Lacrimas Profundere
"Gibt es Gothcore?"

Interview

LACRIMAS PROFUNDERE sind nun auch schon das ein oder andere Jahr im Geschäft und haben kürzlich ihren neuen Wurf „How To Shroud Yourself With Night“ veröffentlicht. Die Band um Gründungsmitglied Oliver Nikolas Schmidt hat in seiner Karriere schon allerhand an Experimenten ausprobiert, da ist auch der neue Output keine Ausnahme. Zum Entstehungsprozess und zur Einarbeitung ihres nicht mehr ganz so neuen Sängers befragten wir den Gitarristen.

Hi Oliver und danke, dass du dir die Zeit nimmst, die Fragen zu beantworten. Wie gefallen dir die Reaktionen zu eurem neuen Album bisher?

Hey Jannik, klar für euch doch immer. Bin gerade in Italien im Urlaub und habe mich mit dem Roller meines Sohnes gestern so übel auf die Fresse gelegt, dass ich heute bei Pool und Strand ausfalle, daher passt es gerade ganz gut.

Die Reaktionen gefallen mir super, gerade bin ich sogar richtig berührt, wenn ich Sätze wie z. B. diese lesen darf: „Ein Album, das mit jedem Durchlauf mehr Details und Geheimnisse preisgibt. Mutig, traurig, wütend und doch wunderschön!“ Wenn also etwas aufgeht wie du es dir erträumt hast, ist es doch schön, zumal wir uns bei einigen Dingen doch sehr weit aus dem Fenster gelehnt haben. Wenn ich mich an die Zeit im Studio zurück erinnere, an die vielen Entscheidungen die getroffen wurden und wir immer „auf Risiko“ gegangen sind, habe ich doch das Gefühl, dass der Mut belohnt wurde. Beschreibungen wie „eine Mischung aus HIM und Metalcore“, „DIMMU BORGIR meets THE CURE“, oder gar“ Gothic Power Metal“ machen mich Stolz und wann hast du das letzte Mal in einem Review zu einer Band BILLY IDOL und CRADLE OF FILTH in einem Satz gelesen? Das gibts nur bei uns, denke ich zumindest (lacht).

„How To Shroud Yourself With Night“ ist ein ganz schön langer, aber auch vielseitig interpretierbarer Albumtitel. Wie seid ihr darauf gekommen, es gibt ja auch keinen Titeltrack.

Um ehrlich zu sein hatten meine Bandkollegen Christopher, meinen Bruder, welcher aus alter Tradition heraus immer für die Titel verantwortlich zeichnet, förmlich angefleht einen Titel zu wählen, der aus nur einem Wort besteht. Tja, er lässt sich da nicht gerne reinreden und herausgekommen ist dann dieser. Ich war gleich schockverliebt. Die Idee sich unsichtbar zu machen, sich in der Nacht zu verstecken und sich förmlich die Nacht überzustülpen, war der Nagel auf dem Kopf zu meinen Kompositionen. Als Titeltrack haben wir dann „Shroud Of Night“ auserkoren und als letzten Song auf die Platte gesetzt. Dieser PARADISE-LOST-mäßige Doomer, mit einem an die DOORS angehauchten Chorus, fasst am Ende die gesamte Palette der Scheibe sehr gut zusammen wie ich finde.

Optisch sieht das Cover ein wenig aus wie der düstere Bruder von „Bleeding The Stars“. Was hat sich deiner Ansicht nach zum Vorgänger verändert?

Ja genau, das war der Plan. „Bleeding The Stars“ würde ich als Luke Skywalker und „How To Shroud Yourself In Night“ als Darth Vader beschreiben wollen. Der indonesische Künstler Bahrull Marta hat uns dafür dann das perfekte Cover kreiert. Es ging mir zu Beginn der ersten Demos, des Gefühls der Leere während Corona, bis zur fertigen Platte ausschließlich um die Frage: „was will ich hinterlassen, wenn dies unser letztes Album sein sollte?“ So war ich gezwungen meine Routine abzulegen und auch die Idee krampfhaft ein Album schreiben zu wollen, welches so klingt wie das letzte.

Lacrimas Profundere - "How To Shroud Yourself With Night" Cover Artwork

Die Aufgabe an mich selbst war, Veränderung zuzulassen, neuen und alten Einflüssen wieder mehr Raum zu geben. Man kann doch DIO mögen, auch wenn man ein ABBATH-Shirt trägt. lacht! Wenn du mit zu viel Logik an alles ran gehst, geht der Kern der Kunst verloren. Ich habe mich allen Einflüssen geöffnet und vor allem Julian mehr eingebunden. Dieser Typ hat einfach eine unfassbare Stimmgewalt. Einmal denkst du es steht Dani Filth neben dir, siehe den Song „Nebula“, dann gehst du kurz raus um dir ein Bier zu holen um dann zu denken, jetzt ist Ville Valo zurück vom Supermarkt-Wocheneinkauf um dann plötzlich Billy Idol oder Matt Heafy wahrzunehmen. Es ist aber immer der selbe Typ, der in der Gesangskabine sein Unwesen trieb. Ganz großes Kino, was Jules da abgeliefert hat.

Für euren „neuen“ Sänger Julian Larre ist es das zweite Album mit LACRIMAS PROFUNDERE. Hat er sich dieses Mal mehr / anders einbringen können als bei seinem ersten Album?

Ja, auf jeden Fall. Letztes mal waren die Songs bereits vollständig geschrieben und er konnte nur noch seine persönlichen Faves raussuchen, diesmal war er vom ersten Demo an voll mit eingebunden und wir haben selbst im Studio zwischen den Gesangsaufnahmen noch immer weiter probiert und teilweise sogar noch Songs umgeschrieben und bis spät in die Nacht getextet. Wir schliefen zwei Wochen in so einem Stockbett untereinander und ich habe immer nach oben geklopft und ihm neue Vorschläge unterbreitet und umgekehrt. Er kommt aus dem Modern Metal/Metalcore Bereich, Domi und ich sind die ANATHEMA-, KATATONIA-, TYPE O NEGATIVE-Fraktion, Ilker, unser Basser war ewig bei der Band FREEDOM CALL aktiv und kommt aus der Power-Metal-Ecke. Wenn man dann gemeinsam zuhört und sich auf den anderen ohne Vorbehalte einlässt, entsteht so ein Stück Musik.

Ihr geht seit einiger Zeit wieder musikalisch diverser zu Werke. „The Curtain Of White Silence“ geht meiner Meinung nach ja schon fast metalcore-artig zu Werke. Wie stilistisch offen seid ihr im Schreibprozess?

Jedes Album entscheidet gewissermaßen über den Fortbestand einer Band. Schaffen wir es an die letzten Verkaufszahlen anzuknüpfen? Verlängert das Label den Vertrag? Bekommen wir gute Konzertangebote? All diese Fragen kreisen im Kopf eines jeden Künstlers da draußen und ich denke den Leuten ist das gar nicht so bewusst, dass mit jeder Platte die nicht gehört, gekauft oder gestreamt wird, eine Band das zeitliche segnet. Da unser letztes Album ja sehr gut gelaufen war, hatte ich bereits einige Songideen fertig, die eine sichere Bank gewesen wären und wir hätten nicht riskiert, auch nur einen Käufer oder gar das Label zu vergraulen, aber es hat mich eben nicht berührt. Genau das aber sollte doch Kunst ausgerechnet nicht sein, feige. So habe ich versucht mich vom Druck zu lösen. Ich wollte diesen Nervenkitzel, alles auf eine Karte zu setzen. Ich dachte an meine Einflüsse der Bandgründung und es kamen mir DARK TRANQUILLITY in den Sinn, die DOORS, oder sogar HEAVEN SHALL BURN. Wie könnte man den Stil beschreiben? Gibt es Gothcore?

Das Album ist also mehr eine Hommage an unsere Anfänge. Das alles geht aber nur wenn du eine Band hast, die bei all deinen teilweise unüblichen „Ideen“ voll hinter dir steht und dir vertraut. Auch muss ich hier unbedingt den wundervollen Benny Richter (CALIBAN, EMIL BULLS) erwähnen, der uns fantastische Keyboard-Arrangements zu allen Songs komponiert hat. Am Ende hat jeder einzelne Mitwirkende sein Ego zurückgekommen und sich komplett dem Song untergeordnet, zugehört was der Song sagen will. Es war eine einzigartige Erfahrung und so ist ein einzigartiges Album entstanden.

Welche Gedanken hast du zur anstehenden Tour und wie habt ihr die Supports ausgewählt?

Gar keine, nur Freude. Wir denken nicht, planen nicht, das sollen andere machen, wir machen Rock ’n‘ Roll. Aktuell brauchst du fast schon eine Banklehre und im Nebenfach Social Media um im Geschäft zu bestehen, ich möchte aber auf die Bühne, mein Bier trinken und ansonsten meine Ruhe. Die Pandemie hat uns ja gelehrt, dass man nichts planen kann, also fingen wir bei dieser Tour erst gar nicht damit an. (lacht)

Nach unserer letzten Tour, wo wegen etlicher coronabedingten Terminverschiebungen unsere geplanten Supportbands teilweise keine Zeit mehr hatten und wir dann kurzer Hand unser Set verlängert und eben alleine gespielt haben, war plötzlich die Idee geboren, bei der neuen Reise einfach gleich niemanden mitzunehmen und eben ein 2,5 Stunden Set zu spielen. Jetzt merken wir aber, dass wir alten Säcke uns wohl etwas übernommen haben. (lacht) Daher gibt es teilweise Supports, teilweise nicht, aber auch hier haben wir das komplett dem Zufall überlassen. So sind in Nürnberg und München z.B. die wundervollen INFECTED RAIN dabei. Ich kenne deren Booker und da die Truppe an beiden Tagen Offdays hatte, wurden die eben mit „uns“ gefüllt.

In München gibt es in COLD RUSH sogar noch einen Opener. Ähnlich ist es bei SOULBOUND für Göttingen, oder WISBORG in Berlin gelaufen. Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit und in die neue PARASITE INC. reingehört. Die Band ist einfach so ein Brett und es hat mich voll gepackt und dann habe ich einfach den Lou angeschrieben, ob sie denn Bock hätten. Jetzt freue ich mich die Jungs in Frankfurt und eventuell sogar noch Stuttgart begrüßen zu können. So einfach kann manchmal das Leben sein. Jeder der kommt, bekommt also eine Überraschung, das ist unser Angebot! Wir werden alles geben und erst von der Bühne gehen, wenn jeder verschwitzt und zufrieden ist, versprochen.

Ein Blick in die Vergangenheit: Eure ersten beiden Alben „…And The Wings Embraced Us“ und „La Naissance D’un Rêve“ sind heute nur noch schwer zu bekommen und zu hören. Was verbindest du noch mit den Alben und wie denkst du über Neuauflagen oder gar Neuaufnahmen? Wie viel von dem damaligen Stil findest du heute noch auf „How To Shroud Yourself In Night“ wieder?

Bei Neuauflagen halten mich die Kumpels, welche noch das Original in ihrem Besitz haben, sehr zurück. Die Dinger werden inzwischen für teils 500 Euro gehandelt. Besonders die erste ist auch ganz einfach zu erkennen, hatte ich doch bei der Druckdatei die Copyrights vergessen und dann jede Inlaykarte ausgebaut und mit der Schreibmaschine meines Vaters selber nachbeschriftet. Bereits damals bekam ich sozusagen von dem Bizz ordentlich auf den Sack (lacht).

Aber zurück zur Frage der Neuaufnahmen. Hier bin ich überhaupt kein Freund von, siehe meine Alltime Fave Platte „Kings Of Metal“, die Band sollte hier auf metal.de jedem klar sein, haha! Also, warum spielt man die neu ein? Man will sich, wenn man sein Plattenregal begutachtet. doch auf eine Zeitreise begeben mit der Musik, sich an schöne Dinge erinnern. Das ist es doch was Musik tun muss, einfach für dich da zu sein um nach einem stressigen Tag runterzukommen. Da ist der Sound Nebensache, nein, es muss sogar teilweise etwas „rumpeln“ finde ich. Wer will „Elimination“ von OVERKILL neu eingespielt, oder gar „Ausgebombt“? Die Songs sind gut wie sie sind und wer es neu will, soll sich doch selber ins Studio stellen.

Ein Blick in die Zukunft: Derzeit läuft der Dreijahresrhytmus in Sachen Neuveröffentlichungen gut für euch. Wie schaust du in die nächsten zehn Jahre? Vollgas oder irgendwann auch mal Schluss?

Ach, ich war eigentlich immer „Vollgas“, weil „Schluss“ kommt eh früh genug und meist von selbst. Privat habe ich nie geplant‚ daher sind meine Kinder auch 22,13 und 7 und mit der Musik auch nicht. Ich mache weiter solange es Spaß macht, in etwa wie bei der Familienplanung, lacht! Hoffe meine Frau liest das nicht, die mag so plumpe Sexwitze überhaupt nicht. Wenn Schluss ist, möchte ich alles erreicht haben, was ich mir vorgenommen habe und da stehen zumindest noch so einige Festivals und Länder auf meiner Bucketlist. Was ich nur hoffe ist, dass ich es selber fühle, wenn es genug ist. Weil sollte ich in 20 Jahren in Herrsching vor 8 Zahlenden, mit vier Haaren am Kopf den Headbanger mimen, bitte ich von einem der Anwesenden an dieses Interview erinnert zu werden.

Danke dir für deine Zeit und wenn du noch etwas loswerden willst, dann hast du hier die Gelegenheit!

Wir würden uns freuen ganz viele Leser für unsere Tour im September und natürlich das neue Album begeistern zu können. Wer uns nicht kannte oder schon immer Scheiße fand, jetzt aber bis hierher gelesen hat, sollte mal wieder reinhören. Corona, die teuren Preise und die Lage der Welt hat uns alle verändert, aber wir sollten trotzdem wie Westernhagen „das feiern nicht versäumen“. Also geht raus, unterstützt die kleinen Clubs und Bands, es wird gerade viel zu viel aus mangelnden Ticketverkäufen abgesagt. Erlebt die Bands hautnah, Netflix gibt es auch morgen noch, versprochen. Wir zumindest kommen in wirklich jede große Stadt, es gibt also keine Ausreden wie „leider zu weit, aber sonst würde ich sehr gerne kommen“! Auch wird es keine Auflagen geben, daher wollten wir unbedingt alle Daten noch im September durchgezogen haben. So, jetzt muss ich aber meine Wunden versorgen, habe echt viel Blut verloren während des Interviews hier. Danke für die tollen Fragen und bis hoffentlich ganz bald, Olly und LACRIMAS PROFUNDERE.

Galerie mit 30 Bildern: Lacrimas Profundere - Das Schloss Rockt 2024
Quelle: Mail-Interview mit Oliver Nikolas Schmidt
03.09.2022

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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