Kreator
Interview mit Mille Petrozza zu "Hordes Of Chaos"
Interview
KREATOR melden sich vier Jahren nach ihrem Thrash-Hammer „Enemy Of God“ mit einem neuen Album zurück. Obwohl „Hordes Of Chaos“ musikalisch nahtlos am letzten Werk anknüpft, haben die Essener diesmal einiges anders gemacht. Was es darüber hinaus sonst noch zu berichten gibt, erklärt uns Bandleader Mille Petrozza selbst.
Ihr habt ein neues Album mit dem Titel „Hordes Of Chaos“ aufgenommen. Bitte beschreibe das Album in wenigen Worten!
Ich denke, es ist eine Mischung aus Brutalität und Melodie. Typische KREATOR-Trademarks, vermischt mit dem Spirit der Anfangstage. Durch die Art und Weise, wie wir das Album aufgenommen haben, haben wir versucht, eine ähnliche Stimmung zu erzeugen wie auf unseren frühen Alben. Allerdings mit der Professionalität und Erfahrung, die wir heute einfach haben.
Was mir beim ersten Hören durch den Kopf ging, war: Das Album ist kurz und kompakt.
Ja, wir haben beim Songwriting drauf geachtet, dass wir nicht so viel reinpacken. Wir haben versucht, das Album zu schreiben, als wäre es eine Live-Show. Es ging also darum, innerhalb von 38 Minuten alle die Elemente zu verpacken, die bei einer KREATOR-Show gut funktionieren. Daher haben wir auch zwei Songs wieder fallen gelassen, weil sie einfach nicht dazu passten. Wir wollten lieber zehn Songs haben, die gut und aussagekräftig sind. Es war jedoch sehr viel Arbeit, bei den Texten und der Musik die richtigen Themen zu finden, um nicht zu viele verschiedene Sachen anzureißen. Gerade bei Thrash Metal ist es aber besser, ein kurzes und prägnantes Album abzuliefern, das man sich gerne noch einmal anhört, als dass man denkt: Hoffentlich ist es bald vorbei!
Welcher Track repräsentiert das neue Album am besten und warum?
Wir haben einen Videoclip für den Titelsong „Hordes Of Chaos“ gedreht und der Track repräsentiert das Album schon in gewisser Art und Weise. Musikalisch sind alle Elemente des Albums vorhanden: Melodien, Brutalität, einfach alle Trademarks von KREATOR.
Was steckt hinter dem Titel „Hordes Of Chaos“?
Darüber haben wir in der Band sehr lange diskutiert. Wir wollten einen Titel wählen, der das Album gut repräsentiert. Zunächst wollten wir das Album „Absolute Misanthrophy“ nennen, aber das war mir zu eindimensional. „Hordes Of Chaos“ ist mehrdimensional: Erstens dachte ich bei dem Titel an die Welt im Jahr 2008. Eigentlich ist die ganze Welt gerade in einem Chaoszustand. In dem Titeltrack „Hordes Of Chaos“ heißt es am Ende „Everyone against everyone“, was ein Zitat von der Punkband SLIME ist: Es zeigt ungefähr, was meiner Meinung nach im Moment passiert.
Es ist ja bei uns schon Tradition, dass der erste Track meine Sicht auf die Welt zum jeweiligen Zeitpunkt darstellt. Bei „Violent Revolution“ war es der Track „Reconquering The Throne“ – die Band war relativ verwirrt vor der Produktion des Albums, und da haben wir neues Selbstbewusstsein erfahren. „Enemy Of God“, das ja ein paar Jahre nach dem 11. September aufgenommen wurde, handelte von diesem Wahnsinnigen in Amerika, der die ganze Welt angegriffen hat. Und jetzt, vier Jahre danach, gibt es „Hordes Of Chaos“.
Der Titel kann aber auch als eine Art Tribut an unsere Fans verstanden werden. Wir haben weltweit eine Gemeinschaft an Fans, die uns versteht, egal wo wir hinfahren. Eine weitere Interpretation wäre die, dass es von den Leuten handelt, die unsere Musik hören und sich im Chaos dieser Welt zurechtfinden müssen. Der Titel ist also verschieden interpretierbar. Bei anderen Texten ist es eindeutiger, z.B. „Amok Run“: Darin geht es um diesen Typen in Amerika, der auf YouTube seinen Abschiedsbrief veröffentlicht und danach Amok läuft.
Ihr habt „Hordes Of Chaos“ diesmal analog aufgenommen. Was bedeutet das konkret?
Wenn man von analog oder digital spricht, dann geht es um einen bestimmten Sound. Es gibt ja ganz grundlegende Diskussionen darüber, dass analog aufgenommene Alben ganz anders klingen als digital aufgenommene. Das ist völlig richtig. Es ist ein Klang, den man nicht greifen kann, der aber spürbar ist. Wir haben zusammen mit Moses Schneider [Produzent auf „Hordes Of Chaos“] versucht, einen analogen, warmen Klang zu erzeugen, und andererseits trotzdem sehr modern zu klingen. Das war eine Gratwanderung und nicht einfach. Außerdem haben wir das Album live eingespielt. Wir waren bei den Aufnahmen alle in einem Raum und haben das Album zu viert eingespielt. Es gab im Rhythmusbereich keine Overdubs, nur in den Bereichen Sologitarre und Gesang. Diese Art und Weise ist relativ ungewöhnlich in der heutigen Zeit, aber bis in die 1980er-Jahre war das gang und gäbe. Das ist ein wenig verloren gegangen durch die Möglichkeiten, die man hat. Heute kann man mit Pro Tools alles perfekt zurechtbiegen, dadurch aber den Charakter einer Band unter dem Mantel der Pefektion verwässern. Ich habe nichts gegen eine zeitgemäße Produktion, aber es fängt den Charakter einer Band immer besser ein, wenn die Band ein Album auch als Band einspielt. Sicherlich haben wir aus zehn verschiedenen Takes einen guten Take zusammengeschnitten. Aber diese Takes sind alle live.
Als Produzenten habt Ihr Moses Schneider gewählt. Welchen Background hat Moses Schneider, wie war die Zusammenarbeit und welchen Einfluß hatte er auf das neue Album?
Moses Schneider ist jemand, der kein Metal-Produzent ist. Er ist in erster Linie ein Musik-Produzent, der TOCOTRONIC und die BEATSTEAKS produziert hat, aber beispielsweise auch Orchester aufnimmt. Und ich wollte, dass „Hordes Of Chaos“ in erster Linie als Stück Musik angesehen wird. Sicherlich ist es von den Texten und den Versatzstücken ein eindeutiges Metal-Album, aber wir wollten, dass die Musik behandelt wird wie beispielsweise eine Klassik-Komposition. Moses konnte sich aber super in uns hineindenken und hat uns zu noch mehr Extremen aufgefordert, anstatt uns poppiger zu machen. Er hat genau erkannt, dass es bei KREATOR um Energie geht. Also saß er bei den Aufnahmen mit uns im Raum und hat versucht, uns wie ein Fußballtrainer anzufeuern.
Nach dem Abendessen haben wir uns noch einmal die Songs angehört, und Moses stand dann rum und hat dazu abgebangt. Und wenn er sich gut darauf bewegen konnte, dann war für ihn die Aufnahme gut. Nur das absolut Natürliche und Ursprüngliche der Musik wurde herausgekitzelt anstatt irgendwelcher Details. Es ging nicht um Perfektion, sondern darum, dass es knallt. Dafür ist „Hordes Of Chaos“ aber sehr lebendig.
Warst Du dann von dem Ergebnis überrascht?
Sagen wir mal so: Ich musste eigentlich alles, was ich in den letzten zehn Jahren über Musikproduktion gelernt habe, über den Haufen werfen. Ich musste mich in die Zeit von „Pleasure To Kill“ zurückversetzen, denn damals haben wir einfach alles gespielt und dabei aufgenommen. Und das funktionierte. Aber die Energie, die damals auf den Alben eingefangen wurde, konnte nie wieder so produziert werden, weil man sich der neuen Techniken bediente. Man dachte eben: Das müssen wir machen, weil das alle machen.
Jetzt sind wir jetzt einen Schritt zurück gegangen. Moses sagte immer: Hey, Ihr seid eine gute Band, verlasst Euch auf Eure Qualitäten und nicht auf irgendwelchen Kram, der Euch eingetrichtert wurde. Musik lebt von Unperfektion, von Kleinigkeiten und Facetten. Bei einem Orchester ist das auch so: Klassische Musik lebt von Schwankungen, von Timingschwankungen. Heute werden diese Facetten aber häufig eliminiert durch absolute Perfektion. Moses sagte immer: Die einzige Musik, wo so viel Wert auf Perfektion gelegt wird, sind Metal und Pop. Das hat mich erschreckt, denn Metal will ja im Positiven die Gegenbewegung zu Pop sein. Meiner Meinung nach sollte Metal aber nicht wie Techno oder Tanzmusik behandelt werden, sondern als das, was es ist: Brutale, ursprüngliche Musik.
Welches Attribut würdest Du bei der Art von Thrash, die ihr spielt, besonders hervorheben: Ist die Musik aggressiv? Reflektiert die Musik Deine Gefühle? Soll sie besonders aussagekräftig sein?
Ich finde immer, dass man als Musiker immer in der Lage ist, bestimmte Bilder im Kopf eines Hörers zu erzeugen. Bei Thrash Metal steht natürlich eindeutig die Aggression im Vordergrund. Dieses Brutale kannst Du aber immer besser hervorheben, indem du deine Musik möglichst dynamisch gestaltest. Wobei ich als Komponist bei KREATOR sagen kann, dass unsere Musik von der Wechselwirkung von Melodie und Aggression lebt: Absolute Terrorparts, Moshparts und sehr melodische Parts.
Ich habe Euch vor gut zehn Jahren live gesehen, wo ihr Stücke von „Endorama“ gespielt habt, die nicht so gut angekommen sind. Deine Reaktion war eher abgeklärt denn erstaunt. Wie siehst Du rückblickend die Experimente von „Endorama“?
Die „Endorama“-Phase war natürlich sehr experimentell. Aber ich musste einfach begreifen, dass unter dem Namen KREATOR nicht alles möglich ist, was ich mir vorstelle. Und es ist auch nachvollziehbar, dass viele Fans, die uns seit „Pleasure To Kill“ mögen, das nicht mehr mitgetragen haben. Es ist immer eine Gratwanderung: Einerseits hast du den musikalischen Anspruch und möchtest nicht als Dienstleister der Fans dastehen, andererseits sind aber das die Leute, die dich supporten. Ich glaube, dass wir mit den letzten drei Alben den goldenen Mittelweg gefunden haben. Wir fühlen uns einfach nicht mehr in ein Korsett gezwängt. Und diese elektronischen Spielereien lassen wir weg, weil wir das einfach nicht können. Ich habe zwar eine Zeitlang gerne solche Musik gehört und gemacht, aber das sind nicht KREATOR.
Im Nachhinein kann ich auch die Kritik verstehen, wenngleich ich „Endorama“ immer noch für ein gutes Album halte. Es war sogar ein wichtiges Album für uns, weil „Violent Revolution“ in dieser Form nicht möglich gewesen wäre, hätten wir uns vorher in dieser Beziehung nicht ausgelebt. Man darf nicht vergessen, dass wir unglaublich jung als harte Thrash-Metal-Band angefangen haben, uns dadurch aber nie im klassischen Sinne entwickeln und Dinge ausprobieren konnten. Wir standen immer innerhalb der Umgrenzungen des KREATOR-Konzepts und der Erwartungshaltungen der Fans. Und auf „Endorama“ haben wir uns davon einmal freigemacht. Gut, ich verstehe die Fans, aber die Fans müssen uns auch verstehen, hahaha!
Wie ist eigentlich der Einfluss von Sami auf KREATOR? Immerhin ist er auch Gitarrist bei WALTARI, wo er ganz andere Musik spielt. Aber er ist gerade auf den Alben von Euch zu hören, die in den vergangenen 15 Jahren am meisten zum Thrash Metal zu zählen sind.
Generell ist es ja so, dass ich die Songs schreibe. Aber es gibt immer wieder Parts oder Melodien, die er miteinbringen kann. Er schreibt also keine ganzen Songs, denn das macht er wahrscheinlich bei WALTARI besser. Und das, was er bei KREATOR einbringt ist genauso super, weil er die Musik sehr aufwertet.
Mal eine ganz andere Frage: Ihr habt letztes Jahr auf dem Karmøygeddon-Festival gespielt, und es wurde bei uns im Forum heiß diskutiert, dass die norwegische Band TAAKE dort wegen Euch wieder ausgeladen wurde. Was ist damals passiert?
Es ging um den Sänger von TAAKE, der vor einiger Zeit im Turock in Essen aufgetreten ist – mit einem gemalten Hakenkreuz auf der Brust. Und dann habe ich gesehen, dass diese Band auf dem Karmøygeddon-Festival spielen sollten, wo wir Headliner waren. Da habe ich den Veranstaltern gesagt, dass wir nicht am gleichen Tag mit TAAKE auftreten wollen. Wir haben einfach keinen Bock, mit solchen Bands zusammen zu spielen. Allerdings hat der Veranstalter die Band gleich ganz vom Billing genommen.
Lustigerweise habe ich im neuen Metal Hammer gelesen, dass der Sänger sich für diese Aktion entschuldigt und davon distanziert hat. Und ich denke, das soll man auch so stehen lassen. Ich habe mich im Nachhinein ein wenig mit TAAKE beschäftigt, und ich glaube nicht, dass die Band politisch ist. In dem Metal-Hammer-Interview ist das ganz gut dokumentiert: Er dachte wohl, dass das umgedrehte Kreuz keine Provokation mehr darstellt, weswegen er das Hakenkreuz gewählt hat. Na ja, dann muss er sich aber auch damit abfinden, dass wir in dem Moment nicht mit ihm spielen wollten. Aber er hat sich davon ja distanziert und eingeräumt, dass er dort einen Fehler gemacht hat, und das erkenne ich auch an. Aber dass diese Aktion nicht gut ankommt, hätte er sich auch vorher denken können.
Von der Vergangenheit in die Gegenwart: Bei Euch steht die Album-Veröffentlichung an, und dann werdet Ihr auf eine lange Tour gehen. Dabei spielt Ihr gar nicht in Essen. Ist da was schiefgelaufen?
Nein, wir hätten gerne in Essen gespielt, das hat nicht geklappt. Jetzt gehen wir nach Oberhausen in die Turbinenhalle. Aber Oberhausen ist ja nicht weit weg, quasi ein Vorort von Essen, haha!
Worauf freust Du Dich besonders?
Ganz generell darauf, die neue Show zu präsentieren. Wir werden den Multimedia-Teil ausbauen und mit noch größeren Projektionen kommen. Daneben wollen wir die neuen Songs vorstellen, gleichzeitig aber alte Songs bringen, die wir lange nicht gespielt haben. Wir haben uns bei der Setlist also einige Überraschungen ausgedacht. Ich bin schon sehr auf die Reaktionen gespannt!
Danke für das Interview!
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