Katatonia
"Ich fühle mich nicht immer wie ein Sänger."
Interview
Mit die stärksten Veränderungen betreffen Deinen Gesang. Ihr habt stärker hörbare Vocal-Filter benutzt („Austerity“) und Du probierst Dich immer wieder aus („Author“), verlässt öfter Deine Komfortzone. Was hat Deiner Meinung nach dazu geführt?
Ich versuche eigentlich immer, das zu tun. Ich bin zwar der Sänger dieser Band, fühle mich aber nicht immer wie ein Sänger, da ich eine Menge Musik schreibe und mich die meiste Zeit darauf konzentriere. Wenn es dann an der Zeit ist, den Gesang anzugehen, fange ich an Gesangslinien zu schreiben und mich sehr stark auf die Texte zu fokussieren. Wenn ich dann tatsächlich singen muss, denke ich mir, dass ich mich vielleicht hier und da ein paar Stufen steigern sollte, wirklich versuchen, der Sänger der Band zu sein. Denn, bis ich anfange zu singen ist mein Kopf vollkommen mit der Musik beschäftigt, also den Arrangements, den Lyrics, und so weiter. Während des eigentlichen Aufnahmeprozesses geht es dann darum, sich etwas mehr zu entwickeln oder, wie Du sagst, aus seiner Komfortzone herauszukommen. Ich versuche das so oft zu tun, wie ich kann, aber natürlich werde ich mich auch in meiner Komfortzone bewegen, denn das ist ja das, wo ich mich wohl und sicher fühle und dort kann ich meine beste Arbeit abliefern, denke ich. Aber natürlich ist es trotzdem schön, Dinge auszuprobieren, sich zu verbessern und einfach auch mal etwas zu wagen. Ich fühle mich nicht wie ein Sänger, der alles tun kann. Ich kenne meine Grenzen sehr gut, aber ich möchte manchmal auch versuchen ein wenig aus diesen Grenzen auszubrechen.
Ich finde auch, dass live zu spielen einem viel Erfahrung als Sänger beschert, denn Du gewöhnst Dich daran, einen beschissenen Sound zu haben, musst sicher gehen, Dich gut zu hören, musst Deine Stimme auf unterschiedliche Weisen nutzen. Das hilft also auch enorm. Das ist quasi meine Art von Gesangsstunden, da es ein guter Weg ist um seine eigene Stimme kennenzulernen, wenn man in unterschiedlichen Umgebungen spielt. Manchmal kann man sich ja selbst kaum hören. Das ist also eine gute Sache und ich denke ich versuche mich mit jedem neuen Album zu verbessern.
Du hast ja das Thema live spielen gerade schon angesprochen: Auf der Bühne zeigst Du Dich mittlerweile wesentlich offener. Man könnte sagen, Du wirkst dort weniger Lord Seth und mehr wie Jonas. Hast Du Dich mit der Rolle als Stimmungsanheizer mittlerweile angefreundet?
(Lacht). Ja, definitiv. Ich meine, das ist natürlich etwas, das mit vielen Tourneen und generell häufigem live spielen kommt. Am Anfang fühlte ich mich dabei überhaupt nicht wohl. Als ich damals anfing richtig zu singen, war das eher zufällig, denn ich spielte Schlagzeug, habe aber auch die Texte geschrieben. Als wir also jemanden brauchten, der sich ans Mikro stellt, nachdem wir den Death-Metal-Sound verlassen hatten, hieß es: „Naja, Du schreibst die Lyrics, also sing sie auch.“ Ich sagte also: „OK, ich versuche es.“ Danach fühlte ich mich für ein paar Jahre regelrecht panisch, wenn wir live spielten. Das war ein langsamer Prozess für mich. Vielleicht lerne ich langsam, aber es fühlte sich für mich ganz natürlich an, dahin zu gelangen, wo ich heute bin. Ich kann tatsächlich ein paar Späße machen und das Publikum quasi einladen, in Stimmung zu kommen. Das ist cool und ich übertreibe es auch nicht, denn wir sind KATATONIA. Wir sind weder THE DARKNESS noch STEEL PANTHER (lacht).
Ja, ich würde sagen Ihr seid definitiv keine Party-Band.
Genau, wir müssen ja unser Image pflegen (lacht).
Ich habe Euch letztes Jahr auf dem Party.San gesehen. Ihr habt dort ja nicht das erste Mal gespielt, auch mit BLOODBATH wart Ihr bereits dort. Ist es trotzdem komisch für Euch, zwischen so extremen Bands mit KATATONIA auf der Bühne zu stehen? Ich meine erst Ihr und dann MAYHEM, viel größer kann der Kontrast im Metal wohl kaum sein.
Ganz genau, das ist wie wir uns immer fühlen, aber wir haben bereits zwei Mal mit KATATONIA dort gespielt und beide Male war es großartig. Ich liebe das Party.San, das ist ein tolles Festival. Besonders natürlich auch, als wir mit BLOODBATH dort waren, da das natürlich sehr gut zum Line-up passt. Im Gegensatz könnten wir uns mit KATATONIA natürlich denken: „Warum sind wir eigentlich hier?“ Aber sobald wir anfangen zu spielen, fühlt es sich für uns komplett anders für uns an, denn Du kannst sehen, dass es den Leuten wirklich gefällt. Vermutlich sehen sie es ein wenig als Pause für die Ohren. Wir sind aber immer noch eine Metal-Band. Ich kann also sagen: Vor dem Auftritt fühlt es sich ein bisschen eigenartig an, da Du den ganzen Tag Death Metal von der Bühne hörst, den ich ja auch liebe. Wir sind aber nun mal keine Death-Metal-Band mehr. Trotzdem fühlt es sich super an, sobald wir spielen und das Publikum dort hat eine tolle Energie.
Ja, und es ist ja auch nicht so, dass das Publikum sich komplett austauscht. Sie bleiben dort, schauen sich Euren Gig an und es waren danach auch nicht komplett andere Menschen, als MAYHEM auf die Bühne kamen. Die Leute sind da geblieben.
Ja, genau. Es ist einfach EIN Publikum auf dem Party.San. Sie lieben extreme Musik und müssen auch nicht weggehen und etwas anderes machen, wenn wir spielen, obwohl sie vielleicht auch einfach nur deshalb nicht gegangen sind, weil sie sich ihren Platz vor der Bühne für MAYHEM sichern wollten (lacht).
Lass uns ein wenig das Thema wechseln: Ich habe Aaron von MY DYING BRIDE vor ein paar Jahren dieselbe Frage gestellt, als sie von Peaceville zu einem anderen großen Label gewechselt sind: Was waren die Hintergründe? Er antwortete damals, dass Peaceville sie an dem Punkt an dem sie damals waren, nicht mehr weiter bringen konnte. War das auch für Euch ein Grund zu Napalm zu gehen?
Der Hauptgrund war erst einmal, dass unser Vertrag mit Peaceville ausgelaufen ist. Wir fingen an darüber nachzudenken, dass wir ja schon seit 1998 bei Peaceville unter Vertrag sind. Es war eine tolle Reise für uns, mit ihnen. Ganz besonders zu Beginn als Hammy (Paul Halmshaw, Gründer von Peaceville, Anmerk. d. Verf.) das Label noch führte. Er war der Typ, der MY DYING BRIDE, PARADISE LOST, AUTOPSY, DARKTHRONE und so weiter signte. Für uns war es deshalb damals ein Traum, der wahr wurde. Peaceville ist aber auch ein sehr europäisches Label. Sie haben keine Büros in Nordamerika, Japan oder anderen Teilen der Welt. Als wir merkten, dass Interesse von Seiten anderer Labels besteht und unser Vertrag endete, begannen wir uns umzuschauen. Wir werden auch nicht jünger, also war das vermutlich eine gute Zeit, um sich nach neuem Zuhause umzusehen und zu schauen, ob wir mit Hilfe eines größeren Labels noch mehr Menschen erreichen können. Das ist das, was wir jetzt versuchen, würde ich sagen. Ich bin Peaceville wirklich dankbar für all die Jahre dort, aber manchmal ist es einfach Zeit für Veränderung. Zu einem größeren Label zu gehen ist normalerweise eine gute Sache, außer man geht als Metal-Band zu einem wirklichen Major Label, wie es beispielsweise PARADISE LOST damals in den späten Neunzigern machten. Ich bin glücklich mit der Entscheidung.
Zum Abschluss noch ein allgemeineres Thema: Metal ist ja eigentlich Außenseiter-Musik, viele Metalheads wurden bereits in Ihrer Kindheit mit Themen wie Mobbing und Ausgrenzung konfrontiert und haben sich daher eher mit düsteren Themen beschäftigt. Wie siehst Du das und welchen Einfluss hat das auf Eure Musik?
Als ich Metal in sehr jungen Jahren entdeckte, habe ich sofort gewusst, dass das einfach für mich gemacht ist. Ich war nicht gerade ein sehr kontaktfreudiger Jugendlicher. Ich hielt mich an die paar guten Freunde, die ich hatte und war eigentlich ziemlich schüchtern. Dann habe ich diese ganze Metal-Sache entdeckt und das war ein komplettes neues Universum für mich. Ich denke, Metal ist auf eine gewisse Weise ziemlich allumfassend. Du fühlst Dich einfach direkt aufgehoben, nicht einfach nur mit einer Platte. Es ist eine Bewegung und dabei sehr einladend. Zumindest war das damals so, die gesamte Underground-Death-Metal-Szene und alles drumherum. Es ist ein Platz an dem Du Dich entwickeln kannst, aufgehoben fühlst, wenn Du Dich wie ein Ausgestoßener fühlst, wie ich mich damals als Jugendlicher wohl gefühlt habe. Der perfekte Platz um etwas neues aufzubauen, eine Persönlichkeit zu entdecken, an die Du Dich anpassen kannst und mit der Du zusammen wachsen kannst. Aber das ist natürlich ein riesiges Thema. Ich bin kein Psychologe oder so was, aber das ist so das generelle Gefühl, das ich dazu habe.
Ja, ich finde es immer wieder spannend, wie viele Gemeinsamkeiten man findet, wenn man sich mit anderen Metalheads in ungefähr demselben Alter unterhält, egal ob es sich um Musiker, Redakteure oder einfach Fans handelt. Das eigenartige,Kind zu sein, komische Hobbies zu haben, wie beispielsweise Pen & Paper zu spielen, oder andere Dinge, die andere Kids vermutlich nicht tun.
(Lacht) Ja, da stimme ich Dir absolut zu.
Danke Dir, dass Du Dir Zeit genommen hast, Jonas. Ich hoffe wir sehen uns bald auf Tour.
Ich danke Dir!
Titelbild: Mathias Blom
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Stile | Dark Metal, Progressive Metal, Progressive Rock, Rock |
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