Leprous
Interview mit Einar Solberg zu "The Congregation"

Interview

Kann ich voll und ganz nachvollziehen. Kommen wir zu eurem neuen Album: Mein bisheriger Liebling auf „The Congregation“ ist „Third Law“. Da MUSE ein Album mit dem Namen „The 2nd Law“ veröffentlicht haben, habe ich mich gefragt, ob die Band dich oder euch irgendwie beeinflusst hat beim Songwriting, da auch manche Arrangements oder Vocals danach klingen.
Das Album kenne ich nicht. Aber was du hörst ist, dass ich großer RADIOHEAD-Fan bin, was MUSE wiederum ebenfalls sind. Ich mag MUSE und ich respektiere sie als Band, aber wenn ich zähle, wie viele Stunden ich RADIOHEAD im Vergleich zu MUSE gehört habe… (lacht). Auch die Vocals sind von Thom Yorke inspiriert – dieses Unpolierte. Ich habe das bezüglich „Third Law“ aber nicht zum ersten Mal gehört. Du scheinst also nicht alleine zu sein mit dem Vergleich. Vermutlich sprichst du von der Strophe, oder?

Genau.
Das Lustige ist, dass das improvisiert ist. Eigentlich sollte ich schreien aber sowohl ich als auch der Produzent, der zu diesem Zeitpunkt ISAHN war, dachten, dass das nicht passt. Dann haben wir Clean-Vocals ausprobiert, fanden es gut und wollten es so behalten.

Ich halte „The Congregation“ für euer technischstes und auch minimalistischstes Album und deshalb auch für sehr repetitiv. Denkst du, dass es die Hörer dazu bringt, ihre Fantasie zu gebrauchen, um die Songs „aufzufüllen“?

Es ist ein schmaler Grat zwischen „repetitiv“ und einem soliden Fundament. Wenn es in einem Bereich eine konstante Entwicklung gibt, ist das für mich nicht repetitiv, obwohl es die Basis ist. Nehmen wir zum Beispiel „The Flood“ – das repetitive Element zieht sich fast durch den gesamten Song. Dabei war ich von Bands beeinflusst, die wenige Zutaten benötigen, um etwas Kraftvolles und Emotionales zu erschaffen, wie RADIOHEAD oder MASSIVE ATTACK. Ich vergleiche das oft mit dem Kochen. Es macht die Mahlzeit nicht besser, wenn du alle Gewürze in einen Topf wirfst.
Über „Bilateral“ zum Beispiel heißt es, dass es sehr technisch und anspruchsvoll sei. Ist es auch. Dabei ist es eigentlich einiges unkomplizierter, verglichen mit „The Congregation“ – aber eben offensichtlicher kompliziert. Das ist meiner Meinung nach nicht der Schlüssel zu gutem Songwriting. Das ist nicht mehr der Künstler, der ich sein will. Ich respektiere die, die das tun oder die diese plötzlichen Dynamikwechsel mögen aber es ist nicht mehr das, was ich bevorzuge. Ich identifiziere mich mehr damit, wie wir jetzt Songs schreiben. Meiner Meinung nach ist es emotionaler. Vielleicht auch weniger eindrücklich, wenn man es nur oberflächlich betrachtet. Durch die ständigen Wiederholungen wollen wir eine konstante Spannung erzeugen. Etwas bleibt immer bestehen, doch es kommt auch etwas Neues dazu. Keine abrupten Wechsel, die dich von einem Ort zum anderen bringen. Ich mag einfach einen langsamen Aufbau – auch in Filmen oder Büchern.

Für mich ist „The Cloak“ einer der besten Songs, die ihr je geschrieben habt. Er hat auch dieses Repetitive, kombiniert mit einem spannenden Aufbau. Letztlich habt ihr das auf „The Congregation“ perfektioniert.
Es bringt einen enormen Charakter in einen Song. Wenn du (beginnt „The Cloak“ zu summen) hörst, wird den Leuten sofort klar, welchen Song wir jetzt spielen. Wenn wir beginnen, „Forced Entry“ zu spielen, muss das Publikum erst einmal überlegen, weil alles auf einmal passiert. Aber wir haben es an manchen Stellen auch übertrieben. Zum Beispiel bei „The Valley“ haben wir den Mittelteil gekürzt, weil der dann doch zu lang war (lacht). Da haben wir aus unseren Fehlern gelernt.

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Ich sehe etwas Dunkles, aber auch Romantisches im Cover-Artwork. So etwas wie „Im Tode vereint“. Inwiefern passt das mit den Lyrics des Albums zusammen?
Jetzt hast du beinahe die Frage gestellt, von der ich vorher gesprochen habe (lacht); und die Antwort liegt wohl darin, was das Cover und der Titel repräsentieren. Es ist kein Konzeptalbum, dennoch ist alles irgendwie verknüpft. Deshalb fange ich damit an, den Titel zu erklären, dann ist es einfacher, auf das Cover einzugehen. „Kongregation“ meint eigentlich eine religiöse Zusammenkunft, so etwas wie einen Orden. Der Titel bezieht sich hier jedoch nicht auf einen solchen Kontext. Es geht darum, einer Sache zu folgen, ohne sie zu hinterfragen oder zu reflektieren. Unsere Gesellschaft ist so beschaffen, dass man einfach mitläuft. Die meisten Menschen, mich bis zu einem gewissen Grad eingeschlossen, sind Teil einer gesellschaftlichen Bruderschaft. Wir verfolgen nahaezu blind, was von uns erwartet wird, dass wir es tun. Wir sprachen zuvor über Vegetarismus – das ist eines dieser vielen Dinge: die Fleischindustrie. Die absolute Mehrheit auf der Welt isst Fleisch, ohne auch nur irgendetwas  zu hinterfragen. Dasselbe passiert mit den Kleidern, die wir tragen, unseren elektronischen Geräten, unseren Reisen… Das meine ich damit: Dass wir als eine Gesellschaft funktionieren. Alles für Profit, Effizienz – das ist sehr zerstörerisch. Jeder weiß das und macht trotzdem weiter, seines eigenen Behagens wegen. Alles, wenn man es näher betrachtet, lässt uns ab einem bestimmten Zeitpunkt schuldig fühlen. Deswegen wurde ich Vegetarier – weil ich mich gefragt habe: „Was ist damit? Was ist hiermit?“ – aber gibt es überhaupt etwas auf der Welt, das man tun kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen? Ich kam zu dem Schluss: nein! Zwar versucht der eine oder andere, einen Unterschied zu machen, am Ende sind wir trotzdem alle Heuchler (lacht). Ich zum Beispiel esse unserer Umwelt wegen kein Fleisch und wahrscheinlich reise ich zwanzig mal mehr als der Durchschnitt. Letztlich bin ich für mehr Umweltverschmutzung verantwortlich, als jemand, der Fleisch isst.

Wie wär’s mit Touren auf Fahrrädern?
Genau (lacht) – das ist mein Punkt. So funktioniert die Welt und wir können nicht anders, als dem zu folgen. Natürlich könnten wir alle in eine Waldhütte ziehen und unser eigenes Gemüse anpflanzen. Das wäre hier in Norwegen in Anbetracht der Temperaturen aber ziemlich hart.
Das Cover – um darauf zurück zu kommen – zeigt die Deformierung und Zerstörung, die graduell auf die Erde einwirken. Der verzerrte, aber vereinigte Kälber-Fötus ist ein Symbol für das, wohin sich die Dinge entwickeln. Es ist ein deprimierendes und sehr hoffnungsloses Thema, welches wir auf dem Album behandeln.

Ich dachte auch an die Symbolik der Vanitas im Barock – als die Leute begannen, die negativen Dinge zu reflektieren.
Genau – und so wie es gerade läuft, ist etwas Deformiertes ein treffendes Symbol, um das zu zeigen. Einer der Songs auf dem Album ist sogar über die Fleischindustrie – das sollte eigentlich dein Lieblingssong sein (lacht).

Welcher ist das?
„Slave“ – der ist so etwas, wie ein Pro-Vegetarier-Song (kichert). Unser Ziel ist nicht, zu moralisieren. Damit erreicht man nichts. Wir wollen Fragen stellen, damit sich die Menschen der Dinge bewusst werden. Wandel beginnt mit Bewusstsein. Ignoranz führt zu gar nichts. Aber alles ist sehr subtil geschrieben – also werden es wohl nicht so viele verstehen.

Hast du auch die Lyrics geschrieben?

Ich habe etwa 40 Prozent beigesteuert und Tor, unser Gitarrist, den Rest. Auf „Coal“ hat er alle bis auf „The Cloak“ geschrieben und auf „Bilateral“ alle Texte. Ich hole also langsam auf (lacht).

Beziehst du dich dabei auch auf skandinavische oder norwegische Literatur oder ist es rein emotional und persönlich?
Meistens ist es persönlich und ich habe nicht so viel gelesen, wie ich gelesen haben sollte. Ich mag tiefgehende Literatur, aber meistens habe ich für sie keine Zeit. Momentan lese ich „Der Idiot“ von Dostojewski. Ich bin noch nicht so weit gekommen, daher weiß ich nicht, wie sich die Dinge dort entwickeln.

Ziehst du auch Inspiration aus der heimischen Natur?

Für mich kann es eines der inspirierensten Dinge überhaupt sein. Skandinavier, ich spreche hier für Norweger, verbringen sehr viel Zeit in der Natur, im Vergleich zum Weltdurchschnitt. Die meisten, die ich kenne, haben viel Zeit im Wald oder auf Bergen verbracht, während sie aufwuchsen. Mit das Schönste, was ich machen kann, ist an einem ruhigen, sonnigen Tag rauszugehen und dort den ganzen Tag spazieren zu gehen und dem Rascheln der Bäume und den Vögeln zuzuhören – dennoch mach ich das viel zu selten. Fun-Fact über Norweger: Wenn man Norweger in der U-Bahn trifft, treten sie sehr introvertiert und reserviert auf. Wenn du ihnen in der Natur begegnest, sind sie viel offener und lächeln. Norweger wurden gemacht, um in der Natur zu sein (lacht). Für mich ist das auch der Zeitpunkt, an dem ich mich am besten fühle. Ich lebe in Oslo, aber wir haben hier ungefähr 70 Prozent Wald. Das macht es sehr angenehm, hier zu leben, denn du hast sowohl Großstadtleben als auch Natur.

Spazierst du lieber allein oder in Begleitung?

Kommt auf die Begleitung an (lacht). Wenn ich meine Lieblingsbegleitung habe, ist das immer schöner als allein. Vor ein paar Wochen war ich lange wandern, da war ich alleine. Das hat sich gut angefühlt. Heute hab ich den ganzen Tag vor dem Computer verbracht. Das war schrecklich.

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04.06.2015

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