Kreator
Kreator

Interview

KREATOR sind wahrlich eine Institution in der deutschen und internationalen Metal-Szene. Das waren sie auch schon 1990, als sie das Konzert spielten, welches kürzlich auf der DVD "At The Pulse Of Capitulation" wiederveröffentlicht wurde. Zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung brachten sie Ostberlin zum beben und schrieben damit ein kleines Stück Geschichte. Gitarrist und Sänger Miland "Mille" Petrozza teilte mit Metal.de seine Erinnerungen an diesen besonderen Tag.

KreatorFangen wir mit der trivialsten Frage an: Warum musste es gerade dieses Konzert sein?

(lacht) Weil wir davon noch Aufnahmen hatten und weil es eben ein historisches Event war. Es gab ja nie wieder die Situation, dass eine Band kurz nach dem Mauerfall da gespielt hat, und dass es quasi das erste Konzert für viele dieser Leute war, die vorher nicht die Gelegenheit hatten große Metal-Konzerte zu sehen.

War euch damals schon klar, was für eine große Nummer das eigentlich ist, was ihr da gerade macht?

Nee, ehrlich gesagt gar nicht. Für uns war es kein Konzert wie jedes andere, es war natürlich ein spezielles Konzert, auch ein Konzert, auf das wir uns gefreut haben. Aber es war nicht so, dass wir mit der Haltung dran gegangen sich, dass jetzt etwas ganz aufregendes oder etwas ganz anderes passiert. Die Möglichkeit für die Leute zu spielen, mit denen wir schon seit Jahren Briefkontakt hatten, die wir ab und zu mal bei irgend welchen anderen Konzerten im Ostblock gesehen haben, wo die Leute zum Teil gereist sind, um uns in Rumänien, Bulgarien, Ungarn oder wo wir auch immer gespielt haben zu sehen, war Wirklichkeit geworden. Aber eher auf einer musikalischen, metal-internen als auf einer politischen Ebene. Politik hat uns damals auch nicht wirklich interessiert, ehrlich gesagt.

Wie muss man es sich denn überhaupt vorstellen, wie ihr zu diesem Konzert gekommen seid? Gab es irgendwann einen Anruf: „Hey, wollt ihr nach Ostberlin?“

Ich glaube, das wurde von unserer damaligen Plattenfirma Noise Records initiiert, die ja in Berlin ansässig waren. Die haben natürlich dieses Potential erkannt, dass viele Leute aus der ehemaligen DDR nach Berlin kommen würden, wenn wir da ein Konzert veranstalten. Und für uns war das natürlich eine super Sache, dass das organisiert wurde und die Werner Seelenbinder Halle war damals ein großes Ding. Ich glaube, die die Halle gibt es immer noch, allerdings heißt die jetzt anders. Wir waren natürlich froh, dass es in so einem Rahmen stattfinden konnte, ein richtig großes Konzert war und tausende von Metal-Fans da waren. Das war schön.

Hattest du denn den Eindruck, dass man von staatlicher Seite noch versucht hat euch irgend welche Steine in den Weg zu legen, oder hatten die im Grunde wirklich schon völlig kapituliert?

Ich glaube, die Leute waren froh, dass sie den Scheiß endlich los waren. Dass sie endlich mal machen konnten, worauf sie bock hatten, einfach zu einem ganz normalen Konzert zu gehen und Spaß zu haben. Das war, glaube ich, die Hauptsache für die Leute. Die Gelegenheit alle Konzerte zu sehen, die sie wollten. Nicht nur immer im Westfernsehen heimlich gucken müssen. Es gibt ja heute so viele Filme, die so ein bisschen diese ganze Ostalgie verniedlichen. Ich bin niemand, der dort gelebt hat, und möchte auch nicht zu viel darüber sagen, weil eben ich nie da war. Aber ich weiß von Leuten, die dort groß geworden sind, dass es einerseits natürlich auch diese Cola-Kopien, eigenen Schokoladenfirmen, Spreewälder Gurken und was weiß ich noch gibt, dass aber auch wirklich vom Staat eine Art von Druck auf die Leute ausgeübt wurde, dass da wirklich Zensur stattgefunden hat.

Nun gibt es ja auf der Bonus-Dokumentation der DVD auch viele Leute, die sich zu dieser Zeit äußern. War euch damals eigentlich bewusst was es bedeutet in der DDR zu leben und sich die Musik nicht organisieren zu können, hattet ihr eine Ahnung von diesem ganzen Tauschhandel?

Ja, natürlich! Wir hatten ja wie gesagt Brieffreunde aus der DDR und ich hatte auch Verwandte in der DDR. Denen haben wir immer noch Pakete geschickt. Das war ja damals noch eine große Sache, mit Kaffee und solchen Sachen drin, was für uns eigentlich völlig normal war. Die konnten das aber zum Teil nur noch schwer besorgen. Es ging nicht nur um Kulturgut, sondern auch um ganz normale Lebensmittel. Wir waren uns darüber schon im Klaren. Meine Mutter kommt aus Zittau. Die ist aus der DDR geflohen, bevor die Mauer gebaut wurde, und von daher hatte ich den direkten Bezug dazu.

Ihr konntet als schon ahnen, dass es richtig Menschen mobilisieren würde, wenn ihr da hin geht…

Ja, definitiv.

… und als ihr dort angekommen wart, was hattet ihr für einen Eindruck von den Leuten, was war das für eine Stimmung?

Es war eine sehr friedliche, sehr enthusiastische Stimmung, es war etwas spezielles. Aber wie gesagt, es war auch nichts zu spezielles. Im Nachhinein schon. Also es war schon sehr spannend, aber andererseits war die Normalität backstage natürlich auch da. Es waren viele internationale Journalisten vor Ort und viele Musiker aus anderen Ländern. Es war ein großes Party-Event mit Leuten aus dem Ostteil von Deutschland und auch vielen Leuten aus Westdeutschland. Bachstage schien alles relativ normal. Vor der Bühne, und das wird mir auch im Nachhinein so richtig klar, nachdem ich diese Interviews wieder angeschaut habe, war etwas ganz knisterndes in der Luft lag. Wie Jakob auch in der Doku sagt, die Leute haben sich gefühlt als wäre es Weihnachten und hinter der Tür passiert gleich was. Das fand ich super treffend, was er in der Dokumentation gesagt hat.

Hast du beim Publikum einen Unterschied im Verhalten erlebt, oder kann man sagen, dass man gar nicht unterscheiden konnte, wer aus dem Osten und wer aus dem Westen kommt?

So richtig unterscheiden konnte man das nicht, weil Metalfans ja zum Glück irgendwie auf der ganzen Welt gleich aussehen. Aber andererseits, wenn man mit manchen Leuten geredet hat, war es für sie das erste Mal und sie wussten nicht, wie man sich verhalten soll. Sie waren schon enthusiastisch, aber eben auch etwas zurückhaltend in ihrem Verhalten, in der Art wie sie die Bands gefeiert haben. Wir haben keinen großen Unterschied gespürt, aber es war wahrscheinlich schon ein Unterschied da. Der wird mir jetzt immer erst klar. Du musst dir vorstellen, wenn ich diese Sache jetzt sehe, dann fallen mir andere Dinge auf als damals.

Ursprünglich war das Konzert ja schon einmal auf VHS erschienen und ihr musstet jetzt doch noch etwas am Sound nachbearbeiten, oder?

Ja, es war einfach nicht mehr der Standard. Die Bildqualität und der Schnitt von der VHS sind sehr langsam. Die Sehgewohnheiten waren damals so. Man hat damals alles seeehr langsam geschnitten, heutzutage ist alles sehr schnell. Heutzutage ist auch die beste Soundqualität eine andere. Wir haben alles digitalisiert, die ganzen analogen Tapes, haben es digital nachbearbeitet und ungefähr auf einen 2008er Standard gebracht. Das war viel Arbeit, aber es hat meiner Meinung nach auch viel gebracht, weil du dadurch jetzt noch näher an der Band dran bist. Das Bild ist zum Teil viel klarer und viel lebendiger. Auch dadurch, dass der Sound so druckvoll ist. Wir haben es ja extra noch mal von Andy nachmixen lassen und ich glaube, er hat auch einen ganz guten Weg gefunden, wie man die Original-Aura des Konzertes aufrecht erhält und trotzdem einen modernen Sound dazu macht. Neue Equalizer, moderne Kompressoren… das wurde alles für diese neue Aufnahme verwendet.

Also wenn das Gefühl nicht mehr rüber gekommen wäre, hättet ihr das genze Projekt in die Tonne gekloppt.

Ja, natürlich. Es ging ja auch gar nicht, dass das Gefühl nicht rüber kommt. Weil das alles, was du da hörst, 1990 aufgenommen wurde. Sowohl das Bild als auch der Ton, das ist die Zeit. Es war völlig authentisch.

Ihr habt auf die DVD ja noch ein bisschen Bonus-Material gepackt, und zwar den „Hallucinative Comas“-Film. Sind denn dieses Mal wirklich alle Szenen dabei, die ihr von Anfang an haben wolltet?

Ja, definitiv. Es ist der Director’s Cut und das hat Andreas selbst gemacht. Also eigentlich ist weniger dabei, denn du musst dir vorstellen, dass diese damalige VHS-Kassette ein Kompromiss war. Insofern, dass wir mit einem Budget zu kämpfen hatten, mit dem wir höchstens, und ich übertreibe jetzt nicht, einen Videoclip für einen Song hätten machen können. Jetzt haben die gesagt: „Ihr habt nur das Budget für einen Videoclip, aber macht daraus doch mal eine 45-Minuten Kaufkassette.“ Und wir fragten: Wie sollen wir das machen? „Ihr wollt doch einen Horrorfilm machen…“ Ja gut, wir machen einen Horrorfilm, aber das reicht von der Zeit her nicht aus. Dann haben wir noch Live-Aufnahmen rein gemacht, haben die Band noch interviewt und es sollte ein Horrorfilm werden. Ich habe noch nie einen Horrorfilm gesehen, bei dem der Regisseur interviewt wird. Das ist alles rausgeschnitten. Wir haben den ganzen Balast abgeworfen, der damals dazu geführt hat, dass aus einem dreiundzwanzigminütigen Horror-Thema eine 45-Minuten Kaufkassette wurde. Dies ist jetzt nur noch die Essenz dessen, plus natürlich die Szenen, wie sie damals schon hätten sein sollen.

Konntest du es damals denn überhaupt verstehen, dass noch etwas rausgeschnitten werden musste?

Es ist ja das alte Leid. Heute haben wir für die DVD wieder keine Altersfreigabe von der FSK gekriegt. Völlig lächerlich meiner Meinung nach, aber es ist wohl so. In Deutschland sieht die Gesetzgebung es eben vor, dass nicht alles geht, was du kreierst. Es hat zum Teil auch seine Vorteile, klar, denn es gibt auch bestimmte Bereiche, die sollten einfach nicht so dargestellt werden, denke ich. Aber das, was wir da gemacht haben, war meiner Meinung nach aus heutiger Sicht relativ harmlos. Auch aus damaliger Sicht, denn wir haben ja nicht die Gewalt dargestellt, um Gewalt darzustellen. Sondern es ist ein Teil der Geschichte, ein Teil der Dramaturgie von Dr. Wagner. Und das wurde uns dann halt verwehrt. Man meinte, die Kiddies beziehungsweise auch die Mündigen Leute, davor schützen zu müssen. Denn wir zeigen Kunstblut, das kann doch nicht wahr sein. Total lächerlich.

Lass mich raten, es ging vor allem um das Ende des Videos.

Ja, ich meine ansonsten ist da ja nicht viel. Das bisschen Gematsche da. Ohne Scheiß, das sieht doch jeder sofort, dass das Kunstblut ist, oder?

Ja, natürlich. Ich erinnere mich auch an so einen abgetrennten Arm auf einem Ast…

(lacht) Ja, mein Gott. Es ist eine Gewaltphantasie. Die Geschichte ist ja so: Dr. Wagner versucht in sein tiefstes Unterbewusstsein vorzudringen und will sich total von der Außenwelt abschließen. Er näht sich die Augen symbolisch zu. Es ist alles symbolisch, metaphorisch gemeint. Natürlich gibt es die Geschichte in der Form nicht wirklich. Die Inspiration war eben der Text „Terror Zone“ und darauf ist die ganze Geschichte aufgebaut.

Galerie mit 20 Bildern: Kreator - Kreator+Anthrax Co-Headline Tour 2024 in Düsseldorf
17.04.2008

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