Iskandr
"Es klingt wie ein alter Mythos, definiert unsere aktuelle Zeit aber perfekt."
Interview
Anlässlich des neuen Albums „Spiritus Sylvestris“ sprachen wir mit ISKANDR-Mastermind O darüber, warum die Platte so klingt wie sie klingt, was alte Alchemisten und die Alpen damit zu tun haben. Außerdem fachsimpelte der Multi-Instrumentalist über DEAD CAN DANCE und alte Mythen.
Hey! Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, diese Fragen zu beantworten. Bevor wir zu ISKANDR kommen: Welche Musik läuft gerade bei dir rauf und runter?
Ich höre hauptsächlich den neuen Track von VEMOD, der gerade veröffentlicht wurde, außerdem das neueste Album von GRIFT namens „Dolt Land“ und das neue Album von TENHI. Zusätzlich läuft bei mir gerade die gesamte Diskografie von FIELDS OF MILDEW durch, einem sehr bewegenden Projekt, dem ich schon lange folge. Zu guter letzt muss ich noch das neue Album von YELLOW EYES erwähnen, was passend erscheint, da diese New Yorker Black-Metal-Band ebenso wie ISKANDR einen Gang zurückgeschaltet und anstelle ihres üblichen rohen, psychedelischen Black Metal eine Art experimentelles Dark-Ambient-Album veröffentlicht hat. Ich bin mir sicher, dass sie einige der gleichen verwirrten Reaktionen auf ihr neues Material erhalten, die ich bekommen habe!
Lass uns über dein neues Album „Spiritus Sylvestris“ sprechen. Wir können eine Veränderung von Klang und Musikstil im Vergleich zum letzten Album „Vergezicht“ hören. Wie ist das passiert und wie würdest du es beschreiben?
Ja, es ist definitiv eine Veränderung, obwohl ich sagen muss, dass ich auch eine klare Fortsetzung im Charakter und der zugrunde liegenden Atmosphäre spüre. Es war so, dass ich nach „Vergezicht“ dachte, ich hätte mit diesem Album alles gesagt, was ich innerhalb dieses Stils sagen wollte. Ich war ein wenig unsicher, wie ich diesen Sound noch weiter ausbauen könnte, denn es fühlte sich wie der Höhepunkt eines Kapitels an.
„Es hat eine Weile gedauert, diese Ideen zu akteptieren.“
Nach einer Weile kamen mir Riffs und Songideen, die eine bestimmte Atmosphäre hatten, aber grundsätzlich anders waren als das, was ich vor fünf Jahren geschrieben habe, als ich an „Vergezicht“ gearbeitet habe. Es hat tatsächlich eine Weile gedauert, diese Ideen als passendes nächstes Kapitel für ISKANDR zu akzeptieren. Gleichzeitig wurde ISKANDR immer häufiger für Live-Shows angefragt.
Weil mein Mitstreiter Mink und ich auch unsere andere Band SOLAR TEMPLE auf die Bühne gebracht haben, indem wir sie völlig neu erfunden haben, kam mir eine ähnliche Option für ISKANDR in den Sinn. Warum nicht eine mehr songorientierte, folkige Version der Atmosphäre kreieren und das auf die Bühne bringen? In Kombination mit den neuen Songs fühlte sich das alles wie ein passendes Konzept für den nächsten Schritt an.
Was kannst du uns über das lyrische Konzept des Albums und dessen Reflektion im Titel „Spiritus Sylvestris“ erzählen?
Der Titel bezieht sich auf frühmoderne Chemiker und Alchemisten, die Kohlendioxid entdeckten, wenn sie Holzkohle verbrannten. Sie glaubten, dass die natürliche Welt eine Art ätherisches Wesen habe, das in seiner reinsten Form durch diesen Prozess freigesetzt wurde. Sie wussten nicht, dass sie mehr oder weniger richtig lagen, je nach Interpretation, aber dass dieses Treibhausgas im modernen Zeitalter zu unserem Verderben werden würde.
„Es klingt wie ein alter Mythos, definiert unsere aktuelle Zeit aber perfekt.“
Millionen Jahre komprimierter natürlicher und organischer Sedimente wurden durch das Massenverbrennen dieser fossilisierten Überreste in die Luft freigesetzt und das sprichwörtliche Gespenst der Vergangenheit begann durch unsere Arroganz und Nachlässigkeit unsere Gegenwart heimzusuchen. Es klingt wie ein alter Mythos, definiert unsere aktuelle Zeit aber perfekt. Die Texte versuchen, diese naturgegebenen Kräfte zu personifizieren, die für uns in unserer aktuellen, modernen städtischen Welt so fern erscheinen. Sie sollen durch Erzählung und Metamorphose verständlich gemacht werden, wie die polytheistischen und animistischen Mythologien der Vergangenheit.
Im Musikvideo zu „Hof der Valken“ sehen wir nur Natur und Ruinen. Welche Art von Welt wird dort dargestellt?
Das Filmmaterial stammt alles aus den Alpen und wurde von mir während einer langen Herbstreise vor ein paar Jahren aufgenommen. Ich liebe diese Berge und die Natur, die sie repräsentieren; trotz des Tourismus und unserer modernen Bergausrüstung sind es immer noch Lebensräume, die für die Menschheit so feindlich sein können und gleichermaßen von den Kräften des Lebens und des Todes erfüllt sind. Wasser, Felsen, Pflanzen, Bäume, Insekten, die Gebäude, die in dieser rauen Umgebung leicht verfallen. Es ist zeitlos und gleichzeitig vollständig symbolisch für den Lauf der Zeit. Es schien die perfekte visuelle Begleitung zur Musik von „Spiritus Sylvestris“ zu sein.
Dies ist dein erstes Album, für das jemand anderes die Aufnahme und Produktion übernommen hat. Warum hast du diese Entscheidung getroffen?
Ich wollte ISKANDR wirklich in eine neue Richtung entwickeln. Ich habe meine eigenen speziellen Arten des Schreibens und Produzierens von Musik, aber für dieses Album wollte ich sehen, wie weit ich diese Richtung gehen kann. Ich brauchte jemanden mit einer anderen Perspektive und einem tiefen Wissen über Musikproduktion sowie Musikgeschichte; jemanden etwas außerhalb des üblichen Black-Metal-Milieus.
„Zusammen haben wir es geschafft, eine einzigartig klingende Platte zu gestalten.“
Pieter Kloos war die genau richtige Person für diese Aufgabe und er hat einen immensen Beitrag dazu geleistet, den neuen ISKANDR-Sound zu formen, ein guter Partner, um meine Millionen Ideen in etwas umzuwandeln, das machbar und kohärent war. Mink hat mir ebenfalls geholfen, indem er einige der Schlaginstrumente spielte und ein einzigartig aufmerksames Ohr und Wissen über die Produktion bot. Zusammen haben wir es geschafft, eine einzigartig klingende Platte zu gestalten.
Inwiefern ist ISKANDR mit den letzten beiden Alben mehr zu einer Band, einem Duo geworden und weniger zu einem persönlichen Projekt?
Obwohl ich Mink für alles danke, was er für das Projekt getan hat, fühlt es sich für mich immer noch wie ein persönliches Projekt an. Ich schreibe immer noch alle Teile, einschließlich der grundlegenden Schlagzeugbeats, der Texte, mache alle Artworks und manage das gesamte Konzept des Projekts. Sein Beitrag ist unschätzbar, aber ich denke, er würde definitiv zustimmen, dass es immer noch mein persönliches Projekt ist. SOLAR TEMPLE ist hingegen ein Projekt, das wir als eine echte gleichberechtigte Zusammenarbeit klassifizieren würden.
DEAD CAN DANCE wurde als Einfluss für dieses Album vor seiner Veröffentlichung genannt. Welches ihrer Alben würdest du empfehlen, um eine Erkundung des Werks dieser Band zu beginnen?
Das ist eine gute Frage! Ich bin ein großer Fan all ihrer Alben, aber um eine kurze Empfehlung für Hörer zu geben, die neu in ihrem Zeug sind: Das selbstbetitelte Debüt ist stärker in ihren Post-Punk/Gothic-Ursprüngen verwurzelt, zeigt jedoch bereits einzigartige Elemente von ätherisch klingenden Instrumenten und Stimmen. Das 1985 erschienene „Spleen and Ideal“ lässt einen folkigen Ambient-Einfluss erkennen. Das war definitiv ein großer Einfluss für „Vergezicht“.
„Das war definitiv ein großer Einfluss für ‚Vergezicht‘.“
Das nächste Album „In The Realm of a Dying Sun“ enthüllt ihre filmische und neo-klassische Seite in voller Ausdehnung. Es ist eine zutiefst bewegende Platte, die ich empfehle, wenn man durch die Berge oder Wälder fährt; es wird tief in dein Herz treffen. „The Serpent’s Egg“ geht in Richtung „tribal“ und „Weltmusik“ (obwohl ich diese Begriffe hasse) und hat einen sehr psychedelischen Charakter. „Aion“ präsentiert schließlich ätherische, mittelalterliche Folklore. Alles in allem ist die Diskographie sehr ergiebig und makellos, wirklich unglaublich. Jeder, der an dunkler und fesselnder Kunst interessiert ist, sollte mit ihrem Material vertraut sein oder es nachholen.
Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen! Fühle dich frei, etwas hinzuzufügen, wenn du möchtest.
Vielen Dank für dieses Interview und an den Leser für das Interesse an dem, was ich tue. „Spiritus Sylvestris“ ist immer noch bei Eisenwald erhältlich, verkauft sich aber ziemlich schnell, also bitte greift zu, bevor es vergriffen ist. Mein letztes Konzert als ISKANDR in diesem Jahr wird eine Duo-Performance mit Mink am 18. November in Halle an der Saale während des Deep Sound City Festivals sein, in Begleitung von ALKERDEEL, ESOTERIC und vielen anderen. Es ist ein großartiges Line-up, schaut es euch an!