Kreator
Videokonferenz mit Mille Petrozza
Interview
Zusammen mit zwölf weiteren Presse-Vertretern wurden wir eingeladen, an einer launigen Videokonferenz mit KREATOR-Frontmann Mille Petrozza teilzunehmen. Dabei stand er Rede und Antwort zum demnächst erscheinenden Box-Set “Under The Guillotine”, das die ersten sechs Alben aus der Noise-Records-Ära in farbigem Vinyl enthalten wird. Außerdem wird dem Sammler-Stück eine Demo-Kassette, ein umfangreiches Buch sowie ein USB-Stick beiliegen.
Ein Album weckte dabei aber besonders das Interesse im Plenum. So unterhielten wir uns sehr intensiv über das oftmals kontrovers diskutierte “Renewal”. Aber auch über seine Zeit als Schüler und die Anfangsjahre der Band geriet der KREATOR-Sänger ins Plaudern und zeigte sich dabei als extrem sympathischer Gesprächspartner.
Ein Box-Set dieser Größenordnung ist ja eher etwas für Sammler, Liebhaber und Hardcore-Fans… Wieviel Mitsprache hattet Ihr als Band bei der Gestaltung der Box?
Ich kann Dir sagen, dass wir an diesem Box-Set schon seit knapp drei Jahren arbeiten. Dabei wurden uns regelmäßig Ideen von BMG vorgelegt. Auch bei der Auswahl der Bilder haben wir mitgewirkt. Außerdem hat ein befreundeter Journalist Interviews mit mir für das Fotobuch geführt. Also ich finde, das Ergebnis ist sehr schön geworden. Defacto stecken drei Jahre Arbeit darin, weil die Planungen begonnen hatten, als die einzelnen Noise-Records-Alben gerade wiederveröffentlicht worden sind.
Auf die Frage mit welchen Argumenten Mille eventuellen Vorwürfen der Geldmacherei durch dieses Box-Set begegnen würde, reagierte er sehr realistisch.
Solche Sachen wie Box-Sets sind in erster Linie halt für Sammler interessant. Selber habe ich mir sowas vielleicht insgesamt drei Mal gekauft. Also generell muss das natürlich jeder selbst für sich entscheiden, das Angebot ist ja transparent.
Das letzte Album bei Noise-Records war “Renewal”. In der Presse wurde es oftmals als Neubeginn von KREATOR bezeichnet, was sowohl am Titel aber auch am veränderten Sound gelegen hat. Wusstet Ihr damals schon, dass Ihr das Label wechselt und geht das Album vielleicht auch auf diese Tatsache zurück?
Ja! Definitiv. Wir hatten damals schon Probleme mit dem Label. Die anfängliche Harmonie zwischen der Band und Karl Walterbach (Label-Chef, Anm. d. Red.) war zu Beginn von “Renewal” nicht mehr so vorhanden und wir wollten raus. Das hat den Titel vielleicht schon ein bisschen beeinflusst. Obwohl es im Titelsong eigentlich um eine spirituelle Erfahrung geht, dem Wechsel der menschlichen Ebene.
Der Sänger verriet in diesem Zusammenhang auch, dass die Band in ihren Anfangsjahren enormem Druck ausgesetzt war und jährlich ein Album veröffentlichen musste. So blieb lange keine Zeit, auch mal zu experimentieren. Zwischen “Coma Of Souls” und “Renewal” lagen ganze zwei Jahre, was im Vergleich zu heute, eine unglaublich lange Periode zwischen den Veröffentlichungen gewesen sei. Letztlich kann diese Phase auch als Rebellion gegen die Plattenfirma gesehen werden, weil KREATOR den gewohnten Rhythmus aussetzten. Das Ergebnis sei “Renewal” gewesen.
Das “Europe After The Rain” knappe dreißig Jahre nach dessen Erstveröffentlichung heute aktuell wie nie ist, konnte der Essener nur bestätigen. Die Frage ob der Song einer der traurigsten Titel im Katalog der Band darstellt, beantwortete Mille mit Bezug auf gegenwärtige Entwicklungen.
Traurig finde ich den Song nicht, aber ich denke für die Menschheit ist es schwierig, Rassismus aus den verwirrten Köpfen zu bekommen. Damals war der Song in einem anderen Kontext zu sehen. 1992 kamen rechtsradikale Tendenzen gerade erst wieder auf, zumindest hat man es bewusst wahrgenommen. Und jetzt, 30 Jahre später hat es sich sozusagen etabliert, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Was früher als extrem rechte Meinung galt, ist heute Mainstream. Also kann man sagen, dass sich die Situation eigentlich noch verschlimmert hat. Allerdings habe ich mehrere Lieder über Rechtsradikalismus beziehungsweise Rassismus geschrieben und mein Lieblingssong gegen Nazis ist eigentlich “People Of The Lie”.
Dass KREATOR mit “Renewal” als Vorankündigung des später aufkommenden Nu-Metal-Trends ihrer Zeit voraus gewesen seien, wollte der Sänger nicht bestätigen.
Das wäre sehr weit hergeholt. Ich glaube wir haben zu der Zeit einfach versucht, etwas neues zu machen. Wir waren schon immer vom US-Amerikansichen Hardcore, Punk und Metal beeinflusst. Mit den Jungs von PRONG waren wir befreundet und sie besuchten uns während der Aufnahmen zu “Coma Of Souls” in Los Angeles. Mit BIOHAZARD waren wir ständig auf Tour, vielleicht hat das ein bisschen abgefärbt. Man hat sich zwar nicht gegenseitig kopiert aber durchaus beeinflussen lassen. Ich finde auf “Renewal” sind viele Beats enthalten, die auch von einer New Yorker Hardcore-Band stammen könnten. Wir waren sowohl West-Coast als auch East-Coast-Hardcore-Fans. Alles vom Epitaph-Label bis zu AGNOSTIC FRONT aus New York.
Die Setlists auf den letzten Konzerten und Touren, sind immer ganz gut ohne Songs von “Renewal” ausgekommen, obwohl Ihr ja eigentlich immer wenigstens einen Song von jeder Platte spielt. Gibt es einen bestimmten Grund dafür?
Eigentlich nicht. Wir spielen normaler Weise nicht länger als 90 Minuten, weil so eine Musik wie extremer Thrash-Metal irgendwann schon anstrengend für das Publikum werden kann. Für uns sind Songs von “Renewal” eher eine Obskurität. Wir nehmen so etwas schon mal in die Setlist auf, aber der Flow muss passen. Aber Du hast recht, es war schon lange kein Stück mehr dabei, vielleicht auf der nächsten Tour…
Der Sänger machte kaum Hoffnung, dass sich die Fans auf eine passende Tour zum Box-Set freuen dürfen, auf der ausschließlich Songs aus den Noise-Alben gespielt werden.
Wir haben in der Band schon drüber geredet. Gerade zur Zeit mit Streaming-Konzerten und so kann man solche Dinge mal machen. Aber eigentlich finde ich sowas nicht gut. Mich reizt das musikalisch nicht.
Abgesehen davon, ist eigentlich ein neues Album mit zehn Songs fertig. Nur ist es so, dass ich so viel Zeit habe und die Stücke immer wieder höre. Dann finde ich immer noch Kleinigkeiten, die ich verändern will. Das ist aber nicht gesund. Normaler Weise muss das veröffentlicht werden. Nur will ich kein Album rausbringen, wenn ich damit nicht auch auf Tour gehen kann. Der Austausch von Energie mit den Fans passiert live. Ob die Songs auch wirklich funktionieren, erfahren wir durch das Erlebnis eines Konzerts. Der grobe Plan ist, ab April mit den Aufnahmen zu beginnen, aber wir müssen dennoch warten wie sich die Situation entwickelt. Wir wissen ja auch noch nicht sicher, ob wir die Tour im November spielen können.
Die frühen KREATOR-Werke lassen sich durchweg als ikonisch bezeichnen. Von Mille erfuhren wir, welches Cover-Artwork er am liebsten mag und welches Album das wichtigste in der Band-Karriere aus dieser Ära ist.
Künstlerisch gesehen mag ich eigentlich das Cover von “Renewal” am liebsten. Von der ikonischen Wirkung her aber eher “Pleasure To Kill” und “Coma Of Souls”.
Aus kommerzieller Sicht waren in Europa “Coma Of Souls” und in Amerika “Exteme Aggression” wichtige Alben. Aus kultiger Sicht war es “Pleasure To Kill”. “Endless Pain” hingegen war ein guter Kickstart für eine Teenager-Band, die wir damals darstellten. “Terrible Certainty” finde ich persönlich vom Sound vielleicht am wenigsten gut, auch wenn das sicherlich viele Leute anders sehen. Aus experimenteller Sicht sticht natürlich “Renewal” hervor. Ach, eigentlich waren alle Platten sehr wichtig für uns.
Auch aus seiner Jugend wusste der Mann aus dem Ruhrpott ein paar Anekdoten zu erzählen. So räumte er mit dem Gerücht auf, er sei aufgrund eines Metal-Shirts von der Schule geflogen.
Das war ein bisschen anders. Von der Schule bin ich nicht wegen dem Tragen irgendwelcher Metal-Shirts geflogen, sondern weil ich mit einem dicken Edding überall an die Wände JUDAS PRIEST, IRON MAIDEN, METALLICA und so hingeschmiert habe. Das ging halt nur schwer wieder ab. Da war der Direktor dann leicht erbost und hat mich gebeten die Schule doch lieber zu wechseln. Man fiel in dem Metal-Look natürlich auf, aber so dramatisch war es eigentlich gar nicht. Wir waren ja nicht bösartig oder sowas. Wir wollten halt provozieren. So eine Art Teenager-Rebellion…
Der KREATOR-Chef berichtete auch, wie die damals noch sehr jungen Musiker mit dem plötzlichen Erfolg umgegangen sind und welche Ziele sich die Band schon in den Anfangstagen gesetzt hatte.
Wir waren sehr überrascht darüber, dass man uns ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Szene wahrnahm. Das Schlüsselerlebnis war für mich, als ich zu einem VENOM/EXODUS-Konzert nach Osnabrück gefahren bin. Vor mir lief so ein Typ, der einen KREATOR-Patch auf seiner Kutte hatte. Und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wo er den her hatte. Da habe ich aber verstanden, dass es Leute gab, die toll fanden, was wir machten. Auf einer Kutte vertreten zu sein, war damals wie eine Art Auszeichnung.
Von Anfang an verfolgten wir gewisse Ziele. Wir wollten immer das härteste Album machen. Das war dann “Endless Pain”. Dann wollten wir mit “Pleasure To Kill” ein noch härteres Album machen. Irgendwann sind wir dann natürlich auch versierter geworden und konnten musikalisch variieren. Das fing dann so bei “Extreme Aggression” an. Es war eigentlich immer sehr zielorientiert, aber eben nicht in kommerzieller Hinsicht.
1985 war es so, dass wir überhaupt keine Ahnung davon hatten, welches Label besser oder schlechter ist. Wir haben in Magazinen Anzeigen von Noise Records gesehen, bei denen HELLOWEEN, RUNNING WILD und CELTIC FROST vertreten waren. Dementsprechend fühlten wir uns sehr geehrt, mit diesen Bands das gleiche Label zu teilen. Aber zu behaupten, das wir abgewogen oder auf ein vermeintlich besseres Angebot gewartet hätten, wäre quatsch. Wir waren sechzehn, siebzehn und wollten so schnell wie möglich den Deal unterschreiben und ins Studio gehen. Einen Businessplan gab es damals noch nicht.