Leprous
Der innere Kampf
Interview
„Pitfalls“ heißt nicht nur die neue Platte aus dem Hause LEPROUS, sondern ist ein besonders persönliches Album für Einar Solberg geworden. Daher haben wir uns den Frontmann der Band mal geschnappt und ihn ein bisschen zu „Pitfalls“ befragt und ihn natürlich auch über die neue stilistische Aufstellung der Band ausgequetscht. Aber nicht nur das: Auf der nächsten Seite findet ihr heraus, wie ihr an unserer LEPROUS-Verlosung teilnehmen könnt und was es zu gewinnen gibt.
Hallo Einar, danke, dass du dir Zeit genommen hast. Wie geht es dir?
Mir geht es gut. Wir sind gerade mit Rehearsals der neuen Songs beschäftigt. Es geht quasi direkt vom Presswerk auf die Bühne.
Wie kommt man stilistisch von „Malina“ zu „Pitfalls“, um den Elefanten im Raum gleich mal zu adressieren?
Im Grunde hat sich bei uns nicht viel getan. Die Musik treibt uns immer irgendwo hin und das Album, das dabei entsteht, ist eine Momentaufnahme der entsprechenden Stimmung. Es unterscheiden sich ja alle unsere Alben voneinander. Nimm zum Beispiel den Sprung von „Bilateral“, das ja mehr so ein Allerlei an Ideen gewesen ist, hin zum deutlich runderen „Coal“. Aber wenn man die Songs eines Albums immerzu auf die Bühne bringt, sehnt man sich irgendwann einfach nach etwas Neuem. Das ist ein komplett natürlicher Prozess. Und über diesem Wege sind wir eben nach fünf Alben musikalisch bei „Pitfalls“ raus gekommen.
Das war gar auch nicht mal geplant. Wir haben uns nicht ins Studio begeben und vorgehabt, genau diesen Sound heraufzubeschwören. Wir haben die Musik wie immer aus uns herausfließen lassen. Und das Ergebnis hört ihr nun auf „Pitfalls“. Die Songs sind klassischerweise einfach aus der entsprechenden Laune heraus entstanden. Und entweder mögen es die Leute, oder eben nicht. Das ist aber etwas, auf das wir letzten Endes keinen direkten Einfluss haben werden. Das einzige, was wir als Künstler wirklich tun können, ist uns selbst gegenüber ehrlich sein und sich nicht auf die Erfüllung gewisser Erwartungshaltungen zu beschränken.
Denn mal ehrlich: Für jeden bedeutet der Sound einer Band etwas anderes. Da treffen unter Fans die unterschiedlichsten Vorstellungen von „gut“ und die wildesten Meinungen über die Qualität einer Band aufeinander. Am Ende muss man als Musiker selbst entscheiden, wie man damit umgeht. Ich denke, dass man sich als Künstler irgendwo davon distanzieren sollte, es allen recht machen zu wollen. Schließlich zählt das, was man als Musiker aus sich selbst macht.
„Pitfalls“ präsentiert gleich zwei prominente Seiten von LEPROUS, richtig?
Es reflektiert im Grunde uns als dynamische Individuen. Die Songs stehen ja auch für unterschiedliche Gemütszustände, was wir eben musikalisch einfangen wollten. Wir haben uns natürlich diese charakteristische Melancholie von Album zu Album immer ein Stück weit bewahrt. Aber das ist ja kein permanenter Zustand. Menschen verändern sich und die Kunst, die sie dabei machen, verändert sich mit ihnen. Aber ich finde, dass das eine schöne Sache ist. Es bleibt allein dadurch immer abwechslungsreich. Du gehst durch die Songs und denkst: „Ah, vorher war es die Stimmung, jetzt ist es die andere“. Dadurch bleibt das Album in unseren Augen spannend und erfrischend.
Klar, möglicherweise kann man dem Album aufgrund der zwei musikalischen Hälften, in die es aufgeteilt ist, eine gewisse Schizophrenie unterstellen. Aber es hat sich wie das Natürlichste auf der Welt angefühlt, die Musik aufzunehmen. Es war richtig angenehm, auch mal etwas peppigere, friedvollere Tracks aufzunehmen und diese dann mit den aggressiveren, melancholischeren oder auch den etwas seltsameren Tracks in Kontrast zu setzen.
Sind LEPROUS 2019 noch progressiv?
Ich mache mir da nicht so viele Gedanken drüber. Wenn Leute schreiben, dass unsere Musik progressiv ist, denke ich mir immer: „Schön.“ (lacht) Ich behaupte ja nie, dass unsere Musik progressiv oder originell ist. Aber wenn jemand voller Überzeugung schreibt, dass es so ist, dann habe ich da natürlich nichts dagegen. Für mich macht es halt einfach keinen Unterschied. Wenn ich einen Song mag, dann ist das so. Und wenn du ihn nicht magst, dann kann ich da ebenso wenig machen. Man kann dazu halt nicht viel sagen. Wir versuchen einfach stets, eine sehr dynamische Band zu sein, die nicht still steht und sich von Album zu Album wandelt.
Wie sehr würdest du sagen definiert „Pitfalls“ euren Sound?
Kann ich gar nicht so wirklich sagen, kann ich von keinem unserer Alben wirklich sagen. Ein „The Congregation“ klingt eben anders als „Bilateral“. Ich bin nicht mal sicher, was die Leute denken, wenn von „klassischen LEPROUS“ die Rede ist. Für manche bedeutet es den Stil von „The Congregation“ mit den Djent-Einflüssen und den sehr rhythmischen Riffs, oder eben das stilistische Potpourri von „Bilateral“, bei dem so vieles in einen einzelnen Song hineingesteckt worden ist, Stichwort „Forced Entry“. Oder es sind die etwas einfacheren Sachen, mit denen wir auf „Coal“ begonnen haben. Man denke an „Foe“. Oder vielleicht doch „Malina“. Ich weiß es einfach nicht, welchen Teil von uns die Leute als „klassisch“ ansehen, immerhin haben wir schon eine Menge unterschiedlicher Songs.
Dass sich das Album in einen neuen, poppigen Teil und einen komplexeren, „traditioneller LEPROUS-artigen“ Teil aufgespalten hat, war dabei auch eher ein Produkt des Zufalls. Wie gesagt: Vieles hat sich aus der Stimmung und direkter Inspiration heraus ergeben. Und das Album ist dann einfach das Ergebnis davon. Wir sind her gegangen und haben das aufs Album gepackt, von dem wir ausgingen, dass es die bestmöglichen Songs für die Platte sein würden. Das Album lebt im Grunde sein eigenes Leben, wenn man so möchte. Es hat diese unterschiedlichen Facetten, allein dadurch, dass sich eben Songs wie „Alleviate“ und „The Sky Is Red“ auf demselben Album befinden.
Könnte der symphonischere Ansatz Zukunft für euch haben?
Ich plane ja nie so richtig voraus, wie ein Album klingen sollte. Daher ist der symphonische Charakter von „Pitfalls“ auch mehr so ein Nebeneffekt, der war nicht von vorn herein beabsichtigt. Ich lasse mich da eigentlich immer treiben und picke mir dann Ideen heraus, die ich für interessant halte. So kommt eben eins zum anderen und am Ende hast du ein Album, das sich so einfach aus der Inspiration heraus ergeben hat. In dem Falle hat sich die orchestrale Atmosphäre in vielen der Songs einfach so ergeben aus der Stimmung heraus. Da waren diese großen Hooks und die brauchten unserer Meinung nach eben einfach diese pompösen Arrangements, um die Dramatik zu unterstreichen.
Es fühlt sich in gewisser Weise auf vertraute Weise bombastisch an. Immerhin waren diese großen Refrains ja immer wieder in unseren Songs drin, unabhängig davon, wie technisch oder artsy diese gewesen sind. Es ist rein vom Äußeren her natürlich eine neue Richtung, aber unterhalb der Oberfläche erkennt man den Sound von uns doch wieder. Ich denke aber, dass wir im Rahmen geblieben sind – der Sound könnte definitiv noch kontroverser sein. Es gibt sicher Künstler die noch krasser von ihren Wurzeln abdriften. Vergleiche doch nur mal das erste ANATHEMA-Album zu dem, was die Band heute macht, dann weißt du, was ich meine.
Ich denke die größte Veränderung in Sachen Herangehensweise hat vermutlich die Produktion erfahren. Die ist deutlich wärmer ausgefallen und zielte mehr in eine organische Richtung. Man könnte es fast als eine moderne Pop-Produktion bezeichnen mit den zahlreichen Elementen, die hier drin stecken. Ja, natürlich bietet das Diskussionsstoff, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir das jeder erzählt, wann immer wir ein neues Album veröffentlichen. Ich kann in der Hinsicht zustimmen, dass dieses Album den bislang drastischste, stilistische Wechsel darstellt. Aber eigentlich haben wir uns immer gewandelt, also heißt das im Hinblick auf unsere Entwicklung vielleicht gar nicht mal so viel.
„Pitfalls“ ist dein bislang persönlichstes Album richtig?
Es ist definitiv das persönlichste Album, das ich bislang geschaffen habe. Die Thematik tauchte zwar schon auf den vorangegangenen Alben immer mal wieder auf, aber bei diesen sind die Lyrics oft mehr von einem allgemeinen Standpunkt aus geschrieben worden. Aber bei „Pitfalls“ habe ich meine persönliche Gefühlswelt ins Zentrum gerückt und versucht, diese in den Texten einzufangen. Also ja: „Pitfalls“ ist definitiv ein persönliches Album für mich.
Würdest du sagen, dass der Gemütszustand der Depression die Kreativität beflügelt?
Ich denke, dass das etwas zu verallgemeinert ausgedrückt ist. Es ist nun mal so, dass kreative Menschen oftmals auch sehr sensibel sind. Und diese Zerbrechlichkeit ist oftmals das, was wir auszudrücken versuchen. Aber dafür benötigen wir natürlich auch den Antrieb. Tieftraurig zu sein an sich hilft da also nicht weiter. Denn zumindest bei mir ist das so, wenn ich in ein richtiges Loch gefallen bin, dann bekomme ich praktisch gar nichts auf die Reihe. Sobald ich aber so langsam über den Berg komme, gelingt es mir auch, damit umzugehen und diese Phasen in kreative Energie umzuwandeln.
Ich kenne das natürlich zu gut: Viele Menschen sind depressiv, haben wenig Antrieb und wenig Vertrauen in sich selbst. Für mich sind solche Phasen kein guter Zeitpunkt, um Musik zu schreiben. Und daher tut es gut, ein bisschen Distanz zu wahren zu den schlimmeren Phasen, da man sonst Gefahr läuft, in überdramatische Plakativität zu verfallen. Denn wenn man in so einem Gemütszustand mittendrin steckt, dann tendiert man dazu, jede noch so kleine Regung zu akzentuieren. Ich denke, dass mit einer gewissen Distanz ein deutlich authentischeres Endergebnis erzielbar ist, das auch für Außenstehende greifbar bleibt.
Ich würde also sagen, dass Kunst eine gewisse, therapeutische Wirkung hat für den Künstler selbst, nicht umgekehrt. Sie hilft, solche schwierigen Phasen im Leben zu verarbeiten und sie gleichzeitig auch mit denen zu teilen, die gewillt sind, zuzuhören. Zumindest geht es mir so. Ich fand es nämlich ziemlich schwer, mitten in der tiefsten Depression steckend irgendetwas zu schreiben. Mir hat da schlicht die Energie gefehlt.
Das Album handelt ja von Hochs und Tiefs. Würdest du sagen, dass es im Allgemeinen um den Kampf mit Depressionen an sich geht?
Ja es geht um den Kampf mit der Depression, weniger um die Depression an sich. Genau genommen geht es um meinen spezifischen Kampf. Dennoch habe ich festgestellt, dass sich viele Menschen damit identifizieren können. Das menschliche Gehirn funktioniert ja bei jedem anders, aber es gibt doch viele Gemeinsamkeiten und über diese gelingt es den Leuten auch, die Empathie aufzubauen.
Beeindruckend fand ich das Sinnbild des Zuges in „Observe The Train“, den man an sich vorbeifahren lassen sollte. Das bringt diesen Kampf gut auf den Punkt.
Genau darum geht es im Song. Der Song handelt eigentlich weniger von Depressionen an sich und mehr von den destruktiven Gedanken an sich. Denn die Gedanken kommen, ob du das willst oder nicht. Und am Anfang habe ich immer mit den Gedanken gerungen, habe nach Wegen gesucht, diese zu unterdrücken. Aber du kannst dir in diesen Situationen halt nicht aussuchen, was du denkst. Aber was ich nach und nach gelernt habe, ist, wie man mit ihnen umgeht. Du kannst einen Gedanken annehmen, ohne zu sehr davon beeinflusst zu werden. Und dann fängst du an, ihn so zu sehen, wie er ist: Ein Gedanke, mehr nicht.
Er muss nicht zwangsläufig etwas Wahres repräsentieren. Ich meine, manchmal ist das so, aber meistens ist es eben nur ein Gedanke, oftmals ein schädlicher, der im Kopf herumgeistert. Und man muss einfach lernen, sich solche Gedanken nicht zu nah gehen zu lassen. Man muss akzeptieren, dass er da ist, und ihn dann mit Geduld vergehen lassen. Es ist eben wie ein Zug, den man vorbeifahren lässt. Du atmest tief ein und aus, lässt den Zug an dir vorbeifahren und dann geht der Tag weiter. Wichtig ist natürlich, dass man nicht die Augen davor verschließt. Du siehst, wie der Zug ankommt, und du siehst in wieder wegfahren.
Es ist daher so wichtig, dass man sich selbst und der eigenen Gefühlswelt gegenüber treten kann. Ich habe in dieser Phase viel über Bewusstsein und die Wirkung von Meditation erfahren. Gerade Meditation gegenüber war ich immer sehr skeptisch gewesen und dachte, dass das so ein New-Age-Bullshit [sic] wäre, wo Leute mit großen Rucksäcken und Dreadlocks barfuß nach Kambodscha pilgern. (lacht) Aber wenn man es erst einmal selbst ernsthaft angeht, ist das eine gute Strategie, um zu sich selbst zu finden, pure Psychologie im Grunde.
Man schafft sich eine Distanz zu den eigenen Gedanken, indem man alles um sich herum ausblendet. Es ist nicht direkt Yoga. Yoga strengt ja Geist und Körper an, ich habe mich allein auf den Geist bezogen. Aber im Grunde haben die gemeinsam, dass man anfängt, ein bisschen auf das eigene Innere zu hören, etwas, was in der Hektik des täglichen Lebens gerne untergeht. Und das ist so wichtig, dass man lernt, selbst gegen die Depression anzukämpfen. Denn auch wenn es ungemein hilft, die Unterstützung von außen zu bekommen, musst du den Kampf am Ende selbst bewältigen.
Das beginnt damit, dass du akzeptieren musst, dass es da ist. Deswegen ist es so wichtig, dass du deine Augen nicht vor dem Zug verschließt, sondern diesen bewusst wahrnimmst. Das ist im übrigen auch im weiteren Sinne das, worum es in „Alleviate“ geht. Hier muss man mit sich selbst ins Reine kommen. Und selbst dann kann es sein, dass man nicht geheilt wird, sondern dass diese Probleme immer wieder auftauchen. Deshalb ist es so wichtig, für sich selbst einen gesunden Umgang mit diesen Problemen zu finden, sich nicht zu sehr darauf zu versteifen.
Dann danke ich dir vielmals für die Zeit, die du dir genommen hast.
Danke dir auch.
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