Heidevolk
Said But True: Prosecco als Heißmacher
Interview
Ihr habt Euch schon öfters gefragt, was eigentlich einer der erfolgreichsten holländischen Metal-Exporte so abseits der Bühne treibt? Wir uns auch. Deshalb haben wir die Chance genutzt, mit den beiden äußerst sympathischen HEIDEVOLK-Membern Rowan (Bass) und Jacco (Gesang) ein Bier in Berlin zu trinken und sie ins „Said But True“-Kreuzfeuer zu nehmen.
Von welchem legendären Live-Moment werdet Ihr Euren Enkeln noch erzählen?
Legendäre Livemomente gab es schon so einige. Wenn man das Glück hat, auf der Mainstage eines großen Festivals, wie zum Beispiel dem Summer Breeze oder dem Hellfest, zu spielen und wenn dann ein großes Publikum Deine Songs mitsingt, liegt genau diese Magie in der Luft, die legendäre Momente ausmacht. Wobei – vermutlich reicht es schon, wenn eine größere Menge Menschen deine Songs singt: 500 Mexikaner, die “Het Gelders Volkslied“ singen – unvergesslich.
Sekt oder Selters – was trinkt ihr auf der Bühne?
Um ehrlich zu sein, ist das eine Mischung aus Bier und Wasser. Die meisten von uns gönnen sich Bier während den Shows. Vermutlich bin ich sogar der einzige, der sich stattdessen Wasser mit auf die Bühne nimmt, da ich mich so besser auf den Gesang konzentrieren kann.
Allerdings gibt es da noch eine Ausnahme – und wahrscheinlich werdet ihr uns deshalb für verrückt erklären: Bevor wir die Bühne betreten, stoßen wir alle gemeinsam mit Prosecco auf eine erfolgreiche Show an. Wir sprechen einen Toast aus und stürzen ihn ganz schnell runter, weil das so schön “blubbert“ im Kopf. Das ist so ein richtiges “Pre-Show-Ritual“.
Echt witzig. Und vor allem habt ihr damit gleich eine meiner weiteren Fragen beantwortet. Nämlich die, ob HEIDEVOLK ein Auftrittsritual haben?
Ja, das ist es tatsächlich: Prosecco trinken, gegenseitig nochmal die Hände drücken, “Viel Spaß“ wünschen und die Bühne entern.
Was war das Letzte, das bei einer HEIDEVOLK-Show zu Bruch gegangen ist?
Rowan: Ich.
Gelächter von allen
Nein, wirklich. Während der “Paganfest-Tour“ habe ich mir direkt im Anschluss an einen Gig den Fuß gebrochen. Also eigentlich wusste ich zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass er gebrochen war und habe die gesamte Tour noch zu Ende gespielt. Bin also trotz der höllischen Schmerzen rumgerannt und rumgesprungen – hab eben Spaß auf unseren Shows gehabt. Zu Hause bin ich dann ins Krankenhaus gefahren. Die haben den Fuß geröntgt und sagten mir, dass er gebrochen sei.
Welche Band ist die beste Live-Band – und warum?
Jacco: Für mich persönlich ist das IRON MAIDEN. Und zwar, weil sie früher wie heute einfach eine großartige Show abgeliefert haben und abliefern.
Rowan: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Ich glaube, da gibt es keine spezifische Band. Vielmehr ist es die Art und Weise, die ich mag. Also wenn sich eine Band auf das wesentliche konzentriert – sich und die Musik. Übermäßige Bühnenaufbauten, Schlösser, Drachen und derartiges Zeug sind in meinen Augen völlig überflüssig. Eine Band sollte als Band eine überzeugende Show spielen. 6AM fallen mir da gerade noch spontan ein. Ich habe eine ihrer Clubshows gesehen, die mir richtig, richtig gut gefallen hat. Es war einfach toll zu sehen, wie gut die auf der Bühne eingespielt waren.
Was war die größte Crowd, vor der HEIDEVOLK je gespielt haben?
Das dürfte definitiv auf irgend einem Festival gewesen sein – Summer Breeze vielleicht? Die großen Festivals eben. Wir lieben es da zu spielen und freuen uns schon jetzt auf alle Auftritte dort, die in Zukunft noch vor uns liegen.
Wie sieht der perfekte Backstage aus?
Jacco: Zunächst sollte vor allem genug Platz für uns alle sein. Dann natürlich ausreichend Getränke im Kühlschrank und genügend gutes Essen. Unmittelbar vor der Show sollte es dann außerdem ruhig genug sein, um sich ordentlich vorbereiten zu können.
Rowan: Jacco ist da total anständig. Für mich müssen da nur blaue M&M’s, schwarze Äpfel und solche Sachen sein 😉
Es gibt tatsächlich mittlerweile kaum noch Backstagebereiche, in denen es nicht gut aussieht. Wichtig ist für uns am Ende wirklich nur, dass wir unseren eigenen Raum haben sowie dass genügend Verpflegung, Handtücher und solche Sachen vorhanden sind.
Natürlich haben wir auf unserem Rider auch einigen Extrastuff angegeben – unter anderem Simpson-Boxershorts oder Ballons. Die richtig guten Promoter besorgen uns diese Sachen tatsächlich, worüber wir uns dann natürlich auch freuen. Aber es ist wie gesagt nicht überlebenswichtig.
Wer ist der Trinkfesteste bei HEIDEVOLK?
Joost. (Wie aus der Pistole geschossen)
Mögt ihr Groupies – und was macht ihr mit ihnen?
Stille, dann Gelächter
Ich denke, das sollten wir nicht ernsthaft beantworten. Aber ich kann versichern, dass wir nicht wild herumvögeln oder solche Sachen.
Wie viele Stunden Schlaf habt ihr auf Tour so im Durchschnitt?
Jacco: Das hängt davon ab, wieviel Party man macht. Ich versuche, so viel Schlaf wie möglich zu bekommen, um möglichst fit für die Shows zu sein. Schließlich bin ich ja genau deswegen unterwegs. Dennoch kann es passieren, dass so gute Stimmung ist, dass man nicht mehr als zwei oder drei Stunden Schlaf bekommt.
Rowan: Oh ja. Wenn es richtig gut läuft, kommst Du tatsächlich nur auf drei bis vier Stunden Schlaf. In der Summe schlafe ich auf Tour aber mehr als zu Hause. Schließlich hast Du den Vorteil, dass Du auch tagsüber pennen kannst. So komme ich glatt auf neun bis elf Stunden Schlaf pro Tag. Das geht zu Hause einfach nicht.
Jacco: Das ist bei mir genauso.
Wie oft wascht ihr Eure Klamotten auf Tour?
Auf der aktuellen Tour tatsächlich noch nicht so oft. Es gab erst ein- oder zweimal die Möglichkeit, unsere Klamotten zu waschen. Es ist halt wichtig, für den Fall der Fälle genug Wechselsachen dabei zu haben. Nicht immer kann man überall seine Wäsche waschen. Und die Wäsche regelmäßig zu wechseln ist nicht nur wichtig, um die anderen nicht zu belästigen, sondern auch, um selbst nicht krank zu werden.
Auf welche landestypischen Dinge freut ihr euch im Vorfeld einer Tour am meisten?
Die Frauen? Darf ich das so sagen?
Gelächter
Ich meine, es sind die Fans. Jeder von uns unterhält sich recht viel mit ihnen. Nach einer Show gehen wir normalerweise duschen und sind ab dann am Merch-Stand zu finden. Da trifft man dann auf so viele unterschiedliche Leute, die ebenso viele unterschiedliche Geschichten zu erzählen haben. Nach einer einmonatigen Tour hast du dann Eindrücke, die für ein ganzes Jahr reichen.
Was war die kleinste Bühne, auf der HEIDEVOLK je gespielt haben?
Das müsste während unserer Amerika-Tour gewesen sein, in Kanada. An den Namen des Clubs können wir uns nicht mehr erinnern, Vancouver Island oder so?! Es war auf jeden Fall sehr voll, mit ein paar hundert Leuten, ohne eine richtige Bühne. Ich sagte den Leuten, dass dies die kleinste Location wäre, in der wir je gespielt haben, und das dafür spricht, dass es die beste Show der Tour werden wird. Und es ist tatsächlich eine richtig gute, sehr intensive Show gewesen. Ich meine, die Leute standen quasi auf der Bühne und haben ein Konzert gemeinsam mit der Band erlebt. Also im wahrsten Sinne des Wortes mit der Band.
Hattet ihr schon mal Probleme mit der Polizei?
Kein Kommentar.
Gelächter
Außer den üblichen Knöllchen wegen zu schnellem Fahren und dergleichen fällt uns da nichts ein.
Rowan: Obwohl, ich erinnere mich doch noch an eine besondere Begebenheit mit HEIDEVOLK. Es war während der Heidenfest-Tour, und wir hatten einen Tag frei. Es war in der Nähe von Nürnberg, und wir waren mit einer eigenen Headlinershow unterwegs. Wir hatten einen ungarischen Fahrer, der bei unserer abendlichen Show richtig ordentlich gesoffen hat. Am nächsten Tag, als wir in der Stadt unterwegs waren, wurden wir dann von der Polizei gestoppt und eben dieser Fahrer musste einen Alkoholtest machen. Unser erster Gedanke war: „Hoffentlich hat er gestern nicht zu viel getrunken!“ Jedenfalls sahen wir, wie er den Alkoholtest machte und dann nach einem kurzen Gespräch mit den Polizisten zurück zum Bus kam und uns sagte, dass wir alle jetzt sofort aussteigen müssten. Er ging mit uns zu den Polizisten und meinte, dass der eine Officer und sein Chef wirklich große HEIDEVOLK-Fans seien und wir jetzt unbedingt ein Foto machen müssten. Da waren wir natürlich total erleichtert, da wir echt Schiss und mit sonst was gerechnet hatten. So machten wir ein Gruppenfoto mit dem Officer für ihn und seinen Chef, was am Ende echt cool war.
Habt ihr Euch im Laufe Eurer Karriere schon einmal gefragt, wie Ihr die nächste Miete bezahlen sollt?
Rowan: Ich bin gerade fast in solch einer Situation.
Jacco: Ich hatte die Situation auf jeden Fall auch schon. Aber das ist Gott sei Dank schon etwas länger her. Die meisten von uns haben mittlerweile auch reguläre Jobs, die mit der Band kompatibel sind.
Rowan: Mit 19 oder 20 hatte ich eine echt brenzlige Situation. Ich war bereits zu Hause ausgezogen, hatte keine so gute Verbindung und bin krank geworden. Ich war über vier Wochen krank und konnte nicht arbeiten gehen. Das hat mir echt zu schaffen gemacht. Aber zum Glück hab ich einen echt geilen Bruder, der mich unterstützte.
Jacco: Ich befand mich tatsächlich auch schon in der Situation, dass ich Flaschen gesammelt und weggebracht habe, um mir meinen täglichen Lebensunterhalt zu verdienen.
Seid ihr schon einmal richtig verarscht worden?
Wir hatten da schon mal richtig Trouble mit einer Firma – deren Name ich nicht nennen möchte. Sie bekamen von uns gut 200 HEIDEVOLK-CDs, die sie nie bezahlt haben – trotz mehrfachem telefonischen Nachhaken. Das hat mich richtig geärgert. Weil man Bands einfach nicht in der Art ausnimmt. Das ist ein Hobby von uns, und wir sind froh, wenn wir wenigstens einen Teil der Kosten wieder reinbekommen. Gerade am Anfang haben wir durch solche Sachen mehrere Tausend Euro verloren. Zuletzt gab es Probleme mit einer Firma aus Österreich, die etwas von uns produziert und noch Restposten überhatte, die sie uns für einen sehr günstigen Preis angeboten haben. Wir haben uns echt über das Angebot gefreut und es auch angenommen. Allerdings habe ich dann dummerweise erst das Geld gesandt und bis heute keine Ware erhalten. Angeblich gab es einen Wasserschaden, woraufhin ich dann darum gebeten habe, uns wenigstens einen Teil des Geldes zurückzugeben, weil wir das ja tatsächlich brauchen, um zu überleben. Aber nicht mal das hat geholfen, und ich denke auch nicht, dass da noch was kommt.
Hattet ihr schon einmal eine Begegnung mit dem Tod?
Auf jeden Fall. Wir waren mit HEIDEVOLK auf Tour und hatten einen Bus, der ständig Aussetzer hatte und liegenblieb. Deshalb fuhren wir schließlich zum Busunternehmen. Einige von uns waren bereits ausgestiegen, als der Bus plötzlich Feuer fing. Wir konnten ihn zwar alle rechtzeitig und ohne Verletzungen verlassen, aber das war schon ein echt krasses Gefühl. Schließlich waren wir gerade durch Nevada, durch die Wüste gefahren. Wenn der Bus da mitten in der Wüste gebrannt hätte, wäre das sicher das Ende für HEIDEVOLK gewesen. So hatten wir also Glück im Unglück und mussten nur auf einen neuen Bus umsteigen.
Was würde man am wenigsten von Euch erwarten?
Außer der Sache mit dem Prosecco!?
Vielleicht unsere regulären Jobs? Ich arbeite aktuell zum Bespiel als Unternehmensanalytiker, was wahrscheinlich niemand erwarten würde. Schließlich hat es absolut gar nichts mit der Musik zu tun. Es gibt einem allerdings einen tollen Ausgleich. Wahrscheinlich ist es schon die Tatsache, dass wir überhaupt regulär arbeiten, weil die meisten unserer Fans nach wie vor denken, dass wir von HEIDEVOLK leben können.
Welches weltpolitische/gesellschaftliche Thema hat Euch zuletzt bewegt?
Das ist auch sehr schwer zu beantworten. Es passiert derzeit so viel auf der Welt – beispielsweise aufgrund der Krise oder auch Terrorismus. Wenn man sich die aktuelle Entwicklung anschaut, lassen sich erschreckend viele Geschichtsmuster und Parallelen wiederentdecken. Wie zum Beispiel die Aufrüstung verschiedener Länder, die auf einen Krieg an mehreren Fronten hinauslaufen könnte. Und ich beobachte das ganz genau, da es ein schrecklicher Gedanke ist, dass eine sich entwickelnde Gesellschaft erneut im Krieg landen kann. Nehmen wir zum Beispiel die Römer. Als ich damals durchs “Forum Romanum“ gelaufen bin, kam mir der verrückte Gedanke, dass dieses römische Imperium, was auf unseren heutigen Grundfesten der Demokratie aufgebaut war, von einem Diktator überwältigt wurde. Verrückte Dinge, über die man aber nachdenken sollte.
Was war – abgesehen von Musik – die am meisten beeindruckende künstlerische Leistung, die ihr erlebt habt?
Jacco: Auch wenn es indirekt mit Musik zu tun hat, fällt mir da sofort etwas ein. Ich interessiere mich privat sehr für den Orgelbau, speziell Pfeifenorgeln. Ich habe da echt hervorragende Ingenieursarbeit und prächtige Dekorationen bewundern dürfen. Für mich ist so eine Orgel mehr als ein Musikinstrument: Es ist eine ganz besondere Form der Kunst, in der die Orchestrierung, menschliche Gefühle und die natürliche Welt um dich herum in einem Kunststück zusammengefasst sind.
Rowan: Für mich gibt es da mehrere Sachen, auf die das zutrifft: Ich schaue mir sehr gerne Fotografien der Natur oder von Menschen an, wenn sie eine ganz besondere Situation einfangen. Dasselbe empfinde ich, wenn ich mir Kunst, auch moderne Kunstwerke, anschaue. Wenn man beispielsweise beim Betrachten eines Bildes nachvollziehen kann, wieso es sein Schöpfer genau so gemalt hat. Es können nur ein paar Linien auf einem Blatt Papier sein, die aber verdammt viel bedeuten, wenn man die Geschichte dahinter kennt. Von solchen Dingen kann ich mich wunderbar davontragen lassen.
Vielen Dank für dieses tolle Interview!
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