Karmakanic
Interview mit Bassist und Bandchef Jonas Reingold

Interview

Karmakanic

KARMAKANIC haben vor ein paar Wochen ihr neues, viertes Album „In A Perfect World“ veröffentlicht und damit ein überaus komplexes, aber auch wirklich eingängiges Progressive-Rock-Album in die Regale gepackt. Grund genug, Bandchef, Bassist und Backgroundsänger Jonas Reingold per Mail ein paar Fragen zu schicken, die der gute Mann zwar teilweise etwas knapp beantwortet hat, die aber dennoch die eine oder andere interessante Info beinhalten. Aber lest selbst!

 

Karmakanic

 

Hi Jonas!
Zunächst einmal Gratulation zu eurem tollen neuen Album.

Danke.

Mit „In A Perfect World“ hast du gerade dein viertes Album unter dem KARMAKANIC-Banner, deinem eigenen Projekt, veröffentlicht. Ist es nicht stressig, gleichzeitig an zwei oder drei Projekten und Bands zu arbeiten? Besonders, wenn man bedenkt, dass ihr dieses Jahr mit THE FLOWER KINGS auch ein Livealbum und eine Live-DVD veröffentlicht habt?

Na ja, das THE-FLOWER-KINGS-Album wurde schon 2007 aufgenommen und Roine (Stolt, Gitarrist und Sänger der FLOWER KINGS – Anmk. d. Red.) war für das ganze mixen und produzieren zuständig, ich war also nur im Fertigungsprozess involviert, sodass das nicht mit meiner Arbeit an KARMAKANIC kollidiert ist.

Was macht „In A Perfect World“ deiner Meinung nach zu einem besonderen Album? Was ist sozusagen sein „Charakter“?

Für mich machen es zwei Dinge zu etwas besonderem, denke ich. Erstens haben wir das komplette Album in nur zwei Monaten aufgenommen und abgemischt. Ich habe noch nie so schnell an einem KARMAKANIC-Album gearbeitet. „Who’s The Boss In The Factory“ (von 2008 – Anmk. d. Red.) hat mich immerhin zwei Jahre gekostet, bis es fertig war. Zweitens lag der Fokus dieses Mal auf dem Songwriting, ein guter Song war uns wichtiger als ein trickreiches Arrangement. Abgesehen davon verlief der ganze Prozess ziemlich normal – ein paar Typen gehen ins Studio und nehmen Songs auf.

Ich habe auf „In A Perfect World“ jede Menge Einflüsse heraushören können, zum Beispiel Jazz, Classic Rock und Pop Musik der Achtziger und Neunziger. Kannst du uns sagen, was du alles auf dem Album hörst?

KARMAKANIC ist eine Mischung aus allem, was ich an Musik mag. Wenn ich ein paar Quellen der Inspiration für diese Platte nennen muss, wären das YES, JACKSON BROWNE, KINGS X, DON HENLEY, CHRIS SQUIRE, JACO PASTORIUS, THE FLOWER KINGS und MARS VOLTA.

Wie schon erwähnt, ist „In A Perfect World“ ein sehr, sehr komplexes Album geworden, aber die Songs sind immer noch Songs und nicht nur Parts, die irgendwie miteinander verbunden sind. Wie schreibst du einen Song wie „1969“, der fast 15 Minuten läuft, ohne dass das Ganze zu komplex, inhomogen wird? Was ist der Weg von der ersten Idee zu einem kompletten KARMAKANIC-Song?

Normalerweise fängt es an, indem ich ein gutes Thema finde. Für „1969“ habe ich zum Beispiel die allererste Sequenz, die den Song eröffnet, genutzt. Dieses Thema zieht sich dann in verschiedenen Variationen immer wieder durch den ganzen Song. Dann nehme ich dasselbe Tempo, du weißt schon, sodass man den ganzen Song durch auf dieselbe Weise mit dem Fuß wippen kann – das macht den Song kohärent -, und arbeite dann mit verschiedenen Strukturen, damit das Alles aufregend wirkt. Kein Geheimnis, nur harte Arbeit.

Wo wir gerade bei „1969“ sind: Auf jedem eurer Alben ist der Opener ein ziemlich langer Song. Warum? Lauft ihr nicht Gefahr, von potenziellen neuen Hörern zu viel zu verlangen?

Nee, ich denke das Publikum, das Progressive Rock hört, ist an große, epische Stücke gewöhnt. Der Grund, warum das Album mit „1969“ anfängt, ist, dass es alles beinhaltet, wofür KARMAKANIC stehen. Es ist ein gutes Beispiel für das, was wir sind. Ich finde, es sollte einem immer kristallklar sein, was man kauft.

Auf dem Album gibt es mit „Turn It Up“ auch einen Song, der in einer für das Radio editierten Version vorhanden ist – und tatsächlich erscheint mir der Song als für das Radio ziemlich perfekt. Worin besteht für dich der Unterschied zwischen dem Schreiben eines „einfacheren“ Songs wie „Turn It Up“ und eines 15-Minuten-Epos‘ der Marke „1969“?

Das ist im Grunde dasselbe Problem, wie der Unterschied zwischen einem 30- und einem 60-Minuten-Stück: Du hast einen Zeitrahmen, den du mit guter Musik füllen musst. Wobei „Turn It Up“ schwierig war, weil er über den ganzen Song catchy, aber nicht überproduziert klingen sollte.

Wie sieht’s mit den Lyrics aus? Kannst und willst du das lyrische Konzept hinter dem Album erklären?

„1969“ ist ein Blick zurück, der mit einer Momentaufnahme vom Woodstock-Festival beginnt. Dann bewegen wir uns in der Zeit voran und fragen, was zum Beispiel früher besser war, zumindest von einem künstlerischen, musikalischen Blickpunkt aus. Stell dir vor, Songs wie „In The Revealing Science Of God“ vom „Tales From A Topographic Ocean“-Album (von YES – Anmk. d. Red.) verkauften sich Millionen Mal, das würde heute nicht mehr passieren. „Turn It Up“ handelt von der Börse, wie sie hoch- und runterfällt, aber gibt es da einen tatsächlichen Wert? „The World Is Caving In“ ist eine Aufsummierung meines Lebens – ich lebe bis jetzt 42 Jahre und werde hoffentlich noch weitere 42 Jahre erleben. „Can’t Take It With You“ handelt über unsere ständige Jagd danach, Dinge und Geld zu besitzen. Letzlich ist das total egal, denn wenn wir am Ende unseres Lebens stehen: „We Can’t Take It With Us“ (Anspielung auf den Song „Can’t Take It With You“ – Anmk. d. Red.). „There’s Nothing Wrong With The World“ ist eine zynische, schwarzhumorische Geschichte über die Welt und ihren Zustand. In „Bite The Grit“ arbeite ich mit Gegensätzen, da gibt es keine Story, einfach nur einen zu Grunde liegenden Vibe von etwas fiesem. „When Fear Came To Town“ schließlich ist über das Selbstmordattentat, dass wir hier in Schweden letzte Weihnachten erlebt haben.

In „1969“ sprichst du von der „Revolution“ in diesem speziellen Jahr – wie sieht deine Beziehung zur Hippie-Bewegung, dem „Summer Of Love“ etc. aus? Und denkst du, wie man den Songtext auslegen könnte, dass es Zeit für eine weitere „Revolution“ ist?

Ich denke einfach nur, dass die großen Tage des Rock’n’Roll zwischen 67 und 76 waren. Die Musiker hatten die Kontrolle, sie taten, was sie wollen und die Musikindustrie erlaubte den Künstlern, ihre Ideen frei zu entfalten. Die Leute erkundeten die Welt, flogen zum Mond und waren neugierig. Ich wünschte, ich könnte in der Zeit zurückreisen und für ein Jahr oder so in der Zeit Musiker sein.

Wie, wo und wann schreibst du deine Texte? Und an welchem Punkt im Songwriting-/Aufnahmeprozess fängst du an, über Lyrics und ein lyrisches Konzept nachzudenken?

Ich versuche, ein gutes Thema zu finden, mit dem ich mich gerne eingehender beschäftigen möchte. Manchmal ist die Story ziemlich kräftig – zum Beispiel sah ich im Dezember 2010 in den Nachrichten Berichte über das Selbstmordattentat, das hier in Schweden passierte, und wusste sofort, dass ich etwas darüber schreiben musste. In anderen Fällen sind es aber auch nur Bilder, bestimmte Gefühle und so weiter, die mir in den Kopf kommen.

Und wie wichtig sind für dich die Texte eines Albums?

Ich habe mir noch nie so viel Zeit für Texte genommen, wie auf „In A Perfect World“. So waren sie mir natürlich sehr wichtig. Ich holte mir Hilfe bei einem amerikanischen Mädchen namens Julia Olsson, zusammen schrieben wir dann alle Texte. Das hat mich dahingehend herausgefordert, in Sachen Wortspielen, Redensarten, Nuancen und so weiter ein bisschen subtiler zu sein, mich etwas mehr mit der Sprache selbst zu beschäftigen. Ich versuche immer, sowohl musikalisch als auch lyrisch neue Wege zu beschreiten und neue Dinge dazuzulernen. Und ich gehöre normalerweise auch zu denen, die die Lyrics im Booklet nachschlagen und mitlesen, wenn sie einen Song mögen.

Ein anderes Thema: Das Cover-Artwork zeigt eine Rakete, die man auch als Phallussymbol sehen könnte, ein bisschen zynisch also. Was waren deine Gründe, dieses Artwork zu benutzen. Und was siehst du darin?

Das Artwork ist von einem Freund von mir. Ich schickte ihm die ganzen Songtitel und er kam daraufhin mit einigen verschiedenen Konzepten an. Wir wählten die Rakete, weil wir dachten, dass es das Album ziemlich gut symbolisiert, so mit einem bisschen schwarzen Humor. Ich mag Ausdrücke wie „There’s Nothing Wrong With The World“, weil jeder sofort weiß, dass da irgendwas definitiv absolut falsch mit der Welt läuft. Das passt mit der Rakete gut zusammen. Vielleicht hast du bemerkt, dass die Missiles im Booklet alle nach oben zielen – sie treffen niemanden wirklich.

Gibt es schon Pläne, mit dem neuen Material Gigs zu spielen? Und wird es auch ein paar Deutschland-Konzerte geben?

Hoffentlich 2012.

Soweit von mir – irgendwelche letzten Worte oder Kommentare?

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13.08.2011

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