Leech
Interview mit Drummer Serge zu "The Stolen View"
Interview
Dass im Bereich der instrumentalen Rock-Musik, explizit im Post-Rock, noch nicht alles gesagt wurde, beweisen LEECH mit ihrem phantastischen Album „The Stolen View“ und der Split mit LONG DISTANCE CALLING. Natürlich dürfen Hoffnungsträger wie LEECH nicht ungeachtet und ungehört bleiben und so musste kurzerhand Drummer Serge herhalten und ein paar Fragen beantworten.
Grüße in die Schweiz! Ihr habt mit „The Stolen View“ ein Album veröffentlicht, ihr aber schon lange am Werk seid. Mit Erstaunen habe ich auf eurer Website gelesen, dass ihr schon einige Alben raus habt. Um ehrlich zu sein, habe ich zuvor noch rein gar nichts von LEECH gehört und/oder wahrgenommen, und das obwohl ich mich schon länger für instrumentale Musik und insbesondere den Bereich Post-Rock und drum herum interessiere. Gib deshalb bitte einen kurzen, überschaubaren Abriss eures bisherigen Schaffens ab, damit man sich ein Bild von LEECH machen kann.
Wir haben eigentlich schon 1993 angefangen zusammen „Lärm“ zu machen und was das lustige daran ist – als ganz „normale“ Band, also mit Sänger, nur hatte der irgendwann keinen Bock mehr und ist zusammen mit dem Bassisten ausgestiegen. Wir wollten einfach nur weiter Musik machen und so hat sich dann LEECH als Instrumental-Band daraus ergeben.
Seither haben wir mittlerweile 4 Alben aufgenommen, etliche Tourneen vor allem in der Schweiz gespielt und auch sonst sehr viele Projekte verwirklicht.
Zwischen 2001 und 2006 haben wir die Band dann sozusagen auf Eis gelegt – wir sind damals an einem Punkt angelangt, wo wir uns musikalisch wie auch menschlich einfach nichts mehr zu sagen hatten, und da war die einzige Lösung getrennte Wege zu gehen. Aber… wir haben uns ja mittlerweile wiedergefunden, und wie…!
Man hört „The Stolen View“ definitiv an, dass ihr alles andere als Anfänger seid. Ich habe „The Stolen View“ mittlerweile sehr häufig gehört und es wächst immer noch. Ich bin bereits über den ersten subjektiven Enthusiasmus hinweg und würde trotzdem so weit gehen und das Album als eines der Besten des Jahres aus dem Bereich einstufen. Ich stelle euch rein von der musikalischen Qualität her ohne Bedenken in eine Reihe mit Genregrößen wie EXPLOSIONS IN THE SKY oder MOGWAI. Wieso ist es LEECH aber bisher verwehrt geblieben, sich eines größeren Bekanntheitsgrades zu erfreuen? Fehlt einfach die Promotion oder ist die Musik, die ihr macht, generell dazu bestimmt, immer ein Teil des Undergrounds zu bleiben?
Gute Frage… in der Vergangenheit haben wir wohl ein paar Dinge in Sachen Promo verschlafen, und wie bereits gesagt, waren wir für eine lange Zeit nicht aktiv.
Nun ist aber alles anders. Wir haben ein gutes Label im Ausland gefunden (Viva Hate Records aus Berlin), welches uns wirklich unterstützt! Es ist ein kleines aber feines Label, sie machen in Sachen Promo einen wirklich grossartigen Job und was eigentlich am wichtigsten ist: Wir haben einen direkten Draht zu ihnen, somit können wir gewisse Dinge sofort besprechen und entscheiden.
Zur Musik: Ich denke nicht, dass unsere Musik dazu „verdammt“ ist im Underground gespielt zu werden und zu bleiben. LEECH ist eigentlich eine klassische Stadion-Band welche Stadion-Musik spielt…hahaha!
Wie muss man sich bei euch den Entstehungsprozess eines Liedes vorstellen?
Geht ihr mit fertigen Ideen in den Proberaum und spielt einfach das, was vorher abgesprochen wurde oder lasst ihr Raum zur Improvisation, aus denen dann irgendwann feste Songs entstehen? Was ist das Geheimnis eures musikalischen Schaffens?
Es passiert beides, manchmal kommt der Gitarrist in den Proberaum mit einer Idee oder gar mit einem ganzen Stück. Wir spielen ein bisschen darauf und so kann es kommen, dass wir an einem Tag ein Stück komplett fertig schreiben.
Dann gibt es aber auch Tracks, an welchen wir Wochen, Monate oder sogar Jahre lang dran arbeiten. „Totem & Tabu“ auf „The Stolen View“ zum Beispiel – diesen Track spielen wir nun schon seit 1998, also fast 10 Jahre. Die definitive Version haben wir aber erst 2007 aufgenommen; diese findest du nun auf der Platte.
Die Songs auf dem Alben sind nicht austauschbar und trotzdem wirkt „The Stolen View“ äußerst homogen und durchgehend „vertraut“. Die Lieder versprühen super viel Dynamik und jeder der Tracks auf dem Album besitzt trotz einer gewissen Zusammengehörigkeit ein Eigenleben. Verfolgt „The Stolen View“ ein bestimmtes musikalisches Bild, eine Geschichte, einen roten Faden?
Wenn du unsere alten Platten hörst, dann kannst du da so eine Art roten Faden oder halt Konzept erkennen. Natürlich entstehen zuerst die einzelnen Stücke und zu diesem Zeitpunkt haben wir aber noch überhaupt keine Idee, wie oder was wohl vorher order nachher gut passen würde. Wir schreiben die einzelnen Stücke fertig und wenn wir genug Material haben gehen wir dann ins Studio und nehmen es auf.
Im Studio entstehen je nach dem auch noch neue Sachen, sogar neue Parts bei gewissen Tracks. Unser Produzent Dave Hofmann hat bei „The Stolen View“ einen tollen Job gemacht und uns einige neue Ideen gegeben. Es ist manchmal sehr wichtig, dass du jemanden Außenstehenden hast der hört die Musik ganz anders und kann dir DAS fehlende Teil noch geben.
Schlussendlich ist es uns schon sehr wichtig, dass die ganze Platte in sich stimmt und es ein Ganzes ergibt. Eine Platte, die man von Anfang bis Ende durchhören kann halt.
Album- und Song-Titel sind bei rein instrumentaler Musik oftmals nur eine Bedeutung ohne wirklichen Hintergrund, einfach nur um der Musik einen Namen zu geben. Wie kristallisiert sich dieser Aspekt bei euch heraus? In welcher Verbindung stehen die Namen/Titel des Albums zur Musik selbst?
Da hast du recht! Das ist eigentlich fast der schwierigste Teil an der Platte… wir haben eigentlich immer einen Arbeitstitel, wenn wir die Stücke schreiben und proben. Und das lustige wie auch mühsame daran ist, wir gewöhnen uns an eben diesen Arbeitstitel… das macht es dann noch einmal schwerer, einen wirklichen Titel zu finden… hahaha!
Gewisse Namen finden sich automatisch, wenn du dir den Track anhörst und irgendwann kommt einer mit einem Namen und alle finden „jaaaa“!
Der Album Titel „The Stolen View“ hat aber tatsächlich eine tiefere Bedeutung! Wie bereits gesagt hatten wir ja eine lange Pause mit LEECH. Wir haben uns dann vor zwei Jahren wiedergefunden – „The Stolen View“ beschreibt die Zeit, in welcher LEECH am schlafen war. Denn schlussendlich war und ist es für alle einfach DAS Ding!
Etwas Kritik möchte ich dennoch loswerden: Das Cover finde ich ziemlich bescheiden. Sieht ein wenig aus wie „keine Zeit, schmier mal eben was hin, egal was raus kommt…“, was irgendwie schade ist, da es nach meinem Empfinden nicht die Qualität der Musik adäquat widerspiegelt. Das Album würde viel besser nach Außen wirken, wenn es ein vernünftiges, vielleicht geheimnisvolles Artwork bekommen hätte…
Weshalb dieses simple, anspruchslose Cover?
Da muss ich aber vehement widersprechen!!! Das Cover gefällt mir sehr gut und finde es auch sehr passend. Zum einen zum Titel: Es stellt einen Mann dar, der im Zug sitzt und aus dem Fenster schaut, nur ist hinter dem Fenster halt nichts – „The Stolen View“.
Und zum anderen zur Musik, welche eigentlich ganz schlicht und einfach ist. Aber sie lädt dich auf eine Reise ein, vielleicht mit einem Zug? Und auf der Reise siehst du viele Dinge und plötzlich sind diese alle wieder wie weggewischt…
Ich habe bereits unglaublich viele Instrumental-Bands kennen gelernt und die meisten davon sind völlig austauschbar, finde ich. LEECH besitzen dieses gewisse Etwas, das eine Band benötigt, um sich in dem massigen Wust an Konkurrenz zu behaupten.
Wie seht ihr die Szene? Gibt es überhaupt noch was Neues zu sagen im Bereich der instrumentalen Musik?
Ich muss dir ehrlich gestehen, ich kenne nicht viele gute Bands in diesem Sektor. Grossartig sind nach wie vor MOGWAI und GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR und natürlich die sympathischen jungen Herren aus Münster LONG DISTANCE CALLING! Aber ansonsten kann ich nicht viele von diesen Bands hören – es ist wie du sagt alles ähnlich und könnte grad so gut eine andere Band sein.
Was mir bei all diesen Bands fehlt sind die Melodien. Die sollten sich alle eine Scheibe bei André Rieu abschneiden… hahaha!
Fühlt ihr euch eigentlich diesem Modebegriff Post-Rock zugehörig?
Was ist denn Post-Rock ganz genau? Das ist ja mittlerweile ein Überbegriff für Bands wie MOGWAI und Konsorten. Aber ich kann das nicht richtig einordnen, was es nun wirklich sein soll…wie auch immer – wir sehen uns als Band die Rock-Musik macht, instrumental, sphärisch und mit Pop-Melodien. Also eigentlich wieder ein neuer Stil: Instrumentalsphärischer Poprock…
Ihr habt mit LONG DISTANCE CALLING eine Split veröffentlicht. Wie kam es zu der Kooperation und was bedeutet der Titel „090208“? Ein Datum?
Zehn Punkte für Dich! Genau, das war der Tag an dem wir zum ersten Mal mit LONG DISTANCE CALLING in Berührung gekommen sind… es war in Oberentfelden in der Schweiz – wir haben eine gemeinsame Show gespielt. Beide Bands hatten vorher noch nie etwas voneinander gehört und man muss sagen: Es war Liebe auf den ersten Ton…!
Nein, wir waren echt angetan von der Musik und von den Jungs und so kam dann irgendwie die Idee auf, man könnte doch eine Split zusammen machen.
Ihr lauft natürlich Gefahr, an LONG DISTANCE CALLING, die nach meinem Empfinden etwas bekannter sind als ihr, gemessen zu werden. Stört euch das nicht, dass man die Bands auf einer Split stets qualitativ aneinander misst?
Ach, das macht ihr halt gerne, die beiden Bands miteinander zu vergleichen und bewerten. Müsst ihr ja auch – ist ja euer Job! Aber ehrlich gesagt stört uns das nicht im geringsten, wir wissen ja was wir machen und wie es klingt. Und der grösste Vorteil: Wir haben es vor dir anhören können!!! Es ist schlicht und einfach so, dass die beiden Bands musikalisch sehr gut zusammen passen und da ist es doch naheliegend, dass man eine Split macht.
Vor allem erreichen wir da Leute die uns überhaupt nicht kennen und umgekehrt. Ich würde sagen, dass ist eine klare win-win-Situation für beide Bands.
Geht ihr zusammen auf Tour? Würde sich anbieten oder? Sind bereits Gigs in Deutschland geplant?
Wir sind gerade von einer Tour mit LONG DISTANCE CALLING zurückgekommen. Wir haben in Deutschland, Österreich und in der Schweiz gespielt. War wirklich sehr geil mit den Jungs!!! Es hat eine menge Spass gemacht – für uns war das bis jetzt die angenehmste und entspannteste Tour die wir gemacht haben. Hier gleich nochmals vielen Dank an die Jungs von LONG DISTANCE CALLING und lasst die Äpfel rauchen…
Vielen Dank für dieses kleine Interview! Ich hoffe doch, dass wir noch viel zu hören bekommen von LEECH. Was steht unmittelbar als Nächstes an bei euch?
Wir sind momentan wieder im Proberaum, um neues Material für unsere nächste Platte zu schreiben. Es sind bereits ein paar Sachen entstanden und mehr oder wenig fertig aber es ist noch viel zu tun…
Weiter versuchen wir Anfang 2009 nochmals nach Deutschland zu kommen, um euch aber gehörig eins auf die Ohren zu geben…
Am besten Ohren und Augen offen halten und unser Album kaufen und sich dann viel Zeit nehmen…
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Stile | Instrumental, Post-Rock |
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