Katatonia
"Einige Arten von Musik sollten sich immer weiter entwickeln."
Interview
Lass uns für den Moment noch einmal auf „City Burials“ zurück kommen. Soweit ich es verstehe geht es in „Lacquer“ darum, älter zu werden und darum, wie alte Erinnerungen langsam Rost ansetzen. Bei welcher Art von Erinnerungen platzt für Dich heutzutage der Lack ab?
Ich denke einige Erinnerungen werden immer hell scheinen und andere werden in Zeit und Staub begraben. Aber die Sache mit Erinnerungen ist die, dass wir alle älter werden und sie dann eine größere Rolle in unserem Leben zu spielen beginnen. Das ist auch der Grund, warum ich das ein wenig als „Thema“ für dieses Album gewählt habe. Ganz besonders jetzt, wenn du zu Hause sitzt ist das so, denn wenn du in einer Band spielst, willst du raus auf die Straße. Aber jetzt, wo du nicht raus kannst, beginnst du, an die letzten Tourneen zu denken, und wie viel Spaß du hattest. Erinnerungen sind also eine essentielle Sache für ein menschliches Wesen, denke ich – aber sie sind eben auch etwas, das ziemlich tot ist. Sie werden aus der Gegenwart gerissen, sind dann Vergangenheit und es gibt nichts, was du daran ändern kannst, was das Thema für mich interessant macht.
Meine Erinnerungen dürften denen der meisten anderen Menschen ziemlich ähnlich sein, denke ich. Einige Kindheitserinnerungen habe ich als ziemlich leicht und schön abgespeichert, während einiges was passiert ist, während ich erwachsen wurde vielleicht ein wenig düsterer ist. Meistens schaust du zurück auf das was passiert ist und siehst es in einem besseren Licht, als es tatsächlich war. Das ist auch eine interessante Seite von Erinnerungen. Du neigst dazu zu sagen, dass es damals besser war, aber ich bin nicht so sicher, dass das in den meisten Fällen wirklich so ist.
Wie ist die Idee, ein Duett aus „Vanishers“ zu machen entstanden und wie seid Ihr auf Anni Bernhard von FULL OF KEYS gekommen?
Das begann, als ich den Song, den ich geschrieben hatte Anders (Nyström, Gitarre, Anmerk. d. Verf.) geschickt habe, weil ich seine Meinung und seine Ideen dazu hören wollte. Er sagte mir, dass er den Song für sehr offen hielt, er eine Menge Freiraum bietet, Dinge auszuprobieren, die vielleicht etwas unerwartet kommen. Er schlug auch vor, dass wir jemanden dazu holen um Gast-Vocals für diesen Track einzusingen. Wir mochten Annis Stimme beide sehr gern. Wir hören die Musik ihrer Band FULL OF KEYS jetzt schon seit einigen Jahren und sprachen immer wieder darüber, wie toll ihr Gesang ist. Da wir einige gemeinsame Freunde haben, war es recht einfach, mit ihr in Kontakt zu treten und sie war sofort begeistert von der Idee. Der komplette Prozess, sie auf dem Album singen zu lassen war sehr einfach. Sie verstand sofort die Stimmung des Songs und wusste genau, was ich mitzuteilen versuchte. Es war also eine sehr coole Erfahrung. Nicht nur das letztendliche Ergebnis, sondern auch über den Song zu sprechen, ihre Ideen dazu zu hören. Ich habe das sehr genossen.
In den Lyrics von „City Burials“ lassen sich eine Menge Verweise auf die letzten 15 Jahre finden. Tote Vögel, ein Zwilling, Sackgassen und eben sogar der „Dead End King“ persönlich. War das volle Absicht, all diese kleinen Hinweise in den Texten zu verstecken?
Ja, ich spiele ganz gerne damit herum. Wir haben einige wiederkehrende Themen bei KATATONIA. Manchmal wird das vielleicht ein wenig repetitiv. Mir macht das aber Spaß, wenn ich Texte schreibe, einen kleinen Wink auf etwas, was ich vorher geschrieben habe einzubauen. Es macht es für mich interessanter und hoffentlich auch für den Hörer, diese kleinen Dinge aufzunehmen. Es ist nicht einfach nur ein Witz, sondern definitiv etwas das ich mache, weil ich denke, dass es passt.
Naja, jemandem der KATATONIA neu entdeckt, wird es ohnehin nicht auffallen, aber wenn Du ein Fan bist und die älteren Alben kennst, ist es immer cool so etwas zu hören und zu denken „ich weiß, was er da anspricht“ oder „das erinnert mich an diesen anderen Song“.
Genau. Ich meine, wenn wir ein Album machen, ist es eigentlich ein Albumzyklus für uns. Wir leben mit einem Album für eine lange Zeit. Es wird quasi ein Teil von dir selbst. Wenn es Zeit dafür ist, es ziehen zu lassen und mit einem neuen Album zu beginnen, fühlt es sich respektvoll an, den Alben der Vergangenheit Tribut zu zollen, weil du eben so viel Zeit mit ihnen verbracht hast, mit ihnen getourt bist. Sie sind praktisch Teil deiner DNA.
Normalerweise ist es ja bei Bands, die es schon lange gibt so, dass es einige Alben und Songs gibt, auf die sich alle Fans einigen können. Aus meiner Erfahrung sieht das bei KATATONIA etwas anders aus, fast jeder scheint unterschiedliche Favoriten zu haben. Da Eure Setlists sich bei Konzerten auch sehr stark verändern habe ich fast das Gefühl, dass es innerhalb der Band auch keine so klaren Favoriten gibt. Ist das so und hast Du eine Idee, warum?
Ich weiß es nicht wirklich. Ich möchte natürlich denken, dass es so ist, weil wir eine so abwechslungsreiche Geschichte haben. Wir haben Songs, die eine Menge verschiedener Leute ansprechen können, denke ich. Nicht nur Metalheads oder Prog-Fans. Ich denke, das ist der Grund warum die Leute dazu tendieren, viele unterschiedliche Favoriten zu haben. Es gibt natürlich einige, die wir auf fast jedem Gig spielen müssen. Aber, wie Du sagst, versuchen wir die Setlists so stark wie möglich zu variieren. Meistens geht es darum, welche Songs wir gespielt haben, als wir im Proberaum waren. Also vielleicht sagt Daniel (Moilanen, Drums, Anmerk. d. Verf.) „diesen Song habe ich noch nie gespielt“, da er ja bis jetzt erst zwei Alben eingespielt hat. Er spricht beispielsweise von etwas, das sehr weit zurück liegt in unserem Katalog und sagt, dass er das gerne spielen möchte. Wir haben den Song dann vielleicht schon 15 Jahre nicht mehr gespielt, müssen ihn also wieder neu lernen. Währenddessen entwickelt er sich zu einem Favoriten, weil es einfach Spaß macht zurück zu schauen und die alten Sachen wieder neu kennenzulernen. Ok, vielleicht nicht den GANZ ganz alten Kram, aber das ist wie es normalerweise funktioniert. Wir sprechen darüber, welche Art von Songs wir gerne spielen würden und schauen, ob sie in einer Live-Situation funktionieren. Wir begründen dann die Setlist darauf, abhängig von dem, was zu der Zeit interessant für uns ist. Ich denke daher, dass es eine gute Sache ist, die Setlist zu verändern. Nicht nur für das Publikum, sondern auch für uns selbst. Auf jedem Gig dieselben alten Songs zu spielen kann wirklich langweilig werden, nach einer Weile.
Eure Musik ist ja recht introvertiert und vermutlich für viele Fans auch etwas sehr persönliches. Obwohl natürlich jeder anders auf Eure Musik reagiert, gibt es bei Euren Konzerten immer recht viele Leute, die einfach die Augen schließen und sich in der Musik verlieren. Ist es schwierig für Dich, wenn Du nicht all zu viel Reaktionen aus dem Publikum bekommst oder würde es Dich sogar eher irritieren, wenn die Leute bei einem traurigen Song ausrasten?
Das stört mich überhaupt nicht. Nichts von beidem. Wir wissen natürlich, dass eine Menge Leute nicht mit der Absicht zu unserer Show kommen, eine Moshpit zu starten. Klar, manchmal bist du abhängig von deinem Gefühl für die Menge und wenn es zu still ist, wirst du ein wenig misstrauisch, was dort gerade abgeht. Aber, wenn du dir die Leute anschaust, und siehst das sie, wie Du sagst, ihre Augen geschlossen haben und in ihrem eigenen kleinen Universum sind, dann ist das toll, finde ich. Wenn sie sich dann, während der härteren Abschnitte etwas mehr bewegen wollen, habe ich damit natürlich genau so wenig ein Problem. Es hängt alles davon ab, was für Songs wir spielen. Allerdings ist es auf den verschiedenen Kontinenten schon unterschiedlich, da die Leute in Europa tendenziell eher etwas ruhiger sind, während sie z.B. in den Staaten deutlich mehr abgehen. Du musst dich als Band natürlich darauf einstellen. Du kannst nicht erwarten, das jedes Publikum gleich ist, ganz besonders bei dieser Art von Musik. Wenn du in einer großen Band spielst, die Welthits im Programm hat, würdest du natürlich schon etwas erwarten, aber für uns ist jeder Abend ein neuer Abend und jedes Publikum ist anders. Das ist auch sehr spannend und interessant. Manchmal entwickelt es sich zwar auch in eine seltsame Richtung, aber das ist cool und Teil des Jobs.
Als ich vor einer Weile auf einem STEVEN WILSON Konzert war, habe ich erstaunlich viele KATATONIA-Shirts gesehen, und auch einige WILSON-Shirts bei Eurer Show. Ihr wart sogar auf dem selben Label, bevor er zu einem Major abgewandert ist. Wann werdet Ihr also endlich mal etwas zusammen machen?
Ja, das ist etwas, was ich wirklich liebend gerne tun würde. Ich bin großer Fan seiner Arbeit, auch von den ganz frühen Sachen, wie den ersten PORCUPINE TREE-Alben, bis zu dem was er heute macht. Er ist ein Genie. Er ist außerdem ein sehr netter Typ. Wir haben uns ein paar Mal darüber unterhalten, etwas zusammen zu machen, aber ich denke er ist im Moment sehr sehr beschäftigt. Es wäre toll, wenn er zumindest ein paar Tracks von uns produzieren könnte. Normalerweise produzieren wir alles selbst, hauptsächlich weil wir einfach genau wissen, wie sie klingen sollen. Es fühlt sich nicht so an, als würden wir jemand von außerhalb brauchen, der dazu kommt, aber Steven ist einer dieser Menschen, den ich sehr gern bei den Aufnahmen eines Albums dabei hätte, um Ideen auszutauschen und einfach seine Expertise nutzen zu können. Meiner Meinung nach ist er einfach ein fantastischer Songwriter.
Dann lass uns hoffen, dass das eines Tages passieren wird.
Ja, die Zukunft wird es zeigen (lacht verschmitzt).
Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, Jonas!
Kein Problem, danke Dir!
Wir sehen uns hoffentlich bald auf Tour.
Ja, wir können es wirklich kaum erwarten. Was für ein schlechtes Timing, jetzt ein Album herauszubringen, aber erfreulicherweise hatten wir noch keine Tour organisiert. Natürlich wurden eine Menge Gigs abgesagt, während der Festivalsaison, aber wir hatten noch keine eigene Tour gebucht. Also, lass uns abwarten was passiert. Sobald es grünes Licht gibt, werden wir definitiv wieder da draußen sein, um das neue Album zu promoten und endlich wieder live zu spielen.
Ich werde meine Augen offen halten.
Genau, mach das! Vielen Dank nochmal. Bye!
Hinweis: Das Interview wurde per Skype geführt.
Titelbild: Ester Segarra
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Stile | Dark Metal, Heavy Metal, Progressive Metal, Progressive Rock |
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>Eure Musik ist ja recht introvertiert…<
Normalerweise eine Umschreibung für langweilig. Ich will nicht widersprechen..
Ich würde schon widersprechen, unter introvertiert verstehe ich etwas anderes. Vielleicht waren Katatonia das Mal, aber mittlerweile geht die Mucke dafür zu sehr ab, ist recht komplex und sehr selbstbewusst geworden.
Ich hatte mal die Discouraged Ones (oder so) von denen, hat aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich hab‘ die weder als gut noch als schlecht in Erinnerung. Was ich vom neuen Album kenne fällt in die selbe Kategorie.
So, jetzt hab‘ ich meine Meinung dazu kundgetan und das kann’s auch gewesen sein.. 😉