Les Discrets
Interview mit Fursy Teyssier zu Les Discrets

Interview

Les Discrets

Mit „Ariettes Oubliées…“ ist LES DISCRETS ein schlichtweg wunderschönes, atmosphärisches Album gelungen, welches sofort zu begeistern wusste. Es lag daher nahe, Mastermind Fursy Teyssier, der sich auch für das aufwendige Artwork verantwortlich zeichnet, ein paar Fragen zu „Ariettes Oubliées…“, der kürzlich beendeten Europatour mit ALCEST und einigem mehr zu stellen.

Hi Fursy! Eure Europatour mit ALCEST und SOROR DOLOROSA ist gerade zu Ende gegangen – wie war die Tour? Magst du es, live zu spielen?

Die Tour war toll; sehr aufregend und schön, denn Neige von ALCEST, Andy von SOROR DOLOROSA und ich sind seit mehr als 15 Jahren sehr enge Freunde, wir haben zusammen Musik entdeckt und sind fast zusammen aufgewachsen. Die Tour war sozusagen die „Freundschaftstour“, wir waren fast immer gut drauf und haben jede Minute genossen. Und ja, ich mag es, live zu spielen – am Anfang noch nicht so sehr, denn die Tour war eine meiner ersten Erfahrungen mit Liveauftritten und damit, plötzlich derjenige zu sein, der vorne am Mikrofon steht usw. Das war etwas stressig, aber ich mochte es sehr. Ich ziehe es immer noch vor, im Studio oder zuhause zu spielen, aber was ich live am besten finde, ist die Tatsache, dass man nur einen Versuch hat und wenn man Fehler macht, kann man es nicht wiederholen. Das mag ich und das Gefühl, wenn man eine gute Show mit kaum Fehlern spielt und es den Leuten gefällt.

Ich habe mich bei eurer Show in Oberhausen gefragt, wo Audrey ist – war sie nicht dabei?

Ja, es ist schade, dass sie nicht dabei war, aber das war etwas kompliziert, weil sie nicht die ganze Tour über hätte dabei sein können aufgrund von Arbeit und solchen Sachen… und dann hätten wir zwei verschiedene Setlists spielen müssen – Songs mit ihr, Songs ohne sie. Ich dachte, das sei zu kompliziert, denn es ist schon ziemlich schwierig, eine Setlist perfekt zu spielen. Wenn wir also die ganze Zeit die Setlists gewechselt hätten, wäre das sehr stressig gewesen. Aber jetzt am Ende bereue ich das, denn in Paris kam sie, um die Show zu sehen und wir entschieden in der letzten Minute, zehn Minuten vor der Show, dass sie uns bei einem Song unterstützen sollte – wir haben das aber nie geübt, es war sehr spontan. Und es war einfach perfekt, ein sehr schöner Moment für uns (wir sind ja auch ein Paar) und es war einer der intensivsten Momente in meinem Leben. Ich bereue es also, dass ich am Anfang zu sehr auf den Stress geachtet habe und nicht stärker versucht habe, diese zwei Setlists hinzukriegen.

Glückwunsch zu eurem neuen Album „Ariettes Oubliées…“, es ist wirklich toll. Könntest du etwas über die Bedeutung des Albumtitels und des Coverartworks erzählen? Ich habe gelesen, dass es auch von Debussy einen Songzyklus namens „Ariettes Oubliées“ gibt. Gibt es da eine Verbindung?

„Ariettes Oubliées“ bedeutet „vergessene Lieder“ und es ist grundsätzlich ein Gedicht von Paul Verlaine, einem französischen Dichter, der Ende des 19. Jahrhunderts aktiv war (1844-1896). Er ist ein Dichter, den ich sehr schätze und ich habe bereits auf dem vorigen Album ein oder zwei Gedichte von ihm verwendet. Also wurde ich eigentlich durch Verlaines Gedicht inspiriert und als ich das Album schrieb, wusste ich nicht, dass Debussy dieses Gedicht auch vertont hat. Erst danach hat Audrey mir davon erzählt, es war also irgendwie lustig.
Zum Coverartwork: Eigentlich heißt „Ariettes Oubliées“ „vergessene Lieder“, aber „Ariette“ ist auch ein alter, französischer weiblicher Vorname und ich beschloss, das Gedicht so zu lesen, dass es nicht um Lieder geht, die von jemandem und den Leuten vergessen wurden, sondern um vergessene Frauen. Und deshalb zeigt das Cover eine Art Trauernden, jemanden, der beispielsweise seine Frau betrauert.

Kannst du noch etwas zu den Lyrics auf „Ariettes Oubliées…“ sagen?

In den Lyrics geht es hauptsächlich um den Tod, den Moment, in dem man stirbt… das Leben, den Tod und alles, was dazwischen ist und alles, was danach kommt oder danach kommen könnte. Und es geht auch ein wenig um Depressionen, Traurigkeit, Ängste, das Menschsein, Albträume… in etwa sowas.

Gibt es dann eine Verbindung zum Vorgängeralbum „Septembre Et Ses Dernières Pensées“, welches sich ja ebenfalls mit dem Tod beschäftigte?

Ja, auf jeden Fall. Das erste Album erzählte von jemandem, der nicht weiß, was der Tod ist – sein eigener Tod oder der Tod einer geliebten Person –  und der herauszufinden versucht, wie es ist und wie man damit umgeht; jemandem, der Angst davor hat. Das neue Album erzählt von jemandem, der tot ist, der den Tod kennt. Wenn wir „Winter“ lesen (frz. „hiver“), steht das eigentlich immer für Tod. Demnach ging es auf dem ersten Album um den Herbst, welcher kurz vor dem Winter kommt, also darum, was vor dem Tod stattfindet. „Ariettes Oubliées…“ beginnt mit Titeln über den Winter, d.h. die Geschichte findet im Winter statt, „im“ Tod, wenn man weiß, wie es ist.

Was bedeutet eigentlich der Name LES DISCRETS?

Ganz zu Anfang, es ist wirklich sehr lange her, ging es hauptsächlich um die Wesen in der Natur, die man nicht sehen kann, wie z.B. Elfen, Trolle etc. Sie sind komplett Teil der Natur, sie sind da, aber niemand kann sie sehen – deshalb heißen sie „Les Discrets“ (Anm.: „discret“ = unauffällig, diskret, zurückhaltend). Aber mittlerweile haben sich viele Dinge geändert, es hat nicht mehr dieselbe Bedeutung für mich; jetzt ist es eigentlich nur ein Name.

Was hast du auf „Ariettes Oubliées…“ anders gemacht im Vergleich zu „Septembre Et Ses Dernières Pensées“?

Zunächst mal habe ich viel über Komposition, Songstrukturen und Arrangements aus dem vorigen Album gelernt. Außerdem sind die Songs sehr verbunden, sie funktionieren sehr gut zusammen, auch wenn sie unterschiedlich sind. Etwas, was ich wirklich versucht habe, zu verbessern, waren die Vocals, denn ich war nicht zufrieden mit den Vocals auf „Septembre…“; sie klangen sehr sensibel und nett, aber irgendwie etwas unbeholfen, wir mussten viel bearbeiten. Also habe ich Gesangsstunden genommen, um mich zu verbessern und ich denke, das ist eine der wichtigsten Veränderungen auf „Ariettes Oubliées…“.

Hast du einen persönlichen Lieblingssong auf „Ariettes Oubliées…“?

Ja, „Le Mouvement Perpétuel“.

Ich persönlich mag es sehr, dass die Lyrics auf französisch geschrieben sind. Wie wichtig ist es für euch, in eurer Muttersprache zu schreiben?

Ich habe nur einen Text auf dem Album geschrieben, der Rest stammt von Audrey. Aber es ist auf jeden Fall wichtig und absichtlich, denn… für mich ist Englisch sehr nützlich, um mich mit Leuten aus der ganzen Welt verständigen zu können. Aber für mich ist es eine Art „Business-Sprache“, es stecken keine Emotionen darin. Ich könnte nicht auf Englisch singen oder schreiben, denn es würde sich für mich falsch anhören. Es bedeutet nichts außer Business, ich habe keine „Vergangenheit“ mit der englischen Sprache, jedenfalls nicht genug, um etwas sehr Persönliches auf Englisch zu schreiben. Ich denke auch, dass das eine Art „Trademark“ für uns ist und obwohl wir wissen, dass wir vermutlich mehr Leute erreichen könnten, wenn wir auf Englisch singen würden, wollen wir das nicht. Wir wollen bleiben, wer wir sind.

Deine Album-Artworks sind immer sehr beeindruckend und detailliert. Wie wichtig ist dir dieser Aspekt, denkst du, ein Album ist nur zusammen mit dem Artwork vollständig?

Für mich bedeutet LES DISCRETS halb Musik, halb Bilder; so funktioniert dieses Projekt und ich verbringe vielleicht einen oder zwei Monate im Studio, aber ich arbeite genauso lange an den Artworks. Das ist mir sehr wichtig, denn ich will etwas aussagen und zufälligerweise kann ich zeichnen und Musik machen – in LES DISCRETS kommen die zwei Dinge, die ich in meinem Leben mache und die ich liebe, zusammen. Ich stecke alles in dieses Projekt, alle Inspirationen, die ich habe. Artworks sind also definitiv wichtig, aber das ist nur meine Meinung und ich denke, viele Bands interessieren sich überhaupt nicht dafür und wollen einfach nur nette, „catchy“ Bilder haben, um die Verkäufe zu erhöhen. LES DISCRETS‘ Cover-Artworks sind nie dazu gedacht, „catchy“ oder kommerziell zu wirken. Ich denke auch nicht, dass das „Ariettes Oubliées…“-Cover sehr auffällig ist oder die Leute dazu bringt, das Album wegen des Covers zu kaufen. Aber es bringt etwas rüber, es vermittelt die Atmosphäre, die Stimmung des Albums. Ich tue mein Bestes, Kunst und nicht Marketing zu machen.

Du arbeitest ja auch für andere Bands und vor Kurzem wurde ein Buch mit deinen Werken veröffentlicht. Findest du es einfacher, für andere Bands zu arbeiten als für deine eigene?

Es ist viel einfacher, für andere Bands zu arbeiten. Bei meiner Musik weiß ich alles über die Songs, jedes Detail, ich habe die Lyrics und ich weiß genau, was ich wirklich haben will. Ich bin da also sehr anspruchsvoll, ich will einfach, dass die Bilder so genau wie möglich zu dem passen, was ich mir vorstelle. Bei anderen Bands weiß ich aber nicht genau, was die Musik bedeutet, also nehme ich nur die Atmosphäre der Musik wahr und versuche, das erste Bild, das mir in den Sinn kommt, zu zeichnen. Daher finde ich es viel einfacher, Zeichnungen und Bilder zur Musik anderer Bands anzufertigen.

Du bist insgesamt eine ziemlich kreative Person – Hast du manchmal Angst, dass diese Kreativität nachlassen könnte?

Ja, durchaus. Und im Moment geht es mir mit der Musik so, ich fühle mich überhaupt nicht inspiriert, Musik zu schreiben. Seit fast zwei Jahren habe ich keine Songs geschrieben, ich habe nur einige neu arrangiert und fertiggestellt; der letzte Song, den ich geschrieben habe, war „Le Mouvement Perpétuel“. Und ich fühle mich komplett leer, was Musik angeht. Aber ich habe keine Angst, dass es weg ist, ich weiß nur, dass ich etwas Zeit brauche, um neue Inspirationen zu sammeln, etwas anderes zu machen, vielleicht Filme… Ich muss etwas durchatmen und werde mit neuer Inspiration zur Musik zurückkehren. Ich will mich auch nicht unter Druck setzen, es wäre mir egal, wenn das nächste Album erst in fünf Jahren käme. Ich habe viele Ideen für Filme und Illustrationen, ich nutze meine Energie momentan also lieber dafür und lasse die Musik etwas beiseite.

Welche Musik hörst du denn persönlich gerne?

Rock, Post Rock, etwas Metal -aber keinen Black Metal-, Klassik… Jazz und Blues mag ich nicht so sehr… und ein paar französische Künstler, z.B. Yann Tiersen.

Im Internet liest man immer wieder Vergleiche mit ALCEST, die Leute streiten, welche Band besser ist usw. Siehst du überhaupt Ähnlichkeiten? Und -generell gesprochen- interessieren dich solche Kommentare?

In jedem Review, das im Internet gepostet wird, steht in der ersten Zeile etwas von ALCEST (Anm.: Bekenne mich ebenfalls schuldig…), jedes Mal. Am Anfang war das etwas nervig… aber mittlerweile stört es mich nicht, ich finde es sogar gut, dass unsere Projekte von den Leuten als „Brüder“ gesehen werden; denn Neige und ich sind zwar keine „echten“ Brüder, aber sozusagen musikalische Brüder und beste Freunde seit langer Zeit. Schlechte Kommentare oder Vergleiche wie „Ich finde ALCEST besser als LES DISCRETS“ oder umgekehrt sind mir egal. Ich mache die Musik nicht für Leute, die vergleichen. Ich meine, sie können natürlich eine Band besser finden… aber es ist mir einfach egal.

Und als letzte Frage – hast du schon zukünftige Pläne für LES DISCRETS?

Ich habe schon seit längerem ein paar Ideen und auch auf der Tour kamen mir einige Ideen, aber noch nichts Konkretes. Wie gesagt, ich habe noch keinen Song fertig oder so, also werde ich einfach abwarten und sehen, wie es sich entwickelt.

Vielen Dank für deine Zeit und das Interview! Hast du noch ein paar abschließende Worte?

Die Leser von metal.de sollten sich mal SOROR DOLOROSA anhören – ich weiß, dass es möglicherweise ein sehr anderer Stil ist als das, was sie sonst hören, aber ich denke, dass sie es wirklich verdienen, bekannter zu sein! Viele Metalhörer und Leute, die unsere Musik mögen, könnten SOROR DOLOROSA auch zu schätzen wissen.

Galerie mit 6 Bildern: Les Discrets live in Oberhausen, 29.04.2017
04.03.2012

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