Leprous
Interview zu "Bilateral"
Interview
Heute erscheint das neue LEPROUS-Album „Bilateral“, das inmitten des Prog-Einerleis wunderbar erfrischend klingt und mich – wie in meiner Rezension genau nachzulesen – echt umgehauen hat. Zu diesem Anlass war Sänger und Keyboarder Einar Solberg so freundlich, ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern…
„Hej!“ aus Deutschland und meinen Glückwunsch zu eurem fantastischen neuen Album „Bilateral“! Wie sind die Reaktionen von Seiten der Fans und der Fachwelt?
Vielen vielen Dank! Bisher haben wir nur überwältigende Reviews bekommen und das Feedback von denjenigen, die wir gesprochen haben, ist ausschließlich positiv. Das ist natürlich ungeheuer zufriedenstellend und motivierend. Wir freuen uns schon auf die Veröffentlichung [wie gesagt erscheint das Album heute, am 19. August – Anm. d. Verf.] und die Reaktionen unserer Fans.
Ich gehe mal davon aus, dass die Besucher von metal.de noch nicht allzu vertraut mit LEPROUS sind, könntest du also einen kurzen Überblick eurer Laufbahn geben?
LEPROUS hat 2001 als typische Schülerband in unserer Heimatstadt Notodden ihren Anfang genommen, von damals sind nur noch Tor Oddmund und ich dabei. Die Besetzung hat sich in den vergangenen Jahren also mehrfach geändert, heute besteht LEPROUS aus mir (Gesang und Keyboards), Tor Oddmund Suhrke (Gitarre), Øystein Landsverk (Gitarre), Tobias Ørnes Andersen (Drums) und Rein Blomquist (Bass). 2004 haben wir unser erstes Demo „Silent Water“ aufgenommen, das wir nur selbst in unserer Umgebung verkauften. Zwei Jahre später folgte das erste Full Length-Album mit dem Titel „Aeolia“, das wir selbst finanziert und nie offiziell veröffentlicht haben – es ist aber über unsere Website erhältlich. 2008 haben wir mit „Tall Poppy Syndrome“ unser erstes offizielles Album eingespielt, das im Mai 2009 über Sensory Records erschien. Im selben Jahr haben wir bei dem legendären Black Metal-Künstler IHSAHN angeheuert, um ihn bei seinen ersten Konzerten zu unterstützen. Im Oktober und November 2010 haben wir dann als Support der schwedischen Veteranen von THERION unsere erste größere Tour absolviert. Direkt nach dieser Tour haben wir einen Plattenvertrag bei InsideOut unterschrieben und zusammen mit IHSAHN und STAR OF ASH [das Projekt von IHSAHNs Frau Heidi „Ihriel“ Tveitan – Anm. d. Verf.] in den Juke Joint- und Ivory Shoulder-Studios mit den Aufnahmen zu „Bilateral“ angefangen. Den Mix hat dann Jens Bogren in den Fascination Street-Studios übernommen.
Ehrlich gesagt hatte ich, bis ihr IHSAHN live unterstützt habt, darauf komme ich aber gleich nochmal zurück , auch noch nichts von LEPROUS gehört. Also bin ich neugierig: Wie klingt der Vorgänger „Bilateral“s und wo liegen die Unterschiede zwischen „Tall Poppy Syndrome“ und der neuen Scheibe?
Ich würde sagen, dass „Bilateral“ sehr viel komplexer, gleichzeitig aber strukturierter ist, als „Tall Poppy Syndrome“. Wir haben viel mehr Zeit investiert, die Songs zu perfektionieren. Außerdem haben wir dieses Mal mit deutlich mehr Klangschichten gearbeitet.
Der Bandname LEPROUS suggeriert auf den ersten Blick, dass ihr eine Death (oder sogar Gore) Metal-Band seid. Wieso habt ihr euch als Prog-Band für diesen Namen entschieden?
Wie schon gesagt war LEPROUS ursprünglich eine typische Schülerband. Wir hatten damals noch keinen Namen, also haben wir ein Wörterbuch durchgeblättert und sind auf „leprous“ [dt. leprös, leprakrank – Anm. d. Verf.] gestoßen. Zu der Zeit haben wir auf der Bühne noch Corpse Paint, Lack und Leder getragen [so sind sie halt, die norwegischen Schülerbands…]. Daher fanden wir den Namen ganz passend. Mit den Jahren wurde er ein Teil unserer künstlerischen Identität, also haben wir ihn beibehalten. Außerdem finden es ganz gut, unvorhersehbar zu sein – in diesem Sinne passt der Name also auch ganz gut, haha.
Unvorhersehbar klingt gut: Gibt es denn trotzdem so etwas wie ein Konzept auf „Bilateral“ oder einen roten Faden, der die Songs verbindet?
„Bilateral“ ist kein Konzeptalbum im traditionellen Sinn, weder musikalisch noch textlich. Deshalb passt der Titel auch so gut. Wir ziehen unsere Inspirationen von überall, wenn wir unsere Musik komponieren und arrangieren. Das führt zu einer guten Portion Variabilität in vielen Stücken. Als alle Songs im Kasten waren, wurde uns plötzlich klar, dass „Bilateral“ der perfekte Albumtitel ist – auch wenn der Text des Titelsongs eine andere Bedeutung hat.
Genau, denn „Bilateral“ meint ja beide Seiten der sprichwörtlichen Medaille. Wie sehen die beiden Seiten bei LEPROUS im Allgemeinen aus?
LEPROUS ist in vielerlei Hinsicht eine absolut schizophrene Band. Das Paradebeispiel dafür ist der Übergang zwischen „Mb. Indifferentia“ und „Waste Of Air“: „Mb. Indifferentia“ steht für die gefühlvolle und fragile Seite LEPROUS‘, während „Waste Of Air“ das aggressive und schmutzige Gesicht ist. Ich würde sagen, dass LEPROUS noch viele weitere Facetten besitzt, aber fragil und aggressiv sind die prominentesten.
Das Album-Cover wurde von Jeff Jordan (THE MARS VOLTA) gestaltet – magst du das Resultat im Kontext des Albumtitels oder -themas beleuchten? Oder möchtest du die Interpretation lieber den Hörer und Betrachter überlassen?
Es würde die „Magie“ hinter dem Artwork zunichte machen, wenn wir jedem erzählen würden, was wir uns dabei gedacht haben. Es ist surrealistische Kunst und der Raum zur Interpretation sollten den Fans gelassen werden. Außerdem diskutieren Menschen doch mit Vorliebe über solche Dinge, oder etwa nicht!?
Gut, dann lass uns in die musikalische Dimension „Bilateral“s eintauchen. Siebensaitige Gitarren sind ja mittlerweile im Metal üblich – dagegen sind Achtsaiter noch immer eine Seltenheit. LEPROUS sind eine der wenigen Bands, die achtsaitige Gitarren verwenden – wie kommt’s?
Unsere erste Begegnung mit Achtsaitern war im Rahmen unserer Aktivität mit IHSAHN nach seinem letzten Album „After„. Alle Songs auf dem Album sind auf acht Saiten geschrieben, also kauften sich beide LEPROUS-Gitarristen schließlich die Instrumente. Und wenn man eine achtsaitige Gitarre zur Verfügung hat, fängt man, auszuprobieren – und dabei sind dann auch ein paar LEPROUS-Riffs herumgekommen. Man hat als Künstler doch immer Freude daran, neue Möglichkeiten zu erforschen, haha.
Als ich mit IHSAHN über achtsaitige Gitarren sprach, meinte er, dass es ein Riesenunterschied zu Sechs- oder Siebensaitern ist – im Wesentlichen, weil man keine Powerchords spielen kann. Seht ihr das ähnlich?
Definitiv. Sobald du dich in solche Tiefen bewegst, versauen Powerchords alles, du bekommst keinen sauberen Klang mehr hin. Es klingt deutlich besser, wenn man einzelne Noten oder Oktaven spielt – zumindest wenn man’s richtig anstellt. Das sind natürlich Unterschiede und neue Dinge, die dich zwingen, die Art und Weise zu ändern, in der du komponierst. Aber „Heavyness“ hängt nicht davon ab, wie tief die Gitarren sind. Wir versuchen damit einfach, kreativer zu sein.
Euer Bassist ist – zumindest laut der allwissenden Encyclopedia Metallum – relativ neu dabei (Anfang 2011). Wie kommt er mit den Achtsaitern zurecht? Spielt er einen fünf- oder sechssaitigen Bass – und falls ja, stimmt er die tiefste Saite auf die Gitarren ab?
Ja, er ist im Dezember 2010 zu uns gestoßen, kurz vor den Aufnahmen zu „Bilateral“. Es gibt schon einige Herausforderungen, weil die Instrumente in ihrer Reichweite mehr überlappen, aber es keine großen Änderungen. Es ist von der Situation abhängig, ob du jetzt lieber die Gitarren oder den Bass „da unten“ haben willst. Du musst nur dabei vorsichtig sein, beide dort hinzupacken. Sein Hauptbass ist ein Fünfsaiter, daher ist er weiter oben ganz gut aufgehoben, wenn wir wirklich tiefe Riffs schreiben.
Deine Synthesizer klingen nicht wirklich nach „typischem“ Prog. Was hast du für Einflüsse, wenn’s um synthetische Klänge geht?
Das verstehe ich mal als Kompliment, danke! Um ehrlich zu sein, mag ich diese „typischen“ Prog-Sounds nicht besonders. Natürlich benutze ich auch klassische Instrumente wie Hammond-Orgel, Klavier oder Melotron, aber ich experimentiere auch viel mit eigenen Sounds. Ich benutze Clavia Nord Keyboards, die vielfältige Möglichkeiten bieten, wenn es um die Manipulation von Klängen geht. Ich benutzte viele Amp-Simulatoren, LFO-Filter [Low Frequency Oscillator – Anm. d. Verf.] und so weiter. Auf „Bilateral“ haben wir einige Keyboards sogar durch einen Marshall-Gitarrenverstärker geschleift und einige Spuren in einer Osloer Kirche aufgenommen, um den authentischen Klang und den richtigen Hall hinzubekommen.
In meiner Rezension habe ich ausdrücklich die Produktion gelobt, die meiner Meinung nach modernem Black Metal näher steht als der Mehrheit der Prog-Produktionen. Waren die örtliche Nähe der Studios und der gute Kontakt zu IHSAHN die einzigen Gründe für die Juke Joint-/Ivory Shoulder-Studios, oder wolltet ihr von Anfang an diesen Sound erreichen?
Ich würde sagen, der metallische und für unser Genre eher unübliche Klang des Albums hat eher mit dem Mix und dem Mastering von Jens Bogren zu tun. Wir wollten einen massiven, aber dennoch dynamischen Klang und Jens war der ideale Mann dafür. Die Hauptgründe, warum wir IHSAHN und STAR OF ASH für die Aufnahmen in Anspruch genommen haben, waren einerseits unser absolutes Vertrauen in ihre Arbeit, andererseits natürlich die tolle Kommunikation. Wir haben nur das Schlagzeug im Juke Joint-Studio eingespielt, Gesang und Gitarren dann im Ivory Shoulder-Studio. Keyboards und Bass haben hauptsächlich direkt über Line-In mit einem Laptop aufgenommen.
Wie war das denn, mit IHSAHN als Produzent zu arbeiten? Konnte er mehr leisten als nur bei Soli die tiefen Saiten stillzuhalten?
Haha, IHSAHN ist zweifellos ein großartiger Produzent, er hat viele Ideen und Vorschläge. Zu „Bilateral“ hat er mit sehr vielen Impulsen und Lösungen beigetragen, außerdem hat er auf „Thorn“ einen wirklich coolen Gastauftritt hingelegt.
Meine letzte Frage dreht um LEPROUS auf der Bühne. Ihr habt ja bereits THERION und OPETH unterstützt – was kommt als Nächstes? Gibt es Pläne, auch deutsche Bühnen zu erobern, sei es nun mit LEPROUS oder unter dem Banner IHSAHN?
Momentan ist leider nichts geplant, aber wir arbeiten daran! Ich verspreche dir, dass wir unser Bestes tun, um in näherer Zukunft auch nach Deutschland zu kommen.
Dann danke ich dir ganz herzlich für deine Zeit. Die letzten Worte gehören dir:
Vielen Dank für das echt nette und ausgiebige Interview! Hoffentlich sehen wir uns bald auf einem Konzert. Das gilt natürlich auch für die Leser dieses Interviews!