Kvelgeyst
"Blut, Milch und Thränen sind und bleiben die Essenzen unseres animalischen Daseins und es braucht eine Menge Schweißvergießen, um das Gehirn anständig zu salben."
Interview
Ihr neues Album “Blut, Milch und Thränen” vereint Schweizer Avantgarde mit rumpeligem Oldschool-Charme und ist definitiv ein Highlight im ohnehin starken Black-Metal-Jahr 2023. Ein guter Grund, uns das Trio KVELGEYST zu einem Interview zu schnappen, für das wir gar nicht erst verhehlen wollen, dass es in getippter Form durchgeführt wurde. Dieser Umstand trägt allerdings auch zum Unterhaltungswert der Antworten bei – doch lest selbst, was Gitarrist und Sänger Urgeist und sein Kompagnon Meister T. zu sagen haben …
Grüezi, ihr Kvelgeyster. Ist euch bewusst, was für ein Mörderalbum ihr soeben abgeliefert habt? “Blut, Milch und Thränen” zählt auf alle Fälle zu den stärksten Genre-Veröffentlichungen des Jahres.
Sali, der Interviewende! Wir können natürlich nur unsere subjektive Froschperspektive aus dem Künstler-Sumpf zum Besten geben, wie dann ein Musikwerk in der Außenwelt strandet, ist ja eher von unberechenbarer Natur. Danke dir jedenfalls für die lieblichen Sumpfrosen!
Das Album erzählt von einem Alchemisten, der sich einen Adepten sucht, um ihn letztlich rituell zu opfern, wenn ich richtig verstanden habe. Hat euch eine wahre Begebenheit zu diesem Konzept inspiriert? Und weiter gefragt: Seht ihr darin auch Verknüpfungen zur gegenwärtigen Realität?
Ja so ungefähr, um etwas auszuholen: Das Album besteht aus zwei Liedern, jeweils unterteilt in drei Stufen, inspiriert von der kabbalistischen Stufenleiter. Hier noch eine grobe Zusammenfassung des Plots: Dabei wird eine fiktive Geschichte erzählt, die ihren Strang durch alle sechs Stufen zieht. Diese handelt von einem Alchemisten, der in einer Vision das Erlangen eines übersinnlichen Geisteszustandes wittert. Dieser erfolgt durch rituelle Schlachtung eines auserwählten Adepten, der zuerst gefunden und ausgebildet werden soll. Das entsprechende Opfer wird in der Galgenvögel Gossen auch erblickt und die Vorbereitung zur rituellen Zerstückelung, um die Unio Mystica zu erlangen, nimmt ihren Lauf. Doch das Schicksal wird sich wenden, der Adept tritt in die Rolle des Alchemisten und meuchelt diesen in ebendieser vorhergesagten Form kurz vor dem Eintreten der angestrebten Ritualschlachtung. Der Adept betritt die höchste Stufenleiter und taucht ein in die “unio mystica” … Doch er verliert sich im Wahn der Unendlichkeit und wird zurückgeworfen zum garstig‘ Bettelvolk, woher er stammt und auf immer in Pein verweilen wird.
Zu den Fragen: Der Schlüsselmoment dieses Plots und Ursprung des gesamten Albums fand in der kreativen Phase zu “Alkahest” statt und zwar in einem ausufernden Song, der “Ritualschlachtung eines gequälten Geystes” getauft wurde und keinen Platz mehr fand auf unserem Erstling. Also keine wahre Begebenheit im Sinne einer individuellen Erfahrung, sondern eine kreative Dynamik, die plötzlich eine Geschichte erforderte.
Verknüpfungen zur Realität finden sich auf natürliche Weise, Transformationsprozesse sind Bestandteil der Entwicklung aller Wesen. Idealistisch betrachtet kommt man nicht darum herum, Visionen ähnlich einem roten Faden im Leben zu betrachten, dem man immer etwas hinterherhinken wird. In die Tiefe der Nuss hinabzusteigen, statt nur an der Oberfläche des Verputzes zu kratzen, kann Fluch und Segen zugleich darstellen – Blut, Milch und Thränen sind und bleiben die Essenzen unseres animalischen Daseins und es braucht eine Menge Schweißvergießen, um das Gehirn anständig zu salben.
KVELGEYST: Keine Zauberformel
Orientiert ihr euch bei der Musik schon vorher am inhaltlichen Konzept oder kommt das erst im Anschluss dazu?
Da ist keine Zauberformel vorhanden. Das kompositorische Grundgerüst wird von mir auf der Gitarre geschrieben, Ideen türmen sich auf bezüglich Übergängen und Hintergrundkonzept. Gewürze wie das Klavier, Synthesizer und diesmal auch Saxophon nehmen erst Form an beim Aufnahmeprozess mit Meister T. – dabei wird meist nochmals ordentlich Staub und Wasser aufgewirbelt, bis die Musik in Stein gemeißelt ist. Eben dasselbe Prozedere bei den Texten, die von mir größtenteils im “Gasthaus zur Quelle” in den Glarner Alpen entstanden sind und dann unmittelbar während den Aufnahmesessions einer radikalen Transformation unterzogen und umgeschrieben worden sind.
(„Ich habe also schon auch den einen oder anderen Riff beigesteuert, du Lump.“ – Anm. von Meister T., der dieses Interview gegenliest.)
Auch wenn der Begriff zuletzt im Black Metal inflationär verwendet wurde: Das Album hat tatsächlich eine unheimliche, rituelle Atmosphäre. Benötigt ihr eine bestimmte Umgebung, um das erschaffen zu können, so à la Räucherstäbchen im Proberaum oder ähnliches?
Also selbstverständlich bewirken die Beleuchtung und das Ambiente viel beim Komponieren und Aufnehmen. Wobei der stickige Muff in unserem kryptischen Bunker zumeist alles übertüncht. Riffing-Ideen sind unberechenbar, die Kreativität hat etwas mit Seelennahrung zu tun – Gefühle wie Sättigung, Verausgabung und Hunger spielen eine große Rolle.
Bei mir entstehen die stärksten Ideen und Konzepte wohl unterwegs beim Spazieren und Bergsteigen oder dann im kreativen Wechselspiel mit Meister T. – welches oft den Charakter einer Phönix-Wiedergeburt in sich trägt. Für die Umsetzung der Texte muss ich mich abschotten in die Abgeschiedenheit.
Besonders beeindruckend finde ich an “Blut, Milch und Thränen”, wie es mit Grenzen spielt: Einerseits ist es herrlich roh und räudig, wozu auch die sehr gelungene Produktion beiträgt; andererseits gibt es viele innovative Details wie z. B. die Verwendung des Saxophons. Wenn ich mir die Geschichte der extremeren Schweizer Metal-Bands anschaue, gibt es da generell eine gewisse Liebe zu avantgardistischen Ansätzen, so scheint mir.
Das freut mich – einer roheren Produktion eine avantgardistische Entwicklung unseres Songwritings entgegenzusetzen, war tatsächlich eine bewusste Entscheidung. Den legendären und verschollen geglaubten Saxophonisten FESTAN ZÜNLIK an Bord zu holen, stellt eine große Ehre für uns dar. Wir trafen ihn inbrünstig musizierend in der Galgenvögel Gossen an und trauten unseren Ohren nicht. Von seinen alten Jazz-Veteranen vertrieben, boten wir ihm für ein paar Tage Obhut in unserer Krypta für Aufnahmen an und weckten sein Feuer für die wildesten Klänge seit Peter Brötzmanns Zerfall.
Ja, vielleicht gibt es in der Schweiz entweder Ländlermusik und schäbigen Mundart Rock oder dann eben ausgefallene Klangkünstler wie Cyrill Schläpfer oder Julian Sartorius. CELTIC FROST haben ja immer wieder auf experimentelle Neoklassiker hingewiesen als Inspirationsquelle, wie Balz Trümpy. Uns drei Individuen wurde viel musikalisches Kulturgut in die Wiege gelegt, von Opern über Ländler, Punk, Jazz, Klezmer und afrikanischem Rap – und einige dieser jeweils sehr unterschiedlichen Prägungen prallten dann viel später auf den Black Metal als Hauptzutat und lösen sich darin auf.
Der Ansatz der Bandfotos ist großartig. Möchtet ihr den Gedanken dahinter erläutern? Und wie viel Humor steckt in KVELGEYST?
Die tiefere Bedeutung liegt am Grunde des Froschtümpels, wie auch zwischen den Blättern des Zwetschgenbaums verborgen. Das Schneehuhn wurde mit dem schallenden Fürst-Bless Horn erneut zum Leben erweckt und es zeigte uns die Geheimfächer des hölzernen Setzkastens, worin sich ganze Pergamentrollen befinden, auf denen die Erlangung der Unio Mystica erläutert ist. Noch Fragen?
(„Hallo, ich bin’s nochmals. Ich möchte kurz anmerken, dass es durchaus einen tieferen Sinn gibt im Bild, aber der Urgeist hat wohl beim corporate-meeting geschlafen. Was ein Lump! Zu sehen sind drei Alchemisten, denen die Einheit und Harmonie mit dem Welten-All verwehrt bleibt – denn die materielle Welt versperrt ihnen den Zugang. Somit hilft auch alles Kraxeln auf der Stufenleiter nicht.“ – Anm. von Meister T., der dieses Interview immer noch gegenliest.)
Ihr seid mit UNGFELL, ATEIGGÄR und weiteren im Helvetic Underground Committee aktiv zu denen auch Meister Tekels weiteres Projekt OPHANIM zählt, die gerade ein ebenfalls sehr interessantes Album veröffentlichen. Die meisten dieser Bands haben ja personelle Überschneidungen. Wie muss man sich diesen Zirkel vorstellen – ein loser Zusammenschluss von Freunden, die sich gegenseitig unterstützen oder steckt da auch eine programmatische Absicht dahinter?
Das Helvetic Underground Committee stellt einen Künstler-Kreis dar, der einem Organismus mit verschiedenen Auswüchsen gleicht – der auf natürliche Weise wächst und schrumpft, sich zusammenrottet und dem Einzelgängertum frönt. Dabei besteht kein konsistentes Programm hinsichtlich der Eingrenzung in Genres, eher ein Anspruch an die Ästhetik und Umsetzung der Musik, bei dem wir uns um dynamisch um einen gemeinsamen Nenner drehen.
Die Szene in der Schweiz wächst.
Viele Schweizer Bands haben lange Zeit beklagt, mehr oder weniger allein auf weiter Flur zu stehen und inmitten einer konservativ geprägten Gesellschaft kaum eine Szene zu haben. Hat sich das inzwischen verändert oder ist es genau wegen dieses Umstands wichtig, Zusammenschlüsse zu bilden?
Diese Feststellung würde ich tatsächlich aktualisieren, da in meiner Wahrnehmung insbesondere in den letzten zehn Jahren verschiedene Ballungsfelder von Musikern und Konzertveranstaltern entstanden sind, hauptsächlich wohl um die Städte Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Luzern. Metalfreaks aus den stark ländlichen Kantonen und insbesondere den Alpentälern nehmen halt auch Fahrzeiten von über drei Stunden auf sich, um überhaupt an Gigs zu kommen. Wie in Norwegen, nur wesentlich komprimierter.
Ich glaube, Zusammenschlüsse zu Musikerzirkeln ist ein im Black Metal tief verankertes Prinzip und auf uns bezogen sehe ich darin eher eine spannende Koinzidenz, die auf der Suche nach Mitstreitern entstanden ist, als eine wirkliche Notwendigkeit.
Interessanterweise klingt keine der Bands des Committees wirklich wie die andere, jede verfolgt einen unterschiedlichen Ansatz. In den Beteiligten scheint außergewöhnlich viel Kreativität zu stecken. Wie viele weitere Bands und Projekte schlummern potenziell noch in euch?
Ja bisher galt es meist eine neue Entität zu gründen für neuartige und abweichende Songs, statt mit einer Band permanente Stilwechsel zu betreiben. Ich würde über den Daumen behaupten, dass oft mindestens drei bis fünf Alben verschiedener Projekte bei uns zeitgleich am Gären sind. Individuell bestehen da auch Archive an Ideen, die teilweise über Jahre vor sich hinblodern, oder auch in kurzer Zeit umgesetzt werden. Wobei wir uns mit der Zeit wohl zwangsläufig vom exponentionellen Wachstum verabschieden könnten, Qualität steht vor Quantität und weniger ist oftmals mehr. Konkret klopfen gerade ZAPPEDÜSTER, UNGFELL, ARKHAAIK, DEATH. VOID. TERROR. und YS JENSYTS an die Tür.
Bestehen Pläne, KVELGEYST irgendwann auf die Bühne zu bringen?
Man munkelt, dass KVELGEYST nächsten Sommer irgendwo in den Alpen aufflackern werden, um sich dann wieder in Schall und Rauch zu verflüchtigen.
“Blut, Milch und Thränen” ist für mich wie gesagt ein Black-Metal-Jahreshighlight. Welche Bands oder Alben haben euch zuletzt so richtig tief beeindruckt?
Alle Mitglieder von KVELGEYST haben einen äußerst vielfältigen Musikgeschmack, der von BLUE ÖYSTER CULT über SISTER IRENE O’CONNER bis zu DØDHEIMSGARD, ENSLAVED und all den anderen dunkelschwarzen Kapellen reicht – wobei wir hier mit “alle” selbstverständlich nur die besten meinen. Eine Unzahl von Bands und Musikprojekten begleitet uns stets und einzelne erwecken immer mal wieder eine Prise KVELGEYST.
Vielen Dank für eure Zeit. Wenn ihr das Bedürfnis habt, noch etwas mitzuteilen, könnt ihr das an dieser Stelle gern tun.
Niemals!
“Blut, Milch und Thränen” kann hier gestreamt und bestellt werden.
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