Kreator
Wenn Hass regiert
Interview
Auf KREATOR ist Verlass. Seit „Violent Revolution“ aus dem Jahr 2001 liefert die deuschte Thrash-Insitution sehr zuverlässig ein bockstarkes Album nach dem anderen ab. Dabei erfindet sich Mille Petrozza und seine Mannen stets neu, ohne ihre Trademarks über Bord zu werfen. Auf der aktuellen Platte „Hate über alles“ gelingt dem Quartett dieser Spagat vielleicht besser denn je zuvor. Wir trafen den Frontmann zu einem offenen Gespräch über die Hintergründe der Platte, den drohenden Klimawandel und mangelhaften gesellschaftlichen Diskurs.
Bei KREATOR gibt es nur das Beste
Hey Mille!
Na, ist bei dir alles gut?
Yo, und bei dir?
Alles super.
Du hast auch wirklich keinen Grund, warum bei dir nicht alles super sein sollte, denn „Hate über alles“ ist jetzt euer sechstes Killeralbum in Folge. Zu einem Redaktionskollegen, der die Platte auch schon hören konnte, meinte ich kürzlich scherzhaft, es sei fast schon langweilig, wie zuverlässig gut eure Platten seit „Violent Revolution“ sind. Woher nimmst du nach fast 40 Jahren KREATOR noch die Inspiration und Energie dafür?
Ich finde es schwierig, ein Album rauszubringen, wenn es nicht so ist, wie ich es mir vorstelle. So lange ich Musik mache und so lange ich Alben herausbringe, versuche ich immer, sie so zu machen, wie ich sie als Fan gerne hören würde. Ich würde schon sagen, dass ich da sehr selbstkritisch mit umgehe, auch was die Auswahl der Songs angeht. Ich schreibe nur Songs, wenn ich ein Thema habe, was mich beschäftigt und zu dem ich was zu sagen habe. Ich habe für das Album jetzt 20 Songs geschrieben und davon sind die zehn auf dem Album gelandet, von dem wir das Gefühl hatten, dass sie passen, plus Intro. Wir geben uns einfach Mühe und versuchen, nicht in der Trivialität stattzufinden, sondern immer noch neue Impulse zu setzen. Und es ist in der Tat schwieriger, nach vierzehn Alben beim fünfzehnten noch denselben Enthusiasmus rauszukitzeln, wie beim ersten. Das ist nicht so einfach, aber machbar. Ich bin mein gesamtes Erwachsenenleben und den größten Teil meiner Teenager-Zeit Musiker gewesen. Ich nehme das ernst und versuche, mein Bestes zu geben.
KREATOR sind mehr als purer Thrash Metal
Wenn von 20 Songs nur zehn auf dem Album gelandet sind, hast du ja ganz schön aussortiert. Ich finde es ehrlich gesagt angenehm, dass das Album nach 46 Minuten vorbei ist und auf den Punkt kommt. Viele aktuelle Platten gehen 50, 60 oder 70 Minuten und nach der Hälfte schau ich schon auf die Uhr, um zu schauen, wann es vorbei ist. War es euch wichtig, ein kompaktes Erlebnis zu bieten?
Es gab da verschiedene Überlegungen. Dadurch, dass es wirklich 20 Songs waren, wovon mindestens 17 auch als Demos ausproduziert waren, mussten wir auf Ähnlichkeiten schauen. Da war dann noch ein schneller Song oder noch ein Mid-Tempo-Song oder manche waren sich vom Thema her ähnlich. Außerdem muss ein Vibe geschaffen werden. Es muss ein rundes Album sein. Es muss ein Gefühl erzeugt werden – und eine Atmosphäre. Bei Metal, und gerade so extremer Musik wie Thrash Metal, muss eine musikalische und emotionale Achterbahnfahrt erzeugt werden. Wenn man dann noch einen Song draufhaut, nur weil der da ist, das ist ja sinnlos. Man muss nicht künstlich strecken. Wir hätten das gekonnt. Wir hätten sogar ein Doppelalbum machen können. Aber das wäre nicht im Sinne der Kunst gewesen. Außerdem wollen wir ja, dass die Leute auch noch Bock auf ein sechzehntes KREATOR-Album haben.
Also IRON MAIDEN haben jetzt zwei Doppelalben in Folge veröffentlicht. Die scheinen dahingehend völlig gnadenlos zu sein, ganz viel Musik auf einmal zu veröffentlichen.
Ja, die haben, glaube ich, einen anderen Ansatz. Die haben mehr Songwriter und wollen die alle unterbringen. Ich will da jetzt nicht drüber urteilen, aber ich glaube, was die machen, ist wirklich ein ganz anderer Ansatz. Wir machen extremere Musik. Das ist nicht purer Thrash Metal, das würden manche Leute vehement verneinen, was auch immer purer Thrash Metal bedeuten mag. Aber es ist schon Thrash Metal und 45 oder 46 Minuten ist da einfach genug.
Ich glaube, die Leute, die von purem Thrash Metal reden, wünschen sich wahrscheinlich, dass ihr nochmal „Pleasure To Kill“ aufnehmt.
Selbst das war kein purer Thrash Metal. Man sagt dem Album ja nach, dass es ein bisschen Death Metal vorweggenommen hat. Aber ich mache mir da echt keinen Kopf drüber. Wenn man anfängt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Fantasie der Leute befriedigt, ist man am Ende des Tages nur noch ein Dienstleister.
KREATOR fassen ihre Essenz zusammen
Ich persönlich finde aber, dass „Hate über alles“ ein Album ist, das alle Entwicklungsschritte, die KREATOR bislang durchlaufen haben, in sich vereint. „Become Immortal“ erinnert an klassichen Heavy Metal, „Midnight Sun“ holte auch dank der Gastsängerin die „Endorama“-Vibes wieder hervor und der Titelsong ist klassischer Thrash und hätte auch auf einem eurer 80er-Alben stehen können. Empfindest du das ähnlich?
Genauso empfinde ich das auch. Es sogar noch ein Twist dabei. Ein Song wie „Dying Planet“ beinhaltet zum ersten Mal in der Bandgeschichte eine Art Blasbeat und ein paar Black-Metal-Elemente. Aber auch da haben wir kein Konzept erarbeitet. Wir wollten einfach ein Album mit Songs haben, die es so noch nicht von KREATOR gab. Klar, ein Song wie „Hate über alles“ hätte auch auf einem 80er-Album sein können. Er hätte auch auf „Enemy Of God“ stehen können. Der Trick war, es neu und frisch klingen zu lassen und das war echt ein ziemlicher Aufriss, weil gerade der Song so viele verschiedene Versionen und Titel hatte. Ich wollte gerade in diesem Song die Essenz der Band auf den Punkt bringen. Und dann habe ich so Songs wie „Midnight Sun“, die anders sind. Ich mag das Wort experimentell in dem Zusammenhang nicht. Experimentell ist für mich Sieben-Achtel-Musik. Unsere Musik findet ja immer noch im Rahmen des Metal statt. Ich denke da immer visuell. Was erzeugt die Musik für Bilder im Kopf? Das ist eher mein Ansatz. Ich versuche, so eine Art Kopfkino zu erzeugen.
„Mit dem Wort experimentell wird sehr inflationär umgegangen.“
Ich glaube, das Wort experimentell fällt bei euch immer dann, wenn ihr etwas macht, bei dem viele Fans das Gefühl haben, dass ihr euch recht weit von euren Wurzeln entfernt, wie auch immer die wieder definiert werden. Du hast natürlich schon recht. „Endorama“ war im Vergleich zu total abgespacetem Prog-Album immer noch eine zugängliche und recht leicht verdauliche Platte, aber war natürlich stilistisch schon sehr anders als alles, was ihr zuvor gemacht habt.
Absolut, absolut. Ich finde, mit dem Wort experimentell wird sehr inflationär umgegangen. Kaum passiert etwas Neues, ist es experimentell. Passiert immer dasselbe, ist man irgendwie durch und experimentiert nicht genug oder was weiß ich was. Ich finde, das Album klingt rund. Man kann das von vorne bis hinten anhören und ich glaube, darum geht’s. Ich sehe das immer als eine Art Film. Ein Film muss auch Höhepunkte und Tiefpunkte haben. Ein Film, der die ganze Zeit auf dem gleichen Level bleibt, ist ja langweilig. Der einzige Film, der so funktioniert hat, war „Mad Max: Fury Road“. Der war immer auf 100, aber irgendwie geil. Aber das gibt es sehr selten.
„Pleasure To Kill“ wäre vielleicht so ein Album.
„Pleasure To Kill“, aber auch „Reign In Blood“, das war von vorne bis hinten so. Aber das sehe ich noch nicht als Film, das passiert einfach.
Zwischen „Gods Of Violence“ und „Hate über alles“ gab es eine bandinterne Veränderung. Mit Frédéric Leclercq habt ihr einen neuen Bassisten. Wie hat sich das auf die Arbeit im Studio und auch im Voraus auf die Banddynamik ausgewirkt?
Sehr gut! Fred hat eine eigene Energie in die Band gebracht, einen eigenen Enthusiasmus und einen anderen musikalischen Blickwinkel. Fred ist ja eigentlich Gitarrist und der spielt so gut Gitarre, dass ich schon überlegt habe, nur noch zu singen. (lacht) Er hilft uns bei den Arrangements. Wenn ich die Demos der Band präsentiere, sind die Songs so zu 80 oder 85 Prozent fertig. Danach wird an den Arrangements gearbeitet, gerade, was die Harmonien betrifft. Da ist Fred sehr hilfreich. Er hat an manchen Stellen eine sehr schöne Finesse reingebracht.
KREATOR zukünftig zu fünft?
Wäre es denn ernsthaft eine Option für dich, ein fünftes Mitglied in die Band zu holen, damit du nicht mehr Gitarre spielen musst?
Ich glaube nicht, dass es notwendig ist. Ich habe ein paar Mal bei VOLBEAT Gastauftritte absolviert und bin dann ohne Gitarre auf die Bühne gegangen. Da habe ich mich sehr nackt gefühlt. Ich mach das, seit ich vierzehn oder fünfzehn bin und hab immer die Gitarre dabei. Das ist inzwischen auch ein psychologisches Ding, dass ich ohne gar nicht weiß, was ich machen soll. Deswegen habe ich dann immer um einen Mikroständer gebeten. Das ist ein bisschen ein Image-Ding. Ich habe wirklich mal über ein fünftes Bandmitglied nachgedacht, weil wir auf den Alben oft Triple-Harmonien haben, die wir dann genauso bringen könnten. Aber bei Thrash Metal kann das, wenn es nicht alles ultra tight ist, schnell ein Problem werden.
Dann lass uns mal beim Album ins Detail gehen. Das Intro heißt „Sergio Corbucci Is Dead“. Da habe ich mich sofort gefragt, warum ausgerechnet dieser Italowestern-Regisseur und nicht etwa Sergio Sollima oder Leone, der für viele Leute vielleicht sogar die naheliegendste Wahl gewesen wäre?
Sergio Corbucci war jemand, der sich in seinen Film sehr gegen Obrigkeiten gewendet hat. In all seinen Filmen hat er einen Protagonisten, der sich gegen die Obrigkeit auflehnt. Oft sind diese Charaktere sehr obskur. Ich habe mich gefragt, ob es noch solche Leute gibt, die so richtig politische Filme machen, ohne zu versuchen, dir irgendwas predigen. Das ist ein bisschen ein Seitenhieb auf die Bands, die ihre Meinung nicht äußern, weil sie Angst haben, dadurch Fans zu verlieren. Musikalisch ist es natürlich ein Tribut an ENNIO MORRICONE. Ich habe schon immer mit dem Gedanken gespielt, mal ein Italowestern-Album zu machen. Aber irgendwie habe ich dafür nicht genug Ideen, also ist es jetzt mal so ein Intro geworden. Der Titel weist auf Corbucci hin, damit man sich mal wieder an ihn erinnert, denn der war auch gut.
Bei KREATOR bleibt eine Tradition erhalten
Andernorts hast du schon erklärt, dass „Hate über alles“ eine Hommage an DEAD KENNEDYS und ihren Song „California über alles“ darstellt. Warum hast du den jetzt als Album- und Songtitel verwendet? Bei manchen Leuten hat er ja doch Verwirrung ausgelöst.
Das war gar nicht die Intention. Ich brauchte einfach einen griffigen Titel, der das Gefühl des Albums auf den Punkt bringt. Viele der Songs beschäftigen sich mit Kommunikation. Ich finde, in der heutigen Zeit ist es sehr einfach, gegen etwas zu sein. So nach dem Motto, „ah, das neue Album finde ich richtig scheiße“ oder „du bist dagegen und du bist dafür, also bin ich erstmal dagegen.“ Es findet kein Diskurs mehr statt. Es ist mehr schreien als reden. Ich wollte das Klima der heutigen Zeit auf den Punkt bringen, habe aber gleichzeitig einen Titel gesucht, der griffig ist und an den man sich erinnert. Wir haben traditionell Titel, die sich einprägen. Man kann sich an „Enemy Of God“, „Phantom Antichrist“ oder „Extreme Aggression“ erinnern und wollte diese Tradition fortführen. Ich hatte auch noch einen anderen Titel, der gar nicht so schlecht war, aber „Hate über alles“ hat es dann gemacht.
Magst du verraten, was die Alternative war?
Ne, den verwende ich vielleicht noch auf dem nächsten Album. (lacht)
Dann soll die Überraschung natürlich erhalten bleiben. Wie du schon sagst, geht es auf „Hate über alles“ um die mangelnde Kommunikation in unserer Gesellschaft. Wie sehr hast du das Gefühl, dass Desinformation dabei eine Rolle spielt? Gerade in den vergangenen zwei Jahren Pandemie hatte ich oft das Gefühl, dass die Leute immer mehr bereit sind, allen möglichen Quatsch zu glauben, wodurch Diskussionen häufig unmöglich werden, selbst wenn man sich auf der anderen Seite bemüht, sachlich zu diskutieren.
Richtig, genauso sehe ich das auch. Die Pandemie hat wirklich das schlechteste in den Menschen oder in der Menschheit zum Vorschein gebracht. Die Welt war in einer sehr komplexen Situation, die unkontrollierbar war und wie es sie in den vergangenen 100 Jahren so nicht gegeben hat. Das hat bedeutet, dass viele Leute gar nicht mehr mit der Situation klarkamen und nach leichten Antworten gesucht haben. Dann kamen bestimmte Menschen zum Vorschein, die Auf YouTube oder so Vorschläge angeboten haben. Du hast das selbst mitbekommen, das braucht man jetzt nicht alles aufzuführen. Es wäre ein schlechter B-Movie-Plot, was die sich da ausgedacht haben. Es wäre das erste Mal in der Menschheit gewesen, dass sich alle Länder zusammengetan hätten, um die Bürger auf der ganzen Welt zu verarschen. Das ist so schonmal gar nicht möglich. Aber auf der anderen Seite, war das einfacher, als zu akzeptieren, dass wir da etwas haben, das wir nicht kennen und das unberechenbar ist und gegen das mit allen Mitteln etwas getan wird. Und die Wissenschaft hat etwas getan. Dann war der Impfstoff da und auf einmal gab es diese Impfgegnerkampagnen. Ich habe die Welt in den vergangenen zwei Jahren echt nicht mehr verstanden und mich gefragt: „Was ist euer Problem?“ Das wurde immer wirrer, weswegen ich am Ende des Tages bestimmte Gespräche mit Leuten, die ich sehr respektiere, echt vermieden habe, weil ich dachte: „Komm, dieses Thema bitte nicht.“ Ich verstehe das, ich habe den Leuten auch eine gewisse Art von Empathie gegenüber. Nicht alle waren an der Front in den Krankenhäusern und haben gesehen, wie innerhalb weniger Stunden Menschen gestorben sind. Viele haben das Glück, niemanden zu kennen, der an einem schweren Verlauf gestorben ist. Aber es gab diese Menschen. Über die Maßnahmen kann man diskutieren. Aus der Perspektive von jemandem, der gerne live spielt, war das nicht alles richtig. Aber auf der anderen Seite waren auch die Politiker zum ersten Mal in so einer Situation und wussten nicht, wie sie sich verhalten sollen. Man hätte in der Situation auch mal schweigen sollen, anstatt etwas Dummes zu sagen.
„Authentizität in der Form gibt es gar nicht.“
„Crush The Tyrants“ dachte ich im ersten Moment, gefühlt gab es auf jedem KREATOR-Album mindestens einen Song, der von der Thematik her so hätte heißen können. Wie kommt es, dass du das immer wieder aufgreifst? Bei so einem Songtitel hat ja wohl jeder direkt jemanden im Kopf, aktuell wäre das bei mir zum Beispiel Vladimir Putin.
Ja, das sind natürlich so Schlagwörter. Das sind kraftvolle Titel. Das gehört mit zu Inszenierung. Ich würde nicht mal genau sagen, auf wen das genau abzielt. Das ist so eine Art akustisches Theaterstück. Man drückt seine Wut über bestimmte autoritäre Strukturen aus.
Stichwort Inszenierung: Wie wichtig findest du das für eine Band? In der Metal-Szene gibt es ja viele, die Authentizität an oberster Stelle sehen und Inszenierung sofort als unauthentisch oder Ausverkauf ansehen.
Wenn ich sowas höre, frage ich mich, warum alle IRON MAIDEN abfeiern, denn das ist die pure Inszenierung. Authentizität in der Form gibt es gar nicht. Das ist ein dehnbarer Begriff. Wenn ich mich mit meiner Kutte von 1984 hinstellen muss, um authentisch zu sein, dann bin ich nicht authentisch. Wichtig ist für mich vielmehr die Haltung. Gerade im Metal dürfen wir als Subkultur nicht in dieselben Fallen tappen wie die Punks oder so. Das war auch so ein Ding. Wenn einer keinen Iro gehabt hat, war er nicht authentisch. Aber wir lieben Metal doch so, weil jeder seine eigene Art mit einbringen kann. Es ist ein Lebensstil, bei dem es keine Regeln gibt. Und es sollte keine Regeln geben. Den Begriff der Authentizität finde ich so überflüssig. Jeder ist doch anders. Wenn jemand aufgrund biologischer Gründe keine langen Haare hat, darf der doch trotzdem mitmachen. Wenn einer keine Kutten mag, ist der trotzdem nicht weniger Metal als jemand, der eine trägt und alle möglichen Japan-Importe von obskuren Bands aus den 80er-Jahren hat. Das legt ja jeder anders aus.
„Man hat eine Verantwortung, wenn man in einer Band ist, die so einen Status wie KREATOR hat.“
Aber da du die Kutte von ’84 erwähnst: „Become Immortal“ ist ein sehr ungewöhnlicher Song für euch. Zum einen musikalisch, weil er sehr auf klassischen Heavy Metal abzielt, aber auch inhaltlich, weil du dich überraschend zurückblickend zeigst, was man sonst weder in Interviews noch bei der Musik von KREATOR von dir kennt.
Ich wollte mal so einen Song machen. Ich habe ein Album von TOCOTRONIC gehört, das autobiografisch war. Das fand ich toll und ich dachte mir so „Wie wäre es, wenn ich das auch mal mache, ohne das blöd und peinlich ist?“ Das war die Herausforderung. Ich wollte auch wieder ein Bild zeigen. Ich wollte ein Rückblick, der keiner ist. Es ging um eine Aufbruchstimmung. Die Bands vor KREATOR, TYRANT und wie sie alle hießen, waren bis auf TORMENTOR normale Heavy-Metal-Bands. Wir waren erst bei TORMENTOR brutaler. Eigentlich blickt der Song noch weiter zurück. Das ist der Stil, den wir etwa mit TYRANT gespielt haben. Das geht klar und ist meiner Meinung nach nicht peinlich. Du weißt, was ich meine. Es gibt ja so Leute, die erzählen dauernd von früher und für mich ist das langweilig. Man kann das mal erzählen, aber dann verrennen die sich darin und der Abend vergeht und du guckst schon auf die Uhr und dann kommt noch eine alte Geschichte. So soll der Song nicht sein. Der ist eher für jemanden, der jetzt gerade Heavy Metal entdeckt und sagt ihm: „Hey, das ist das, was wir damals erlebt haben. Vielleicht erlebt ihr das 2022 ähnlich.“ Dass man sozusagen die Fackel weitergibt.
Im Text heißt es an einer Stelle „Remember where you came from“. Wie wichtig ist das Thema Herkunft für dich und welche Art von Herkunft ist damit überhaupt gemeint?
Das ist eine gute Frage. Es ist eigentlich eine innere Einstellung. Ich habe immer versucht, eigenständig zu leben und mich von allen zwängen unabhängig zu mache, sowohl materieller als auch anderer Art. Ich habe einen großen Freiheitsdrang. Trotzdem ist es mir wichtig, dass man sich daran erinnert, woran man herkommt und nicht überheblich wird. Dass man dankbar dafür bleibt, wie es heute ist und sich daran erinnert. Wenn wir zum Beispiel auf Tour gehen, möchte ich, dass die Vorbands eine tolle Zeit haben und dass es ihnen gut geht. Wenn ich jemandem helfen kann, indem ich ihm eine alte Gitarre schenke, die ich übrighabe, dann mach ich das und er fängt damit selbst was an. Man hat auch eine Verantwortung, wenn man in einer Band ist, die so einen Status oder Erfolg wie KREATOR hat. Man muss sich Gedanken darüber machen, was mit der Musik passiert, wenn man nicht mehr da ist.
KREATOR blicken über den musikalischen Tellerrand
In „Conquer And Destroy“ ist DRANGSAL als Gastsänger zu hören. Sofia Portanet wiederum ist in „Midnight Sun“ dabei. Wie kommt es, dass ihr in der jüngeren Vergangenheit häufiger Feature-Gäste hattet, die mit Metal auf den ersten Blick nichts am Hut haben?
Das hängt damit zusammen, dass ich mittlerweile in Berlin wohne. Da habe ich mich mit vielen Musikern verbunden. Gerade so jemand wie DRANGSAL wird in eine Schublade gesteckt, aber er ist ein richtig inspirierender Typ, der mich bei jedem Treffen inspiriert. Und bei „Midnight Sun“ wäre es sehr offensichtlich gewesen, wenn ich jemanden von einer Symphonic-Metal-Band dazu hole. Aber es mit Sofia zu machen, war nicht offensichtlich, weil viele Metal-Fans sie vielleicht gar nicht kennen. Ich finde es immer gut, wenn solche Welten aufeinandertreffen, denn dann entsteht etwas Neues.
Als ich das Video zu „Midnight Sun“ gesehen habe, dachte ich sofort, wenn das nicht von dem Film „Midsommar“ inspiriert ist, weiß ich nicht mehr weiter.
Nicht nur das Video, sondern auch der Song ist davon beeinflusst worden, weil ich großer Ari-Aster- und generell Horror-Fan bin. Ich suche überall nach Inspiration und der Film schrie nach Metal-Video. Der Song übernimmt die Geschcihte von „Midsommar“ jetzt nicht eins zu eins. In dem Song geht es um kultisches Verhalten, darum, dass Leute etwas blind folgen, egal wie absurd es ist und das sehen wir in „Midsommar“. Visuell wurde es natürlich sehr inspiriert, aber eben nur inspiriert und hat auch eigene Elemente.
Unaufhaltbarer Wandel
Was muss denn ein Film in dir auslösen, damit du das Gefühl hast, da einen Song drüber schreiben zu wollen oder ein Musikvideo daran anzulehnen?
Das sind glückliche Zufälle. „Midsommar“ habe ich gesehen, als ich gerade die Riffs für „Midnight Sun“ schrieb. Jetzt habe ich kürzlich den Film „Lamb“ gesehen, den ich sehr inspirierend fand, aber im Moment schreibe ich keine Songs. Vielleicht werde ich den auf dem nächsten Album aufgreifen. So Folk-Horror interessiert mich sehr. Der Film lässt offen, ob das Geschehen wirklich Real oder nur Einbildung war und ich finde es cool, wenn sich die Realität in einem Film mit der Fantasiewelt vermischt. Das ist bei „Midsommar“ auch ein bisschen so, weil die Leute aus dem Glauben an die Wiedergeburt heraus Dinge tun, die mit dem tot enden. Doch keiner weiß genau, ob es danach wirklich so weitergeht, wie sie sich das vorstellen.
„Dying Planet“ habe ich allein dem Titel nach als Kommentar zur Klimakrise verstanden. Wie sieht deine Einschätzung dahingehend aktuell aus? Ist es für unsere Gesellschaft noch möglich, einen Konsens zu finden, der den kommenden Veränderungen genügend entgegenwirkt?
Das ist genau dasselbe Thema wie der grauenhafte Krieg, der gerade stattfindet. Wir fordern von unseren Politikern, da eine Lösung zu finden, aber wir müssen auch selbst mitmachen. Unser Verhalten muss sich ändern. Ich weiß nicht, ob das damit getan ist, mal mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Das ist natürlich gut, aber es muss sich insgesamt einiges verändern, was gar nicht so einfach ist. Ist jetzt eine sehr umstrittene Person, aber Leute wie Elon Musik versuchen ja so Sachen anzustoßen, die in diese Richtung gehen. Ich glaube, die Gesellschaft muss sich grundsätzlich verändern. Die Industrialisierung, die uns unseren Wohlstand gebracht hat, ist an einen Punkt gelangt, der zu dieser Klimakrise führt, die auch nicht mehr aufzuhalten ist. Trotzdem leben wir immer noch in Strukturen, technologisch nur etwas ausgeklügelter, die aus Zeiten stammen, in denen man kein Bewusstsein für Umweltverschmutzung hatte. Das muss sich ändern. Und ich glaube, man muss sich grundsätzlich eine andere Form des Zusammenlebens ausdenken. Ob wir das noch zu unseren Lebzeiten erleben werden, weiß ich nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das kapitalistisch-patriarchale System noch lange so halten kann. Das muss alles überdacht werden.
KREATOR reflektieren ihr Handeln
Wie lässt sich das mit dem Musikerdasein in Einklang bringen, wenn man ein Bewusstsein für solche Themen hat? Dass gerade aufwändige Welttourneen Klimakiller sind, ist ja längst kein Geheimnis mehr. Trotzdem wollen Menschen wie du und ich ja nicht plötzlich auf Konzerte verzichten, weil uns dann etwas fehlen würde, das das Leben erst lebenswert macht.
Man kann in einem falschen System nicht richtig leben. Also ich habe gut reden. (lacht) Wir haben Konzerte in Mexiko, in Nordamerika und da müssen wir irgendwie hin. Und damit tragen wir zum Klimawandel aktiv bei, indem wir ein Flugzeug nehmen und damit zum Konzert fliegen. Man kann nur verlieren. Aber es ist, glaube ich, nicht unsere Aufgabe. Wobei Verantwortung abzugeben natürlich auch so eine Sache ist. Ich habe gehört, dass COLDPLAY es geschafft haben, eine Tour zu machen, die völlig klimaneutral ist. Das können die mit ihrem Budget machen. Aber mit KREATOR können wir das nicht, sonst würde ich es sofort machen.
An COLDPLAY musste ich jetzt auch denken, aber wie du schon sagst, haben die ganz andere finanzielle Mittel als ihr mit KREATOR. Klimaneutral zu touren, muss man sich ja erstmal leisten können.
Ja, und da ist die ganze Welt in der Verantwortung, dass irgendwie eine Lösung gefunden wird, die ich jetzt aber nicht parat habe. Aber sobald es die gibt, bin ich der erste, der mitmacht.