Kanonenfieber
Noise im Kreuzverhör
Interview
Die Ein-Mann-Show KANONENFIEBER um die Kunstfigur Noise ist quasi über Nacht zum Festival-Headliner geworden ist. Wir haben wir dem Mann hinter der Maske über das jetzt anstehende Zweitwerk „Die Urkatastrophe“ gesprochen und wieso er die Zügel im Studio nicht aus der Hand geben will und welchem Erfolgsrezept er mit diesem musikalischen Projekt folgt. Oder ob er überhaupt eines hat…
Interviews führt Noise konsequent nicht von Angesicht zu Angesicht, damit keine Person oder ein Gesicht im Vordergrund von KANONENFIEBER steht. Gleichzeitig wird in der Szene viel über den Multiinstrumentalisten gesprochen. Wir haben uns zu zweit an die Fragen gewagt und es berichten Hans Völkel und Oliver Di Iorio von der vordersten Front.
Gibt es andere Epochen – außer dem Ersten Weltkrieg – in der Geschichte der Menschheit, die künftig Einfluss auf ein KANONENFIEBER-Album haben könnten?
Servus erstmal! Gleich mit der Tür ins Haus also, haha. Der Dreißigjährige Krieg ist ein Thema, dass sehr interessant und schockierend zugleich ist. Kein Krieg hat die Bevölkerung in Europa prozentual so stark reduziert wie die Konflikte zwischen 1618 und 1648. Des Weiteren ist der Deutsch-Französische Krieg ein Thema, mit dem ich mich gerne auseinandersetzen würde. Mal sehen!
Der Beginn des 1. Weltkrieges jährt sich 2024 zum 110. Mal. Hast du die Veröffentlichung von „Die Urkatastrophe“ bewusst für dieses Jahr angepeilt, oder ist das eher dem Zufall geschuldet?
Wenn ich das Ganze geplant hätte, dann wäre der 28.07. mein Release-Datum gewesen. Aber das hätte zeitlich leider nicht so recht hingehauen. Tatsächlich ist das Release-Datum am 20.09. nur aus praktischen Gründen gewählt worden.
Was würdest Du jemandem sagen, der das KANONENFIEBER-Gesamtwerk nicht differenziert bewertet und den Krieg glorifiziert oder eure Musik im schlimmsten Fall für politisches Gedankengut instrumentalisiert?
Sobald ich meine Musik veröffentlicht habe, gebe ich sie aus der Hand. Was der Konsument damit anstellt, liegt nicht mehr in meinem Einflussbereich. Dass jemand meine Musik instrumentalisiert, ist mir bis jetzt aber noch nie zu Ohren gekommen. Sofern man sich auch nur eine Minute mit dem Projekt KANONENFIEBER beschäftigt, versteht man meine Intentionen und die Anti-Kriegs-Botschaft. Es gibt keinen Interpretationsspielraum in meinen Liedern.
Warum ist KANONENFIEBER – zumindest im Studio – ein Ein-Mann-Projekt? Die Liveband besteht immerhin aus erstklassigen Musikern. Beschneidest Du damit nicht die kreativen Möglichkeiten im Songwriting?
Bis dato hat mein Gehirn genug ausgespuckt, um meine Alben zu füllen. Solange ich und im besten Fall auch meine Hörerschaft zufrieden sind, sehe ich keinen Grund zur Veränderung. Ich bin in mehrere Projekte involviert, in denen ich Musik zusammen mit anderen Musikern schreibe. Das macht mir auch super viel Spaß, nur ist der Prozess des Songwritings mit mehreren Musikern wesentlich komplizierter. Viele verschiedene Ideen, Vorstellungen und Ansprüche erhöhen meiner Erfahrung nach den Zeitaufwand drastisch. Mit meinen Ein-Mann-Projekten ist das alles einfacher und sehr intuitiv. Ich schreibe und nehme das auf, worauf ich Lust habe.
Die Band ist innerhalb von knapp zwei Jahren von einem Geheimtipp zum Festival-Headliner geworden, was neben der Musik sicherlich auch an der wohl durchdachten Marketingstrategie liegt. Das ruft Neider auf den Plan, die kein gutes Haar an der Person „Noise“ und KANONENFIEBER als Projekt lassen. Deine Botschaft an diese Leute?
Das mit der durchdachten Marketingstrategie musst du mir mal erklären, haha. Ich habe tatsächlich so gar keine Ahnung von Marketing. Alles, was ich getan habe, ist Musik zu veröffentlichen, meinem Farbschema treu zu bleiben, den von der Hörerschaft verlangten Merch bereitzustellen und aktiv auf Social Media zu sein. Das war’s. Das hätte jeder andere auch tun können. Eine Botschaft habe ich keine. Solange KANONENFIEBER im Gespräch bleibt, ist mir alles recht. Ob nun positiv oder negativ, Aufmerksamkeit bleibt Aufmerksamkeit.
Was würdest Du anders machen, wenn Du die Zeit um drei Jahre zurückdrehen könntest?
Es gab die ein oder andere Fehlentscheidung, gerade in den Anfangstagen. Wenn man noch keine Ahnung von dem Dschungel namens Musikbusiness hat, dann ist das ein ganz schöner Schlag auf den Kopf. Labels, Vertriebe, Verlage – alles war überfordernd. Ich habe mich auf Leute eingelassen, die mir absolut nichts Gutes wollten. Das wird einem erst dann klar, wenn es zu spät ist. Ich wurde über den Tisch gezogen und öffentlich als „der Böse“ dargestellt. Aus dieser Zeit stammt mein teilweise umstrittener Ruf. Wäre ich vor drei Jahren mit meinem jetzigen Wissen ausgerüstet gewesen, wäre mir das nicht passiert. Aber ich will diese Erfahrungen im Nachhinein auch nicht missen, durch Fehler wächst man.
Zum Album „Die Urkatastrophe“: Lyrisch geht es wieder um (Einzel-)Schicksale während des Ersten Weltkriegs. Wie kann man sich die Recherche zu den Berichten, die Du in den Texten verwendest, vorstellen?
Zuerst sammeln mein Historiker-Kumpel Dani und ich Material. Das können Bücher, Dokumente, Zeitungsartikel oder Briefe sein. Der anschließende Prozess fällt unterschiedlich aus. Für den Song „Waffenbrüder“ zum Beispiel hat es keine weitere Recherchearbeit gebraucht. Ich habe mehrere Briefe, ein Gedicht und einen Zeitungsartikel für das Schreiben des Textes zur Verfügung gehabt. Das war genug Material, um daraus den kompletten Text zu schreiben. Selbiges gilt für den „Maulwurf“ und den „Panzerhenker“. Für den Song „Ausblutungsschlacht“ habe ich viel recherchiert. Ich hatte Zeitzeugenberichte sowie Feldberichte zur Verfügung. Das hat aber noch nicht gereicht, um das sehr umfangreiche Thema „Verdun“ zu behandeln. Ich forstete mich durch Foren, Websites und Bücher, um den Song möglichst historisch akkurat und ausdrucksstark gestalten zu können. Generell beschalle ich mich in der teilweise sehr langwierigen Textdichtungsphase mit allem, was die Mediathek hergibt – von Filmen und Büchern bis hin zu PlayStation-Spielen. Gerade Letzteres ist natürlich furchtbar anstrengend… haha. Aber alles natürlich im Sinne der Recherchearbeit, haha.
Der erste Track (nach dem Intro) ist nach Eurem Debütalbum „Menschenmühle“ benannt. Gab es das Lied schon früher, oder ist es erst nach der Veröffentlichung der Platte entstanden?
Der Song „Menschenmühle“ ist tatsächlich der letzte Song gewesen, den ich für das kommende Album geschrieben habe. Ursprünglich war der Song nur halb so lang, hatte keinen Text und sollte als Intro fungieren. Irgendwie hat mich der Main-Riff des Titels aber so inspiriert, dass ich einen ganzen Track daraus bauen wollte. Der Text für den Song ist anschließend einfach aus mir herausgesprudelt. Da war er, der Song, der das Debütalbum zusammenfasst und gleichzeitig das zweite Album eröffnet.
Im Chorus von „Menschenmühle“ schreist Du „Deutschland, Deutschland Vaterland“. Hast Du keine Angst, dass diese Passage – gerade im nicht deutschsprachigen Ausland – aus dem Kontext gerissen zu Irritationen führen kann?
Der Refrain schockt im ersten Moment, ja. Aber das soll er auch. Der Text im Ganzen sollte dem Hörer aber ganz schnell klar werden lassen, wovon der Song handelt. Wie sagte Annika vom Metal Hammer so schön: „Der Song ist eine Klatsche für jeden, der denkt, dass KANONENFIEBER den Krieg romantisiert.“ Ich bin der Meinung, man kann seiner Hörerschaft abverlangen, die zweite Zeile des Refrains wahrzunehmen. „Mordeslust im Wahnverstand“ setzt das „Deutschland, Deutschland“ unmittelbar in den gewünschten Kontext. Auch wenn man der deutschen Sprache nicht mächtig ist – sofern man sich nur eine Minute mit dem Projekt auseinandersetzt, versteht man die Anti-Kriegs-Intention.
Wieder sind – wie auch auf „Menschenmühle“ – immer wieder Segmente mit Originalaufnahmen von bestimmten Politikern/ranghohen Offizieren zu hören. Um wen handelt es sich dabei und wie kommt man an diese Aufnahmen?
Die Aufnahmen finden sich in Online-Archiven – für jedermann zugänglich und zum Download bereit. Es sind viele verschiedene Reden auf „Die Urkatastrophe“ zu hören, vom damaligen Reichspräsidenten bis hin zu Böhm-Ermolli.
Es ist löblich, dass du für „Die Urkatastrophe“ kein Material von den Singles und EPs wiederverwertet hast. So etwas kommt ja in letzter Zeit leider relativ häufig vor. Stand das jemals zur Debatte, oder war von Anfang an klar, dass es nur unveröffentlichtes Material aufs Album schafft?
Das war von Anfang an klar. Die EPs bilden eine abgeschlossene Geschichte und hätten auf dem Album nichts zu suchen. Mir ist das Konzept und der lyrische Hintergrund meiner Alben und EPs sehr wichtig. Eine Vermischung wäre somit nicht in meinem Interesse gewesen.
Zwei Songs stechen auf dem Album besonders hervor, weil sie für KANONENFIEBER recht ungewöhnlich klingen. Der erste Song ist „Der Maulwurf“. Das Stück hat mich unwillkürlich an eine Mischung aus SANTIANO (wegen des schunkeligen Refrains) und EISREGEN (wegen deiner Intonation in den Strophen) erinnert. Ich musste mich da erst mal reinhören. Wolltest du dich und die Fans bewusst mal aus der musikalischen Komfortzone herausholen?
So weit habe ich, um ehrlich zu sein, gar nicht gedacht. Der Song kam, wie er kam. Ich wollte eine intensive und düstere Atmosphäre rund um die Thematik schaffen. Der für meine Verhältnisse klare Gesang ist meinem Wunsch geschuldet, die Geschichte verständlich zu erzählen. Der Refrain soll die beschriebene Geschichte unterstreichen – quasi vier Männer in einem Minenschacht, die bei ihrer monotonen Arbeit ein Lied anstimmen. Dementsprechend einfach ist die Melodieführung und der Text.
Wie kam es, dass Maik Weichert (HEAVEN SHALL BURN) ein Gitarrensolo für „Waffenbrüder“ beigesteuert hat?
Vorneweg – ich bin großer HEAVEN SHALL BURN-Fan seit bestimmt 15 Jahren. Als KANONENFIEBER anfing zu wachsen, suchte ich Antworten auf unzählige Fragen. Ich habe mich gesträubt, einen Deal mit einem Label einzugehen, war auf der anderen Seite aber auch maßlos überfordert. Daraufhin stellte mir ein gemeinsamer Freund Maik vor. Da Maik schon einige Jahre Erfahrung im Musikbusiness vorzuweisen hat, löcherte ich ihn mit Fragen. Er hat mir Rede und Antwort gestanden, wofür ich heute noch sehr dankbar bin! Als dann der Song „Waffenbrüder“ fertiggestellt war, dachte ich mir, dass in die Bridge ein Solo passen würde. Da kam mir sofort Maik in den Sinn. Ich fragte ihn, er stimmte zu und legte ein brillantes Solo aufs Parkett. Ende der Geschichte.
Die Produktion der Platte strotzt vor Power und Brillanz. Während auf dem Debütalbum der Song „Verscharrt Und Ungerühmt“ noch eine gewisse Lo-Fi-Ästhetik ausstrahlt, verzichtest Du auch dieses Mal nicht komplett darauf. „Als Die Waffen Kamen“ geht wieder als Liedermacher-Ballade durch. Folgst Du einem Konzept für diese Arrangements, oder sind diese Songs in ihrer Einfachheit ein fester Bestandteil Deines Schaffens?
Ich habe beim Schreiben der Akustikstücke immer eine Gruppe Soldaten nach einer auszehrenden Schlacht vor Augen. Sie sitzen zusammen, trinken sich das Geschehene aus dem Gedächtnis und spielen dazu Lieder. Diese Stimmung versuche ich zu vermitteln. Ich verstehe die Lieder als einen kurzen Moment der Ruhe, um das vorher Gehörte zu verarbeiten – „Die Ruhe nach der Schlacht“, wenn man so will.
Du warst seit der Veröffentlichung von „Menschenmühle“ ganz schön aktiv und hast neben Singles, EPs und einer steigenden Livepräsenz auch insgesamt drei Alben mit deinen anderen Projekten NON EST DEUS und LEIÞA veröffentlicht. Wie kam es, dass du dich nach dem Erfolg von „Menschenmühle“ nicht direkt an ein neues KANONENFIEBER-Album gesetzt hast?
Das Problem mit der Kreativität ist, dass sie kommt und geht und nur schwer beeinflussbar ist. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, das zweite Kanonenfieber-Album früher zu veröffentlichen, war mit dem, was ich geschrieben habe, jedoch nicht wirklich zufrieden. Nach dem Debüt musste ein Kracher folgen, kein halbherziges, aus Zeitdruck entstandenes Album. Da so ziemlich permanent Musik aus mir heraussprudelt, habe ich zuerst meine Nebenprojekte mit neuer Musik versorgt, bevor ich mich an das zweite Kanonenfieber-Album gemacht habe.
Passiert es manchmal, dass eine Idee für Projekt A letzten Endes bei Projekt B landet, oder trennst du das Songwriting für deine verschiedenen Bands strikt?
Tatsächlich ist das noch nicht passiert, nein. Wenn ich für NON EST DEUS schreibe, dann klingt das Material auch nach NON EST DEUS. Dasselbe gilt für LEIÞA und Kanonenfieber. Ich versuche, die Projekte musikalisch so gut voneinander zu trennen, wie es mir als alleiniger Songwriter möglich ist. Dass sich die Songstrukturen und die Melodieführung am Schluss ähneln, lässt sich leider nicht vermeiden. Ich kann dann doch nicht komplett aus meiner Komfortzone heraus.
Wirst du deinen bisherigen Aufnahme- und Veröffentlichungsrhythmus beibehalten und jetzt erst mal wieder Alben mit deinen anderen Projekten aufnehmen?
Ich werde mich jetzt erst mal NON EST DEUS und LEIÞA widmen. Ich war in letzter Zeit ziemlich fleißig und habe genug Instrumentals auf dem Rechner, um für beide Projekte ein Album zusammenzustellen. Als Nächstes stehen die Schlagzeugaufnahmen für das nächste NON EST DEUS-Album auf dem Programm. Da darf mein Trommelhans mal wieder sein Können unter Beweis stellen, haha. Aber ich bin selbstverständlich im gleichen Atemzug dabei, neues Material für Kanonenfieber zu schreiben. Obendrauf bin ich gerade dabei, ein neues Projekt aus dem Erdboden zu stampfen. Es gibt immer etwas zu tun!
Wie sieht es mit Tourplänen aus? Internationale Bühnen habt ihr ja bereits erfolgreich erobert. Plant ihr mehr in diese Richtung und wollt ihr auch eure Bühnenshow noch weiter ausbauen?
Auslandsshows sind uns ein großes Anliegen, ja. Wir wollen Kanonenfieber weltweit etablieren, was sich aufgrund der deutschen Lyrik natürlich nicht so einfach umsetzen lässt. Mit unserer Booking-Agentur im Rücken läuft das Vorhaben jedoch gut an. Für nächstes Jahr sind einige Shows auf der anderen Seite unseres Erdballs geplant – mal hoffen, dass das alles wie geplant hinhaut.
Wir sind gerade dabei, unsere Bühnenproduktion massiv aufzuwerten. Das Produktionsteam ist rund um die Uhr am Schuften und Ideen sammeln für die Release-Shows und die folgende Headliner-Tour im November/Dezember dieses Jahres. Wir tüfteln seit Sekunde eins permanent am Ausbau der Bühnenproduktion, weswegen sich unsere Show teilweise innerhalb kürzester Zeit drastisch weiterentwickelt. Natürlich ist das alles sehr kostspielig und als junge Band haben wir noch keine finanziellen Rücklagen. Alles Geld, das wir durch Merchandise und Gagen einspielen, wird im Handumdrehen in die Produktion investiert, um unsere Bühnenshow intensiver und gewaltiger zu gestalten. Die Tour mit AMON AMARTH hat uns gezeigt, dass wir noch vieles aufwerten und vergrößern müssen, um mit den Topscorern der Metalszene mithalten zu können.
Deine Gedanken zur Neuauflage von „Im Westen nichts Neues“?
Überragend. Ich habe den Film schon sechs Mal gesehen und bin immer noch begeistert. Wenn es eine visuelle Aufarbeitung von KANONENFIEBER gäbe, dann wäre es exakt dieser Film. Eine ganz klare Empfehlung meinerseits!