Kylesa
Kylesa
Interview
Savannah-Derby: Das Rennen zwischen BARONESS und KYLESA ist wieder offen. Es ist natürlich schwachsinnig, einen Konkurrenzkampf zwischen den beiden befreundeten Bands zu inszenieren, vielmehr scheint es darum zu gehen, sich gegenseitig anzustacheln und anzuspornen. Zwar sind sicherlich beide Bands in der gleichen Sparte anzusiedeln, doch da, wo BARONESS auf epische Länge und entsprechende Atmosphäre setzen, rücken dir KYLESA den Kopf ins Lot, bis die Wirbel Chöre singen. Punk statt Prog, kurz und knackig, zielsicher ausgeknockt. Die Presseechos zu ihrem vierten Album "Static Tensions" könnten nicht besser sein, wie sich Sängerin und Gitarristin Laura Pleasants freut. Man könnte meinen, dass sich eine Band nach der Veröffentlichung ihres Albums etwas Zeit nimmt, um sich auf erfolgreich getaner Arbeit auszuruhen. Aber Abschalten ist nicht.
Stattdessen befinden sich KYLESA nämlich schon wieder im Proberaum. Diesmal aber nicht um neues Material zu schreiben: „Wir proben für unsere anstehende US-Tour mit SKELETONWITCH und BLACK TUSK. Wir hatten uns für das Album extra eine Auszeit genommen. Wir wollten uns ausschließlich auf das Schreiben von Songs konzentrieren, wir haben in dieser Zeit nichts anderes gemacht, als jeden Tag an ihnen zu feilen und meißeln. Wir arbeiteten von morgens bis abends in zwei Studios mit drei Engineers zusammen. Während die eine Partei Schlagzeugspuren einspielte, suchte ich nach dem passenden Gitarrensound“, fasst Laura die letzten Monate zusammen. Die Studiozeit ist vorbei, jetzt geht es mit dem Van quer durch die USA. „Ja, jetzt geht es endlich wieder auf Tour. Alles sehr stressig zur Zeit!“ Und es hat fast den Anschein als ob sie sich dem Stress bereitwillig aussetzen. Was für ein Arbeitsethos. Touren. Album aufnehmen. Touren. Album aufnehmen. Immer weiter, alles im Jahresrhythmus bis ans Ende ihrer und unserer Tage.
Vier Monate lang war die Auszeit, in der sie sich zurückgezogen haben, um ihrem gehegten Ziel gerecht zu werden, mit „Static Tensions“ das beste Album ihrer Karriere aufzunehmen. Es scheint geglückt. Wie schon auf „To Walk A Middle Course“ und „Time Will Fuse Its Worth“ setzen sie wiedererkennbare Spuren aus dem psychedelisch-brachialen Feedback-Noise-Verständnis früher AmRep-Tage mit von jedem Klischee abgeschälten Crustpunk-Versatzstücken in Verbindung. Alle bereits auf den Vorgängern angedeuteten Richtungen (etwas mehr Mut zum Heavy, etwas mehr Mut zur Melodie) wurden ausbuchstabiert, Änderungen am Sound wurden mit viel Bedacht vorgenommen. „Ohne Zweifel ist ‚Static Tensions‘ unser mit Abstand bestes Album. Wenn ich mir heute unsere alten Alben anhöre, dann gibt es auf ihnen viele Dinge, die mir gefallen und auch definitiv welche, die mir missfallen, oder besser gesagt: Dinge, die ich heute anders machen würde“, sagt Laura. Und: „Ich habe heute das Gefühl, dass wir in der Vergangenheit immer zu frühzeitig ins Studio gegangen sind; unsere Ideen hatten noch nicht ausreichend an Kontur gewonnen, auch stand von den meisten Songs immer nur ein grobes Gerüst, eine grobe Struktur. Die letzten Handgriffe wurden damals immer erst im Studio vorgenommen. Es gibt Bands, die schreiben ihr komplettes Album im Studio, die können so etwas. Wir können das nicht. Um das zu begreifen, haben wir eine Weile gebraucht. Unmittelbar nachdem wir die Aufnahmen zu unseren letzten Alben abgeschlossen hatten, hatte ich meine lieben Schwierigkeiten mit ihnen. Es gab da immer etwas auszusetzen.“ Sie lacht: „Zum ersten Mal gefallen mir alle Songs!“
„Man kann es vermutlich als logische Entwicklung abstempeln: die beiden Vorgänger bilden die Grundlage dafür, wie KYLESA heute klingen“, so Laura. Das vierte Album „Static Tensions“ fügt sich tatsächlich hervorragend in die Band-Diskographie. Man könnte sagen, der Kreis schließt sich. Sag‘ ich aber nicht, dennoch: die Evolution, die die Band in ihren acht Jahren durchgemacht hat, ist beachtlich. Von den chaotisch-noisigen Anfangstagen, die zwar schon immer ihre Klasse erahnen ließen, haben sie sich von einem Album zum nächsten fortentwickelt. Dass stetige Weiterentwicklung nicht unbedingt eine Abkehr vom ursprünglichen Geist bedeuten muss, sie aber noch lange nicht an dem Punkt sind, sich zu wiederholen, bringt Laura auf den Punkt: „Es sind immernoch dieselben Leute, die immernoch dieselbe Musik machen wollen, aber…Wir können nicht machen, was wir schon gemacht haben, denn wir haben es schon gemacht. Das geht schlichtweg nicht.“ Sänger und Gitarrist Phillip Cope und Laura waren bislang immer die Hauptsongwriter, diesmal bekamen sie Unterstützung von Carl McGinley, einem von zwei Drummern KYLESAs. „Carl ist entspannt und hat eine Menge toller Ideen; u.a. wie wir die beiden Schlagzeuge besser in unsere Musik integrieren können. Was die Arrangements angeht – das ist seine alleinige Anstrengung. Er hat mich auch dazu ermutigt, mehr clean zu singen – wie schon zuvor auf dem Pink Floyd-Cover ‚Set The Controls For The Heart Of The Sun‘, das ich nach wie vor für sehr gelungen halte.“ Laura resümiert: „Vor allem die Vocals lagen uns dieses Mal sehr am Herzen.“
KYLESA sind in einer Szene beheimatet, in der sich Bands aus den Schubladen Sludge & Stoner, Crust & Hardcore sowie 70er-Psychedelia bedienen. Ihre Kerneinflüsse, wie sie Laura nennt, sind FUGAZI, NEUROSIS, Barretts PINK FLOYD, KYUSS: „Natürlich gibt es viele weitere. Die FLOWER TRAVELLIN‘ BAND aus Japan haben einen sehr großen Einfluss auf mich ausgeübt. Seit einigen Jahren verfolge ich nun schon diese Band aufmerksam, letztlich macht sich das in meinem Songwriting bemerkbar. Sie sind quasi immanent in unserer Musik vorhanden. Sehr auffällig ist das bei ‚Running Red‘ und ‚To Walk Alone‘. ‚Seasons In The Abyss‘ läuft bei mir im Auto rauf und runter.“ Eine LKW-Ladung voll verschiedener Einflüsse verdichtet sich zu einer neuen catchy Formel, leicht brutalisiert und aktualisiert, konfrontiert, in der nicht Kontraste genossen und Brüche inszeniert werden, sondern die komprimierte KYLESA-Musik kommt daher als wäre sie ein steinaltes Genre, das nur vor ihnen noch niemand gespielt hat, als wäre sie sich ihrer Tradition bewusst und möchte dennoch Althergebrachtes ablegen. „Wir klingen nach KYLESA – so einfach ist das. Zugleich verändert sich unsere Sound von Album zu Album. Wir sind mittlerweile erfahrener und wissen, was wir können, wo wir stehen und wo wir hin wollen, und scheuen uns auch nicht mehr vor Experimenten. Irgendwann erreichen wir aber bestimmt den Punkt, eine neue Herausforderung anzunehmen, ja zu wagen und unseren bisher eingeschlagenen Weg zu verlassen.“
Artverwandte Bekannte wie die bereits oben erwähnten BARONESS oder BLACK TUSK beschreibt Laura als ‚Savannah-Sound‘. BARONESS haben sich gegründet, nachdem sie eine KYLESA-Show gesehen haben, zahlreiche Touren absolvierten sie zusammen, mit BLACK TUSK wird man jetzt auf Tour gehen. Es ist kein Zufall, diese drei Bands verbindet mehr als gemeinsames Touren. Es scheint ein autarkes System zu sein, in dem man seine Artworks selber entwirft, in dem der Tourpartner dein Bandshirt gestaltet, in dem man sich auf ein paar kleine Indielabels verteilt und gemeinsam zu den gleichen Musikrichtungen – von Sludge über Stoner bis Metal – steil geht. Diese ‚Savannah-Szene‘ ist die Summe aus Freundschaft, DIY-Ethos, Fantreue und völliger musikalischer Hingabe. Hier hat Laura ihre Wurzeln, alle ihre Erinnerungen an Jugend und Schulzeit sind eng mit der Musik verbunden. „Zu Schulzeiten habe ich in Punkbands gespielt. Punk war in der Highschool das Größte! Als dann die MELVINS ihr ‚Houdini‘-Album veröffentlichten, war es um mich geschehen. Das war meine Musik! Die MELVINS sind meine Band! Dann bin ich nach Savannah gezogen. Dort lernte ich ziemlich schnell Phillip kennen, der damals schon bei der Hardcore-Band DAMAD spielte. Er hat mir NEUROSIS und HIS HERO IS GONE näher gebracht und mich quasi in die Szene eingeschleust.“
Ihr Publikum ist bunt. Zum Teil sind es Szenepolizisten und Bescheidwisser, autonome Konzertgänger und -veranstalter, Crusties und Doom-Fans. Mittlerweile dürften KYLESA aber auch in der populären Metalszene ankommen. „Wir hatten schon immer ein sehr breit gefächertes Publikum. Das ist einerseits gut, andererseits eher nicht: Wir haben nirgends wirklich reingepasst. Wir spielen Punk-, Stoner-Rock- und Metal-Shows, das sind wohl die ‚Hauptszenen‘. Aber wir haben auch viele Indie-Fans. Ich fühle mich in allen Szenen wohl. Wir haben keine Zielgruppe…in Deutschland verhält es sich da jedoch ein bisschen anders. Dort kommen wir bislang nur beim Punk-Publikum gut an – und auch nur bei einem kleinen Teil. Fans aus der Metalszene haben wir in Deutschland kaum.“ Damit sich das schleunigst ändert, werden KYLESA im Herbst auch ausgiebig durch Deutschland touren, worauf sich Laura jetzt schon besonders freut. Wenn die Beteiligung allmählich wächst, dann liegt das daran, dass sich ihre Fanbasis von Grund auf erspielen. Wenn sie also kommen, wisst ihr, was zu tun ist: Hingehen.
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