Koldbrann
Interview mit Gitarrist Kvass zu "Vertigo"
Interview
Im November bereits sprach ich mit Mannevond und Kvass – dem Originalduo hinter KOLDBRANN – über die Vorabsingle „Totalt Sjelelig Bankerott“. Leider konnten die beiden da noch keine Worte über das neue Album „Vertigo“ verlieren – da war klar, dass ich mich jetzt, nachdem ich ausgiebig in das Scheibchen reinhören konnte, nochmal dahinterklemme. Gitarrist Kvass stand Rede und Antwort zum neuen Album, zu den neuen Bandmitgliedern und den Live-Plänen der Band.
Hallo nochmal!
Das Interview, das wir im November zur „Totalt Sjelelig Bankerott“-Single gemacht haben, fing ich mit der Frage an, wie ihr die zwei Songs selbst beschreiben würdet – jetzt würde ich gerne mit einer ähnlichen Frage beginnen: Bevor ich dir erzähle, wie ich das Album sehe, wie würdest du „Vertigo“ selbst beschreiben?
Das Album ist jetzt bereits seit einiger Zeit fertig, es ist uns also endlich möglich, es von einer objektiveren Warte aus zu betrachten. Ich würde sagen, dass „Vertigo“ ziemlich nahe an dem dran ist, was wir machen wollten: Es ist ein Album, das aus den besten Songs besteht, die wir in den letzten paar Jahren gemacht haben. Es klingt immer noch ziemlich nach KOLDBRANN, aber es gibt mehr Finesse, den Details wurde mehr Aufmerksamkeit gegeben, und allgemein hat es eine bessere Produktion als alles zuvor. Manche Songs sind ziemlich aggressiv und schnell. Andere führen progressive Elemente in unseren Sound ein. Wieder andere haben klaustrophobische und doomige Anteile, was auch etwas ist, dass wir zuvor noch nicht erkundet haben. Und natürlich haben wir immer noch eine Menge Groove-Parts dazwischen.
Wir haben unzählbare Stunden und Emotionen investiert, um dies zu einem vollblütigen Album zu machen, und für mich ist es so weit ganz klar das versierteste und facettenreichste Werk von KOLDBRANN.
Meiner Meinung nach setzt sich „Vertigo“ von euren älteren Veröffentlichungen ab, indem es einige „neue“ Einflüsse dazu tut, zum Beispiel einen ordentlich vom Rock ’n‘ Roll beeinflussten Groove, Synthesizer-/Ambient-Sachen und so weiter – würdest du zustimmen? Und woher kommen diese Einflüsse plötzlich?
Ich finde, wir hatten immer eine gute Portion Groove in unseren Songs, aber wir sind über die Jahre sicherlich als Songwriter und Musiker gewachsen, und wir haben einen Drummer, Folkedal, den man einen „Groove Drummer“ nennen könnte. Es ist also nur natürlich, dass die Groove-Abschnitte als besonders wichtiger Teil in unserer Musik hervortreten.
Ich stimme aber dennoch zu, dass wir unsere Klangkulisse über die letzten Jahre deutlich erweitert haben. Die Einflüsse waren schon immer da, denke ich. Wir alle hören selbst eine Menge unterschiedlicher Arten von Musik, und wir alle mögen Rockbands aus den Siebzigern wie BLACK SABBATH, KING CRIMSON und STEELY DAN.
Am Anfang spielten wir einen eher konventionellen Black-Metal-Stil, aber es wurde ein bisschen langweilig, immer und immer wieder dasselbe zu machen, deshalb entschieden wir uns über die Jahre dazu, mehr zu experimentieren und unseren musikalischen Horizont in verschiedene Richtungen zu erweitern. Zum Beispiel haben wir auf „Vertigo“ verschiedene analoge Synthesizer genutzt, wie u.a. Mellotron, Solina String Ensemble und Mini-Moog. Meiner Meinung nach passen diese Arten von klassischen Elementen hervorragend zu unserer Musik.
Ich finde auch, dass das Material auf dem neuen Album ein bisschen progressiver, ausgearbeiteter, vielleicht ein bisschen anspruchsvoller klingt, ohne jedoch sein raues Black-Metal-Feeling zu verlieren. Nochmal: Würdest du da zustimmen? Und wenn ja, war das geplant oder kam das ganz natürlich?
Ja, ich stimme zu. Folkedal ist nicht nur unser Drummer, sondern auch ein sehr fähiger Gitarrist, und die meisten progressiven Elemente kamen dabei heraus, als er anfing, Riffs für die Band zu schreiben. Als wir an einem seiner Songs, „Inertia Corridors“, arbeiteten, fühlte sich das nach einem großartigen Track an, er musste unbedingt auf dem kommenden Album sein. In diesem kreativen Prozess fühlte es sich sehr natürlich für uns an, das und andere Richtungen einzuschlagen.
Und als wir entschieden, welche Songs für das Album genutzt werden sollten, wollten wir ein paar Songs mit diesen neueren Elementen darin, und ein paar Songs, die eher auf unsere frühen Tage verweisen. Da steckte also sowohl ein Teil natürlichen Fortschritts, als auch ein bisschen reflektiertes Planen hinter diesem Zug.
Auf „Vertigo“ geben ja auch ein paar neue Musiker ihr KOLDBRANN-Debüt, oder? Kannst du sie uns kurz vorstellen und uns erzählen, wie sie zur Band kamen?
Ja, der bereits genannte Schlagzeuger Folkedal und unser Gitarrist Voidar sind seit der letzten Veröffentlichung neu dazugekommen. Wir fragten sie 2009, ob sie der Band beitreten wollen, nachdem unser vorheriger Drummer Fordervelse und Gitarrist Antonsen die Band verlassen hatten. Wir kannten beide schon länger über gemeinsame Freunde. Voidar kannten wir tatsächlich schon seit vielen Jahren und er war, unter anderem, der Soundtechniker, als wir 2003 unser erstes Album „Nekrotisk Inkvisition“ aufnahmen.
Sowohl Folkedal als auch Voidar waren sehr wichtig für das neue Material, der kreative Input, den sie in die Band brachten, hat sich als sehr positiv herausgestellt.
Wie viel Einfluss hatten sie denn auf den Songwriting-Prozess? Was der „neuen“ Einflüsse kann man ihnen zuschreiben?
Einiges bis zu einem gewissen Grad. Früher schrieben wir Songs so: Einer von uns fertigte zu Hause eine grobe Version eines ganzen Liedes an und wir spielten es dann im Proberaum bis wir fanden, dass es annehmbar klang. Und irgendwann gingen wir dann ins Studio.
Dieses Mal entstanden einige Songs über Pre-Productions auf dem Computer. Das macht es einfacher, verschiedene Layer zur Musik hinzuzufügen und die wichtigsten Details zu diskutieren, bevor man mit dem echten Aufnahmeprozess anfängt. Andere Songs entstanden, indem wir zusammen im Proberaum gejammt und hier und da einige Riffs produziert haben.
Die erste Herangehensweise ist analytischer und in der anderen geht es darum, das Feeling des Moments auszukundschaften; jede Herangehensweise hat ihre Vor- und Nachteile. Ich glaube, es ist gut, verschiedene Vorgehensweisen zu nutzen, wenn man Songs kreiert. Lieder, die auf unterschiedliche Weise entstanden sind, werden notwendigerweise unterschiedlich klingen und Abwechslung ist eine gute Sache.
„Vertigo“ beschreibt ja normalerweise eine Art von Schwindel … aber was bedeutet es im Kontext des neuen KOLDBRANN-Albums? Mit anderen Worten, warum heißt das Album so?
„Vertigo“ ist die Verfassung, in der es sich anfühlt, als würde sich die Welt unkontrolliert bewegen und drehen. Was uns angeht, wollten wir ein Gefühl des Seins ohne klare Richtung beschreiben, das Gefühl, in der Welt verloren zu sein. Die Richtungslosigkeit wird auch in mehreren der Songtexte beschrieben, zum Beispiel im Opener „IntroVertigo“.
Auf einer abstrakteren Ebene kann „Vertigo“ auch die unsichtbaren Kräfte repräsentieren, die dich herunterziehen, die dich langsam von innen auseinanderziehen. Solche Kräfte können in der realen Welt unterdrückerische Gedankensysteme, religiöse Doktrinen oder die immer präsente Angst vor dem Tod sein, um ein paar mögliche Interpretationen zu nennen. Wir haben eine Menge möglicher Albumtitel diskutiert, aber dieser hat unserer Meinung nach am besten das generelle Feeling des Albums eingefangen.
Und da ihr mir ja im November schon von den Lyrics zu „Totalt Sjelelig Bankerott“ erzählt habt – gibt es darüber hinaus etwas zu den Texten auf „Vertigo“ insgesamt zu sagen? Wie beziehen sie sich auf das lyrische Konzept?
Die Lyrics sind alle mehr oder weniger mit dem Albumtitel verbunden – sie beschreiben verschiedene Aspekte des Gefühls, gefangen, ziellos und machtlos zu sein und wie der Geist beeinflusst wird, wenn er mit diesen Emotionen konfrontiert wird. „Totalt Sjelelig Bankerott“ beschreibt diesbezüglich eine nihilistische Lösung. Andere Songs, zum Beispiel „Phantom Kosmonaut“ und „Goat Lodge“, handeln davon, die Einsamkeit zu suchen, wenn du glaubst, die ganze Welt sei gegen dich. „IntroVertigo“ und „Inertia Corridors“ sind klaustrophobisch und bedrückt und handeln von Themen wie Borderline und obsessivem/ungesundem Denken.
Ich denke, seit eurem letzten Album von 2006 habt ihr ein Interesse an russischen Dingen entwickelt, wie ihr mir ja auch im November-Interview bestätigt habt. Da gab es die „Russion Vodka“-Single, euer neues Bandlogo, das römische Buchstaben im kyrillischen Stil zeigt, und auch auf „Vertigo“ kann ich diverse russische Einflüsse erkennen, zum Beispiel den Song namens „Phantom Kosmonaut“. Was ist es, dass euch an der russischen Kultur so interessiert?
Ja, ich persönlich habe sogar ein Interesse entwickelt, das so weit geht, dass ich versucht habe, die Sprache zu lernen. Ich weiß nicht, warum, ich finde die Kultur und die Geschichte Russlands einfach sehr reichhaltig und faszinierend. Ich würde dem zustimmen, was Churchill einmal gesagt hat: „Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium.“
Wir haben ein paar russische Anspielungen verschiedener Art auf dem Album eingebaut. Der Ausdruck „Phantom Kosmonaut“ bezieht sich zum Beispiel im Original auf die Theorie, dass die Sowjetunion schon vor Gagarin Kosmonauten ins Weltall geschickt hat, aber deren Existenz verneinte. In unserem Song haben wir dem Ausdruck eine etwas andere Bedeutung gegeben, da geht es eher um einen Mann, der im Weltall die Einsamkeit sucht, wobei das Raumschiff sein Sarg ist.
Um noch kurz auf den Livesektor zu sprechen zu kommen: Wird es in absehbarer Zukunft Auftritte in Deutschland geben?
Wir haben in der Vergangenheit eine Menge Konzerte in Deutschland gespielt und es werden noch viele weitere kommen. In dem Moment, wo ich dies schreibe, kann ich nicht allzu viel erzählen, aber ich kann sagen, dass es dieses Jahr ein paar Festivalauftritte geben wird.
Das ist es dann schon von meiner Seite aus – vielen Dank, dass du dir abermals die Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten! Die letzten Worte gehören natürlich dir.
Danke für das kontinuierliche Interesse, wir schätzen das sehr! 2013 scheint das Jahr von KOLDBRANN zu werden, also vergesst nicht, auf dem letzten Stand zu bleiben. Ihr könnt alle unsere Schritte auf unserer offiziellen Facebook-Seite nachvollziehen. Hails!