Lamb Of God
Interview mit Gitarrist Mark Morton zu "VII: Sturm und Drang".

Interview

Lamb Of God

Zumindest für die ganz Großen, scheint das schwermetallische Handwerk noch genug abzuwerfen, um zumindest ein angenehmes Tourleben zu pflegen. Am Vorabend des dänischen „Roskilde Festivals“, bei dem LAMB OF GOD am nächsten Tag abreißen sollen, erreiche ich Gitarrist Mark Morton nicht etwa in einem stickigen Tourbus, sondern in einem Zimmer des Radisson Blu Scandinavia Hotel Kopenhagen. „I’ll connect you to Mr. Morton.“ „Thank you.“ Zwei akustische Wählzeichen und dann ein etwas verpenntes „Hello.“ Mr. Morton weiß zwar nichts von dem Termin, entpuppt sich dann aber im Laufe des Spontaninterviews als spannender Gesprächspartner, in dessen Verlauf das neue Album der Band mit dem Titel „VII: Sturm und Drang“ nicht ganz unkritisch unter die Lupe genommen wird.

LAMB OF GOD sind mit ihrem siebten Studioalbum im Gepäck zurück in Europa und lassen kein Festival und keinen Club aus. Wie fühlt es sich an, wieder unterwegs zu sein?

Es fühlt sich richtig an. Wir haben eine ganze Weile am Schreiben der Songs und dem Aufnahmeprozess des neuen Albums gesessen. Wir haben das nicht in jedes Mikrofon gesagt, aber wir arbeiten seit über einem Jahr auf Hochtouren. Der nächste logische Schritt war es nun, auf Tour zu gehen und ein paar neue Songs auf die Bühne zu bringen. Es fühlt sich ganz natürlich und gut an.

Vom neuen Album hatten „Still Echoes“ und „512“ bereits ihre Live-Premiere. Wie waren die Reaktionen und wart ihr zufrieden damit, wie die Songs live funktioniert haben?

Sogar besser als ich es erwartet hatte. Wenn du normalerweise neue Songs spielst, erntest du oft erstmal nur leere Blicke, weil die Leute das Material noch nicht kennen. Das war diesmal gar nicht so. Vielleicht lag es an den Songs, vielleicht am Timing. Ich meine, es gab eine Menge Aufhebens um die neuen Songs, die Leute waren wirklich gespannt auf neues LAMB-OF-GOD-Material. Zumindest aus meiner Sicht schien es aber so, als ob große Teile des Publikums die neuen Songs zumindest schonmal gehört hatten. Das war fantastisch.

Beide Songs, „Still Echoes“ und „512“ befassen sich mit Randys Zeit als Inhaftierter im Gefängnis in Prag. Wie groß ist der Einfluss dieses Ereignisses auf das Album? Gibt es noch mehr Songs, die sich mit dieser Thematik beschäftigen?

Ja, weißt du, das ist wirklich interessant. Randy und ich haben letztens noch darüber gesprochen. Es ist ein seltsamer Zufall, dass die ersten zwei Songs, die wir ausgekoppelt haben, sich mit Randys Gerichtsverhandlung und seiner Zeit im Gefängnis befassen. Denn dieses Thema charakterisiert das Album als Ganzes wirklich nicht. Es ist wirklich kein „prison album“. Es kam irgendwie einfach so, dass die ersten zwei Songs, die wir veröffentlicht haben, sich damit auseinandersetzen. Aber es geht auf dem Album um wesentlich mehr.

„VII: Sturm und Drang“ ist das erste LAMB-OF-GOD-Album mit einer Zahl im Titel. Warum gerade jetzt? Steckt da irgendein Statement hinter?

Es hat sich irgendwie richtig angefühlt. Es ist das siebte Album der Band, ich denke, das ist durchaus eine Leistung. Nicht so viele Bands existieren so lange und entwickeln sich dauerhaft weiter bis zum einem Punkt, an dem man dann sieben Alben hat. Ich denke das ist etwas, auf das man stolz sein kann.

Auf jeden Fall. „VII: Sturm und Drang“ ist außerdem euer erstes Album mit einem deutschen Titel. Bezieht ihr euch damit tatsächlich auf die „Sturm und Drang“-Strömung in der deutschen Literatur oder wie seid ihr zu dem Titel gekommen?

Nicht unbedingt direkt, aber als Randy, ich und der Rest der Band mögliche Albumtitel diskutiert haben, haben wir wirklich versucht, einen Titel zu finden, der die Ängste und Bedrohungen repräsentieren würde, die wir in den Texten auf dem Album thematisieren. Und als Randy und ich uns die Texte angesehen haben, sind wir bei diesem Konzept angelangt: Menschen, die auf extreme Situationen reagieren und wie sie das tun. Menschen, und wie sie emotional auf plötzliches Chaos in ihrem Leben und in ihrem Umfeld reagieren. „Sturm und Drang“ repräsentiert diesen Gedanken. Er war ein wichtiger Teil dessen, worin es in der „Sturm und Drang“-Bewegung ging – in der Literatur, im Theater und den Künsten. Und was wir in unseren Songs sagen, das passte irgendwie dazu.

Mit Chino Moreno (DEFTONES) und Greg Puciato (THE DILLINGER ESCAPE PLAN) habt ihr euch für „VII: Sturm und Drang“ zwei recht prominente Feature-Gäste an Bord geholt. Wie kam es dazu? Auf euren vorherigen Alben wart ihr nicht gerade für Gastbeiträge bekannt.

Natürlich dachten wir uns, dass das Album von Features profitieren würde – deshalb haben wir sie dabei. Wir schreiben immer zuerst die Musik und beschäftigen uns dann mit den Lyrics. Und als wir uns jene Stellen angehört haben, an denen nun die Gäste zu hören sind, waren wir uns alle einig, dass es cool wäre ein bisschen Variation und Dynamik durch neue Stimmen einzubringen. Es hat sich wirklich einfach aus der Perspektive des Songs ergeben und hat sich sehr natürlich angefühlt.

 

Habt ihr den beiden gesagt, dass sie clean singen sollen? Ich meine, das können beide auch wirklich gut und es wäre glaube ich das, was man auf einem LAMB-OF-GOD-Album zunächst mal erwarten würde.

Ist es so ungewohnt? Für mich schien es gar nicht so. Nein, wir haben ihnen keine Anweisungen gegeben. Wir haben ihren kreativen und künstlerischen Fähigkeiten vertraut. Und ich denke, die Ergebnisse sprechen für sich. Sie geben dem Album Tiefe.

Also habt ihr „Embers“ geschrieben, bevor dieses Feature feststand?

Was meinst du, die Lyrics oder die Musik?

Die Musik, vor allem den Endpart. Ich finde, dort hört man deutlich den DEFTONES-Stil raus. Es ist nicht typisch LAMB OF GOD. Als ob dieser Part an den Gastsänger angepasst wurde.

Kennst du dich wirklich mit unserer Musik aus?

Schon.

Ok. Ja, also ich weiß nicht. Für mich ist das ein, für unsere Musik ganz natürlicher Part. Wir haben so etwas schon früher geschrieben, melodische Parts. Hör dir zum Beispiel einen Song wie „Grace“ an, oder „Wrath“, oder „Vigil“ vom Album „As the Palaces Burn“. Oder auch einen Song wie „King Me“. Ich finde, wir klangen schon immer durchaus dynamisch und hatten melodische Momente in unserer Musik. Und der Endpart von „Embers“ ist nur ein weiteres Beispiel dafür, ein sehr eigenes vielleicht, aber nicht vollkommen ungewöhnlich für uns. Wenn die Frage also ist, ob wir den Part extra für Chino geschrieben haben, dann ist die Antwort nein. Die Musik war da, bevor wir überhaupt wussten, dass es an dieser Stelle ein Feature geben würde. Die Musik wird immer zuerst geschrieben. Wir schreiben all unsere Songs zunächst als Instrumentals. Wir haben natürlich im Hinterkopf, dass die Vocals später dazukommen, aber zunächst bilden die Songs eine abgeschlossene musikalische Einheit.

Eine vielleicht noch größere Überraschung stellt der Song „Overlord“ dar, zu dem ihr gerade ein Video veröffentlicht habt. Randy singt dort clean. Hat er das in dieser Weise jemals schon vorher getan?

Es gibt da den Song „Insurrection“ vom „Resolution“-Album, dort hat er clean gesungen. (so halb – d. Red.)

Aber niemals in diesem Maße. Wie kam es dazu?

Er ist ans Mikro gegangen und hat gesungen. So ist es passiert. Nein, also Randy ist ein verdammt talentierter Sänger und genauso wie wir uns als Musiker entwickeln und Dinge ausprobieren, unser Repertoire erweitern, will Randy als Sänger das auch tun. Wir haben immer die Musik geschrieben, die wir hören wollen. Wir hatten das große Glück, dass die Musik, die wir für uns selbst geschrieben haben, so viele Leute auf der Welt erreicht hat und uns erst die Möglichkeit gegeben hat, eine Karriere zu starten. Aber unsere Formel hat sich im Grunde nie geändert. Wir haben immer die Songs geschrieben, auf die wir fünf uns einigen konnten. Und „Overlord“ ist auch ein Beispiel dafür. Natürlich verstehe ich, dass der Sound zunächst ungewöhnlich erscheinen mag, aber wir haben den Song geschrieben, gemeinsam gespielt – es ist im Übrigen einer der kollaborativsten Songs des Albums. Wirklich jeder in der Band hat etwas zu „Overlord“ beigesteuert. Der Song ist vielleicht sogar eines der besten Beispiele dafür wie wir klingen, wenn wir wirklich alle zusammenarbeiten.

Aber würdest du nicht, wenn man das Album als Ganzes betrachtet, sagen, dass ihr euren Sound diesmal weiter geöffnet habt als jemals zuvor? Auf euren vorherigen Alben gab es immer einzelne Songs, die irgendwie ausgebrochen sind, aber nicht in dieser Anzahl und Radikalität.

Ich hoffe, dass wir einen Schritt nach vorne gemacht haben. Mein Ziel ist es schon immer gewesen, auf jedem Album das wir herausgebracht haben, etwas zu tun, das wir vorher so noch nicht gemacht haben. Manchmal war ich damit erfolgreich, manchmal eher weniger. Diesmal war es aber definitiv mein Ziel, und ich glaube auch das der Band. Du willst ja nicht sechs oder sieben Jahre lang das gleiche Album machen. Deshalb war es unser Ziel etwas zu machen, was frisch und aufregend für uns ist. Es hat sich natürlich und ehrlich angefühlt und ich bin sehr glücklich sagen zu können, dass wir das meiner Meinung nach geschafft haben.

Du sagst, ihr macht die Musik für euch, und ich bin überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Gibt es nicht trotzdem manchmal Bedenken, wie diese neuen Wege bei den Fans ankommen? Ich habe zum Beispiel unter dem „Overlord“-Video eine Menge negativer Kommentare gelesen. Kommt ein solches Experiment vielleicht zu früh für eure Fan-Base?

Zu früh? (lacht) Wann kam das erste LAMB-OF-GOD-Album raus? ’99? (2000 – „New American Gospel“ d. Red.) Ich weiß es noch nicht einmal mehr genau, aber ich glaube es war 1999. 16 Jahre also, ich denke nicht, dass das zu früh ist. Aber die eigentliche Frage war ja, ob wir uns Gedanken darüber machen, was unsere Fans denken. Ich hoffe, das kommt jetzt nicht falsch rüber, aber die Antwort ist: Niemals. („Never ever ever.“) Und der Grund dafür ist, dass es niemals anders war. Wenn wir anfangen würden, das Internet nach den Meinungen unserer Fans zu durchsuchen, wäre für mich der Tag gekommen, an dem ich kein Interesse mehr an der Band habe. Ich bin Künstler und Musiker, so wie wir alle. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber ich tue was ich tue, weil es mich lebendig und glücklich macht. Weil es mir Energie verleiht – und ich denke, das geht uns allen so. Es ist Kunst und wir machen das nur für uns. Und noch mal: Die Tatsache, dass wir mit unserer Kunst so viele Leute erreichen, sie ehrt mich. Jedes Mal wenn wir ein neues Album veröffentlichen und die Leute es kaufen und lieben, bin ich überglücklich. Aber das wird niemals etwas an meinen Beweggründen ändern, diese Kunst auszuüben.

Da bin ich vollkommen auf deiner Seite. Kannst du mir noch etwas über das Albumcover erzählen? Wer hat es gemacht und was bedeutet es?

Das Albumcover stammt von Ken Adams, wie alle unsere Cover. Sein Arbeitsprozess ist sehr einheitlich. Wenn wir für ein Albumcover auf ihn zugehen, geben wir ihm meistens Teile der Lyrics und ein paar Gedanken dazu. Er reicht dann meistens mehrere Vorschläge bei uns ein, die wir dann diskutieren und uns dann für einen entscheiden. Ken ist super.

Was ich mich schon öfters gefragt habe: Da Randy ja auch fotografiert und vor kurzem auch eine Ausstellung in New York City hatte, könntet ihr euch auch vorstellen irgendwann mal eines seiner Bilder als Albumcover zu verwenden?

Sicherlich.

Wie sieht es mit dem Rest der Band und Nebenprojekten aus? Vor einigen Jahren sind ein paar Songs von dir und Dez Fafara von DEVILDRIVER aufgetaucht, die ihr unter dem Bandnamen BORN OF THE STORM online gestellt habt. Gibt es da vielleicht irgendwann ein Album? Ich fand die Sachen ziemlich gut.

Von diesen Songs gibt es wirklich noch einige, die wir bisher nicht veröffentlicht haben. Sie befinden sich aber größtenteils noch in sehr verschiedenen Stadien der Fertigstellung. Dieses Projekt hat mir aber immer sehr viel Spaß gemacht. Ich mag die Songs auch sehr und freue mich, dass du das sagst. Es war außerdem ziemlich gut für Dez, der dadurch mal zeigen konnte, dass es auch diese sehr melodische Seite in seinen Vocals gibt. Und natürlich war es cool für mich, da ich so mal dazu gekommen bin, ein bisschen mehr klassischen Rock zu spielen. Dort liegen meine Wurzeln als Gitarrist nämlich hauptsächlich. Unglücklicherweise sind wir beide wirklich sehr beschäftigt. LAMB OF GOD hält mich auf Trab und Dez arbeitet mit DEVILDRIVER und COAL CHAMBER. Wir finden einfach keine Zeit dafür. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Pläne in diese Richtung. Dez ist ein guter Freund und ein toller Künstler und ich würde jederzeit wieder etwas mit ihm machen. Aber gerade gibt es einfach keine konkreten Pläne dazu.

Wo du gerade von deinen Wurzeln sprichst: Dein Ansatz ist eher traditionell, oder? Du bist nicht unbedingt der neoklassische Gitarrist, sondern eher im Blues und Rock verortet, richtig?

Ja, meine Helden waren Eddie Van Halen, Jimmy Page und Jimi Hendrix. Ich war immer mehr von den traditionellen Stilen beeinflusst. Billy Gibbons von ZZ TOP ist zum Beispiel auch einer meiner Lieblingsgitarristen. Später gab es dann eine Zeit, in der ich sehr stark vom Bay-Area-Thrash beeinflusst war, was natürlich einen großen Einfluss auf mich hatte. Aber den hatten auch SOUNDGARDEN, NIRVANA, ALICE IN CHAINS, LED ZEPPELIN und METALLICA. Es gibt da nicht eine einzige Band oder so etwas. Und wenn ich heutzutage allein in einem Raum zur Entspannung spiele, dann meistens keinen Metal. Ich bin kein typischer Metal-Gitarrist. Ich liebe Metal und ich respektiere das Genre. Was ich versuche, ist, innerhalb der Grenzen von LAMB OF GOD als Metal-Band, einige dieser anderen Einflüsse, Dynamiken und Herangehensweisen in unseren Sound einzubringen. Ich will sichergehen, dass wir gute Songs schreiben. Auch wenn wir eine Metal-Band sind, wollen wir in erster Linie gute Songs schreiben. Ich habe natürlich nicht die alleinige Kontrolle darüber, aber es ist immer etwas, auf das ich achte.

Und diesen Ansatz findet man auch in der Produktion eurer Alben wieder. „VII: Sturm und Drang“ hat einen sehr transparenten Sound und man kann wenigstens mal einzelne Bassläufe heraushören. So etwas ist im modernen Metal längst nicht mehr selbstverständlich, wo die Produktionen immer steriler zu werden scheinen.

Ich verstehe absolut was du meinst und ich bin froh, dass du das ansprichst. Wir haben ja eben schon über das erste LAMB-OF-GOD-Album gesprochen. Noch davor haben wir ein Album unter dem Namen BURN THE PRIEST gemacht, das wir damals noch über eine 2-Inch-Tape-Maschine aufgenommen haben. Heutzutage ist so was antik. Was wir noch immer machen, und was wirklich nicht mehr selbstverständlich ist: Wir bauen unsere Verstärker auf, stöpseln unsere Gitarren ein, installieren Mikrofone vor den Amps, und nehmen auf. Für mich klingt das nach einem normalen Aufnahmeprozess. Heutzutage gibt es allerdings so viele digitale Hilfsmittel, so viele Computer, Modeling, Processing. Man kriegt damit sehr starke Sounds zustande und viele Leute mögen das. Für mich ist es das aber einfach nicht. Ich mag Boxen, Mikrofone, Luft in Bewegung. Live-Auftritte und eine natürliche Aufnahme sind etwas Besonderes. Ein organischer Gitarrenton, Chris (Adler), der wirklich auf seine Cymbals eindrischt, mit einem Mikrofon davor – das ist es, was du hörst. Und das ist wirklich schwierig, auf irgendeine Weise nachzumachen.

Mark, vielen Dank für deine Zeit, und dass du so spontan warst. Ich freue mich, LAMB OF GOD in naher Zukunft irgendwo hier in der Nähe mal wieder live zu sehen.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Es war cool, mit dir zu sprechen.

23.07.2015
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