untergang des Mediums CD betroffen, aus welchem Grund keine Gelder wahrlos für Promoaktionen , die für uns nicht effektiv sind, verschleudert werden können (dies ist auch durch einige schlechte Erfahrungen mit gewissen geldgeilen Verlagen zu begründen).
Da wir sowieso schon beim Thema sind: Ist das momentane Konzept deines Labels überhaupt zukunftsfähig oder wenigstens gegenwartsfähig? Ein paar popelige Samples und eine einzige schnöde CD-Version, reicht das? Bspw. Prophecy und viele kleinere Labels sind längst dazu übergegangen, für umme Alben komplett zu streamen und potentielle Käufer mit verschiedenen Versionen von stino bis Luxus zu ködern. Was hältst du vom diesem oder ähnlichen Ansätzen? Ich persönlich würde mir „Retrograde“ auch lieber als schmucke LP ins Regal stellen, anstatt mich mit einer ollen CD zu begnügen.
Ich sehe da auch eine gewisse Trendwende im Anmarsch, bzw. im Gange. CDs setzen sich ob des Überangebots an Piratenquellen nicht mehr ab, und kostenpflichtige Downloads ob des nichtvorhandenen Sammlerwerts ebenso wenig. Wie du ja erwähnst, denken einige Läden bereits um. Man wird zukünftig wohl viel eher auf das „Drumherum“ einer Veröffentlichung als auf die eigentlichen Veröffentlichung bauen. Die Einnahmen durch Tonträger werden in keinem Verhältnis mehr zu den Einnahmen durch Konzerte, Merchandise oder fragwürdige „Treff die Stars persönlich“-Aktionen stehen. Darüber hinaus wird man wohl stark darauf setzen, den – wie du auch richtig aufzählst – Sammlergeist des Hörers mit optischen Reizen zu stimulieren.
Meine Meinung? Es kommt auf die Fallhöhe an. Bei größeren Labels mit festen Angestellten und eindeutig kommerzieller Auslegung ist Hopfen und Malz ohnehin verloren, hehe. Kleinere Labels, die idealistisch ausgelegt sind (etwa wenn die Wahl der Veröffentlichung noch vom rein subjektiven Musik- oder Menschengeschmack des Veröffentlichers abhängt), sollten die neuen Geschäftsmodelle nur mit Vorsicht genießen, denn sie haben ja noch ein Gesicht, das sie verlieren können. Klar, die Kosten für die Ausgaben für VÖs und Merch müssen wieder eingefahren werden, aber nicht durch Prostitution auf dem Heavy-Metal-Straßenstrich. Die Musik ist das höchste Gut, und sie hört sich grandios oder grottenschlecht schlecht an, ganz gleich, ob auf schäbig kopiertem CD-R oder Hochglanz-Picture-LP mit Tittensammelbildchen und Hologrammbild des Sängers. Damit will ich den Wert eines Sammlerstücks nicht abstreiten, sondern lediglich zum Ausdruck bringen, dass es „notfalls alles auch ohne geht“.
Bzgl. Black Blood Records: Ich glaube, der Schein trügt da ein wenig. Immerhin sind wir mit Soul Food im Bunde, wodurch meine CDs unter anderem auch in Saturn-Märkten angeboten werden. Daher denke ich, dass ich es eigentlich ganz gut habe, was die Verbreitung meiner Musik angeht. Björn ist und bleibt ein idealer Partner für meine Musik. Wir arbeiten seit 2006 sehr eng zusammen, und jeder getane Schritt basiert auf beiderseitigem Mitwissen und Einverständnis. Black Blood Records ist keine Startrampe für Bands, die es auf die Mainstage in Wacken schaffen wollen, aber eine Schmiede mit Herz, die sich selbst treu geblieben ist, und seinen Künstlern Freiraum gewährt. Ich schätze es enorm, nahezu alles (von Musik über Gestaltung der CDs und der Textilien über PR-Entscheidungen) selbst in der Hand zu haben, auch wenn dies viel Aufwand bedeutet. Wir hatten in der Anfangszeit einige Zwistigkeiten, da ich mich geweigert habe, jedes eingehende Interview zu beantworten, aber über die Jahre hinweg hat sich unser Verhältnis auf einer äußerst vertrauenswürdigen „Vertrag-per-Handschlag“-Basis eingependelt. Die Dinge laufen langsam, aber sie laufen.
Und – evtl. wird es dich freuen: Eine schmucke LP-Version ist tatsächlich in Arbeit. In altgewohnter Tradition hängen wir ein wenig hinterher, aber sowohl dies als auch entsprechende Textilien (Zipper und T-Shirts) werden in Kürze erhältlich sein.
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